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Interviews

Das Kinogesicht des Franz Rogowski – Im Gespräch mit Thomas Stuber

Ein Beitrag von Anna Wollner

Ein Gabelstaplerballett, ein Großmarkt und eine Geschichte über Liebe und Freundschaft. Anna Woller hat Thomas Stuber zu seinem Film In den Gängen interviewt – und einiges über seine Arbeitsweise und die Gabelstaplerfahrkünste seiner SchauspielerInnen erfahren. 

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In den Gängen Filmbild
In den Gängen von Thomas Stuber

Es ist das wohl schönste Gabelstaplerballett der Filmgeschichte. In Thomas Stubers In den Gängen erzählt der Regisseur poetisch lakonisch nach einer Kurzgeschichte und einem Drehbuch von Clemens Meyer von einer Handvoll Außenseiter in einem ostdeutschen Großmarkt. Anna Wollner sprach auf der Berlinale mit Regisseur Thomas Stuber.

 

„In den Gängen“ hat das poetischste Gabelstaplerballett der Filmgeschichte. Wie haben Sie die Tonalität des Films entwickelt?

Es fällt einem nicht über Nacht ein. Es ist ein langer Prozess. Clemens Meyer, der Autor der Kurzgeschichte, und ich haben vor über 3 Jahren mit den ersten Ideen begonnen. Das ist ein langer Prozess. Das ist ja auch keine klassische Literaturverfilmung, kein 500 Seitenroman, sondern eine 25 Seiten starke Kurzgeschichte. Das ist schon die erste Besonderheit. 

Wie würden Sie das beschreiben?

Es ist die Besonderheit von Clemens‘ Prosa. Er verknappt wahnsinnig, erzählt viel über Auslassungen und dann doch wieder ganz präzise bestimmte Dinge. Das zu finden, war der erste Kern. Diese Atmosphäre zu begreifen. Als ich die Geschichte das erste Mal gelesen habe, war ich sofort mittendrin, fühlte mich reingezogen in diesen „Un-Ort“ Großmarkt. Ein „Un-Ort“, der dann von einer Wärme und einem Geheimnis erzählt. Über das Drehbuch, die Arbeit mit den Schauspielern hat sich das entwickelt. Vieles entstand aber auch erst am Set, als wir merkten, was wie und in welcher Ruhe funktioniert. Und final dann im Schnitt. Das ist ein langer Prozess. 

Wie war die Zusammenarbeit mit Clemens Meyer? 

Wir kennen uns schon länger, arbeiten auch schon länger zusammen und sind wie ein altes Ehepaar. Clemens ist Schriftsteller, aber auch filmverrückt. Er hat eine Bibliothek mit 2000 DVDs zuhause. Obwohl er ein Filmverständnis hat, geht er beim Schreiben nicht mit der Logik des klassischen Drehbuchautors ran. Eher wie an einen seiner Romane. Nur eben, dass ich noch dabei bin. Es geschieht viel über Dialog. Wir reden und reden über alle möglichen Sachen. Stundenlang. Nachts nehmen wir dann die Abzweigung in die Geschichte hinein, in die Szene. Clemens funktioniert über die Atmosphäre, über die Genauigkeit der Beobachtung. Bis dahin, dass wir Dialogsätze laut aussprechen. Ich schreibe das dann auf, wir gehen es immer und immer wieder durch und verfeinern oder füllen eine Lücke.

In den Gängen; Copyright: Zorro Filmverleih
In den Gängen; Copyright: Zorro Filmverleih

Es gibt vier gleichberechtigte Hauptdarsteller. Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth und den Großmarkt. Wie schwierig war es, die perfekte Location zu finden?
Kein Film funktioniert ohne Ort. Aber in meiner eigenen Filmarbeit war ein Ort noch nie so wichtig wie hier. Deshalb trifft es das mit dem Hauptdarsteller schon ganz gut. Weil er ja auch für etwas anderes steht. Er steht ja quasi für alle. Für die Gemeinschaft, für die Wärme, für den Zusammenhalt. Wir haben wahnsinnig lange gesucht ist. Es ist ja auch nicht nur ein Markt. Es sind mehrere, die wir zusammengebaut haben. Wir haben gelogen. Von dem einen Gang zum anderen Gang ausgebaut und so weiter. Da haben wir sehr lange gesucht. 

Worauf kam es Ihnen an?

Diese Geschichte braucht eine gewisse Düsternis. Die braucht nichts hell Erleuchtetes. Zumindest nicht in der Nacht. Ich brauchte ein bisschen was Gewachsenes, Gelebtes, Improvisiertes. Das widerspricht erst mal der Einkaufswelt, die ein Großmarkt seinen Käufern vermitteln will. Diese hier haben wir dann in Wittenberg und Bitterfeld gefunden. Da war mir relativ schnell klar: So muss das aussehen, hier können wir arbeiten, auch wenn wir noch etwas verändern mussten. 

Wenn Sie sagen, Sie haben gelogen, dann auch in Bezug auf die Wegwerf- und Containern-Mentalität des Films. Denn das gibt es heute ja nicht mehr, oder?

Stimmt. Ich weiß gar nicht, ob es tatsächlich heutzutage noch genauso gehandhabt wird. Clemens Meyer, der Autor der Kurzgeschichte, hat in einem Großmarkt gearbeitet, das ist aber 15 oder 20 Jahre her. Klar, seitdem hat sich viel verändert. Auch Hummerbecken, die es in der Kurzgeschichte gab, gibt es heute nicht mehr. Aber was es noch immer gibt, ist die gewisse Skepsis, die man gegenüber der Arbeitswelt hat. Aufgrund der Arbeitsumstände der Arbeiter. Allein darüber könnte man einen Film machen. Da musste ich sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, auch bei den Produzenten, dass wir ja keinen dokumentarischen oder gar politischen Ansatz haben. Sondern dass es ein Märchenfilm ist. Ein poetischer Film, der von magischem Realismus lebt. 

Wie viel Konsumkritik steckt im Film?

Clemens und mir geht es darum, dass Thema nicht zur Story zu machen, denn dann wirkt es ausgestellt. Es ist ja nicht das Einzige. Natürlich spielt diese Schicht mit, die Konsumwelt, die Warenwelt. Das Überangebot. Aber es gibt auch andere Themen im Film. Ich finde das mit dem Naschen ganz witzig, wenn man das dann kontrastiert mit Palettenklau, mit dem Yes-Törtchen ist es eine angenehme Mischung. Es schwingt mit, ohne plakativ und ausgestellt zu sein. An sich komme ich um das Thema bei so einem Film nicht drum rum.

In den Gängen; Copyright: Zorro Filmverleih
In den Gängen; Copyright: Zorro Filmverleih

Franz Rogowski ist ein Geschenk für diese Rolle. Wie lange haben Sie nach ihm gesucht?

Ich bin da sehr akribisch. Natürlich kannte ich Franz und habe ihn jahrelang beäugt. Er hat eine unglaubliche Präsenz und Ausstrahlung. Er ist ein Kinoschauspieler per se. Rogowski hat ein Gesicht, in das man sich versinken kann. Das man ewig lange angucken kann und am Ende noch immer nicht ganz erschlossen hat. Er hat vorher sehr viel im Mumblecore-Stil gedreht. Eine Richtung, die ich sehr schätze, die aber sehr weit von mir und meiner Arbeitsweise entfernt ist. Da mussten wir uns noch verständigen, da musste ich ihn direkt fragen, ob er Lust darauf hat, dieses Wagnis mit mir einzugehen. Da muss jedes Komma stimmen. Aber er hat es wunderbar gemacht

Das lässt darauf schließen, dass es sehr wenig Raum für Improvisation gab?

Ich improvisiere schon während der Probenzeit. Die Phase vor dem Dreh ist schon sehr intensiv. Ich habe meine Schauspieler richtig im Großmarkt arbeiten lassen. In ihren jeweiligen Gängen bzw. Abteilungen. Da haben wir schon viel ausprobiert und improvisiert, da hat sich auch das Buch an der ein oder anderen Stelle nochmal verändert – aber es ist ja trotzdem in dem Sinne dann doch eine Literaturverfilmung. Wie kriegt man es also hin, dieses naturalistische Spiel zu kombinieren mit diesen Sätzen, die an die Wand gemeißelt sind und nicht einfach so willkürlich heraussprudeln. Das ist dann die Arbeit gewesen.

Dabei schweigt die Figur des Christians sehr viel.

Ja, da lag mein Anspruch noch höher als in der Kurzgeschichte. Ich wollte, dass sie in der ersten halben Stunde des Films fast gar nichts sagt. Es sind eineinhalb Worte, noch nicht mal Sätze. Er sagt „Christian“ und „Ja“. Da soll man sich als Zuschauer schon die Frage stellen: „Was ist das für ein komischer Kauz, wo kommt der her“.

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Warum die Erzählstimme aus dem Off?

Das war im Schnitt ein langer Prozess rauszufinden, wie viel man davon braucht. Denn grundsätzlich ist das ein Widerspruch gegen den schweigsamen Christian. Aber für mich war immer das ausschlaggebende Argument, dass hier eine Geschichte erzählt wird. Eine Geschichte, die in der unbestimmten Vergangenheit liegt. Jemand erzählt retrospektiv, was ihm damals passiert ist. Dadurch hat der Film keine „Hier und Jetzt“-Rhythmik. Ich wollte, dass es fließt und schwebt.

Wie würden Sie Ihre Arbeit mit den Schauspielern beschreiben?

Ich brauche sehr viel Zeit, sehr viel Aufmerksamkeit von ihnen. Sehr viel Konzentration auf das, was wir tun. Es ist ein Prozess, der für mich lange vor dem ersten Drehtag losgeht. Die Vorbereitungszeit ist mir sehr wichtig. Ich glaube daran, dass man körperlich in eine Rolle reinwachsen kann. Ich glaube nicht daran, dass man am Drehtag über einen Satz, ein Komma oder eine einzelne Betonung redet. Ich möchte, dass die Schauspieler da schon in ihren Rollen sind und mir eigentlich was über ihre Rollen erzählen können. 

Wie sieht die Vorbereitung konkret aus?
Wir haben im Großmarkt mitgearbeitet, einen Staplerschein gemacht. Die Arbeit dort an der Maschine, daran glaube ich, lässt dich in die Figur reinwachsen. Ohne Method Acting veranstalten zu müssen. Wenn man es nicht selbst miterlebt hat, weiß man nicht, dass ein Lagerarbeiter im Großmarkt durchschnittlich acht bis elf Kilometer am Tag läuft. Dementsprechend braucht man Turnschuhe. Solche Details sind wichtig, dass die Genauigkeit der Erzählung rauskommt. 

In den Gängen; Copyright: Zorro Filmverleih
In den Gängen; Copyright: Zorro Filmverleih

Wie kompetitiv waren die Gabelstaplerfahrmomente?
Die drei sind sehr unterschiedliche Staplerfahrer. Sandra Hüller ist sehr vorsichtig, sehr bedächtig. Peter Kurt macht keine Bewegung zu viel, der bringt einfach die Kiste runter. Franz Rogowski hatte da schon das größte Potential. Selbst die Mitarbeiter im Großmarkt waren von seinen Fähigkeiten begeistert. Als hätte er das seit 5 Jahren gemacht und nicht erst seit einem halben. Franz ist dabei mehr Schauspieler. Den musste ich oft vom Stapler runterziehen, weil er noch eine Pirouette drehen wollte. Er ist dann aber auch mal angeeckt, weil er es übertrieben hat.

In der Staplerfahrer-Schule im Film wird der beliebte Werbefilmen-Staplerfahrer Klaus gezeigt. Gehört der wirklich zum Unterrichtsmaterial?

Nein. Das ist quasi eine Hommage, eine Reminiszenz an diesen Film, der – und das ist der schöne Kontrast – komplett anders funktioniert als unser Film. Aber die Schulungsvideos haben eine unfreiwillige Komik in ihrem Spiel. Staplerfahrer Klaus macht ja letzten Endes nichts anderes, als sich dessen zu bedienen, zu überhöhen und in ein Genre zu versetzen. Wie wir.

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