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In Memoriam

Der Vater des Black-Power-Kinos: Melvin Van Peebles

Ein Beitrag von Christian Neffe

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Melvin Van Peebles
Melvin Van Peebles

Eine 2021 verstorbene Ikone und Legende des Schwarzen Kinos wäre dieser Tage 90 Jahre alt geworden: Melvin Van Peebles. Mit „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ (deutscher Titel: „Sweet Sweetbacks Lied“) inszenierte er 1971 jenen Film, der neben „Shaft“ von Gordon Parks aus dem gleichen Jahr das Blaxploitation-Kino begründete. Daneben sticht aber auch die ungewöhnliche Produktionsgeschichte des Films heraus.  

Geboren am 21. August 1932 in Chicago, zog es Melvin Van Peebles nach zwei Kurzfilmen sowie einer erfolglosen Jobsuche in Hollywood in den 60ern zeitweise nach Europa. In Paris verdingte er sich als Romanautor und am Theater, 1967 adaptierte er dort sein Buch La Permission als Spielfilm — und erregte dadurch schließlich doch noch die Aufmerksamkeit Hollywoods. Paramount engagierte ihn als Regisseur für Watermelon Man. Die Komödie erzählt von einem weißen Rassisten (Godfrey Cambridge), der eines Morgens mit dunkler Haut erwacht. Jedoch gab es große kreative Differenzen mit Drehbuchautor Herman Raucher: Während der eine Satire anstrebte (die mit einem „Es war alles nur ein Traum“-Finale endete), wollte Van Peebles einen Empowerment-Streifen drehen — und vergas beim Dreh der zwei alternativen Enden „aus Versehen“ das von Raucher vorgesehene zu inszenieren. Am Ende blieb der Protagonist Schwarz.

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Schon zu diesem Zeitpunkt war klar: Van Peebles wollte mehr. Engagiertere, politischere, Konventionen brechende Filme. So schrieb, produzierte und inszenierte er 1971 Sweet Sweetback’s Baadasssss Song, in dem er dann gleich auch noch die Hauptrolle übernahm und dadurch umso mehr zur Ikone wurde. Der Film handelt vom titelgebenden Sexarbeiter Sweetback, der in der Stadt berühmt, ja beinahe verehrt für die Größe seines besten Stückes ist. Als zwei Polizisten einen Schwarzen misshandeln, schlägt er sie bewusstlos und ist fortan auf der Flucht. Die Staatsgewalt drangsaliert auf der Suche nach ihm die Schwarze Bevölkerung, doch Sweetback kann schließlich nach Mexiko entkommen.

Ein Story-Entwurf, der Paramount, wo Van Peebles eigentlich für drei Filme verpflichtet war, so gar nicht gefiel. Also produzierte er den Film auf eigene Faust, lieh sich dafür 50.000 Dollar von Bill Cosby und meldete ihn als pornografisches Projekt an, um freie Hand bei der Auswahl der Crew zu haben. Ohnehin ist die Produktionsgeschichte von Sweet Sweetback’s Baadasssss Song eine Fundgrube skurriler Anekdoten (festgehalten in der 2003er-Dokumentation Baadasssss!). Etwa die, dass Van Peebles sich keinen Stuntman leisten konnte, sich bei einem Sprung verletzte und dafür eine Entschädigung von der Directors Guild of America erhielt, von der er weiteres Filmmaterial kaufte. Oder die, dass eine echte Pistole — die Crew war aus Sicherheitsgründen bewaffnet — versehentlich in der Requisitenkiste landete, was für mittelschwere Panik am Set sorgte. Oder auch die, dass sich Van Peebles keine Promo leisten konnte und stattdessen den Soundtrack der damals noch unbekannten Band Earth, Wind & Fire vorab veröffentlichte. Eine mustergültige Indie-Produktion also, bei der aus minimalen Mitteln ein Kultklassiker, der mehr als zehn Millionen Dollar einspielte, geboren wurde.

Filmhistorisch sind es aber vor allem seine inhaltlichen Impulse, die den Film so bedeutsam machen. Freilich, Shaft ist heute bekannter, auch dank mehrerer Fortsetzungen. Sweet Sweetback’s Baadasssss Song war allerdings der radikalere Film. Van Peebles erklärte im Intro „the Black Community“ zum eigentlichen Hauptdarsteller des Films und widmete ihn „all brothers and sisters who had enough of ‚The Man‘ “. Offener Widerstand gegen das System also, dem Shaft als Detektiv zumindest noch teilweise angehörte. Hier jedoch nahm es die Hauptfigur Sweetback — der Prototyp des schweigsamen, mit natürlicher Coolness ausgestatteten Helden, der im Film kaum 50 Wörter spricht — mit eben diesem System auf, und das in Notwehr und mit aller Gewalt: In einer stark ästhetisierten Szene wird das Verprügeln der zwei Polizisten geradezu zelebriert. Dass Sweetback schlussendlich auch noch mit dem Leben davonkommt, war nicht minder revolutionär: Kriminellen bzw. kriminalisierten Schwarzen Figuren war dies bis dahin im US-Kino nicht vergönnt.

Damit war das Subgenre der Blaxploitation geboren, das Schwarze Figuren von ihren bislang tragischen und/oder unterwürfigen Rollen emanzipierte und sie in Machtpositionen hob, sie ihre eigenen (wenn auch stark überzeichneten) Geschichten erzählen ließ, zu Ikonen machte und die Black-Power-Ideologie auf Zelluloid bannte. Eine fast zwangsläufige Entwicklung des Kinos im Zuge der Bürgerrechtsbewegung, die ein neues Schwarzes Selbstbewusstsein hervorbrachte, das nach neuen Rollenbilder verlangte, statt sich mit den von Hollywood gepflegten zu identifizierten. Und ein Kino, das dieses Selbstbewusstsein umso mehr befeuerte. Auch die Black Panthers sprachen sich positiv über den Film aus.

Van Peebles wollte keinen didaktischen Streifen drehen, „which would end up playing to an empty theater except for ten or twenty aware brothers who would pat me on the back and say it tells it like it is“. Sein Ansatz stattdessen: „To attract the mass we have to produce work that not only instructs but entertains.“ Und das sowohl mit einem prägnanten Funk-Soundtrack als auch mit Sex und Gewalt sowie neuen, positiven Stereotypen. Und in der Tat ist Sweet Sweetback’s Baadasssss Song genau das: ein unterhaltsamer, aber keinesfalls anspruchsvoller und jegliche moralische Zwischentöne ignorierender Streifen, mit einer, gelinde gesagt, abenteuerlichen Montage und Tonspur, überzeichneten Charakteren und Mut und Willen zum Extravaganten, Provokativen. So etwas hatte man — zumindest mit einer Schwarzen Hauptfigur — zuvor noch nicht gesehen.

Das Subgenre jedenfalls hinterließ tiefe Spuren in der Filmlandschaft: In den 70ern gab es eine wahre Welle an Blaxploitation-Filmen, denn die Studios erkannten, dass sich auf diese Weise eine neue Zielgruppe erschließen ließ. Das in den späten 80ern aufkommenden New Black Cinema (unter anderem mit Pionier Spike Lee) muss als sein Spross angesehen werden, und auch der bekennenden Blaxploitation-Fan Tarantino zitierte es in Jackie Brown und Django Unchained. Natürlich war der Einfluss nicht überall positiv, im Hip-Hop etwa bedient man sich nach wie vor unreflektiert des im Blaxploitation begründeten und fraglos kritisch zu sehenden Stereotyps des Pimps. Doch Blaxploitation brachte Schwarze Themen und Lebensrealitäten unter Schwarzer Regie auf die Leinwände, und das weltweit. „He Put Black Power on the Screen for the First Time“, sagte Van Peebles‘ Sohn Mario vor einiger Zeit. Und das ist, neben seinen zahlreichen Broadway-Stücken und anderen Filmen, der wohl größte Verdienst von Melvin van Peebles.

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