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Filmgeschichte(n)

Stell dir vor, die Oscars dauern nur 15 Minuten

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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Die 30. Oscarverleihung im Jahre 1958
Die 30. Oscarverleihung im Jahre 1958

Uns verbindet eine Hassliebe mit den Oscars. Sie erscheinen einerseits völlig bedeutungslos und doch können wir uns nicht ganz von der Faszination freimachen, die die Hollywood so eigene Dekadenz ausstrahlt. Wir schlagen uns die Nächte um die Ohren und sind mit Sicherheit immer dann weggenickt, wenn gegen Ende der vierstündigen Gag-Odysseen und Werbeblöcke doch noch irgendetwas Spannendes passiert.

 

Zum Thema: Die Oscar-Nominierungen 2021

 

Bei all dem Brimborium erscheint es heute kaum vorstellbar, dass die Oscars einst ihren Einstand mit einer gerade mal 15-minütigen Zeremonie feierten. Als die Academy of Motion Picture Arts and Sciences 1927 gegründet wurde, ging es in erster Linie darum bei arbeitsrechtlichen Konflikten mit den Filmstudios zu vermitteln. An einen Preis dachte man erst in zweiter Linie und Mitgründer und Studiomogul Louis B. Mayer nannte in einem Interview Jahre später die eher fragwürdige Intention:

„Ich fand, der beste Weg mit Regisseuren umzugehen, war sie mit Medaillen zu behängen. Wenn ich ihnen Trophäen und Preise gab, killten sie sich regelrecht, um zu produzieren was ich wollte. Deswegen wurden die Academy Awards ins Leben gerufen.“

Die Verleihung der ersten Academy Awards, begangen am 16. Mai 1929, hatte daher nicht die Ausstrahlung einer öffentlichen Veranstaltung, sondern erinnerte eher an eine Privatparty. Der New York Times war sie gerade mal eine 16-zeilige Meldung wert. Man traf sich zu Ticketpreisen von 5 US-Dollars (entspricht heute etwa 70 US-Dollar) im Blossom Room des Hollywood Roosevelt Hotels, ein Orchester spielte zum Tanz auf, es gab in Butter sautierte Seezungenfilets und gebratenes Hähnchen auf Toast.

Die erste Oscarverleihung am 16. Mai 1929; Public Domain
Die erste Oscarverleihung am 16. Mai 1929; Public Domain

Die Vergabe der Preise nahm vom ganzen Abend lediglich 15 Minuten in Anspruch. Die Gewinner waren schon drei Monate zuvor auf der Rückseite des Academy Bulletin veröffentlicht worden und viele davon waren nicht einmal erschienen. Darunter etwa der deutsche Emil Jannings, ausgezeichnet als Bester Hauptdarsteller für Sein letzter Befehl und Der Weg allen Fleisches, der den Preis auf eigenen Wunsch vor seiner Abreise in die Heimat ausgehändigt bekommen hatte. Star des Abends blieb so Janet Gaynor, als Beste Schauspielerin ausgezeichnet für ihre Rollen in Das Glück in der Mansarde, Sonnenaufgang — Lied von zwei Menschen und Engel der Straße (die Möglichkeit, Akteure für mehrere Filme zugleich zu ehren, wurde schon im Jahr darauf abgeschafft).

Dem Film Der Jazzsänger gab man einen Ehrenoscar. Die Tatsache, dass er der erste Tonfilm in Hollywood war, betrachtete man als unfairen Vorteil und zeichnete im regulären Wettbewerb sonst nur Stummfilme aus. Der Produzent Darryl F. Zanuck, der den Preis für Der Jazzsänger entgegennahm, war auch der einzige, der eine Rede halten durfte. Er nannte den Film eine „Industrierevolution“. Alle übrigen Preisträger nahmen ihre Trophäe vom damaligen Academy-Präsidenten Douglas Fairbanks entgegen und verschwanden umgehend wieder auf ihre Plätze. Gaynor, Jahrzehnte später auf ihren Sieg angesprochen, gab zu Protokoll:

„Hätte ich damals gewusst, was all das ein paar Jahre später bedeuten würde, wäre ich sicher überwältigt gewesen. So erinnere ich mich an einen sehr schönen Abend, einen Raum voller wichtiger Leute und guter Freunde.“

 

Zum Thema: Gestreamt — Weibliche Oscar-Power

 

Es bleibt die Frage: Wie konnte es passieren, dass wir einst bei 15 Minuten begannen und mittlerweile bei über vier Stunden angekommen sind? Abgesehen von wenigen Abweichungen nahm der Umfang der Oscars von Jahr zu Jahr mehr zu. Schon im Jahr 1930 wurde die Preisvergabe erstmals vom Radio übertragen und man ging dazu über die Gewinner nicht vorab zu verraten, um alle Nominierten dazu zu bringen persönlich zu erscheinen. Newsreels wurden im Nachhinein gedreht, um sie in den Kinos vor Filmen zu zeigen und die Industrie ergriff die Gelegenheit für ein PR-Event, präsentierte sich als erfolgreiche Branche am Puls der Zeit.

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Als am 19. März 1953 die erste Live-Übertragung im TV anstand, war die Verleihung eines Preises für hochqualitatives Entertainment so längst selbst zu Entertainment geworden. Dabei übten die strikten Konventionen des Fernsehens zunächst noch eine gewisse Kontrolle aus: Um ins Sendeschema zu passen, hielten die Produzenten die Oscarverleihung während der 1950er Jahre noch strikt bei unter anderthalb Stunden. Doch mit den Erwartungen wuchs schrittweise auch die Zeremonie. Und auch, wenn bis heute rigoros Dankesreden beschnitten und einzelne Preise ausgelagert werden: Das Verlangen nach witzigen Monologen, opulenten Showeinlagen und emotionalen Filmmontagen sprengt Jahr für Jahr wieder das Budget.

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Das Zeitmanagement ist also traditionell eine Baustelle der Oscars — und umso mehr im Jahr 2021 während der dritten Welle einer globalen Pandemie, bei der ein Haufen Stars in einem Raum nicht nach Glamour klingt, sondern vor allem nach Superspreader Event.

 

Zum Thema: Oscars 2021: Wo es die nominierten Filme im Stream gibt

 

Eines ist sicher: Die 93. Academy Awards am 25. April 2021 werden nicht nur 15 Minuten dauern. Aber viel wissen wir im Grunde noch nicht darüber, was uns erwartet. Im Gegensatz etwa zu den Primetime Emmy Awards soll es eine Verleihung mit persönlich anwesenden Preisträgern geben. Andererseits ist die Rede davon das Ereignis auf mehrere Austragungsorte aufzusplitten, darunter etwa der Bahnhof Los Angeles Union Station sowie Orte in London und Paris, um das Reiseaufkommen zu reduzieren. Wie schon in den letzten Jahren soll es mehrere Hosts geben, darunter die Hauptpreisträger*Innen des letzten Jahrgangs. Wir lassen uns überraschen — und schlagen vor, dass sich die Academy auf ihre eigenen Anfänge besinnt.

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