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Filmgeschichte(n)

Jean Seberg - Ein Leben außer Atem

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Jean Seberg war nicht nur die adrette Amerikanerin aus Jean-Luc Godards Klassiker Außer Atem. Sie war auch eines der bekanntesten Ziele des FBI im Kampf gegen US-Bürgerrechtsbewegungen und ihre Unterstützer*Innen.

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Jean Seberg in "A bout de souffle"
Jean Seberg in "A bout de souffle"

„Ich weiß nicht, ob ich unglücklich bin, weil ich nicht frei bin, oder ob ich nicht frei bin, weil ich unglücklich bin.“ Solche Sätze sagt Jean Seberg in Jean-Luc Godards Nouvelle-Vague-Klassiker Außer Atem und weil sie so einen niedlichen Schmollmund macht, mit ihrem blonden Pixiecut, in Streifenshirt und Caprihosen, der französischen Quasi-Uniform, nimmt man sie gar nicht so richtig ernst dabei. Eine Amerikanerin in Paris, diese Patricia, eine kleine Studentin mit existenzialistischen Flausen im Kopf, die sich erst am Ende so recht als Wiedergängerin der Femmes fatales wie aus einem Film noir zu erkennen gibt.

Das Bild dieser Patricia hat die Jahrzehnte überdauert. Es ist das Bild, das wahrscheinlich den meisten zuerst einfällt, wenn sie den Namen Jean Seberg hören. Es ist auch das Bild, das Kristen Stewart heraufbeschwört, wenn sie im Trailer zu Jean Seberg — Against All Enemies in einer Schwarzweißeinstellung den Kopf in Richtung Kamera dreht, ein ernster Blick, die blonden Haare kurz. Der Film von Benedict Andrews ist allerdings kein fluffiges Biopic, weder über eine glamouröse Schauspielerin, noch über eine prätentiöse Wannabe-Französin. Er widmet sich vielmehr einem Kapitel in der Geschichte von Jean Seberg, das einst Schlagzeilen machte und heute kaum noch in Erinnerung ist.

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„Das Büro wird um Erlaubnis gebeten, die Schwangerschaft von Jean Seberg, einer bekannten Filmschauspielerin, durch […] Black Panther Party […] bekannt zu machen, indem Hollywood-Klatschkolumnisten in der Gegend von Los Angeles über die Situation informiert werden. Es wird angenommen, dass die mögliche Veröffentlichung von Sebergs Notlage ihr Verlegenheit verursachen und dazu dienen könnte, ihr Image in der Öffentlichkeit abzuwerten.“

„Das FBI vs. Jean Seberg“, titelte später das Time Magazine, doch da war bereits alles zu spät. Die hier zitierte Nachricht an die FBI-Zentrale vom Büro in Los Angeles aber stammt vom 27. April 1970. Seberg, 1939 in Iowa geboren, in den 1950er Jahren von Otto Preminger entdeckt und in Frankreich zur Ikone der Nouvelle Vague geworden, war während der späten 1960er Jahre ins Visier des FBI gerückt, weil sie die Black Panther Party und andere Bürgerrechtsorganisationen finanziell unterstützte. Unter direkter Leitung des damaligen FBI-Direktors J. Edgar Hoover entstand deswegen ein Plan, um sie zu „neutralisieren“. Genauer: sie zu belästigen, einzuschüchtern, in der Öffentlichkeit zu diffamieren und diskreditieren.

COINTELPRO hieß das Programm, dessen Methoden dazu angewandt wurden. Eine Abkürzung für Counterintelligence Program, das es seit 1956 möglich machte alle Organisationen oder Privatpersonen, die das FBI für subversiv befand, systematisch zu überwachen und zu stören. Darunter die verschiedenen Bürgerrechtsbewegungen, aber auch die kommunistischen Parteien, indigene, feministische oder Studentenorganisationen, Tierrechtler, Antikriegsaktivisten.

FBI/US Federal Government/Public Domain
FBI/US Federal Government/Public Domain

„Die üblichen Vorsichtsmaßnahmen werden unternommen, um eine Identifizierung des Büros zu vermeiden.“ Dieser Satz steht am Ende aller internen FBI-Memos zum Fall Jean Seberg. Und genau so lief es: Die Klatschkolumnistin Joyce Haber veröffentlichte die Story des falschen Informanten in der Los Angeles Times, wobei sie Sebergs Namen halbherzig versuchte zu verschleiern. Das Newsweek Magazine zog kurz darauf nach und nannte ihren vollen Namen: Ihr Kind sei nicht von ihrem damaligen Ehemann Romain Gary, sondern von Raymond Hewitt, einem Führungsmitglied der Black Panthers. In der Folge erlitt Jean Seberg eine Frühgeburt: Ihre Tochter erblickte am 23. August 1970 das Licht der Welt und starb nur zwei Tage später.

Seberg organisierte eine Trauerfeier mit offenem Sarg, um der Presse die weiße Haut des Babies zu zeigen. Die Pariser Justiz gab ihr später recht, sie erhielt Entschädigungszahlungen und einige Magazine mussten das Urteil abdrucken. Aus öffentlicher Sicht kehrte danach wieder Ruhe ein.

FBI/US Federal Government/Public Domain
FBI/US Federal Government/Public Domain

Szenenwechsel. Paris am 8. September 1979, ein parkender Renault im 16. Arrondissement. Auf der Rückbank: Jean Sebergs lebloser Körper, in eine Decke eingewickelt. Daneben unter anderem eine handschriftliche Notiz, an ihren Sohn gerichtet. Einen „wahrscheinlichen Suizid“ hielt die Pariser Polizei fest.

Jean Sebergs Tod sollte noch einiges an Aufregung nach sich ziehen. Nur wenige Tage danach berief ihr früherer Ehemann Romain Gary eine Pressekonferenz ein, in der er öffentlich das FBI beschuldigte. Seit dem Beginn der Schmierenkampagne gegen sie sei die Schauspielerin mental immer labiler geworden, habe mehrfach versucht sich an den Todestagen ihres Kindes das Leben zu nehmen. Nur kurz darauf meldete sich auch das FBI zu Wort und veröffentlichte interne Dokumente, die vor allem dazu dienen sollten sich von den Methoden der Hoover-Ära zu distanzieren. Diese und die anschließenden Recherchen der New York Times machten erst die Ausmaße der Hölle klar, in der sich Jean Seberg über ein Jahrzehnt befunden hatte.

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Das FBI hatte ihr Telefon abgehört und sie in Zusammenarbeit mit der CIA und dem U.S. Secret Service überwacht, selbst wenn sie sich nicht in den USA aufhielt. Dazu kamen dauerhaft aggressives Stalking, Einbrüche und andere Einschüchterungsversuche, immer so orchestriert, dass sich Seberg sicher sein konnte, wer es auf sie abgesehen hatte. Zudem gibt es bis heute Spekulationen darüber, ob Jean Seberg ähnlich wie phasenweise Jane Fonda in Hollywood auf einer Blacklist gelandet sei. Dafür spricht, dass sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere plötzlich nicht mehr in US-amerikanischen Filmen mitspielte. Einst hatte sie selbst in einem Interview darüber gesprochen, sich beschwert, dass ihr keine guten Rollen mehr angeboten wurden, und wenn überhaupt, dann grenzten diese an Pornografie.

Benedict Andrews nimmt sich den historischen Tatsachen gegenüber einige künstlerischen Freiheiten heraus. Mit Kristen Stewart, die ebenfalls ernüchternde Erfahrungen mit der Presse machen musste, hat er für Jean Seberg — Against All Enemies eine Hauptdarstellerin gefunden, die sich ideal in Seberg einfühlen kann. Als der Film im vergangenen Jahr seine Premiere in Venedig feierte, schrieb Beatrice Behn: „Against all Enemies ist eindeutig ein melancholischer Liebesbrief an Jean Seberg, ihr Talent und Trauern um ihr Potential als Aktivistin, Schauspielerin und Mensch.“

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