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Filmgeschichte(n)

Huppa, huppa, muppa, muppa: 90 Jahre Tonfilm in Deutschland

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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Melodie der Welt von Walter Ruttmann - Bild
Melodie der Welt von Walter Ruttmann - Bild

Welcher ist der erste Tonfilm? „Easy“, werden die Meisten sagen, die schon einmal ein Filmgeschichtsbuch aufgeschlagen haben. „Alan Croslands Der Jazzsänger von 1927.“ Und damit hätten sie nicht einmal unrecht, denn der Film mit Al Jolson in der Hauptrolle eines armen jüdischen Sängers, der zum Broadway-Star aufsteigt, gilt gemeinhin als der Startschuss zur Tonfilmära.

Und der erste deutsche Tonfilm? Schon schwieriger. Überhaupt: Ein Tonfilm, was genau soll das eigentlich sein? Filme waren nie stumm, sondern von Anfang an von Musik live begleitet, schon 1908 entstand die erste Originalfilmmusik. Von Tonfilmen aber ist die Rede, wenn ihre Schallbegleitung technisch wiederholbar ist. Das macht die Frage nach dem ersten deutschen Tonfilm aber nicht leichter.

Schon Anfang der 1920er Jahre experimentierten vor allem europäische Ingenieure mit Tonfilmverfahren. Am 17. September 1922 feierte etwa Die Brandstifter im neu gegründeten Kino Alhambra auf dem Berliner Kurfürstendamm Premiere, der erste im Lichttonverfahren von Hans Vogt entwickelte Kurzfilm. Die Tonspur wurde dem Filmstreifen dabei einfach am Rand aufbelichtet und während der Projektion von einem Lichtstrahl abgetastet. Die Reaktionen von Publikum und Kritik waren jedoch ausgesprochen verhalten und so verschwand das Lichttonverfahren gleich wieder in der Versenkung.

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Erst Ende der 1920er Jahre, nach dem Erfolg von Der Jazzsänger sollte der Tonfilm auch in Deutschland Fuß fassen. Aber die Definitionen verschwimmen: Was die einen Schon-Tonfilm nennen, nennen die anderen Noch-Stummfilm. Zum Pionier wurde hier einmal mehr Walter Ruttmann, der schon mit Berlin — Die Sinfonie der Großstadt die Grenzen des Dokumentarfilms gesprengt hatte. Sein am 12. März 1929 uraufgeführter Melodie der Welt war eine Auftragsarbeit der Reederei HAPAG und wurde aus den Aufnahmen einer mehrere Kontinente umfassenden Expedition montiert. Die Produktionsfirma Tobis (Tonbild-Syndikat) zeichnete für den wenigen Originalton des Films sowie die Nachsynchronisierungen verantwortlich. Die meisten Kritiker mochten den Film, nur Siegfried Kracauer nicht. Er schrieb:

„Die Melodie der Welt war inhaltsleer, weil Ruttmann in seinem Eifer, die Töne der ganzen Welt einzufangen, das Gehör verlor für den besonderen Klang jeder einzelnen Melodie.“

Schon die zeitgenössische Kritik stellte sich außerdem die Frage nach der Definition des Tonfilms. So schrieb Herbert Jehring vom Berliner Börsen-Courier: „Der neue Ruttmann-Film ist überhaupt kein Tonfilm. […] Die Musik liegt in den Bildern, nicht im Ton. Denn dieser ‚Tonfilm‘ hat nicht etwa immer die Geräusche, die Sprachen, die Tanz-, Kirchen- und Marktmusik der Völker der Welt aufgenommen, sondern er verwendet eine besonders komponierte Musik von Wolfgang Zeller. […] So bleibt dieser herrliche Bildmusikfilm ein tauber Tonfilm. Bildmelodie der Welt, nicht Stimmen der Völker.“

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Noch im selben Jahr griff die Tonfilmeuphorie dann auf den Spielfilm über: Mit Das Land Ohne Frauen des italienischen Regisseurs Carmine Gallone, einer Verfilmung von Peter Bolts Roman Die Braut Nr. 68, feierte am 30. September 1929 im Berliner Capitol ein Film mit Conrad Veidt Premiere, der im Australien des 19. Jahrhunderts spielt. Weil es in der britisch besetzten Kolonie nur Männer gibt, melden sich 413 Frauen und Mädchen zum Auswandern und werden noch während der Überfahrt an die wartenden Männer verlost. Nur stirbt unterwegs eine der Frauen und ein Mann muss allein bleiben. Neid und Frust brechen sich Bahn.

Filmplakat "Das Land Ohne Frauen"; Public Domain
Filmplakat „Das Land Ohne Frauen“; Public Domain

Aber auch in Das Land Ohne Frauen kam die Tontechnik nur in bestimmten Szenen zum Einsatz. Als „melodramatische Oasen“ beschrieb der Berliner Börsen-Courier diese Geräusch-, Dialog- und Gesangssequenzen, und weiter: „Feststellen kann man schon hier, daß Geräusche (vorläufig?) mehr Suggestivkraft haben. Worte enttäuschten. Nicht nur, weil sich die Technik hier noch als unzureichend erwies, sondern weil die Worte auch zu bedeutungsvoll, zu feierlich, zu getragen gesprochen wurden. Inhaltlich waren sie dagegen meistens banal.“

Während die Kritik weiter verhalten reagierte, gab es für das Publikum schon kein Halten mehr. So berichtete es jedenfalls der Regisseur Billy Wilder, der sich damals als Drehbuchautor für die Ufa in Berlin aufhielt und von der Premiere schrieb: „Er ging eine Treppe hinauf und drückte auf eine Klingel. Es klingelte, und man hörte das Klingeln im Kino. Tausend Leute sprangen jubelnd auf und klatschten in wilder Begeisterung. Kurz darauf hörte ich den ersten Dialog. Es klang wie ‚Huppa, huppa, muppa, muppa.‘ Erneut riesiger Jubel.“ Eine große Zukunft prophezeite man dem Tonfilm deshalb aber noch lange nicht. Exemplarisch etwa Hanns G. Lustigs Besprechung aus der Berliner Tageszeitung Tempo:

„Daß man nur wenige Dialoge eingefügt hat, ist begreiflich. Man wollte die Möglichkeiten des Genres abtasten. […] Der Film wird die wortkarge Kunst bleiben. Das wird in einer Epoche, da das Wort aus dem Theater zu Tode gehetzt wird, seine große Stärke sein.“

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