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Filmgeschichte(n)

Eindeutig zweideutig: Die geheime Liebe von Ben Hur und Messala

Ein Beitrag von Christian Neffe

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Stephen Boyd und Charlton Heston in Ben Hur (1959)
Stephen Boyd und Charlton Heston in Ben Hur (1959)

Im Juni 1996 schrieb Charlton Heston einen Brief an die Los Angeles Times. Er entrüstete sich darin über den Schriftsteller und Drehbuchautor Gore Vidal und schloss mit folgendem Satz: „Vidals Behauptung, er hätte eine Szene eingeschoben, die ein homosexuelles Verhältnis zwischen den beiden Männer impliziert, beleidigt Willy Wyler und, so muss ich sagen, irritiert mich höllisch [irritates the hell out of me].“

Was war passiert? Vidal trat kurz zuvor in der Dokumentation The Celluloid Closet – Gefangen in der Traumfabrik auf. Der Filme beleuchtet die filmische Darstellung von Homosexualität in 100 Jahren Kinogeschichte — von der klischeehaften Inszenierung zu komödiantischen Zwecken über die unterschwelligen Andeutungen unter den Zensurbestimmungen des Hays Codes bis zum New Queer Cinema der 90er. Vidal hatte dabei über seine Arbeit am Skript zu William Wylers 1959er Ben Hur gesprochen.  Und das sah so aus:

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Vidal hatte die literarische Vorlage zu Ben Hur also als homoerotische Liebesgeschichte zwischen dem titelgebenden Helden und seinem Jugendfreund Messala interpretiert. Auf diese Weise lasse sich Messalas plötzlicher Hass auf Ben Hur nach ihrem späten Wiedersehen besser verstehen, so Vidals Argumentation. Politische Meinungsverschiedenheiten reichten dafür nicht aus. Der Zorn war stattdessen das Resultat unerwiderter Liebe:

„I told them that Ben Hur and Messala hab been boyhood lovers. But Ben Hur, under the fierce Palestinian sun and its jealous god, has turned straight as a die while Messala, the decadent gentile, had remained in love with Ben and wanted to wake up where they had left off.“ — Gore Vidal

Die Bedenken bei Regisseur Wyler seien natürlich groß gewesen. Nicht nur aufgrund des biblischen Hintergrundes des Ausgangstextes, auch wegen Hauptdarsteller Charlton Heston, der für seine Verkörperung des (selbstverständlich heterosexuellen) Helden-Archetyps bekannt war. Vidal habe Wyler jedoch durch sein Versprechen überzeugt, dass er Dialoge so schreiben könne, dass sie etwas bestimmtes ausdrückten und doch etwas anderes bedeuteten („sound like one thing and mean another“). Und vor allem, dass er gegenüber Heston Stillschweigen wahren würde. Zudem habe Vidal (selbst bisexuell) in Messala-Darsteller Stephen Boyd, der nach späterer Aussagen seiner Kollegin Raquel Welch schwul gewesen sein soll, einen Verbündeten gefunden. „Hell hath no fury like an old lover scorned“, soll Boyd damals gesagt haben.

Die „Enthüllung“ dieser unterschwelligen Andeutungen in The Celluloid Closet sorgte für einen kleinen Sturm der Entrüstung. William Wyler zog sich aus der Debatte zurück, behauptete, niemals eine solche Absprache mit Vidal und Boyd gehabt zu haben. Charlton Heston warf Vidal in seinem Brief an die L.A. Times vor, seinen Anteil an der Arbeit zum Drehbuch maßlos hochzuspielen (Vidal war als script doctor engagiert worden). Der antwortete seinerseits mit einem Brief an die L.A. Times und wandte sich darin im eindeutig zweideutigem Tonfall direkt an Heston:

„On May 31, MGM’s publicity man for the picture sent me some pictures of the shooting with the note: ‚The horses began pounding around The Spina today- quite a sight! The big ‘Cornpone’ (Chuck [Heston], that’s you, I’m afraid), really threw himself into your ‘first meeting’ scene yesterday. You should have seen those boys embrace!‘“ — Gore Vidal

Ein Nachspiel erfuhr diese Debatte im Zuge der Veröffentlichung der inzwischen vierten Realverfilmung von Ben-Hur (2016) durch Timur Bekmambetow. Etwaigen Avancen zwischen dem Titelhelden und Messala wurde bereits dadurch der Boden entzogen, dass beide zu Adoptivbrüdern gemacht wurden. Angesprochen auf die Debatte sagte Messala-Darsteller Toby Kebbell auf der Premiere in Los Angeles, dass versteckte Botschaften in Bezug auf Homosexualität heutzutage nicht mehr nötig seien: „In 1959, the gay context was very important. They need a voice. You shouldn’t have to hide in the dark about something you feel and you’re grown with. That was their own thing they wanted to portray and we didn’t need to. It’s a different time, thankfully.” Es wurde gemutmaßt, dass Paramount vor allem das Publikum im Bible belt der USA erreichen wollte — und deshalb auch den Part von Jesus in der Neuverfilmung wesentlich größer ansetzte.

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Wessen Argumenten man nun auch glauben mag: Mit Vidals Worten im Hinterkopf fällt es schwer, in der 1959er-Begegnung von Ben Hur und Messala keine erotischen Untertöne zu erkennen. Während Heston mit platonischer Freude reagiert, zeigt Boyd eher zurückhaltende Bewunderung, wirkt wie verzaubert und zögerlich, wenn er seinem Jugendfreund ein schmachtendes „Look at you“ entgegnet. Nicht zu vergessen die Implikationen der Bildsprache beim Wurf der zwei Speere, die beide am selben Punkt einschlagen. Eindeutig zweideutig.

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