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Filmgeschichte(n)

Border 39 - Das unvollendete Ghibli-Meisterwerk

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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Bild aus dem zweiten Band von Shin Sikatas "The Border"
Bild aus dem zweiten Band von Shin Sikatas "The Border"

Neben den großen Klassikern von Hayao Miyazaki droht der Name Isao Takahata manchmal beinahe etwas unterzugehen. Dabei gehörte auch der 2018 verstorbene Regisseur zu den Gründern des Studio Ghibli und prägte mit seinen Filmen dessen Stimme. Eines der niederschmetterndsten Werke aller Zeiten — nicht nur im Bereich des Anime — stammt von ihm: Die letzten Glühwürmchen, der 1988 das Ende des Zweiten Weltkriegs für Japan aus der Sicht von Kindern zeigte.

Doch Takahata wollte noch einen zweiten Antikriegsfilm inszenieren. Einen Film, der unerbittlich mit der Rolle Japans im Vorfeld und während des Zweiten Weltkriegs abrechnen sollte, mit seinem Imperialismus und Militarismus. Schon in Die letzten Glühwürmchen hatte er den japanischen Nationalismus angeprangert — jedoch wesentlich subtiler, was ihm von einigen Seiten Kritik eingebracht hatte. Vielleicht hätte der nächste Film Takahatas Antwort auf diese Kritik werden sollen. Nur wurde daraus nie etwas.

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Einem Artikel im Filmmagazin Little White Lies ist es zu verdanken, dass wir nun wissen, was uns entgangen ist. Der Verfasser: Alex Dudok de Wit, Sohn des Animationsfilmemachers Michael Dudok de Wit, der 2016 mit Die rote Schildkröte eine Ghibli-Koproduktion realisiert hatte. Seine Geschichte: Ein Jahr nach Veröffentlichung von Die letzten Glühwürmchen reichte Isao Takahata ein Exposé für einen weiteren Film ein, der diesmal thematisieren sollte, wie der Zweite Weltkrieg in Japan begann. Doch der Film wurde niemals umgesetzt und Studio Ghibli rückte nie mit entsprechenden Artworks heraus. Erwähnung findet die unvollendete Skizze unter dem Titel Border 39 lediglich in Takahatas 1991 nur auf Japanisch erschienenem Buch Eiga o tsukurinagara kangaeta koto (Gedanken beim Filmemachen).

Basierend auf einem Roman von Shin Shikata sollte Border 39 eine Geschichte von epischen Ausmaßen erzählen, wie sie sonst eher untypisch für den Regisseur von Meine Nachbarn die Yamadas erscheint. Alles beginnt im besetzten Seoul des Jahres 1939 mit dem japanischen Studenten Akio. Als er erfährt, dass sein Freund, der angeblich bei einer Militärübung in der Mandschurei verstorben ist, noch lebt, schwört er ihn zu finden und reist in das ebenfalls von Japan besetzte Gebiet. Vor Ort findet er heraus, dass sein Freund im Widerstand war, doch die Polizei wird auf seine Recherchen aufmerksam, verhaftet und foltert ihn. Befreit von Widerstandskämpfern will er diesen seine Vertrauenswürdigkeit beweisen und bietet an eines ihrer Mitglieder, die hübsche Akiko, in ihre Heimat in der mongolischen Steppe zu eskortieren. Als die beiden nach ihrer gefährlichen Reise endlich ankommen, stehen sie einander so nah, dass sie sich nicht mehr trennen wollen.

In seinem Exposé beschreibt Isao Takahata außerdem drei Ziele, die er mit Border 39 erreichen will:

  1. Die echte Welt soll wieder zur Vorlage für spannende Anime-Abenteuer werden - als Gegenpol zur Science-Fiction.
  2. Einer jungen Generation von Japanern sollen auch die unrühmlichen Teile ihrer Geschichte näher gebracht werden, auf dass sie nie wieder dem Militarismus verfallen.
  3. Sie sollen darüber nachdenken, woraus sie ihre eigene Identität im persönlichen und nationalen Sinne konstruieren.

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Als der Filmemacher dieses Projekt seinem Studio unterbreitete, schrieben wir das Jahr 1989. Der Zweite Weltkrieg lag bereits weit zurück. Große Teile der japanischen Gesellschaft wiesen noch immer ihre Verantwortung für den Weltkrieg von sich oder ignorierten diesen Teil ihrer Geschichte, doch die Zeit schien reif für eine filmische Auseinandersetzung mit dem Thema. Bis zum 4. Juni 1989. Damals schlug das chinesische Militär gewaltsam die studentische Protestbewegung auf dem Tian’anmen-Platz in Peking nieder und Japan wandte sich öffentlich gegen China. Jetzt einen Film zu bewerben, der zu großen Teilen in China spielen sollte, hielt Ghiblis Verleihfirma für zu riskant. Das Projekt wurde abgeblasen und Takahata, der bis zu seinem Tod ein Friedens- und Umweltaktivist blieb, sollte sich nie wieder in einem Film mit Weltpolitik befassen.

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