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Filmgeschichte(n)

Amerikanische Hybris und japanische Verdrängung: Die Sage von Anatahan

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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"Die Sage von Anatahan" von Josef von Sternberg
"Die Sage von Anatahan" von Josef von Sternberg

Im Juni 1944 ereignete sich im Pazifik eine Geschichte, die man sich nicht ausdenken kann. Dreißig japanische Seemänner und eine Japanerin strandeten auf Anatahan, einer Vulkaninsel, die heute zu den Nördlichen Marianen gehört. Abgeschottet von der Außenwelt bekamen sie vom Ausgang des Zweiten Weltkriegs nichts mit und ergaben sich erst im Jahr 1951 einem Rettungsteam der US Navy. 20 Menschen hatten überlebt — die Übrigen waren verschwunden oder im Konkurrenzkampf um die einzige Frau auf der Insel umgekommen.

Josef von Sternberg; Fair Use
Josef von Sternberg; Fair Use

Im Juli 1951 las der Filmemacher Josef von Sternberg eine Reportage über die Gestrandeten im Life Magazine. Der österreichisch-amerikanische Regisseur hatte einst den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm bravourös gemeistert und wurde vor allem für seine Filme mit Marlene Dietrich — Der blaue Engel, Marokko, Shanghai Express… — frenetisch gefeiert. Doch seit einigen Jahren war seine Karriere im Niedergang. Flops hatten von Sternberg um seinen exzellenten Ruf und seine früher recht weitläufige künstlerische Freiheit gebracht; zunehmend haderte er in der Folge mit dem streng regulierten Studiosystem in Hollywood. So versuchte er immer wieder unabhängige Projekte auf die Beine zu stellen und erinnerte sich schließlich an den japanischen Produzenten Nagamasa Kawakita, den er in den 1930er Jahren bei seinen Reisen durch Fernost kennengelernt hatte.

Schnell entstand ein Plan: Die Sage von Anatahan sollte ihr erster gemeinsamer Film werden. Ein japanisches Kriegsdrama, doch mit universellem Anspruch. Eine Parabel gewissermaßen über das Durchhaltevermögen, aber auch die zerstörerischen Triebe der Menschen. Gemeinsam gründeten von Sternberg, Kawakita und der Verleiher Yoshio Osawa die unabhängige Produktionsfirma Daiwa Productions, Inc. Auch für die beiden Japaner kam das einem Neuanfang gleich. Weil sie in den Kriegsjahren Propagandafilme produziert hatten, waren sie vom Supreme Commander for the Allied Powers als Kriegsverbrecher der Klasse B eingestuft worden und bis 1950 von der japanischen Filmindustrie ausgeschlossen.

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Nun begann jedoch die Suche nach frischen Talenten und teils bewiesen von Sternberg und Co dabei sogar ein glückliches Händchen. Für die Spezialeffekte heuerten sie etwa Eiji Tsuburaya und für die Musik Akira Ifukube an, die nur kurz darauf für ihre Arbeit an Godzilla Weltruhm erlangten. Für die Schauspieler jedoch achtete von Sternberg, der kein Wort Japanisch verstand, beim Casting nicht auf die Leistung und verließ sich ganz auf seinen ersten äußerlichen Eindruck. Am Set half ein besonders detailliertes Storyboard dabei die Sprachbarriere zu überwinden: Für jeden Darsteller wurden darin Ablaufpläne erstellt, die mithilfe verschiedener Farben das Timing, die Dialoge und Emotionen markierten.

Doch trotz der Verständigungsschwierigkeiten klammerte sich von Sternberg an seine kreative Kontrolle. Weil die Crew keine Erlaubnis erhalten hatte in den Toho-Studios in Tokio zu drehen, wurden die Sets ad hoc in einem Industriepark in Kyoto aufgebaut. Mithilfe zweier japanischer Übersetzer inszenierte der Regisseur von Dezember 1952 bis Februar 1953 fast den kompletten Film inmitten dieser künstlichen Umgebung. Jedoch nicht nur als Regisseur, sondern auch als Drehbuchautor (Co-Writer Tatsuo Asano durfte lediglich ein bisschen lokales Flair in die Dialoge einarbeiten), als Kameramann und Erzählerstimme im Voice-Over, die dem Publikum teils losgelöst von der Handlung die japanische Kultur erklären sollte.

Als von Sternberg im Nachhinein gefragt wurde, warum er ein komplettes Set in Japan aufbauen ließ, obwohl er dies doch auch in Hollywood gekonnt hätte, soll er geantwortet haben: „Weil ich ein Poet bin.“ Der Dreh eine einzige Parabel auf die menschliche (genauer: die westliche) Hybris.

Die Sage von Anatahan; Films sans Frontières
Die Sage von Anatahan; Films sans Frontières

Die Sage von Anatahan lief im offiziellen Wettbewerb von Venedig und feierte seine japanische Premiere im Juni 1953. Doch das Timing meinte es nicht gut mit Josef von Sternberg. Direkt nach der Entdeckung der Gestrandeten war das Medieninteresse riesig gewesen, doch inzwischen hatte das Bekanntwerden ihrer Streits um die Frau auf der Insel ihr Ansehen in der Öffentlichkeit beschädigt. Nachdem 1952 die US-Truppen aus Japan abgezogen waren, wehte außerdem ein anderer Wind im Land. Man wollte die Jahre des Krieges und der Besatzung, die Niederlage und das Leid ein für alle mal vergessen. So waren viele Kritiker dem Film schon im Vorfeld feindselig gesonnen, der nun drohte all die unerfreulichen Erinnerungen wieder aufzutauen.

Die japanische Filmzeitschrift Kinema Junpo veröffentlichte einen Roundtable mehrerer Kritiker, die sich weitgehend einig waren: Von Sternbergs Blick auf Japan sei exotisierend und objektifizierend, sein Cast amateurhaft, von Anfang an hätte er das Thema überhaupt nicht anfassen sollen. Und auch die japanischen Produzenten bekamen ihr Fett weg — dafür, von Sternberg künstlerische Freiheit gegeben zu haben.

Auch in den USA wurde Die Sage von Anatahan höchtens lauwarm aufgenommen. Der einflussreiche New-York-Times-Kritiker Bosley Crowther schrieb: „Das potentielle menschliche Drama wirkt akademisch, unnahbar, als würde eine Pantomime hinter Glas aufgeführt. Das mag daran liegen, dass die japanischen Dialoge für Amerikaner unverständlich sind und Herrn von Sternbergs Erzählstimme ist päpstlich und objektiv, wie Untertitel in einem Stummfilm.“ Vier weitere Jahre verbrachte der Regisseur mit dem Versuch seinen Film für den US-Markt umzuschneiden, bevor er aufgab und sich für den Rest seines Lebens der Lehre widmete.

Die Sage von Anatahan ist derzeit in der Arte-Mediathek zu sehen:

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