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Wie Jazz in den Film kam

Ein Beitrag von Sonja Hartl

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Mikro

Die erste Verbindung aus Jazz und Film geht zurück auf die Minstrel-Shows des 19. Jahrhunderts, bei denen eine Musik zu Unterhaltungszwecken eingesetzt wurde, die eine der Quellen des Archaischen Jazz war. In diesen Shows traten weiße Unterhaltungsmusiker auf, die mit Blackfacing das Leben der Afroamerikaner karikierten und ins Lächerliche zogen. In ihrer Struktur, Ideologie und Inszenierung lassen sich schon die Vorurteile, rassistischen Stereotype und Unterhaltungsmuster finden, die in den folgenden Jahrzehnten immer wieder aufgegriffen werden. So zogen frühe amerikanische Cartoons ihren Witz aus rassistischen Klischees – sei es die gutmütige, dickliche „Mammy“, der servile „Uncle Tom“ oder der prahlerische „Zip Coon“. Afroamerikaner werden mit dicken Lippen, hervorquellenden Augen, als dumm und faul dargestellt. Einzig durch Jazz-Rhythmen und eine attraktive, sexuell verführerische Frau können sie zu Aktivitäten bewegt werden.

Damit war die Konnotation dieser frühen Jazzmusiken gegeben: Sie waren die Musik der Schwarzen und mit Sexualität aufgeladen. Der Ragtime verstärkte diese Wahrnehmung noch, weil er vornehmlich in Clubs und Bordellen gespielt wurde und dadurch eine anrüchige Aura bekommen hat. Sehen lässt sich das in dem Episodenfilm Fights of Nations aus dem Jahr 1907. Dort werden vermeintlich typische Konflikte verschiedener Ethnien stereotyp in Episoden vorgeführt. Afroamerikaner werden exaltiert und zu Klaviermusik – deutlich an den Ragtime angelehnt – exzentrisch tanzend gezeigt. Es ist die Musik, die sie zu Promiskuität, Alkohol und Gewalt verführt. Heroische Aspekte fehlen in dieser Darstellung ganz – und als sich am Ende Schotten, Mexikaner usw. unter der Führung von Uncle Sam vereinen, sind Afroamerikaner nicht zu sehen.

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Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war der Jazz in der zeitgenössischen Auffassung eine „gefährliche“ Musik, die zu Degeneration und sexueller Aktivität führt. Die Filmindustrie setzte anfangs daher auch auf klassische Musik zur Begleitung ihrer Filme, da sie einen gehobenen kulturellen Status vermitteln sollte. Jazzmusiken wurden indes im Rahmenprogramm zu Filmveranstaltungen eingesetzt, sobald es um Unterhaltung und Komödie ging.

 

Aneignung

Wenngleich heute die 1920er und 1930er Jahre als Jazz Age gelten, hörte die breite, weiße Öffentlichkeit damals eine kommerziell-gefällige Musik, die von weißen Musikern aus dem Jazz entwickelt wurde. Beispielhaft lässt sie sich in dem ersten Tonlangfilm aus dem Jahr 1927 finden, der den Titel The Jazz Singer trägt. Die Hauptrolle spielte Al Jolson – mit Blackface – und sang in dieser Rolle My Mammy, Blue Skies, Waiting for the Robert E Lee. Damals waren seine technologischen Neuerungen, das Nebeneinander von Stummfilmszenen, Dialogen und Gesangsauftritten revolutionär. Aber mit dem Blackfacing ist er auch ein Dokument des alltäglichen Rassismus der Unterhaltungskultur. Und der Jazz? Aus heutiger Sicht enthält der Film keinerlei Jazz. Aber er setzte ein Muster, wie Jazzsänger im Film porträtiert werden sollten: Sie waren Charaktere mit Schwierigkeiten, die nicht wussten, wohin sie im Leben wollten und sich gegen Vorurteile und Vorbehalte – familiärer und gesellschaftlicher – durchsetzen mussten.

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(Ausschnitt aus The Jazz Singer)

 

Jazz im Film ging mehr in Richtung Symphonic Jazz, eine Verbindung aus europäischer und afroamerikanischer Musik, die beispielsweise in King of Jazz (1930) zu hören ist. Der Film ist im Prinzip eine musikalische Revue ohne Rahmenhandlung. Vor der großen finalen Nummer verkündet ein Conférencier: „America is the melting pot of music wherin the melodies of all nations are fused into one great new rhythm – Jazz“. In den Bildern sind abermals keine Afroamerikaner zu sehen. Stattdessen lassen sich im gesamten Film zahlreiche Beispiele finden, in denen sie rassistisch dargestellt werden.

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(Trailer zu der restaurierten Version von King of Jazz)

 

Swing, Swing, Swing

Es ist also der weiße Mann, der auf der Bühne zu sehen ist und durch den der „primitive“ Jazz zivilisiert wird. Doch ab Mitte der 1930er Jahre kann die Filmindustrie die Bedeutung Schwarzer Musiker für den nun populären Swing nicht mehr verleugnen. Durch das Radio bekannte Stars wie Louis Armstrong, Duke Ellington und Benny Goodman treten in Filmen wie Syncopation (1942), New Orleans (1947) und A Song is born (1948) auf. Aber für Verleiher in den Südstaaten ist es möglich, ihre Szenen zu schneiden. Afroamerikaner spielen Nebenrollen oder dürfen im Hintergrund als Staffage agieren. Exemplarisch für den Umgang ist die Geschichte, die in The Birth of the Blues (1941) erzählt wird: Bing Crosby spielt einen Klarinettisten, der auf der Bourbon Street von einer Gruppe Schwarzer Jazzmusiker Dixieland Jazz gelernt hat und diese Musik dann in die Gesellschaft von New Orleans einführt. Er – der Weiße – entwickelt die Musik zur Kunst.

Bis in die 1950er Jahre bleiben im Mainstream Musicals und Biopics bei dem Muster, das das Leben weißer Jazz-Musiker feiert. The Glenn Miller Story (1954) mit Jimmy Stewart in der Titelrolle zeigt den Bandleader als den Star des Jazz, doch der Begriff Jazz fällt erst, wenn Glenn Miller einen Club in Harlem besucht und von Louis Armstrong auf die Bühne gerufen wird. Die Musik des Films hat indes mit Jazz so gut wie nichts zu tun, auch wird nicht thematisiert, dass sich Glenn Miller als weißer Mann eine Musik aneignet, die als Schwarze US-amerikanische Musik gilt. In The Benny Goodman Story mit Steve Allen in der Hauptrolle wird immerhin der Begriff Jazz genannt, zugleich aber wird er durch den Auftritt Goodmans in der Carnegie Hall „zivilisiert“.

Schwarze Musiker sind in beiden Biopics weitgehend abwesend bzw. sehr an den Rand gedrängt, dagegen wird in Young Man with a Horn (1950) immerhin der Einfluss gewürdigt, den ein Schwarzer Lehrer auf den weißen Schüler hatte. Lose basierend auf dem Leben von Bix Beiderbecke erzählt der Film nach dem Roman von Dorothy Baker von dem Leben und Kampf Rick Martins (Kirk Douglas), der als elternloses Kind bei einer Jazz-Band Halt und Anerkennung findet. Aber auch die musikalische und persönliche Entwicklung Martins kann man letztlich so deuten, dass er seinen Schwarzen Lehrmeister überholt. Dennoch ist die Darstellung der tiefen Verbindung zwischen ihnen für diese Zeit in Hollywood zumindest selten.

Es bleibt aber den Filmen überlassen, die sich mit einer rein Schwarzen Besetzung an ein Schwarzes Publikum richteten, auch Schwarze Musiker auf der Leinwand zu zeigen. Dazu gehört wegbereitend Cabin in the Sky – die Adaption von Vernon Dukes erfolgreichem Broadway-Musical –als eine der ersten großen Studioproduktionen mit ausschließlich afroamerikanischer Besetzung. Ethel Waters, Lena Horne, Louis Armstrong, Duke Ellington sind in dem Film zu sehen, der Tänzer Bill Bailey vollführt den ersten Moonwalk der Filmgeschichte – und doch weigerten sich viele Kinos aufgrund der afroamerikanischen Besetzung, den Film zu zeigen.

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(Trailer zu Cabin in the Sky)

 

Desorientierung und Sexualität

Spielarten des Jazz fanden sich demnach vor allem in Biopics und Musicals, darüber hinaus wurde in Filmen weiterhin orchestrale Musik verwendet. Sehr deutlich wird dies beispielsweise im Film noir, dem heutzutage eine enge Bindung zum Jazz nachgesagt wird, die aber die Filme der 1940er und frühen 1950er Jahre so nicht bestätigen. Hier wurde Jazz vielmehr eingesetzt, um Motive zu akzentuieren: das Gefühl der Desorientierung in The Lost Weekend, Traumatisierung in The Blue Dahlia, der lustvolle, erotisierende Tanz in einem Club in Phantom Lady. Ohnehin wird Jazz immer wieder genommen, um weibliche Charaktere und ihre Sexualität zu akzentuieren (Criss Cross, The Asphalt Jungle, Kiss Me Deadly, D.O.A.), so dass der Film noir diese Verbindung aus Jazz und Sexualität aufgreift.

 

Jazz als Score

Doch in diesen Filmen kommt Jazz stets aus einer Quelle, die im Bild zu sehen ist: von einer Schallplatte, einem Radio oder einem Orchester. Es war indes A Streetcar Named Desire (Endstation Sehnsucht) aus dem Jahre 1951, der erstmals modernen Jazz als Score auf die Leinwand brachte. Alex North‘ einzigartige Filmmusik setzte den Ton für das brutale, hedonistische Meisterwerk, berühmt ist Miles Davis‘ Zitat zu dieser Musik: „Do you know the best thing I’ve heard in a long time? Alex North‘ music for A Streetcare Named Desire. That’s a wild record – especially the part Benny Carter plays.“

Alex North benutzte erstmals Jazz und Dissonanzen, es gibt Blues-Trompeten und -Posaunen, Jazz-Percussion, schrille, schreiende, rufende Klänge. Schon der Einstieg bestimmt mit seinem dreckigen Jazz den Ton des kommenden Films, der New Orleans Jazz verspricht Rausch, Glücksspiel und keine Fragen.

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Wenn die verblassende Southern Belle Blanche (Vivian Leigh) in New Orleans ankommt, verweist schon die Musik darauf, dass sie dort nicht hingehört. North schrieb für seine Charaktere Motive: bei Stanley (Marlon Brando) unterstreichen Trompeten, Posaune und Saxofon dessen Männlichkeit, Stärke und Sexappeal, dagegen ist Blanches Thema weitaus romantischer mit dem Tenorsaxophon-Blues, dem man sich nicht entziehen kann. Wenn sie sich das erste Mal treffen, hört man eine Interpretation von Stan’s Theme. Er kommt verschwitzt nach Hause, ist roh und ungeschliffenen, sein Zwei-Ton-Motiv wird genutzt, um die beiden emotional gegenüberzustellen. Offensichtlich ist Blanche ein wenig unbehaglich, aber auch sehr neugierig.

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Den Einfluss des Scores auf kommende Filmmusiken lässt sich auch an der „Hey Stella“-Stelle erkennen: Nachdem Stanley Stella (Kim Hunter) geschlagen hat, ist sie zu einer Nachbarin gegangen. Er ruft, sie solle wieder zurückkommen, und Stella entscheidet sich zurückzugehen. Langsam geht sie Treppe herunter, an deren Fuß Stanley mit zerrissenem T-Shirt steht. Die Kamera fasst sie und ihn im Wechsel ein, sie nähern sich an. Tenorsaxophon und Flöten beginnen ein improvisiert wirkendes Spiel. Als sie sich schließlich umarmen, kommen weitere Instrumente hinzu – und je leidenschaftlicher und enger die Umarmung wird, desto mehr verdichtet sich die Musik. Bis heute werden diese Klänge insbesondere vom Tenorsaxophon als filmmusikalische Ausdrucksweise von Sex gesehen.

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In der Folge bleiben vor allem die Assoziationen dieser frühen Filme zwischen Jazz, Sexualität und Halbwelt erhalten, was sich insbesondere darin zeigt, dass Jazz gemeinhin als Musik des Kriminalfilms gilt. Dafür wird mittlerweile der Begriff Crime Jazz verwendet, als dessen Ursprung Harlem Nocturne angesehen wird und bei dessen Entwicklung Henry Mancinis Score zu Touch of Evil maßgeblichen Anteil hatte. Aber nicht nur das: Ab den 1950er Jahren schufen die berühmtesten Jazz-Musiker legendäre Scores zu Kriminalfilmen. Sei es Miles Davis, der mit einem Quintett zu Fahrstuhl zum Schafott (1958) den ersten improvisierten Filmscore in Paris einspielte. Oder Duke Ellington, der ein Jahr später von Otto Preminger für Anatomy of a Murderer engagiert wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

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