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Von Kirschblüten, dem Tod im Leben und Leben nach dem Tod

Ein Beitrag von Elisa Jochum

Doris Dörries Filme Kirschblüten – Hanami(2008) und Kirschblüten & Dämonen (2019) konfrontieren uns mit der qualvollen Frage: Wie mit dem Tod umgehen?

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Kirschblüten & Dämonen
Kirschblüten & Dämonen

Nachdem ein naher Angehöriger verstorben ist, bleibt nur, mit dem eigenen Leben weiterzumachen. Zurück in den Alltag. Das ist die vorherrschende Einstellung der in Doris Dörries Filmen Kirschblüten – Hanami und Kirschblüten & Dämonen zentralen Familie Angermeier. Dörrie greift damit die Tendenz in unserer Gesellschaft auf, über Verluste hinweg zu hasten – einem zumindest nach außen hin bestehenden Hang, den die FAZ in einem ausführlichen Artikel (Nach zwei Wochen Trauer ist aber bitte Schluss!) herausgearbeitet hat. Darin wird der Satz „Der Tod war Teil des Lebens“ bezeichnenderweise der Vergangenheit zugerechnet. Doch in Dörries Filmen bricht ein Familienmitglied aus diesem Muster aus, im ersten Vater Rudi (Elmar Wepper) und im zweiten Sohn Karl (Golo Euler, 2008 noch gespielt von Maximilian Brückner). Jedes Mal führt der Weg nach Japan.

In Kirschblüten – Hanami verstirbt Rudis Frau und Karls Mutter Trudi (Hannelore Elsner). Verloren zwischen Schmerz und Schuldgefühlen verwirklicht Rudi ihren Wunsch einer Japanreise, den er ihr zu Lebzeiten stets verwehrt hatte. Karl, der in Tokio arbeitet, geht unmittelbar nach dem Tod seiner Mutter wieder zum Alltag über und vernachlässigt die Bedürfnisse seines Vaters. Die junge Japanerin Yu (Aya Irizuki) hilft Rudi bei seiner Trauer, bevor er selbst einer Erkrankung erliegt. Jahre danach, in Kirschblüten & Dämonen und zurück in Deutschland, kämpft nun Karl darum, den Verlust der Eltern zu verarbeiten. Wieder ist es Yu, die einen Angermeier bei der Auseinandersetzung mit dem Tod begleitet, nachdem sie plötzlich bei Karl aufgetaucht ist.

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Anstatt stoisch nach vorne zu blicken, schauen Rudi und Karl nach innen und zurück. Sie erproben, welche alternativen Bedeutungen es haben kann, weiterzuleben. Das betrifft zunächst die Toten, die in der aktiven Erinnerung von Vater und Sohn lebendig bleiben. Die Männer ziehen Trudis Kleider an. Sie erleben die Welt als und durch die Verstorbene. Während es Karl zu Beginn in Panik versetzt, Yu im Kimono seiner Mutter zu sehen, hüllt er sich später selbst darin. Bei seiner Rückkehr nach Japan beschreitet er so die Hauptstadt. Rudi trägt im ersten Film die blaue Strickweste seiner Frau, als er Tokio erkundet. 

Vor einem Kirschbaum innehaltend schafft Wepper als Rudi einen der berührendsten Momente von Kirschblüten – Hanami. Er öffnet seinen Mantel, als ob er der Strickweste darunter den Blick auf die Kirschblüten freigebe, und flüstert ergriffen: „Da Trudi. Das ist für dich.“ Alte Erinnerungen verschmelzen mit neuen, die Rudi nicht nur für eine Tote, sondern mit ihr schafft. Er „zeig[t] ihr die Stadt“. Mit der Japanreise lebt er Trudis Traum.

Yu lehrt Rudi den japanischen Butoh, den sie ihm als „shadow dance“ aus sanften Bewegungen vorstellt, durch den sie mit den Toten in Berührung kommt. Für den Witwer macht der Tanz seine Frau so lebendig, dass Dörrie sie auch auf der Leinwand sichtbar werden lässt. Rudi und Trudi bewegen sich zärtlich umschlungen. Am Ende der innigen Begegnung liegt er tot am Boden. Im Film schafft Butoh es, für Rudi eine Verbindung vom Diesseits bis ins Jenseits herzustellen.

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Im zweiten Film leben die Verstorbenen, wie es der Titel verrät, als Dämonen weiter. Karl wird insbesondere von seinen visuell verzerrten Eltern heimgesucht. Er erfährt etwa von der Depression, unter der seine Mutter zu Lebzeiten gelitten hatte. Karl kann das Gefühl nicht abschütteln, von den Eltern gleichzeitig verlassen und verfolgt zu sein. Die Verstorbenen beschwören Elemente der vielschichtigen japanischen Yūrei, der geisternden Toten, herauf. Anders als Karl jagen die Dämonen Yu keine Todesangst ein. Sie eröffnet ihm Wege, auf denen er sich ihnen stellen kann. 

Indem Dörries Filme die Toten in der Wahrnehmung der Trauernden weiterleben lassen, werfen sie umgekehrt Licht auf die Frage, wie Rudi und Karl mit ihrem eigenen Leben fortfahren. Kirschblüten – Hanami und Kirschblüten & Dämonen stecken ein Spannungsfeld ab zwischen Verarbeitung auf der einen und Stillstand, Einsamkeit oder gar fehlendem Lebensmut auf der anderen Seite. 

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Die Nähe zu den Toten distanziert die beiden Männer von den Lebenden. Die Familie reagiert mit Unverständnis auf ihr Verhalten. Sie driften zunehmend in die soziale Isolation ab. Karl selbst kann im ersten Film nicht nachvollziehen, weshalb sein Vater all sein Geld in Deutschland abgehoben und mit nach Japan gebracht hat. Es misslingt dem Sohn auf fundamentaler Ebene, sich in Rudi hineinzuversetzen, der ihm die Worte aus dem Mund nimmt: „Jetzt sag‘ nicht, das Leben geht weiter.“ Im zweiten Film brechen die Brücken des depressiven Karls zu seiner Umwelt ab. Zu seinen Geschwistern herrschte jahrelange Funkstille. Durch seine Alkoholsucht zerstört er mehr und mehr die Chance auf eine Beziehung zu seiner Tochter. Sowohl an Rudis als auch an Karls Seite bleibt nur die mitfühlende Yu zurück.

Rudi wählt die Auseinandersetzung mit Trudis Tod bewusst. Er findet Yu und eine Form von Frieden auf seiner Reise, an deren Ende ein eigener, ruhevoller Tod steht. Karls Beschäftigung mit der Vergangenheit hingegen erscheint lange Zeit zwanghaft. Er wird von Yu gefunden, von seinen Ängsten und Dämonen getrieben. Neben den Verstorbenen spukt auch der Dämon des Suizids in Karls Leben umher. Es geht nicht nur um Selbstmorde und Selbstmordgedanken anderer Charaktere (wie etwa Yus Mutter, gespielt von Fumiko Thürk), sondern auch um Karls selbstzerstörerisches Verhalten, das ihn zu einem Schatten seiner selbst macht. Nach einem schweren Zusammenbruch deutet eine Ärztin an, dass wegen seiner Alkoholsucht seine Organe nicht mehr zur Spende taugen und damit bei seinem Tod keine anderen Leben retten könnten. In Japan bindet er sich den Obi, den Tuchgürtel, so um sein Gewand, wie es nur bei Leichen üblich ist. Ein vielsagendes Versehen. Hier erhält die Frage nach dem Weiterleben eine wörtliche Bedeutung. 

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So geben beide Filme zu bedenken, dass auch die Zeit derer, die in der Erinnerung an die Toten leben, endlich ist. Nichts signalisiert den Umstand besser als die in Japan jährlich so zelebrierten Kirschblüten. Während des traditionellen Hanami (übersetzt: „Blüten betrachten“) erfährt Rudi im ersten Film: „Es gibt kaum ein schöneres Symbol für Vergänglichkeit.“ In Kirschblüten & Dämonen verortet Yu in ihrem Gesang die beiden Pfeiler, zwischen denen der trauernde Karl sich positionieren muss. Sie wechselt vom Songtext „Remember, remember, why don’t you remember?“ zu „Das Leben ist so kurz“. Der erste Vers fordert Trauer und Erinnerung ein, vielleicht gar als heilsamen Prozess. Im zweiten versteckt sich die Frage, ab wann der Tod mehr als nur das Leben der Verstorbenen stiehlt.

Dörries Filme bieten keine Patentlösung an. Die Figuren – von Trudi, Rudi und Karl bis hin zu Yu und ihrer Familie – sind von einer universellen Zerbrechlichkeit gezeichnet. Im Zentrum steht, überhaupt die Frage zu wagen, wie der Tod von Hinterbliebenen ge- und überlebt werden kann. Die Filme wenden sich von einem verdrängenden „Weiter so!“ ab. Während sie suggerieren, dass sich unsere Gesellschaft mit der Auseinandersetzung schwertut, skizzieren sie durch die Japanreisen und die Beschäftigung mit japanischen Praktiken und Vorstellungen einen interkulturellen Versuch, sich an diese drängende Frage heranzutasten.

  • Clip 1 - Der doppelte Karl (deutsch)
  • Filmstill zu Kirschblüten & Dämonen (2019)
    Kirschblüten & Dämonen (2019) von Doris Dörrie
  • Filmstill zu Kirschblüten & Dämonen (2019)
    Kirschblüten & Dämonen (2019) von Doris Dörrie
  • Filmstill zu Kirschblüten & Dämonen (2019)
    Kirschblüten & Dämonen (2019) von Doris Dörrie
  • Filmstill zu Kirschblüten & Dämonen (2019)
    Kirschblüten & Dämonen (2019) von Doris Dörrie
  • Filmstill zu Kirschblüten & Dämonen (2019)
    Kirschblüten & Dämonen (2019) von Doris Dörrie

Ebenso tastend ist die Titelmelodie, die sich durch beide Werke zieht und stets doppelt konnotiert ist. Sie ist melancholisch, aber immer suchend. Immer sehnsüchtig. Als musikalisches Sinnbild der Filme untermalt sie das Bemühen, sich in einem Leben zurechtzufinden, von dem sich die Erfahrung von Trauer und Schmerz nicht trennen lässt. 

Kirschblüten – Hanami und Kirschblüten & Dämonen ziehen das Publikum tief in diese Auseinandersetzung hinein. Sie wühlen auf. Wenn das Prinzip Augen zu und durch buchstäblich bei keinem Film funktioniert, so klappt es in Dörries Zwillingsfilmen auch auf der figurativen Ebene nicht. Die Filme, schonungslos und zärtlich zugleich, bewegen zum Innehalten, zur Empathie und zur Selbstanalyse. Vielleicht verlassen die ein oder anderen das Kino und besuchen das Grab eines Angehörigen. Vielleicht ruft jemand seine Familie an. Und vielleicht bucht jemand einen Flug nach Japan.

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