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Verloren im „Völkermord“ – Holocaust und Erinnerungspolitik in der DDR

Ein Beitrag von Beatrice Behn

Mit Leichtigkeit wird heutzutage von „der deutschen Filmgeschichte“ gesprochen und dabei negiert, dass Deutschland lange Zeit geteilt war. In unserer Jahresserie „Ost/West“ haben wir vor einiger Zeit nach Differenzen in der Filmgeschichte beider Staaten gesucht — auch im Hinblick auf die Darstellung des Holocausts. Teil eins dreht sich um die DDR.

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Nackt unter Wölfen - Bild
Nackt unter Wölfen - Bild

Kein Thema prägt die deutschen Filmgeschichten beider Seiten so sehr wie ihre gemeinsame Vergangenheit. Das Nazi-Regime, der Zweite Weltkrieg und die dort begangenen Gräueltaten sind integraler Bestandteil der Selbstanschauung beider deutscher Staaten gewesen. Doch ein Thema sticht in deren filmischer Bearbeitung als großer neuralgischer Punkt hervor: der Holocaust. Sechs Millionen Juden wurden während des Zweiten Weltkrieges ermordet. Eine Zahl, die in ihrer Dimension bis heute dazu führt, dass diese Massenvernichtung als „unvorstellbar“ gilt und nur abstrakt vorstellbar ist. Außer natürlich man schafft Bilder und Geschichten für diese Abstraktion. Eine Aufgabe wie geschaffen für Film und Fernsehen. Wie die Medien beider Länder mit dieser Aufgabe umgingen, erkunden wir in zwei Teilen.

 

Teil I: Die DDR — Verloren im Sammelbegriff

„Völkermord“ war die Vokabel in der DDR, die als Sammelbegriff für alle von den Nazis getöteten Menschen herhielt. Eine gute Sache, immerhin wurde so das Nazi-Wort „Endlösung“ getilgt, das in der BRD bis in die späten 1970er Jahre genutzt wurde. Eine schlechte Sache aber auch, vermochte dieses Wort doch die einzelnen Gruppen, vor allem die vom sozialistischen Standpunkt aus unliebsamen, faktisch in ihrer Existenz zu tilgen. Die Vernichtung von sechs Millionen Juden war eine dieser halb getilgten Wahrheiten, denn die Juden und ihr Schicksal waren auch auf sozialistischer Seite ein Politikum. Bis 1953 galt in der DDR die diskriminierende Richtlinie Stalins, die Juden ebenfalls als „unzuverlässige“ und oppositionelle Menschen kennzeichnete. Ein Grund dafür waren antisemitische Ideen, die Juden mit dem Kapital(ismus) verknüpften und sie somit zwangsläufig in Opposition zum Sozialismus stellten.

Ein anderer war aufmerksamkeitsökonomischer Natur: Das Selbstbild der DDR speiste sich vor allem aus dem antikapitalistischen Widerstand und verstand es von Anfang an, diesen als menschliches Kapital für den Aufbau des Sozialismus zu nutzen, der vor allem auch eine moralische Abwehrkomponente hatte. Mitleid und Aufmerksamkeit gab es für sich selbst und die Kämpfer aus Polen und der UdSSR. Selbst in den Konzentrationslagern, die alsbald zu Gedenkstätten gemacht wurden, lag fast der gesamte Fokus auf dieser kleinen Gruppe. Die DDR verstand sich als der Widerstand, als Opfer des Faschismus und im Gegensatz zur BRD als der moralische Gewinner. Die Masse der Menschen wurde durch ein rigoroses Zuweisen der Schuld an den Westen und dessen Imperialismus sowie Kapitalismus entlastet. Die Juden wurden so abermals zu dem Anderen, zum Störfaktor, waren sie doch nicht so einfach in diese zwei Schubladen einzuteilen. 

 

Erinnerungskultur in den Medien

Für Film und Fernsehen teilt sich die Erinnerungskultur in drei Phasen. Von 1945 bis 1949, also bis zur Gründung der DDR, erlaubte sich die Filmkunst einen recht offenen Blick in Sachen Gedenkpolitik, der noch unbehelligt von politischen Belangen war. Danach folgte die Aufbauphase, die mit Stalins Tod endete. Geprägt war diese Zeit von massiven Blockkonfrontationen, dem Ende der Entnazifizierung und dem Ende eines wirklich aktiven Interesses, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. An seine Stelle traten Themen des Neuaufbaus, der ästhetisch mit dem sozialistischen Realismus einherging. Der kommunistische Widerstand wurde zum Hauptthema, durch dessen Nadelöhr der Rest der Nazi-Zeit verstanden wurde. Die Ära Honecker, die ab 1971 begann, versprach „Wandel und Vielfalt“, und in der Tat zeigte sich anfänglich eine Lockerung der politischen Richtlinien und Zensurbestrebungen. Eine größere Vielfalt der Erinnerungspolitik, die auch andere marginalisierte Opfer des Faschismus beinhaltete, wurde wieder zugelassen. Der Holocaust fand mehr Erwähnung, doch zumeist immer noch am Rand oder in einer größeren Gemengelage. 

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Der große Unterschied zwischen westdeutschem und DDR-Film ist die Behandlung der Schuldfrage. Diese erklärte man 1949 als erledigt, man selbst sah sich als Opfer und moralische Entität, für die das Gedenken, Mahnen und Verhindern zur Aufgabe wurde. Der Holocaust selbst und das Schicksal der Juden war dabei allerdings fast nie zentrales Thema. Weder in der Erzählung noch in den Bildern. Juden blieben oft Nebenfiguren, die manchmal sogar ins alte Klischee abzudriften schienen und von den Geschichten der kommunistischen Widerständler ins Abseits befördert wurden.

Ein gutes Beispiel dafür ist Nackt unter Wölfen (1963), einer der bekanntesten Filme der DDR. Er spielt im KZ Buchenwald zwischen Februar und April 1945. Eine kommunistische Widerstandsgruppe mit Menschen aus verschiedenen Ländern beschützt ein jüdisches Kleinkind, das in das Lager geschmuggelt wurde, unter Aufbietung aller Kraft und vermag am Ende das Kind zu retten und das Lager kurz vor dem Einmarsch der Russen zu befreien. Eine tragische Heldengeschichte, die einerseits die harsche Realität der Lager zeigt, andererseits das Grauen der KZs in eine Geschichte, quasi mit Happy End, versetzt. Die Romanvorlage stammte von Bruno Apitz, einem Überlebenden von Buchenwald. Was in Nackt unter Wölfen kaum zu sehen ist: Juden. Am Rande kommen sie vor, sind als Händler und Schmuggler zu sehen. Selbst das Kleinkind, das eigentlich die Hauptfigur des Filmes ist, bleibt nicht mehr als ein Mittel, den Heroismus der anderen zu feiern. 

Wenige Filme trauen sich direkt an den Ort des Mordens. Ein großer Ausnahmefilm ist hier das Fernsehspiel Esther (1980). Wie Nackt unter Wölfen basiert das Werk auf einer Vorlage von Bruno Apitz und auf einer wahren Begebenheit und spielt direkt im Konzentrationslager. Esther ist Jüdin und wurde aus Auschwitz verlegt, wo ihr Mann ermordet wurde. Oswald, ein jüdischer Kapo, verliebt sich in sie. Er ist Assistent des Lagerarztes, der von der Liebe erfährt und daraus ein Experiment machen will. Bevor Esther vergast wird, sollen die beiden in der geschlossenen Kammer angesichts des nahenden Todes beobachtet werden. Oswald erfährt davon und will Ester mit Morphium erlösen. Als der Arzt begreift, dass sein Experiment misslingt, lässt er beide wegführen. 

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Auch Ghettos sind nur selten Ort des Geschehens. Jakob der Lügner (1976), ein für die Honecker-Ära der Kinokunst paradigmatisch gewordener Film, der auch über die DDR hinaus Anerkennung fand, ist einer der wenigen. 1965 war das Drehbuch noch abgelehnt worden, doch jetzt erlaubte man den Blick in das Ghetto von Lodz, in dem Jakob einmal zufällig Nachrichtenfetzen aus dem Radio aufschnappt und diese im Ghetto verbreitet. Der Krieg solle sich langsam dem Ende nähern, heißt es. Die Ghettobewohner glauben, Jakob habe ein Radio versteckt, und wollen nun immer neue Nachrichten. Jakob lügt und erfindet Durchhalteparolen, um seine Leute nicht zu enttäuschen. Doch das Ghetto soll geräumt werden, die Bewohner sollen ins Gas geschickt werden. Diese entscheiden sich ob Jakobs guter Nachrichten zu bleiben. Am Ende sterben sie alle.

 

An den Außenkanten des Holocaust

Doch diese Filme bleiben die Ausnahme. Die meisten nutzen randständige Strategien, in denen der Holocaust referenziert, aber nie direkt gezeigt wird. Wie in Professor Mamlock (1961), der mit einer Einblendung beginnt, die die Ermordung von 6 Millionen Juden anerkennt, als Film dann aber doch die Geschichte nur in ihren Anfängen betrachtet. Es ist 1933 und Professor Mamlock ist Chefarzt in der Chirurgie. Um ihn herum beginnen die Schikanen, die er lange Zeit nicht wahrhaben will, fühlt er sich doch als Deutscher und denkt, als Arzt könne ihm nichts geschehen. Man braucht ihn doch. Doch bald wird er geschmäht, beschimpft, entlassen. Am Ende wählt Mamlock den Freitod. Ähnlich ergeht es dem Ehepaar in Ehe im Schatten (1947), einem der ersten Nachkriegsfilme zum Thema Faschismus. Ein Schauspielehepaar – Hans und Elisabeth Wieland – gehen in den Freitod, als Hans seine Frau, die Jüdin ist, nicht mehr vor den Nazis schützen kann. Der Film gilt bis heute als einer der meist gesehenen Defa-Filme mit mehr als zwölf Millionen Besuchern. In der Weltbühne schreibt man über ihn: „Als der Vorhang fiel, gingen Menschen schweigend und beschämt nach Hause.“

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Wenn man die Filme, die das jüdische Schicksal thematisieren, sieht, stellt man fest, dass sie subtil aber konstant Mitschuld an der Katastrophe suggerieren. Egal ob Jakob, Mamlock oder die Wielands, ihr Nicht-wahrhaben-Wollen, ihr Zögern wird ihnen zum Verhängnis und legt die Schuldfrage auch in ihre Hände — ein Akt, der ihren Opferstatus, im Gegensatz zu den Widerstandskämpfern, stets untergräbt. In Filmen wie Der Prozess wird vertagt (1958), die wiederum nach dem Krieg spielen, dient das Schicksal der Juden entweder als Mittel der Erziehung, nicht Selbstjustiz zu begehen, oder verkommt, wie beispielsweise in Zwischenfall in Benderath (1956), zum einfachen Signifikanten für das moralisch Böse, das durch den Sozialismus Gerechtigkeit erfährt. Die wahren Übeltäter des Holocaust findet die DDR dann vor allem im Kapitalismus. Zahlreiche Filme setzen sich mit IG Farben, Krupp und Konsorten auseinander und zeichnen sie als quasi gierige Einzeltäter in der Vernichtung. Sowohl Rat der Götter (1950) als auch Krupp und Krause (1969) zeichnen ein detailliertes Bild über die IG Farben und Krupp und ihre Manager, die aus Habgier und für hohe Profite direkt an den Massenmorden beteiligt sind.

Doch mit der langsamen Auflösung des Regimes Mitte der 1980er Jahre zeigen sich auch Kino und Fernsehen in Sachen Erinnerungspolitik wieder offener für Ambivalenzen. Es wird gehadert mit der eignen Erinnerung und der Negation eigener Schuld. So einfach will die neue Generation es sich nicht mehr machen, wohl auch weil sie die erste ist, die erkennt, dass die Zeitzeugen vielerorts schon tot sind. Aber auch, weil sich die Umstände ändern, der gemäßigtere Kurs Moskaus zulässt, dass andere, problematische Bilder geschaffen werden. Zwei Filme am Ende der DDR stechen heraus: In Die Schauspielerin (1988) fingiert eine junge Frau einen Selbstmord, um danach mit einer neuen, jüdischen Identität mit ihrem jüdischen Liebhaber zusammen sein zu können. Die Deutsche im jüdischen Schafspelz also, die kurz darauf den Antisemitismus erstmals am eigenen Leib erfährt und nach der Pogromnacht in Gefahr gerät. Eine spannende, umgekehrte Metapher, versinkt hier doch erstmals das Deutsche im Jüdischen – ein Akt, der ganz neue Denk- und Sichtweisen auf das Thema des Holocaust zulässt, auch wenn dieser selbst wieder nur als Leerstelle vertreten ist. 

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Einer trage des anderen Last (1988) stellt wiederum ein Beispiel für die Aufarbeitung der Vergangenheit in der Gegenwart dar, die den Sozialismus direkt mit christlichen Ideen aufeinandertreffen lässt. Der marxistische Volkspolizist Josef ist Anfang der 1950er Jahre wegen Tuberkulose im Sanatorium. Sein Zimmerpartner ist der evangelische Vikar. Sofort kommen beide wegen ihrer Weltanschauungen in Konflikt, der noch verstärkt wird durch die Anwesenheit des Arztes, Dr. Stülpmann, einem ehemaligen NSDAP-Mitglied. Ein Medikament könnte beide heilen, doch das gibt es nur von den Amerikanern durch einen anderen Arzt, der Überlebender eines KZs ist, und es reicht nur für vier Personen. Josef soll nun entscheiden, welcher der Patienten, unter ihnen Auschwitz-Überlebende, es nicht bekommt. Der Film rekonstruiert hier, wenn auch auf einer ausgelagerten Ebene, noch einmal alle politischen und religiösen Gruppen, die sich schon im Krieg gegenüberstanden. Der Streit um die Rettung geht letztlich unentschieden zwischen dem Evangelen und dem Marxisten aus. Der Vikar findet Trost darin, dass Gottes Wille geschehe, eine Haltung, die Josef mit den Worten „Konzentrationslager, Vergasung von Juden, Auschwitz, Folterungen … die nicht zu zählenden Ungerechtigkeiten dieser Welt“ kontert. Am Ende verzichtet der Vikar zugunsten Josefs auf das Medikament.

 

Teil II dieser Reihe erforscht die Erinnerungspolitik in der BRD, die im Gegensatz zur DDR vor allem von der Schuldfrage und der doppelten Betroffenheit  bestimmt wurde.

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