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Und verführe mich zum Bösen ...

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

In seiner 2006 veröffentlichten filmtheoretischen Arbeit Ritual & Verführung: Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film betrachtet Marcus Stiglegger das Medium Film als ein Medium der Verführung. Wozu vermag uns ein Leinwandwerk zu verführen? Und welche Strategien wendet es dabei an? Aus dem Nichts – die neuste Schöpfung von Fatih Akin – lässt über diese Fragen ganz aktuell nachdenken.

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Bild aus "Aus dem Nichts"
Bild aus "Aus dem Nichts"

Akin erzählt darin von der herkunftsdeutschen Katja Sekerci (Diane Kruger), die ihren türkisch-kurdischstämmigen Ehemann Nuri (Numan Acar) und den gemeinsamen Sohn Rocco (Rafael Santana) durch einen Nagelbombenanschlag verliert. Nuri saß für einige Zeit wegen Drogenhandels im Gefängnis, konnte sich jedoch erfolgreich resozialisieren und in einem migrantisch besiedelten Hamburger Viertel ein Übersetzungs- und Steuerberatungsbüro eröffnen.

Vor jenem Geschäft verübt das neonazistische Paar André (Ulrich Brandhoff) und Edda Möller (Hanna Hilsdorf) das tödliche Attentat und wird dafür – nachdem die Polizei zunächst nur im Opfer-Umfeld ermittelte – vor Gericht gestellt. Katja, die im Strafprozess als Nebenklägerin auftritt, muss miterleben, wie die beiden nach dem Grundsatz in dubio pro reo („im Zweifel für den Angeklagten“) freigesprochen werden. Als sich das Paar daraufhin nach Griechenland begibt, reist Katja hinterher – und fasst den Entschluss, die beiden ebenfalls durch eine selbst gebaute Bombe sterben zu lassen.

In einem Interview mit der taz erklärt Akin, er habe seit der Enttarnung der terroristischen Vereinigung NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) im Jahre 2011 viel an die Mordopfer und deren Angehörige denken müssen. Wie in der fiktiven Geschichte von Aus dem Nichts ging die Polizei lange Zeit nicht von rassistischen Motiven aus, sondern – als sei dies völlig selbstverständlich – von einer Täterschaft innerhalb der migrantischen Gemeinde, wodurch die Opfer und deren Milieu kriminalisiert wurden. Das Thema habe ihn aufgewühlt, sagt Akin, er sei „richtig sauer“ geworden – und aus dem Gefühl, sich wehren zu müssen, sei die Idee zum Film entstanden. Später habe sich das Ganze dann aber in eine andere Richtung entwickelt – der Schmerz der Protagonistin, der zu Hass wird, welcher wiederum in Gewalt mündet, sei wichtiger als das Politische geworden.

Auch nach Akins Ko-Drehbuchautor Hark Bohm geht es in Aus dem Nichts zwar eindeutig um eine politische Tat, die alles in Gang setzt; das Interesse des Werks gelte indes der Frage, wie „dieser einzigartige Charakter, den wir zu schaffen versucht haben“, auf jene Tat reagiert. Akin meint, er habe dabei nicht didaktisch sein wollen; er könne keine Lösungen anbieten. Somit ist sein Werk letztlich keine gesellschaftspolitische Analyse, sondern eine emotionale. Und tatsächlich gelingt es Akin und seiner Hauptdarstellerin, dass man als Zuschauer_in rasch Empathie für Katja empfindet – und ihr bis zuletzt folgt, auch wenn der radikale Schritt, den die Trauernde am Ende geht, der eigenen Überzeugung im Grunde zuwiderlaufen mag. Doch wie wird dieses Ziel erreicht?

In seiner Theorie nennt Marcus Stiglegger drei Stufen der filmischen Seduktion. Auf einer ersten Ebene verführe ein Film zu sich selbst, indem er Aufmerksamkeit errege, Interesse sowie Erwartungen wecke – was auch Werbemaßnahmen wie den Trailer und Aspekte wie die Rollenbesetzung einschließe. Der Trailer zu Aus dem Nichts lässt bereits erahnen, dass Akin mit Genre-Elementen – sowohl mit Mitteln des Melodrams als auch des Thrillers – arbeitet; Schwarzblenden, die Signalfarbe Rot sowie die dissonanten Klänge erzeugen in Kombination mit prägnanten Blicken und Dialogzeilen Spannung. Das Plakat, mit welchem das Werk beworben wird, zeigt die fast gänzlich schwarz gekleidete Hauptfigur in dunkelbunt-urbaner Umgebung auf verregnetem Asphalt – eine Szene, die im Film in Zeitlupe eingefangen wird und auch im Trailer auftaucht.

In einem Interview mit kino-zeit berichtet Akin, dass die im Batman-Universum angesiedelte Graphic-Novel-Reihe Arkham Asylum als stilistische Inspiration für Licht-, Bild-, Raum- und Kostümgestaltung gedient habe. Dies ist den Ausschnitten aus dem Trailer sowie dem Poster deutlich anzumerken. Auf der ersten Seduktionsebene verführt Aus dem Nichts beziehungsweise dessen Bewerbung also mit düster-grimmiger Optik; ebenso sorgt die Besetzung von Diane Kruger als Opferangehörige für Aufmerksamkeit: „Du musst das blonde Lagerfeld-Model losschicken, um Nazis zu killen“, äußert Akin (vielleicht um eine Spur zu überspitzt) im taz-Interview, um zu erläutern, weshalb er sich für eine herkunftsdeutsche Frau im Zentrum entschieden hat. Der Einstieg des Films verführt hingegen durch Bilder eines nonkonformen Glücks: Nuri und Katja heiraten in ausgelassener Stimmung im Gefängnis; nach einem Zeitsprung führen die beiden ein chaotisches, von Liebe erfülltes Leben, das in wenigen, aber präzisen Passagen skizziert wird und durchweg sympathisch erscheint.

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Trailer zu Aus dem Nichts

 

Auf einer zweiten Seduktionsebene könne ein Film, so Stiglegger, eine spezifische Aussage propagieren – was für den expliziten ideologischen Propagandafilm gelte oder auch für etliche große Hollywood-Produktionen, wie zum Beispiel für Tony Scotts affirmative Militär-Action-Romanze Top Gun aus dem Jahre 1986. In Besprechungen zu Aus dem Nichts wurde Akin unter anderem vorgeworfen, in seinem Werk „ein ausgewiesen programmatisches Interesse“ zu verfolgen. In der Manier eines Propagandafilms operiert der Regisseur allerdings nicht; so vermeidet er es etwa, das für die Tat verantwortliche Paar zu dämonisieren. André und Edda Möller werden im Film nicht zu menschlichen Monstern, vielmehr bleiben sie Randfiguren: „Mich interessiert die Perspektive der Nazis nicht“, meint Akin.

Auch begeht der Film nicht den Fehler vieler Selbstjustiz-Thriller, den Akt des Tötens als etwas darzustellen, was guttut. Katja reiht sich damit nicht in die Riege der meist männlichen Figuren aus Western, Abenteuer- und Kriegsfilmen sowie Krimis und Thrillern ein, die in der Vergeltung ihr Heil finden; jedoch gewinnt ihre Rache auch keine hysterischen Züge, wie dies – so das Lexikon der Filmbegriffe zum Thema Rache – bei weiblichen Rachefiguren oft geschehe. Katjas finale Tat ist ein Schlusspunkt, ohne Pathos, ohne Propaganda. Es ist keine Lösung, es ist einfach nur ein – nein das – Ende: unumstößlich und bitter.

In einigen Momenten gerät Aus dem Nichts hingegen etwas zu plakativ – insbesondere im Mittelteil, welcher als Gerichtsfilm in Szene gesetzt wird. Der von Johannes Krisch verkörperte Verteidiger des Neonazi-Paares, welcher Zweifel an der Schuld der beiden zu säen versucht, indem er Katja diskreditiert, ist in seinem Zynismus eine allzu diabolisch daherkommende Figur. Ebenfalls problematisch ist eine Passage im ersten Drittel der Handlung, in welcher der Suizidversuch von Katja in einer audiovisuellen Art und Weise in Szene gesetzt wird, die zu sehr in Richtung einer ästhetischen Überwältigung geht.

Am interessantesten – auch in Bezug auf Aus dem Nichts – ist die dritte Seduktionsebene: die Ebene der subtilen Verführung. Es sei das Ziel der Seduktion, die Zuschauer_innen gegen ihre vermeintlich gefestigte Position vom vertrauen Weg abzubringen. Dies könne auf performativem Wege geschehen (etwa durch Bewegung, Körper- und Sinnlichkeit), auf narrativem Wege oder auf ethischem Wege, indem das Publikum einem Ambivalenz-Erlebnis ausgesetzt werde. Die subtile Verführung gelingt Akin vor allem durch die bewusst subjektive Perspektive. Die Kamera von Rainer Klausmann ist immer ganz nah bei Katja, zeigt sie zu Beginn als selbstbewusst-gewitzte Frau, später als tief Trauernde, die ihren Schmerz mit Drogen betäubt, aber doch immer ihre Würde bewahrt – da sie weiß, dass sie kämpfen muss. Akin und Kruger liefern uns keine übertrieben-sentimentale Vorstellung, sondern einen rohen, rundum glaubwürdigen Trauerprozess.

Die Nähe zu dieser Figur verführt uns zu einer vollumfänglichen Solidarität. Wenn Katja im dritten Akt zu einer erstaunlich ruhigen Rächerin wird, ist uns eine Abkehr von ihr und ihrem hochambivalenten Handeln gar nicht mehr möglich. Für ihn stehe der Film in der Tradition von Robert Bresson, sagt Akin: Man bleibe bei einer Figur und bei einer Perspektive; seine Sympathie liege bei der Protagonistin – nur deren Gefühlswelt sei von Bedeutung. Die Stimme der Vernunft, von Katjas Anwalt Danilo Fava (Denis Moschitto), ist kaum noch zu vernehmen; alles verengt sich auf Katjas Empfinden – und wir folgen ihr.

Die Zeichnung der Hauptfigur ist dabei überaus bemerkenswert. Gewiss ist das Medium Film (nach Michael Haneke, in Abwandlung einer Aussage von Jean-Luc Godard) 24-mal pro Sekunde eine Lüge – und gewiss ist der Akt der Verführung, den das Medium vollzieht, eine Manipulation unseres Denkens und Fühlens. Doch durch die Art und Weise, wie Akin und Kruger uns Katja zeigen, fühlen wir uns zumindest nicht manipuliert – da Katja nie um (unsere) Sympathien buhlt, wie die leidenden, oft selbstlosen und aufopferungsvollen Held_innen in Melodramen es häufig tun. So stößt sie etwa ihre hilfsbereite beste Freundin Birgit (Samia Muriel Chancrin) von sich weg – nicht zuletzt weil diese schwanger und somit in Erwartung eines Daseins ist, das sie selbst gerade verloren hat. Auch Katjas Vergangenheit und die Entstehung der Beziehung zu Nuri werden nicht romantisiert; die beiden lernten sich kennen, als Nuri Katja Drogen verkaufte – später brach Katja ihr Studium ab. Die Protagonistin, die das Drehbuch entwirft und die von der Regie sowie der schauspielerischen Interpretation zum Leben erweckt wird, ist nicht bigger than life; sie fühlt sich echt an, mit allen Fehlern, allen Schwächen, die echte Menschen haben.

Bild aus "Aus dem Nichts"
Bild aus Aus dem Nichts; Copyright: Warner Bros. Pictures Germany

 

Aus dem Nichts nutzt Genre-Elemente, setzt auf wirkmächtige Farben und Klänge, auf ein überraschendes Casting und gelegentlich auf plakative Nebenfiguren und inszenatorische Mittel. Im Kern geht es Akin aber um radikale, konsequente Nähe zu seiner vielschichtig-realistisch gezeichneten Protagonistin – die dazu führt, dass wir bis zum Schluss hinter ihr, neben ihr, zu ihr stehen, so sehr wir uns dabei auch über uns selbst wundern.

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