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Tränen im Neonlicht

Ein Beitrag von Patrick Holzapfel

Meinungen
Blade Runner

Das Eisenhüttenkombinat J.W. Stalin ist mit großer Sicherheit nicht die erste Assoziation, die man zu Ridley Scotts SciFi-Klassiker Blade Runner und dessen diese Woche startenden Fortsetzung Blade Runner 2049 hat. Dennoch gibt es einen verbindenden Aspekt. Er findet sich im Neonlicht, das Film und Gebäude beleuchtet(e). Eisenhüttenstadt und Los Angeles. Beide erleuchtet vom utopischen Sog neuer Götter der Produktion. Der kommunistische Himmel der DDR getaucht in Neonfarben, die den sauren Regen des gestorbenen Hollywood-Babylons im November 2019 beleuchten oder wie es der amerikanische Filmemacher Thom Andersen in seinem Essayfilm Los Angeles Plays Itself formulierte: „Neon beyond our wildest dreams.“ Vielleicht ein Fingerzeig, vielleicht ein bedeutungsloser Zufall.

Dabei darf man nicht vergessen, dass die amerikanischen „neonlights“ etwas anderes sind, als die deutschen „Neonlichter“. Strenggenommen hat sich im Sprachgebrauch etabliert, dass Neon (griechisch: „neu“) mehr ist als Neon. So werden häufig auch mit Quecksilberdampf hergestellte Leuchtstofflampen als Neonlichter beschrieben. Es sei darauf hingewiesen, dass der Begriff in diesem Text nicht immer ganz präzise verwendet wird, ganz einfach, weil Neon inzwischen mehr ist als nur ein Licht. Es ist ein historischer Teil städtischer und popkultureller Ästhetik, Politik und Kunst.

Es ist klar und folgerichtig, dass auch das Kino im Neon schwimmt. Immer schon wurde mit Neonlicht experimentiert. Zu einer dominanten Kinoästhetik wurde das Licht aber erst in den vergangenen Jahren mit Filmemachern wie Nicolas Winding Refn, Gaspar Noé oder auch Wong Kar-wai. Als die Coen-Brüder an ihrem Debütfilm Blood Simple arbeiteten, wollten sie zusammen mit Kameramann Barry Sonnenfeld einen Chiaroscuro-Effekt herstellen, der zwar an Carol Reeds The Third Man erinnern, aber eben mit Farbe erzielt werden sollte. Ihre Lösung war ein von Jeffrey Adams so benannter Neon-Chiaroscuro: Dabei wurden farbige Neonlichter vor dunklem Hintergrund eingesetzt, was einen hohen visuellen Kontrast ermöglicht, der tatsächlich an schwarz-weiße Filme erinnert. Ein perfektes Beispiel für dieses Stilmittel findet sich in einer Bar im Film, die passenderweise den Titel „Neon Boots“ trägt. Adams schreibt in Anlehnung an den Begriff des Neo-Noir von einem Neon-Noire. Eine wundervoll beleuchtete Szene, die mit diesem Stilmittel operiert und sie zum Teil virtuos variiert, findet sich in Skyfall, bei dem Roger Deakins (der auch häufig mit den Coen-Brüdern arbeitet) die Kamera führte. Eine nächtliche Verfolgung endet auf dem verglasten Dach eines Gebäudes in Shanghai. Dort stellt James Bond einen Auftragsmörder auf frischer Tat. Statt einen neonfarbenen Vordergrund gegen einen dunklen Hintergrund zu setzen, blinken hier die von den Glasfassaden gebrochenen Neonlichter im Hintergrund, während sich im Vordergrund die nur schemenhaft beleuchteten Schatten der Protagonisten bewegen.


(Bild aus Blood Simple; Copyright: MGM)

Man kann darüber diskutieren, ob die Lichtfarbe, die allgemein als kalt und anonym angesehen wird, besonders gut mit der digitalen Ästhetik harmoniert oder ob die Veränderung unserer Wahrnehmung des Lichts von einem futuristischen Versprechen hin zum Retro-Chic mit der häufigen Verwendung von Neonlicht im zeitgenössischen Kino zusammenhängt. Es scheint ein langer Weg von den verheißungsvollen Leuchtreklamen einer möglichen Stadt der Zukunft in Tokyo Drifter von Seijun Suzuki aus dem Jahr 1966 hin zu den beinahe traurigen, verschwommenen Lichtern in Blade Runner aus dem Jahr 1982. Es ist jedoch klar: In beiden Fällen erzählt uns die Stadt etwas durch ihr Neon. Das Licht ist ein Mittel der städtischen Repräsentation, der so nah am Kino gebauten Bildwerdung der Stadt, die den französischen Philosophen Jean Baudrillard interessierte. Man denkt dabei automatisch an Las Vegas, die Stadt, die auch in der Filmgeschichte Fokus zahlloser Montagen ist, die sich an den leuchtenden und blinkenden Lichter nicht satt sehen können. Dabei fällt auf, dass Neon immer etwas verspricht, immer auf ein anderes hinausweist. Etwas zugespitzt könnte man tatsächlich eine spirituelle Kategorie im Neonlicht festmachen. Nicht umsonst heißt das Debüt von Tsai Ming-liang Rebels of the Neon God und eines der einflussreichsten Alben dieses Jahrhunderts wie ein gleichnamiger Roman Neon Bible. Aber gerade im Neon-Exzess lässt das Kino auch eine Kritik zu. Wenn alles blinkt auf der Leinwand, wird den Augen das zu viel.

Ist Neon nun kalt oder warm? Eigentlich einigen sich die meisten Filmemacher auf eine gewisse Kühle, deren dämonischer Herrscher dieser Tage wohl Nicolas Winding Refn ist. In seinen durchstilisierten Filmen vollzog sich durch die Jahre ein immer größeres Bemühen um eine Entleerung von Bild und Inhalt. Dabei setzt er auf monochrome Neonlichtstimmungen, die exakt das Gegenteil dessen bewirken, was Ingmar Bergman und Sven Nykvist in ihrem roten Licht in Schreie und Flüstern fanden, nämlich Bilder, die aus dem Innenleben der Protagonisten erzählen. Bei Refn ist das Licht dagegen eine Hülle, die wie ein Kokon um die Figuren liegt und diese beständig isoliert. Geglättet und gedämpft wirkt dieser Neonrausch, der eine gewisse Verwandtschaft mit jenem von Gaspar Noé hat. Letzterer hat sich mit Enter the Void die Frechheit erlaubt, einen techno-faschistischen LSD-Trip zu träumen, in dem eine vor Neonsignalen überbohrende Welt irgendwas mit dem Leben nach dem Tod und Sex zu tun haben will. Für Noé ist Neon nur mehr eine urbane Ikone, völlig aus der Zeit gefallen, mehr ein Sinnbild als ein Bild, das Sinn macht. Neon, das merkt man an diesen Filmemachern, ist auch ein Klischee für Coolness, indem die Oberflächen vereinheitlicht werden, alles wie durch eine farbige Sonnenbrille betrachtet wirkt und gleich der Reklametafeln, die am empfänglichsten für die Entdeckung von Neon waren, intensive Verlockung behauptet.


(Trailer zu Enter the Void)

Es braucht einen Filmemacher wie Apichatpong Weerasethakul um andere Geschichten mit Neon zu erzählen. Etwa die warme, leicht entrückte Hypnose, die vom Spiel der Neonröhren in Cemetery of Splendour ausgeht. Das Neonlicht im Film wird eingesetzt um Träumer zu beruhigen. An Dan Flavin erinnernde Lichtsäulen stehen neben den Betten. Man hört ein flackerndes Surren, verliert sich im Wechselspiel der Farben und plötzlich merkt man, dass man träumt. Was für die Figuren im Film funktioniert, arbeitet auch am Zuseher. Das Licht wird betrachtet wie ein Gleichmacher, in dessen Antlitz man vergisst oder aber es öffnen sich – Noé würde hier zustimmen – Pforten der Wahrnehmung. Damit ist dieses Neon bei Weerasethakul beinahe das Gegenteil von den Sonnenbrillen in John Carpenters They Live. Zwar geht es Weerasethakul in seinem Film nicht um Konsum, aber die Hypnose, die auch ein Wegsehen vor den Gegebenheiten ist, passt wie die Faust aufs Auge zur Geschichte des Neonlichts. Denn die Leuchtreklamen, die immer zugleich verkaufen und Spektakel für die Augen bieten, erfüllen nicht nur in Blade Runner einen pervertierten städteplanerischen Traum. Die Stadt als vor Neon triefender Werbespot für sich selbst. Alles verleitet immer wieder zum nächsten Kauf, zur nächsten Verführung, über allen Türen lockt ein „Silencio“ hinein in eine Nacht, die sich über künstliches Licht erzählt. Die einzige Frage ist, ob noch wer da ist, um all das wahrzunehmen. Und wenn nicht? Es sei jedoch angefügt, dass Christoph Ribbat in seinem Buch „Flackernde Moderne. Die Geschichte des Neonlichts“ zurecht betont, dass die Herstellung von Neonlicht eine sehr handwerkliche, konkrete und nicht ganz in die Modernismuskritik passende Arbeit ist.

Inzwischen ist Neon sowieso weniger als Neon. Eigentlich – und da sind wir wieder bei Blade Runner – ist Neon das perfekte Licht, um die Zukunft aus der Vergangenheit zu betrachten beziehungsweise um zurück in die Zukunft zu blicken. Denn Neonlichter wirken heute nicht nur im Kino wie eine Erinnerung an das, was die Zukunft einst war. Sie werden kaum mehr eingesetzt, wirken fast wie Relikte aus einer Zeit, die nie gekommen ist. Der oft für Blade Runner verwendete Begriff des „Future Noir“ passt in dieses Muster. Es ist die Wiederbelebung eines Genres in der Zukunft. Man denke an die zahlreichen von Türeingängen herunterbaumelnden Neonschilder des Kinos, den defekten Buchstaben in Leuchtreklamen und man spürt wie schnell sich die Zukunft in ihre eigene Melancholie verwandeln kann. In diesem Sinn setzt das Hollywoodkino derzeit zu einer Neonrevolution an und kramt nur mehr alte Lichter aus der Schublade. Lichter, die einst in die Zukunft wiesen und heute nur mehr von Katastrophen erzählen, die diese Zukunft verhinderten. Das Neue im Neon ist alt geworden.

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