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Sequelitis und Mutlosigkeit: Der deutsche Kinderfilm 2017

Ein Beitrag von Rochus Wolff

Das Jahresende naht, Zeit für einen Rückblick: Wie waren sie, die deutschen Kinderfilme? Von Til Schweiger bis Andreas Dresen war alles dabei, gute Filme garantiert das allerdings nicht.

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Wenn Sie einmal am eigenen Leibe erfahren möchten, warum Til Schweiger als schlechter Regisseur gilt, sehen Sie sich Conni & Co 2 – Das Geheimnis des T-Rex an. Der Handlungsort – friedliche deutsche Kleinstadt inmitten von Wald an einem naturbelassenen See – wird mit Luftaufnahmen eingeführt, bei denen man meint, im Hintergrund die Melodie der Krombacher-Werbung zu hören, und von da an geht es im Grunde nur bergab.


(Bild aus Conni & Co 2 – Das Geheimnis des T-Rex; Copyright: Warner Bros. Entertainment)

Keine inszenatorische Entscheidung setzt sich vom Gewöhnlichen ab, alle Scherze und Konflikte sind nicht nur schon abgekaut wie Hundespielzeug, sondern werden auch mit großem Ernst durchgezogen; die Erwachsenen benehmen sich dabei, wie im anspruchslosen Kinderfilm üblich, nicht einmal desinteressiert, sondern vor allem dämlich. Dass Hauptfigur Conni und Co. im Wald einfach so einen riesigen Dinosaurierknochen finden (der Rest liegt zehn Meter tiefer und ganz anderswo in einer Höhle), ist nur der offensichtlichste Hinweis darauf, dass sich niemand selbst für das Drehbuch ernsthafte Gedanken machen wollte. Und schließlich die Musik: Fahrstuhlgedudel der erbärmlichsten Sorte, die immer genau jene Emotion noch unterstützen soll, die Bilder und Gesprochenes sowieso schon mit Gewalt zu evozieren versuchen. Mit einem Wort: Der Film ist sogar noch schlechter als sein Vorgänger Conni & Co.

Da ich mir nun Til Schweigers Machwerk von der Seele geschrieben habe, kann es um das eigentliche Thema dieses Textes gehen: den deutschen Kinderfilm 2017. Und man könnte, mit Blick auf Schweigers Arbeit, dann einigermaßen erleichtert sagen: Na, Gott sei Dank, es war dann doch nicht alles so schlimm wie dieser Film. Natürlich ist das einerseits richtig, andererseits beleuchtet Conni & Co 2 schon einige der Probleme, die man im Kinderfilm hierzulande (und nicht nur dort, aber das ist eine andere Geschichte) immer wieder beobachten kann.


(Trailer zu Conni & Co 2)

Die Sequelitis etwa, die krankhafte, entzündliche Entstehung von Fortsetzungen, kennt man im Grund vor allem von Action-Blockbustern, Horrorfilmen und aus dem Kinderkino. Das Jahr brachte uns Burg Schreckenstein 2, Ritter Rost 2, Ostwind 3 sowie Bibi & Tina: Tohuwabohu Total und Hanni & Nanni – Mehr als beste Freunde, bei denen man sicherheitshalber auf eine Zahl am Ende verzichtete, weil sich das jeweils eh schon wie Folge 76 anfühlte.

Alle diese Filme stehen zugleich für das Phänomen der Literaturverfilmungen, das an Action-Blockbustern meistens vorübergeht. Was auch immer in Buchläden gut gelaufen ist, funktioniert vermutlich auch auf der Leinwand … denken sich ungefähr alle Produzent_innen. Und so beruht im ablaufenden Jahr nur ein Drittel der deutschen Kinderfilme mit Kinostart nicht auf einem erfolgreichen Buch. Beziehungsweise meist auf einer Buchreihe, wegen möglicher Sequelitis.

Daran müsste nicht zwingend etwas verkehrt sein. Einer der wirklich herausragenden deutschen Filme der vergangenen Jahre war Rico, Oskar und die Tieferschatten nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Andreas Steinhöfel – das ist aber auch ein Buch, das sowohl stilistisch wie inhaltlich mit beiden Beinen in der Gegenwart steht. Die Filmstarts der vergangenen zwölf bis vierzehn Monate sprechen allerdings eher für eine Nostalgiewelle, die ihre Ursache sicher nicht allein in den Lesegewohnheiten der Kinder hat.

Seit Dezember 2016 sind Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt, Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen und Die Häschenschule ins Kino gekommen – die ersten zwei Filme basieren auf Büchern aus den 1960er Jahren (sind also etwa gleichzeitig mit den deutschen Ausgaben der Hanni & Nanni-Romane sowie den meisten Bändern der Reihe Burg Schreckenstein erschienen), das Hasenbilderbuch von Fritz Koch-Gotha und Albert Sixtus stammt sogar aus dem Jahre 1924.


(Trailer zu Die Häschenschule)

Nun kann man argumentieren, dass die Internats-Filme ihre Settings wenigstens einigermaßen erfolgreich in die Gegenwart transferieren, beim Fliewatüüt und der Häschenschule fahren diese Versuche allerdings mit Schmackes gegen die Wand. In ihrem Versuch, möglichst cool und zeitgemäß zu sein, geraten Drehbuch und Inszenierung so pseudo-modern und anbiedernd jugendlich, dass man sich vor Fremdscham im Sessel krümmen muss; zugleich bleiben die Moralvorstellungen der Buchvorlagen schon mal gerne in Handlung und Dialogen hängen, da reibt sich die Gegenwart doch schwer an den Werten der 1920er.

Dass so viele Produktionen auf der Basis bekannter, althergebrachter Vorlagen entstehen, hat natürlich etwas mit Einfallslosigkeit zu tun, vor allem aber mit fehlendem Mut. Der findet sich dann auch in den Inszenierungen wieder; meistens, glücklicherweise, nicht so strunzflach wie bei Conni & Co, aber sehr desinteressiert und wenig aufregend wirkt es praktisch immer. (Nur nicht im Animationsfilm, da wird dann gerne hektische Action inszeniert, weil irgendein Produzent mal gehört hat, das käme bei Kindern gut an.)

Es sollte uns zu denken geben, dass der visuell auffälligste (wenn auch noch nicht wagemutigste) Kinderfilm des Jahres wirklich Bibi & Tina: Tohuwabohu Total war; und dass ausgerechnet Andreas Dresen mit Timm Thaler den politisch relevantesten machen konnte – indem er die Handlung wieder zurück in die 1920er Jahre verlegte und dann noch eine dicke Schicht Gegenwartsbezug einwebte. Nota bene: Das macht aus Krüss’ Geschichte jetzt immer noch kein revolutionäres Manifest für das 21. Jahrhundert, zumal die politische Unterfütterung dann doch relativ dünn bleibt; aber wenigstens öffnet Dresen den Blick über Grenzen und Mikrokontexte hinaus, während z.B. Detlev Bucks Pferde- und Hexenabenteuer das Thema Migration im Jahr 2017 durch freundliche Gespräche und ein wenig Hex Hex lösen will. Das ist zwar vielleicht niedlich, aber eben auch sehr, sehr unpolitisch – und verzichtet darauf, auch nur einen Gedanken mal auf ein Unwohlsein folgen zu lassen.

Es ist im Grunde bestürzend, dass ein Film wie Amelie rennt, der nicht primär durch sensationelle Vielschichtigkeit auffällt, gleichwohl der emotional komplexeste und teilweise auch ehrlichste Kinderfilm dieses Kinojahres ist. Schon diese einfache Anforderung ist offenbar für die meisten Filme zu viel verlangt – dass Politisches formuliert, verhandelt wird (und zwar nicht in Form simpler Bekenntnisse, sondern als Handlung, Konflikt und Thema), darauf muss man anscheinend gar nicht erst warten.


(Trailer zu Amelie rennt)

Origineller wird’s auch 2018 übrigens nicht unbedingt. Uns erwarten allein in den ersten drei Monaten Wendy 2, Die Biene Maja 2, schon wieder Fünf Freunde, Jim Knopf und Die kleine Hexe. Das spricht nicht für Mut, nicht für Haltung und nicht für Konfliktfreude. Stattdessen drohen Fortsetzungen ohne Ende.

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