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Seitenwege großer Kinomeister: David Cronenberg – Leiter der Albtraumfabrik

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

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Wenn nach dem idealen Regisseur für Produktwerbung gefragt würde, David Cronenberg wäre sicher unter jenen zu finden, an die man zuletzt denkt. Der kanadische Filmemacher steht für Horror und Gewalt, für oft groteske, stark sexualisierte und überaus kontroverse Filme. Diese haben zwar sowohl im Arthouse-, als auch im Trash- und Gore-Publikum ihre Fans, lassen sich jedoch nur schwer mit der heilen Welt der Waren verbinden.

In seinem neusten Film Maps to the Stars, der in dieser Woche in den deutschen Kinos startet, setzt er sich kritisch mit der Unterhaltungsindustrie und der westlichen Zivilisation in ihrer Gesamtheit auseinander. Wie passt das zusammen mit Werbespots für Sneaker oder Schokoriegel?

Cronenberg bewegte sich schon immer in der schmalen Nische zwischen Hoch- und Popkultur. Als Literaturstudent wollte er zunächst Autor werden, seine Vorbilder waren Literaten wie William S. Burroughs und Vladimir Nabokov. Allerdings lag ihm das Schreiben nicht, er selbst beschreibt seine literarischen Versuche als „fruchtlos“. Als er den Kurzfilm eines Kommilitonen sah, fasste er den Entschluss, selbst Filmemacher zu werden. Auch wenn er viele andere Filmemacher bewundert, als Hauptinspiration benennt er immer wieder vor allem Beat-Autoren und Existenzphilosophen.

Seine Werke handeln jedoch nicht nur von Ideen, sondern stets auch von Objekten. Sie werden in seinen Filmen lebendig, die Grenzen zwischen Ding und Mensch verschwinden. Wo andere darin lediglich eine Metapher sehen würden, lässt Cronenberg diesen Subtext (filmische) Realität werden. Videodrome, eXistenZ oder Naked Lunch sind bekannt für ihre handgemachten, biomorph-organischen Effekte voller Schleim und Sekret. Konsumprodukte wie eine Spielekonsole, eine Schreibmaschine oder Fernseher und Videorekorder sind hier zugleich auch gefährliche Monster und drohen den Menschen zu verschlingen, in sich einzuverleiben.

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Werbespot Transformations für den Nike Air 180 (1990)

In Transformations von 1990 (Teil einer fünfteiligen Werbereihe von verschiedenen Regisseuren, entwickelt von Industrial Light & Magic) nimmt uns der Filmemacher mit in eine außerirdische Welt. Die Reihen von Eiern, durch die eine vermummte Gestalt stakst, erinnern stark an die aus Ridley Scott und James Camerons Alien-Reihe. Doch als sich einer der Kokons öffnet, findet sich darin Wesen aus einer anderen Welt, sondern lediglich den Nike Air 180.

Was den findigen Menschen aus der Werbeabteilung aufgefallen sein musste, war Cronenbergs Fähigkeit, das Neue, das Geheimnisvolle und das Unbekannte darzustellen. Auf einer rein rationalen Ebene ist jedem Menschen bewusst, das der Nike Air 180 nicht weiter ist als ein Turnschuh. Kein Mensch wird sein Leben durch einen zusammengenähten Klumpen aus PVC, Gummi, Plastik und Stoff wirklich bereichert sehen, und er unterscheidet sich auch kaum von anderen, ähnlich geformten Fußklumpen. Wie rechtfertigt Nike nun aber die absurden Preise im dreistelligen Dollarbereich? Wie macht man einen einfachen Schuh zu Statussymbol?

Die Antwort ist: Mit einem Mythos. Mit einer Aura des Besonderen, vor allem des Neuen. In den neunziger Jahren war die Welt der Werbung schon längst nicht mehr heil. War in den 1950ern noch der American Dream und das makellose Leben in der Vorstadt mit einer glücklich lächelnden Kernfamilie und klassischen Rollenbildern das Leitbild des Konsums, entdeckte die Werbebranche in späteren Jahren zunehmend neue Wege, die Käuferschaft anzusprechen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen psychologische Forschung und Werbung neue Allianzen ein, die Botschaften wurden zunächst subtiler, dann drastisch offensiver.

Die 1980er und 1990er Jahre waren die Ära des Schocks; die Werbung wollte die Aufmerksamkeit der Massen — und zwar um jeden Preis. Gerade in umkämpften Märkten, in denen es schwer fiel, sich mit tatsächlichen Produkteigenschaften von der Konkurrenz abzuheben, wurde die Werbung zunehmend extremer. Das Internet ist heute voll mit Werbespots, die nie öffentlich ausgestrahlt wurden, endlose Kompilationen, Artikel und Bücher tragen Zeuge der hitzigen Gefecht zwischen Sittenwächtern und Konzernen, die bis in die Gegenwart anhalten. 

Nike stand also in der Mitte einer Werbelandschaft, die das Publikum permanent zu schockieren versuchte. Wer wäre besser geeignet, selbst aus einem solchen Umfeld noch deutlich hervorzustechen, als David Cronenberg. Wer hätte eher das Prädikat „mindblowing“ verdient als der Filmemacher, der in Scanners — Ihre Gedanken können töten spektakulär Köpfe hatte platzen lassen. Kaum ein Regisseur hatte so viele Probleme mit Zensoren in aller Welt. Gegen Crash (1996), einen Film über durch Verkehrsunfälle sexuell erregte Paare, wurde in Großbritannien sogar trotz ursprünglicher Zulassung zunächst ein Aufführungsverbot ausgesprochen. Bis heute sind viele DVD-Versionen nur gekürzt erhältlich. Man sah in Cronenberg also etwas wie einen Bruder im Geiste, jemanden, der die selben Schlachten schlagen musste. Doch war dem wirklich so?

Sicher ist, dass die Darstellung von Gewalt und Sexualität für Cronenberg immer auch Mittel zum Zweck war. Ob es ihm bewusst war oder er diese Erzählweise einfach schon internalisiert hatte, sie waren in jedem Fall eines der wichtigsten Mittel für ihn, tatsächlich ein Publikum in die Kinos, vor allem aber in die Videotheken und Elektronikmärkte zu ziehen. Denn auch wer Videodromes Botschaft über die menschliche Abhängigkeit von Technologie, mediale Gewalt, Transhumanismus und Existenzphilosophie gleichgültig gegenübersteht, kann sich an den Effekten und den zelebrierten Transgressionen erfreuen.

Wirklich Grenzen überschritten haben seine Werbespots jedoch nie. Dennoch sind sie durch und durch das Werk eines Auteurs, dessen klare und deutliche Handschrift zu erkennen ist.

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Werbespot Bistro für Caramilk (Cradbury)

Auch in dem Spot Bistro für den Caramilk-Schokoriegel von Cadbury geht es darum, ein Mysterium darzustellen. Tatsächlich heißt es sogar im Spot selber: „Still one of life’s sweetest mysteries?“ In nur dreißig Sekunden schafft Cronenberg nur schwer zu erklärende Traumwelten, löst diese auf, nur um den Zuschauer dann erneut zu verwirren. Genau wie Naked Lunch oder vor allem in eXistenZ (der klügeren Version von dem im gleichen Jahr erschienen Matrix) ist schon bald nicht mehr zu erkennen, was überhaupt real ist.In dem Clip geht es um einen reiche Lebemann, eine vom Film Noir entliehene Femme Fatale und das Geheimnis von Cradbury-Schokolade. Zuerst scheint der Mann das Geheimnis der Schokolade bekannt zu geben, nur um dann zu erwachen. Dabei wirft er ein Schachspiel um, genau wie er unser bisheriges Konstrukt der Werbefilm-Welt umwirft. Am Ende bleibt nur das Gefühl, das Cradbury-Schokolade fremdartig und vage erotisch ist. Vielleicht ist natürlich auch das nur Illusion.

Die ambivalente Beziehung Cronenbergs zur Technologie, die der Regisseur in seinen Filmen häufig zur Schau stellt, ist auch in seiner Clipreihe über die Wichtigkeit des Energiesparens deutlich zu spüren. Es handelte sich um eine Auftragsarbeit für Wasserkraftwerke in Ontario.

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Werbespot Cleaners für Ontario Hydro

In Cleaners (einem von vier Spots) etwa sehen wir einen älteren Hausmeister, der seinen jungen Kollegen ermahnt, auch ja das Licht auszuschalten. „Denkst du, das ist Magie oder so was? Denkst du, Elektrizität ist da einfach in den Wänden?“

In solchen Momenten wird klar, dass Cronenberg selbst in der Werbung nicht von seinen Ideen und Botschaften lassen kann. So wie er in seinen Spielfilmen mit den Erwartungen seiner Zuschauer bricht, ist er sich auch der Unterordnung der Subversion im neuen Kapitalismus bewusst. Wo seine Werke zwar kritisch gedacht sind, trotzdem aber auch Eigenschaften eines Produkts haben, muss es doch möglich sein, Werbung für ein Produkt kritisch zu gestalten. So oder so ähnlich muss der Gedankengang gewesen sein. Ob er mit diesem Versuch erfolgreich gewesen ist, liegt im Auge des Betrachters.

Sicher ist nur, dass seine Filme weiterhin wirklich erstaunlich sind, im gleichen Maße anziehend und abstoßend, faszinierend und irritierend. Nach dem von Kritik und Publikum gemischt bis negativ aufgenommenen Robert Pattinson-Vehikel Cosmopolis kann Maps to the Stars durchaus als eine Rückkehr zu seiner gewohnt starken Form wahrgenommen werden, eine Abrechnung mit dem „Moloch Hollywood“, in dem er wohl auf ewig nur ein Außenseiter bleiben wird. Aber von dieser Rolle lebt er, diese Rolle spielt er wie kein Anderer. David Cronenberg als das Gewissen Hollywoods zu bezeichnen, das wäre falsch. Er ist vielmehr das Unterbewusstsein, in dem alle die perversen, düsteren und gierigen Ideen, Sehnsüchte und Träume verborgen liegen. Hollywood darf die Traumfabrik bleiben, Cronenberg produziert in seiner Albtraumfabrik weiter Abgründiges.

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