zurück zur Übersicht
Features

Queer Eisenstein

Ein Beitrag von Patrick Holzapfel

Mehr und mehr ist in den vergangenen Jahren die Homosexualität von Sergei Eisenstein thematisiert worden. Macht sie sich auch in seinen propagandistischen Filmen bemerkbar und kann daraus ein neuer Blick auf sein Kino entstehen?

Meinungen
Sergej Eisenstein thront
Sergej Eisenstein thront

Irgendwann wird man mit dem Kino von Sergei Eisenstein konfrontiert. Er ist einer der bedeutendsten Arbeiter dieser Kunstform. Man wird über und durch ihn von der Montage und ihrem Potenzial erfahren.

„In eine Reihe von Einstellungen, die Mapplethorpe antizipieren, verharrt die Kamera auf den rohen, hervorragend gebauten Männern. Dann erscheint der Anführer der Revolte, Vakulinchuk, auch er ist ohne wirklichen Grund nackt bis zur Taille und lässt seinen breiten Oberkörper aufblitzen, während er den Beginn der Aktion einfordert. Später im Film erreicht die Revolte der Matrosen das, was Eisenstein eine kollektive Ekstase nannte. Im großen Augenblick, wenn die Kanonen sich aufrichten, um zu feuern, kann man leicht ein visuelles Ballet aus langsamen und pulsierenden Errektionen erkennen.“ (der große Kameramann Néstor Almendros über Panzerkreuzer Potemkin)

„Rottet die Homosexuellen aus und der Faschismus ist verschwunden!“ (Maxim Gorky)

Bis heute gibt es kaum Filmemacher, die derart präzise und doch lebendig Bilder verbinden und vor allem trennen können. Man lernt vom Effekt des Kinos im Zuseher, vom Rhythmus in den Bildern, dem intellektuellen Geist der Kamera und dem utopisch-revolutionären Drang des Filmemachens. Wie eine Standardgrammatik werden dabei die immer gleichen Szenen wiederholt, bis hinein ins Unerträgliche tausendfacher Zitate, etwa die Treppensequenz von Odessa aus Panzerkreuzer Potemkin oder der Milchschleuderorgasmus aus Die Generallinie.

 

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Auch wenn letztere Sequenz durchaus in die entsprechende Richtung verweist, wurde jahrelang die nicht immer subtile homoerotische Ästhetik des mal weniger (in seinem Leben in der Sowjetunion) und mal mehr (bei seinen Reisen nach Berlin, die USA und nach Mexiko) offen homosexuellen Eisenstein im Schatten gehalten. Das hat nicht nur mit sowjetischen/russischen Ressentiments gegen dieses „demografische Problem“ (Vladimir Putin) zu tun, sondern auch mit einer Frage, die sich die Filmtheorie stellen muss: Gibt es eine Hierarchie dessen, was betrachtungswürdig an einem Film ist? Und wer oder was legt diese Hierarchie fest? Ist ein Element, im Fall von Eisenstein etwa die sozialistische Propaganda oder der Marxismus, von einem anderen, etwa den heimlich unterdrückten Leidenschaften des Filmemachers, zu trennen?

 

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

 

Es ist ambivalent, wenn man in Filmen nach Spuren von homoerotisch aufgeladenen Momenten sucht. Zum einen ist klar, dass man unter diesen Gesichtspunkten – wenn man will – überall fündig werden kann, zum anderen erschließt sich daraus nicht immer ein Mehrwert. Doch im Fall von Eisenstein ist diese Spurensuche aus zweierlei Gründen sinnvoll. Zum einen gibt es eine riesige Fülle an Sammlungen und Beständen, die jenseits des filmischen Korpus immer mehr vom Leben des Filmpioniers offenbaren und somit einen Dialog eröffnen, der auch vom Leben eines Künstlers in einem System erzählt, das ihm nur so lange huldigt, wie er nach dessen Regeln spielt. Zum anderen eröffnet sich gerade im Fall des sowjetischen Vorzeigeregisseurs eine ganz andere Frage, die sich auf das gesamte Kino unter Stalin ausweiten ließe: Ist es gerecht, dieses Kino immer mit Propaganda zu umschreiben und sogar wegzuwischen oder wäre es spannend, sich auch auf das Menschliche zwischen den Zeilen zu stürzen, die Frage nach dem, was vom Leben in der Sowjetunion jenseits staatlicher Vorgaben erzählt wird in diesen Filmen?

Eisensteins Kino ist immer eines der Stereotype gewesen. Der individuelle Mensch tritt zurück hinter die Idee eines Menschen. Eigentlich vergleichbar mit den großen Jahren Hollywoods, gibt es beinahe immer narrativ perfekt besetzte Gesichter, die ihre ganze Geschichte in ihrer Erscheinung tragen: der Arbeiter, der Soldat, der Gute und der Böse. Das hängt allerdings nicht an einem Desinteresse am Schauspiel, wie es beispielsweise ein anderer Manipulator des Kinos, Alfred Hitchcock, vor sich hergetragen hat, sondern ganz im Gegenteil an einem gesteigerten Interesse. Die Idee zur Montage der Attraktionen sei Eisenstein laut Biograf Ronald Bergan gekommen, als er die Gesten eines Schauspielers im Avantgarde-Theater von Meyerhold beobachtete. Er hätte die Bedeutung von Ausdruckskraft verstanden und habe sie ins Kino übersetzen wollen. Das, was man als Montage der Attraktionen versteht, lässt sich letztlich auf ein anvisiertes Einwirken im Zuseher reduzieren. Bilder, die gleich Explosionen in die Sinne der Zuseher dringen. Es ist passend, dass Eisenstein darüber sinnierte, Feuerwerkskörper unter den Kinositzen zu platzieren, um größere Schockeffekte zu erzielen.

Diese Effekthascherei auf dem allerhöchsten Niveau hängt bei Eisenstein oft an beinahe fetischisierenden Bildern des Leidens. Geschundene, gequälte und zerquetschte Körper. Immer wieder zerreißen seine männlichen Helden ihre Hemden, zum Beispiel in Iwan der Schreckliche oder Panzerkreuzer Potemkin. Eisenstein äußerte, dass ihn diese Leidensstilisierungen faszinierten. Es ist kein Zufall, dass Kenneth Anger, eine Ikone des Fetischs im amerikanischen Experimentalkino, in seinem orgastischen Debüt Fireworks direkt Bezug auf Eisensteins Matrosen in Potemkin nimmt. Die nackten Oberkörper in der nur spärlich beleuchteten Schlafkabine. In Hängematten vor der Revolution. Doch wohin führen diese Bilder einer ausgestellten Männlichkeit? In erster Linie vermitteln sie ein Gefühl von Urkraft und Masse, etwas, das einmal in Bewegung versetzt, unaufhaltsam über die Welt brechen könnte. Die sinnliche Darstellung der Körper hängt mit Sicherheit auch an der herausragenden Bildgestaltung von Eduard Tisse, den Eisenstein oft nur „der Kameramann“ nannte. Der Affekt ist hier auch Antrieb der historischen Transformation.

 

Queer Eisenstein

 

In seinem nie fertiggestellten Mexiko-Film, den Kenneth Anger einmal in einer nicht gelungenen und in Vergessenheit geratenen Version schnitt, zelebriert Eisenstein dagegen das Matriarchat in einer Episode. Paradiesische Bilder des Zusammenseins, wieder Hängematten, Blumen, Küsse, ein anderes Bild, die Gewalt noch fern, auch wenn sie zum Thema wird genau wie der Tod. In seine Zeit in Mexiko legte auch Peter Greenaway in einem seiner vielen irrelevanten Filme, Eisenstein in Guanajuato, das schwule Coming-out des Filmemachers. Im Film, der als Que viva México! von Grigori Alexandrow fertig gestellt wurde (eine von fünf existierenden Versionen, wobei drei davon ernst genommen werden), wird sehr viel gelächelt. Man hat mal über Robert Flaherty gesagt, dass die wahre dokumentarische Qualität seines Nanuk, der Eskimo im Lächeln liege, das der titelgebende Eskimo der Kamera immer wieder schenken würde. Ein Indiz für Verbundenheit. In Que viva México! wird diese so deutlich, dass sie beinahe ansteckt. Das Berechnende des Filmemachers, der eigentlich Ingenieur werden sollte, verschwindet hinter einer Romantik und einem starken Humanismus. Angeblich hat Eisenstein auch pornografische Bilder aus Bordellen mitgebracht aus Mexiko. Diese wurden jedoch vernichtet. Das erinnert ein wenig an ein anderes prominentes Geburtstagskind des Jahres. Die erotischen Home-Movies von Ingmar Bergman dürfen jedoch erst in einigen Jahrzehnten veröffentlicht werden. Die vielen pornografischen Zeichnungen von Eisenstein sind dagegen einsehbar und eignen sich angeblich auch, um bestimmte Kadrierungen in seinen Filmen besser nachvollziehen zu können. Aus Mexiko gibt es auch noch ein recht berühmtes Bild, auf dem Eisenstein einen Kaktus „reitet“. Er schickte es seinem Freund Ivor Montagu mit den Worten „Speaks for itself and makes people jealous“.

 

  • Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway
    Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway

    Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway; Copyright: Salzgeber

  • Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway
    Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway

    Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway; Copyright: Salzgeber

  • Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway
    Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway

    Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway; Copyright: Salzgeber

 

Im Vergleich zu anderen Größen des sowjetischen Kinos wie Dziga Vertov oder Alexander Dovzhenko fristen mit Ausnahme von Die Generallinie die meisten Frauen eher ein Schattendasein bei Eisenstein. Stattdessen Iwan, der Schreckliche, ein Film gefüllt mit schönen, jungen Männern und dem Drang, diese zu berühren. Im sowjetischen Kino sind solche Entdeckungen wichtig. Nicht, weil sie etwas über einen Mann erzählen, der im Verborgenen geliebt hat, sondern weil sie von Existenzen erzählen, die der Staatsapparat nicht akzeptierte. Weder im Leben noch in dessen Repräsentation. Wenn diese Spuren nach und nach ans Licht kommen, offenbart sich vieles, was immer noch gesteuert wird als weitaus dynamischer, individueller und vielschichtiger. Die Geschichte des sowjetischen Kinos konnte jahrzehntelang nur so geschrieben werden, wie es die Regierung erlaubt hat. Das ist in mancher Hinsicht noch immer so, aber es gibt die Möglichkeit, mehr und mehr zu sehen und selbst Schlüsse aus dem Sehen und Hören zu gewinnen. Propaganda, ja, aber aus welchem Leben, aus welcher Sehnsucht geboren? Nicht nur aufgrund dieser Fragen ist das Sichten und Diskutieren von offen und versteckt propagandistischen Filmen sehr wichtig. Das gilt übrigens auch für Deutschland.

Dann war da noch Jacques Rancière, der die merkwürdige Fetischisierung von Katzen bei den Dialektikern des Kinos von Eisenstein bis Chris Marker bemerkte. Eine weitere dieser Spuren, wenn man plötzlich überall Katzen durch die Revolution tapsen sieht. Im vergangenen Jahr auf dem Il Cinema Ritrovato in Bologna erzählte Eisenstein-Experte Bernard Eisenschitz auch davon, dass man nicht verwendete Szenen für Panzerkreuzer Potemkin gefunden habe, in denen Delfine durch das Meer schwimmen. Sie lächeln enigmatisch und erzählen von all den Dingen, die wie Geheimnisse in den Bildern auf uns warten.

Meinungen