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Peinlich, folgenreich, transformierend: Das erste Mal im Film

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Seit jeher interessiert sich das Kino für das Aufregende. Daher verwundert es kaum, dass es sich irgendwann auch der ersten sexuellen Erfahrung widmete.

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Josephine Langford und Hero Fiennes-Tiffin in „After Passion“
Josephine Langford und Hero Fiennes-Tiffin in „After Passion“

Man könnte sagen, dass Hollywood in den 1950er Jahren den Teenager als filmische Hauptfigur entdeckte. Adoleszenzdramen wie „Der Wilde“ (1953) oder …denn sie wissen nicht, was sie tun (1955) befassen sich mit juveniler, oft ins Kriminelle abgleitender Rebellion; das Sexuelle konnte darin aber insbesondere aufgrund des sogenannten Hays Code nur indirekt thematisiert werden. Und selbst nach dessen Aufhebung sollte es noch ein paar Jahre dauern, bis das Erwachen der Sexualität im filmischen US-Mainstream ankam.

New-Hollywood-Vertreter wie Robert Mulligans Summer of ’42 (1971) und dessen Fortsetzung Class of ’44 (1973) von Paul Bogart oder Peter Bogdanovichs Die letzte Vorstellung (1973) zählen hierbei zu den Schlüsselfilmen. Als stilprägend für die kinematografische Coming-of-Age-Erzählung erwies sich allerdings auch die deutsch-israelische Reihe Eis am Stiel (1978-1988), die wiederum von Mulligans und Bogarts Arbeiten inspiriert wurde und mit Die letzte amerikanische Jungfrau (1982) ein US-Remake erhielt.

Zachi Noy, Yftach Katzur und Jonathan Sagall in „Eis am Stiel“; Copyright: Universum Film (UFA)
Zachi Noy, Yftach Katzur und Jonathan Sagall in „Eis am Stiel“; Copyright: Universum Film (UFA)

 

Der erste Sex beziehungsweise der Weg dorthin ist in dieser Filmreihe vor allem eines: ein endloser Parcours der Peinlichkeiten. Das pubertäre Trio Benny (Yftach Katzur), Johnny (Zachi Noy) und Momo (Jonathan Sagall) lechzt im Tel Aviv der späten 1950er Jahre nach ersten sexuellen Erlebnissen – und gerät dabei immer wieder in unangenehme, chaotische Situationen. So endet etwa der gemeinsame Besuch bei einer älteren Verführerin damit, dass die drei Schüler zum Teil unbekleidet vor deren Freund flüchten müssen, als dieser überraschend auftaucht; das spätere Aufsuchen einer Prostituierten führt prompt zu Filzläusen. Von Teil zu Teil entwickelten sich die Filme mehr zu einer lockeren Aneinanderreihung von freizügigen Episoden mit überwiegend grobschlächtig-schlüpfrigem Humor. Der erste Teil macht bei aller Alberei jedoch auch klar, dass Sex Konsequenzen haben kann, die rasch über witzige Pannen und Blamagen hinausgehen: Als Momo die gleichaltrige Nili (Anat Atzmon) schwängert, begleitet Benny sie zur Abtreibung und kümmert sich in der Zeit danach um sie.

Jugendkomödien wie Porky’s (1981) folgten der Richtung, die die Eis-am-Stiel-Reihe vorgab. Erzählt wird dabei stets aus männlicher Perspektive. Die Frauen bleiben bei den Eis-am-Stiel-Filmen zumeist Objekte der Begierde. Nicht selten wird den Frauen, die älter und erfahrener sind als Benny, Johnny und Momo, ein nymphomanes Wesen zugeschrieben, während die gleichaltrigen Frauen häufig Zwistigkeiten zwischen den Freunden verursachen, die es im Laufe der Handlung zu überwinden gilt. Die Sicht der weiblichen Beteiligten spielt dabei allenfalls eine untergeordnete Rolle.

 

Weichzeichner-Erotik

Ein adoleszentes Paar, das die Liebe und den Sex allmählich entdeckt, steht wiederum in der Romanadaption Die blaue Lagune (1980) im Mittelpunkt. Darin stranden Emmeline (Brooke Shields) und deren Cousin Richard (Christopher Atkins) um 1900 herum auf einer einsamen Insel in der Südsee. Diese Prämisse bietet alsbald Anlass für körperliche Annäherungen in schwülstiger Weichzeichner-Optik. Die sexuelle Initiation kommt hier als puritanisch anmutende, äußerst sentimental geschilderte Adam-und-Eva-im-Paradies-Fantasie daher. Die kitschige Bebilderung erblühender Leidenschaft wurde in den späten 1970er und beginnenden 1980er Jahren auch von dem Briten David Hamilton in Arbeiten wie Zärtliche Cousinen (1980) auf der Leinwand praktiziert.

Brooke Shields und Christopher Atkins in „Die blaue Lagune“; Copyright: Sony Pictures Home Entertainment
Brooke Shields und Christopher Atkins in „Die blaue Lagune“; Copyright: Sony Pictures Home Entertainment

 

Als es in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre dank des Überraschungshits Scream (1996) zu einer Renaissance des Teenagerkinos kam, kehrten auch die vom Sexualtrieb beherrschten jungen Männer zurück: In Komödien wie American Pie (1999) wird das Rezept der Eis-am-Stiel-Reihe nur geringfügig modernisiert; auch hier geht der erste Sex mit zahlreichen Hindernissen und Missgeschicken einher, von beschämenden In-flagranti-Momenten bis hin zur vorzeitigen Ejakulation. Düstere Vertreter der Coming-of-Age-Erzählungen wie Larry Clarks Kids (1995) befassen sich mit HIV-Infektionen; in Eiskalte Engel (1999), dem Update des Choderlos-de-Laclos-Briefromans Gefährliche Liebschaften (1782), ist das erste Mal der Protagonistin Annette (Reese Witherspoon) mit einer Intrige verknüpft – und in den damals kurzzeitig wieder angesagten Slasher Movies bedeutet Sex grundsätzlich den baldigen Tod. Als erfreulich feinfühlig im Umgang mit dem Sujet des sexuellen Erwachens erwies sich das deutsche Kino jener Tage: In Crazy (2000) erlebt der 16-jährige Benjamin (Robert Stadlober) sein erstes Mal nicht mit seinem Schwarm Malen (Oona Devi Liebich), sondern mit seiner Mitschülerin Marie (Julia Hummer). Daraus entsteht zwar nicht die ganz große Liebe – aber eine Verbundenheit, die sich in einem Blickwechsel gegen Ende mitteilt.

 

Abseits der Heteronorm

Ob die genannten Werke nun das komische oder das gefährliche bis tödliche Potenzial des Sexuellen thematisieren – was sie eint, ist der heterosexuelle Hauptplot. Doch auch das Queer Cinema widmet sich den ersten Malen seiner heranwachsenden Held_innen. Werken wie André Téchinés Wilde Herzen (1994), Lukas Moodyssons Raus aus Åmål (1998), Jamie Babbits Weil ich ein Mädchen bin (1999) oder Céline Sciammas Water Lilies (2007) gelingt es, in den intimen Momenten weder gehemmt noch exploitativ zu wirken; Abdellatif Kechiches Graphic-Novel-Adaption Blau ist eine warme Farbe (2013) bewegt sich derweil (insbesondere in einer expliziten Sexszene, die fast sieben Minuten andauert) an der Grenze zur Zurschaustellung, bei der die Gezeigten zu fetischisierten Objekten werden. Eine der wohl schönsten Passagen zum Thema findet sich hingegen in Barry Jenkins’ Moonlight (2016): Wenn der 16-Jährige Chiron (Ashton Sanders) am nächtlichen Strand von Miami ein erstes sexuelles Erlebnis mit seinem Schulfreund Kevin (Jharrel Jerome) hat und sich gleich danach entschuldigt, nimmt Kevin ihm mit wenigen Worten all die Scham, die Chiron mit seiner Sexualität verbindet – es gebe nichts, was ihm leidtun müsse …

Jharrel Jerome und Ashton Sanders in „Moonlight“; Copyright: DCM Film Distribution
Jharrel Jerome und Ashton Sanders in „Moonlight“; Copyright: DCM Film Distribution

 

In einigen Filmen führt der erste Sex der Figuren direkt zur ungeplanten Schwangerschaft. Während Tragikomödien wie Juno (2008) oder Love, Rosie (2014) dabei durchaus eine liberale Haltung erkennen lassen, mutet die Twilight-Saga (2008-2012), die auf den Romanen der Mormonin Stephenie Meyer basiert, in der Behandlung von erster Sexualität und deren Folgen überaus konservativ an. Dass sich ein mehr als 100 Jahre alter Vampir in eine Minderjährige verliebt, wird dadurch ins gefällige Licht gerückt, dass er immer noch wie ein betont cooler 17-Jähriger aussieht. Dass das Paar trotz spürbarer Lust auf vorehelichen Sex verzichtet, wird wiederum damit begründet, dass Edward (Robert Pattinson) seine vampirischen Triebe im Bett nicht beherrschen und er Bella (Kristen Stewart) so in Gefahr bringen könne. Bella soll deshalb erst zur Vampirin werden, bevor sie miteinander schlafen dürfen. Als es auf der Hochzeitsreise dann doch früher geschieht, dauert es nicht mehr lange, bis sich Bella mit einer lebensbedrohlichen Schwangerschaft konfrontiert sieht, körperliche Qualen erleiden muss und dabei schnell vom verträumten Teenager zu einer aufopferungsvollen Mutterfigur heranreift. Das erste Mal schickt Bella unmittelbar auf den Pfad zur heteronormativen Kleinfamilie.

Kristen Stewart und Robert Pattinson in „Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht: Teil 1“; Copyright: Concorde
Kristen Stewart und Robert Pattinson in „Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht: Teil 1“; Copyright: Concorde

 

Zu den neuesten Produktionen, die sich mit dem ersten Sex auseinandersetzen, gehört After Passion von Jenny Gage – eine Verfilmung der Fan Fiction zum Boygroup-Mitglied Harry Styles, die Anna Todd auf der Plattform Wattpad veröffentlichte und zu einer Romanreihe ausarbeitete. Vieles an dieser Liebesgeschichte zwischen der unschuldigen Uni-Anfängerin Tessa (Josephine Langford) und dem verschlossenen Hardin (Hero Fiennes Tiffin) ist furchtbar lächerlich. Wenn Hardin Tessa an seinen persönlichen „geheimen Ort“ mitnimmt und dieser sich als versteckter See inmitten der Wälder außerhalb des Campus entpuppt, irritieren nicht nur die realitätsfernen Aufnahmen und die hölzernen Dialoge, sondern auch die plumpen Entscheidungen der Kostümabteilung: Hardin ist gänzlich in Schwarz gekleidet, Tessa in Blütenweiß. „Hat dich noch nie jemand berührt?“, fragt Hardin Tessa später – und natürlich ist Tessa, ebenso wie die Schülerin Bella in Twilight oder die Literaturstudentin Anastasia (Dakota Johnson) in der (Soft-)Erotikromanze Fifty Shades of Grey (2015), noch Jungfrau. Wenn sich Hardin in einem erotischen Traum von Tessa in deren Zimmer schleicht, um sie zu beobachten, wird Stalkertum und Übergriffigkeit (wie so oft) romantisiert; und wenn Hardin an einer seltsam unpassenden Stelle sein Kindheitstrauma schildert, wird sämtliches Fehlverhalten des Mannes mit vergangenen Wunden einfach küchenpsychologisch wegerklärt.

 

„Wir haben Zeit“

Dennoch hat After Passion hinsichtlich der Darstellung junger Sexualität auch ein paar Stärken. Dass die Verfilmung das sexuelle Geschehen der Vorlage – neben etlichen weiteren Änderungen – abmildert, kann man kritisieren; das Ganze wirkt teilweise allzu verschämt. Problematisch ist daran allerdings gewiss nicht, dass die Kamera Tessa und Hardin in zahlreichen Großaufnahmen lieber in die Augen als auf die nackten Körper schaut und relativ zeitig abgeblendet wird, sondern dass sämtliche Bilder um eine Spur zu steril daherkommen – als habe jemand die gesamte Umgebung mit Desinfektionsmittel tiefengereinigt und als seien Tessa und Hardin in ihrer optischen Makellosigkeit Teil einer Werbekampagne für Kosmetikprodukte. In besagter Sequenz am See kommt es indes zu einem bemerkenswerten Moment: Als Hardin seine Berührungen einstellt und von Tessa gefragt wird, warum er aufhöre, antwortet Hardin, sie hätten Zeit. Und tatsächlich wird das erste Mal zwischen den beiden (und das erste Mal für Tessa überhaupt) zu einem späteren Zeitpunkt dann nicht als übereilte Aktion oder als Überrumpelung in Szene gesetzt, sondern als klare Entscheidung von Tessa: „Ich will dich jetzt!“ Auch ein Bewusstsein für Safer Sex und consent ist in diese Passage integriert.

Josephine Langford und Hero Fiennes-Tiffin in „After Passion“; Copyright: Constantin Film
Josephine Langford und Hero Fiennes-Tiffin in „After Passion“; Copyright: Constantin Film

 

Sieht man also einmal von der aseptischen Gestaltung ab, ist After Passion (zumindest in einigen lichten Momenten) klüger als manch anderer Coming-of-Age-Film. Es ist nicht nötig, bis zur Ehe zu warten – aber man hat Zeit. Und das Kino sollte das zeigen: das Warten, das Erkennen des richtigen Augenblicks und die Hingabe, mit Verantwortung und ohne eine Spur von Peinlichkeit; zugleich aufregend und im besten Sinne unaufgeregt.

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