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Meta-Komödien und die vierte Wand

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Es gibt einen kurzen Abschnitt in Douglas Adams Science-Fiction-Roman Per Anhalter durch die Galaxis, in dem ein Pottwal und ein Petunientopf vom Himmel herabstürzen und dabei über sich selbst nachdenken. Wie genau es dazu kommt, ist eigentlich nicht relevant. Wichtig ist nur: Die beiden profitieren nicht unbedingt von ihrem plötzlich entwickelten, atypischen Ichbewusstsein. Der Wal kann, trotz aller Selbstreflexion, wenig am schnell näher kommenden Boden ändern. Und der Blumentopf denkt nur: „Nicht schon wieder.“

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Filmstill aus Deadpool
Filmstill aus "Deadpool"

Auch für Filme ist Selbsterkenntnis – entgegen anderslautender Behauptungen des Volksmundes – nicht automatisch der erste Schritt zur Besserung. In dieser Woche startet Deadpool in den deutschen Kinos. Der titelgebende „Held“ in rot und schwarz ist eine Figur, die hervorragend in die gegenwärtige Filmlandschaft passt, ein echtes Produkt des Zeitgeistes. Die Rolle des archetypischen Retters im Latexanzug wird mit dem angesammelten Wissen des Publikums über Genre-Konventionen kombiniert. Das Ergebnis ist ein Hybridwesen, gefangen zwischen Film- und Realwelt. Subjekt und Objekt zugleich, sein eigener Zuschauer. Deadpool kennt die Klischees: Wenn eine Gegnerin zum spektakulären Sprung ansetzt, so wie man es schon viele Male zuvor in ähnlichen Szenen gesehen hat, dann kündigt er mit großem Vergnügen ihre glorreiche „Superheldenlandung“ an. Und feixt: Das geht bestimmt auf die Knie.

Damit ist er Teil eines Kinos, welches sich immer wieder mit einem Augenzwinkern an das Publikum wendet. Das Durchbrechen der vierten Wand und selbstreferentieller Humor sind heute wahrscheinlich so populär wie nie zuvor. (Franchisespezifische Versionen der Wikipedia, Foren und Seiten wie TV Tropes haben Fans über die Jahre zu neuen Höhen der popkulturellen Versiertheit geführt.) Natürlich sind diese Stilmittel so alt wie die darbietende Kunst, ihr Einsatz reicht vom Chor im Theater der Antike über den Verfremdungseffekt bei Brecht und Wes Cravens Alptraum-Matroschkas bis in die Gegenwart. Ihre Einsatzmöglichkeiten sind mannigfaltig. Oft ist ein zunehmender Selbstbezug eine Reaktion darauf, dass mit den herkömmlichen Mitteln eines Genres oder einer Kunstform nichts Neues mehr zu erzählen ist. Wer über die Grenzen der eigenen Filmwelt hinaus verweist, der tut das aus einem Gefühl von Beengung heraus. Der Western etwa war zuerst die Geschichte eines weiten Landes, das zunehmend mit stillen Helden gefüllt wurde, bis irgendwann kein Platz mehr war. Es folgte der große Kannibalismus, die reinigende Dekonstruktion. Als Mel Brooks seine Cowboys in Der wilde wilde Westen 1974 durch die Studiofassaden brechen lässt, ist das nicht nur ein Gag, sondern auch die logische Konsequenz des Vorhergehenden. Irgendwohin müssen sie ja entkommen.

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Video: Breaking the 4th Wall Movie Supercut

 

Während man in solchen Entwicklungen also durchaus auch ein Wachstum sehen kann, ein neues Werkzeug in der Kiste des Regisseurs, wirft sein Einsatz stets Fragen auf. Der wissende Bruch mit der Filmwirklichkeit ist immer auch ein Akt der Aggression, der den Zuschauer mit seinem Status als Voyeur und seiner Rolle als passiver Beobachter konfrontiert. Kinopionier Edwin S. Porter ließ schon 1903 in Der große Eisenbahnraub einen Banditenanführer seine Waffe auf die Kamera (und somit auch auf das Publikum) richten und abdrücken. Die vierte Wand ist ein venezianischer Spiegel und die Splitter können Beteiligte auf beiden Seiten verletzen. Distanz verschwindet und die Welten verschmelzen, manchmal unwiderruflich.

Jeder im Saal oder vor dem heimischen Bildschirm wird eingeschworenen, es entsteht eine Art Komplizenschaft. Der Schrecken der Morde in Hitchcocks Psycho wird potenziert, wenn Norman Bates sinister in die Linse starrt, als wüsste er, dass wir alles gesehen haben. Vielleicht sind wir die nächsten.

Zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen Verbrechen, die weniger unmittelbar als solche zu erkennen sind: The Wolf of Wall Street und The Big Short kleiden die kriminellen Machenschaften von Börsenmaklern und Hedgefondsmanagern in entsprechend groteske Bilder. Beide Filme pendeln zwischen Komödie und Drama, beide legen großen Wert auf ihre unmittelbare Ansprechhaltung. Bei Scorsese ist es Betrüger Jordan Belfort, gespielt von Leonardo DiCaprio mit einem uferlosen Märchenwolflächeln, der die Zuschauer immer wieder zu sich heranwinkt und im kumpelhaften Plauderton mit seinen Vergehen prahlt. In The Big Short treten fortwährend neue prominente Dozenten vor die Kamera, die ökonomische Abläufe und Zusammenhänge erklären und dabei sichergehen, dass auch alle mitkommen. Beide Filme machen die Zuschauer zu Mitverschwörern und erklären sie zum Räderwerk des Systems, dessen Fehler zuvor aufgezeigt wurden. Die Regisseure klagen an, sie bemängeln unsere Teilnahmslosigkeit, Feigheit, Ignoranz und Bequemlichkeit. Sie zeigen ein großes Verbrechen und appellieren an das Pflichtbewusstsein der Kinogänger, nun zur Tat zu schreiten.

The Wolf of Wall Street
Filmstill aus The Wolf of Wall Street; Copyright: Universal Pictures Germany

 

Auch die Meta-Komödien schwören das Publikum ein, nur dass es keine Straftat zu geben scheint. Man wird lediglich in das offene Geheimnis eingeweiht, dass viele der Produktionen nicht unbedingt originelle Meisterwerke sind. Muster des Genres und Hollywoods Probleme werden offengelegt. So machen sich etwa die Jump Street-Filme von Phil Lord und Chris Miller permanent über die Ideenlosigkeit der Traumfabrik lustig. 21 Jump Street spottet über Reboots und Remakes, basiert aber selbst auf einer Fernsehserie aus den späten 1980er Jahren. Der zweite Teil, 22 Jump Street, mokiert sich verstärkt über Fortsetzungen. Als Abspann wird eine Montage zunehmend absurderer Sequels präsentiert, als Witz. 23 Jump Street ist bereits angekündigt.

Natürlich sind sich die Macher der entstehenden Widersprüche bewusst. Sie rechtfertigen sie damit, dass der Zuschauer ja weiß, was hier gespielt wird. Die Frage ist: Wird ihm damit nicht eine Mitschuld zugewiesen, genau wie bei den Vorgängen in den Börsen-Filmen? Wird nicht die Verantwortung abgewälzt auf die zahlende Kundschaft? Spricht folglich aus dem schelmischen Kokettieren mit dem eigenen Mangel an Originalität nicht auch eine gewisse Publikumsverachtung? Wer das alles klaglos mit sich machen lässt, so die Rationalisierung, hat es ja wohl nicht besser verdient. (Das erinnert an Jurassic World, wo der Regisseur das Publikum von seiner und ihrer Gigantomanie niedertrampeln lässt.) Ein falsch verstandener Populismus verkauft Schrott unter dem Vorwand, der Pöbel wolle es ja nicht anders.

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Trailer zu Deadpool

 

Selbst der tausendste Rentnerwitz wird zukünftige Expendables-Teile nicht vor der altersmüden Stimmung retten. Sharknado 4 wird durch David Hasselhoff und den üblichen Trash-Anstrich nicht weniger langweilig. Und wen täuscht Deadpools Pennälerhumor mit Gags über Green Lantern, Catwoman und Co. wirklich über die spürbare Ratlosigkeit des Superhelden-Genres hinweg?

Self-awareness und ironische Distanz haben ihre Grenzen: Sie können leichte Wogen glätten und die Wirkung trivialer Schwächen abfedern. Im besten Fall verhindern sie freudlose Kälte und Humorlosigkeit, wie man sie etwa aus Zack Snyders Man of Steel kennt. Doch oft dienen sie einfach als bunter Anstrich für lieblose Stümpereien. Als Ablenkungsmanöver. Im Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker ist die Feststellung, dass man tatsächlich ein Problem hat, der allererste Schritt. Es sollten eigentlich elf weitere folgen. Für Hollywood scheint mit der reinen Erkenntnis die Sache schon aus der Welt geschafft und zur Feier des Tages wird eine Runde spendiert.

Filme wie Deadpool stürzen widerstandslos ins Nichts. Ihre Selbsterkenntnis ist dabei weitestgehend nutzlos und weist lediglich auf den näher kommenden Grund hin. Im freien Fall bieten sich dann zwei Gedanken an: „Bis jetzt ging alles gut.“ Oder eben: „Nicht schon wieder.“

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