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Locarno 2017: "Nothingwood" von Sonia Kronlund

Ein Beitrag von Patrick Holzapfel

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Salim Shaheen, ein brüllendes Unikat viriler Begeisterungsfähigkeit belebt Sonia Kronlunds Nothingwood so sehr, dass der Film hinter ihm zu verschwinden droht. Shaheen, so wird uns von der Filmemacherin erzählt, ist ein Filmemacher aus Afghanistan, der dort trotz anhaltender Kriege und Gefahren seit Jahrzehnten B-Movies in Serie produziert. Eigentlich war er General, doch er hat lieber seine Soldaten gefilmt — selbst als Bomben um sie herum niedergingen, wie einige Mitarbeiter erzählen. 110 Filme sind es zu Beginn von Kronlunds Besuch, Shaheen führt Regie, kümmert sich um die Produktion und selbstverständlich übernimmt er auch so manche Hauptrolle in seinem Ensemble. Lesen und Schreiben kann er nur ein bisschen, aber er beherrscht die Verarbeitung des eigenen Lebens in filmischer Form und vor allem den mitreißenden Gestus eines euphorischen Überschwangs. 


(Bild aus Nothingwood; Courtesy: Filmfestival Locarno 2017)

Es passiert in Filmen über Filmemacher oft, dass die Position der Kamera zu den Regisseuren zu jener wird, die die Regisseure gern selbst auf sich werfen. Nothingwood kann sich der Faszination Shaheen nicht ganz entziehen, bemüht sich aber stets um Distanz, die vor allem im kulturellen Unterschied deutlich wird. Kronlund nähert sich dem Mann und seiner Geschichte ganz bewusst vorsichtig und kritisch. Sie begleitet ihn bei Dreharbeiten, stellt ihm viele Fragen und spricht auch mit Verwandten und Mitarbeitern des Filmemachers. Immer wieder interessiert sie sich dabei für die Rolle der Frau in dieser Welt. Es gibt kaum Verständnis, nur Unterschiede. Sie sagt, dass sie auf der Suche nach dem Widerstand sei, den dieses Filmschaffen im Angesicht des Krieges doch in sich tragen müsste. Letztlich versammelt Shaheen vor allem einen Haufen extrovertierter Männer und so ganz kann sich Nothingwood nie diesem westlichen Blick entziehen, der vieles dort als bunt und gerade in der Fremdheit spannend empfindet.


Trailer zu Nothingwood

Eigentlich — und das mag wie eine komische Kritik anmuten — ist der Film zu unterhaltsam. Das beginnt schon beim Titel, der darauf basiert, dass man eben kein Hollywood sei und auch kein Bollywood. Man habe nichts, man sei eben Nothingwood. Nun ist es natürlich prinzipiell sehr angenehm mit einer anderen Wahrnehmung von Afghanistan konfrontiert zu werden, als man sie aus den meisten Dokumentationen und Reportagen kennt. Aber passen in diesen Film dann die kritischen Untertöne und die beständige Erinnerung an den laufenden Krieg, der wie ein dramaturgischer Antipol eingesetzt wird? Vielmehr wirkt es so, als wäre die Fröhlichkeit und das Schrille hier dann doch eine Machtlosigkeit. Nothingwood kommt nicht durch diese Oberflächen, durch das, was Shaheen von sich selbst zeigen möchte. Kronlund versucht seine Unbedarftheit als Widerstand zu verkaufen. Es gelingt ihr, aber nur weil Shaheen tatsächlich eine faszinierende Figur ist und nicht weil der Film Besonderes leistet. Es ist eben der Film über das Leben eines Mannes, der ständig Filme über sein Leben dreht. Der gesuchte Widerstand offenbart sich als Unabhängigkeit. Das Kino dieser Männer, die irgendwo vor einem Felsen stehen, eine Schießerei oder einen Ritt auf dem Esel inszenieren, entsteht nicht unbedingt im Bewusstsein des Krieges, es ist vielmehr Ausdruck einer Flucht. 


(Bild aus Nothingwood; Courtesy: Filmfestival Locarno 2017)

Der westliche Blick ist an vielen Stellen womöglich mehr eine Sache der Kameramänner Alexander Nanau und Eric Guichard, denn Kronlund inszeniert sich selbst vor statt hinter der Kamera. Dieser Aspekt ist beachtenswert. Geht es der Filmemacherin darum ein weibliches Gegengewicht in den Film zu lassen? Warum gibt sie sich dann so ängstlich, wenn sie immer wieder um die eigene Sicherheit in bestimmten Regionen besorgt ist oder aufgrund von Höhenangst zurückbleibt, als das Filmteam auf einen Felsen klettert? In ihrer Anwesenheit offenbart sich ein Fremdkörper und man wird daran erinnert, dass sich Shaheen und seine Mitstreiter beständig in Szene setzen. Womöglich unfreiwillig entsteht dadurch auch eine Selbstkritik. Die Filmemacherin, die nach Afghanistan fährt, ein Land, das sie aufgrund ihrer journalistischen Arbeit sehr gut kennt und eine Kuriosität mitbringt. Man bekommt dadurch einen Blick offenbart, der nie über sein eigenes Gefängnis hinausgeht. Der Körper der Filmemacherin erzählt davon. Er ist auch das Geständnis dieser Machtlosigkeit, ein Eingestehen der Drehverhältnisse. Darin liegt auch ein Widerstand, bewusst oder unbewusst.

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