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Locarno 2017: "Der Mann aus dem Eis" von Felix Randau

Ein Beitrag von Patrick Holzapfel

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In die nie enden wollenden Kranfahrten und Schwenks von Felix Randaus Der Mann aus dem Eis verbirgt sich ein Bestreben hin zum Erfahrbarmachen und Nachleben der rauen Natur vor über 5000 Jahren in den Ötztaler Alpen. Man denkt unweigerlich an The Revenant, weil auch hier die Kamera über den Film erhoben wird. Mit allem Bestreben einer fragwürdigen Authentizität will Randau das Leben beziehungsweise den Tod des sogenannten Ötzi nacherzählen. Es gibt im ganzen Film kein einfaches Bild. Alles erzählt immer davon, wie krass und teuer es hergestellt wurde. Der Eismann aus dem Tisenjoch ist eines der großen Mythen unserer Zeit, um ihn ranken sich zahlreiche Forschungen und Spekulationen. Randau ist weniger an der Fiktionalität seiner Figur interessiert, als an der Tür, die ihm dieser für einen Genrefilm öffnet.


(Bild aus Der Mann aus dem Eis; Courtesy: Locarno Festival)

In die Rolle des Eismenschen Kelab schlüpft Jürgen Vogel. Es ist eigentlich eine perfekte Rolle für Mel Gibson, weil Randaus Lösung für Ötzis Geschichte tatsächlich ein äußerst platter Rachethriller ist. Als Kelab eines Tages auf der Jagd ist, was die nervöse Kamera mit fliegender, in jeder Hinsicht unnötiger Epik zeigt, kommt es zu einem Überfall in der Siedlung, bei der auch seine Frau und sein Sohn ermordet werden. Nur ein im Stamm neugeborenes Baby hat überlebt. Mit ihm und einer Ziege macht sich Kelab auf dem Weg ins Gebirge, um den Männern zu folgen. Alle Charaktere sprechen in einer antiken Variante der rätischen Sprache, was einer gewissen Komik nicht entbehren kann, aber alles in allem eine der wenigen mutigen Entscheidungen des Films bleibt.

Der Rest ist Steinzeitspektakel, wobei jeder Plotpoint vorher mit überdeutlicher Montage, Musik und Kamerabewegung angekündigt wird. Selbst die moralische Wandlung im Menschen Ötzi ist von vornherein angelegt. Es ist wirklich erschreckend, wie wenig der Film aus seinem spannenden Setting und der forschen Epik herausholen kann. Stattdessen gibt es einige strotzende Kraftbilder gebrochener Männlichkeit im ständigen und ermüdenden Gegenlicht und dem mit allen Mitteln unterstützenden Soundtrack: Jürgen Vogel klettert auf einem Baum, wobei sein Kopf von der Sonne selbst erleuchtet wird, um ein Vogelei zu finden und das als Nahrung auszusaugen. Jürgen Vogel drückt das Baby an die Zitzen der Ziege. Jürgen Vogel klettert. Jürgen Vogel tötet. Jürgen Vogel weint. Was ein Kerl, dieser Ötzi. Dasselbe gilt fast für alle anderen Figuren auch, etwa Franco Neros schweigsamer Auftritt als Almöhi oder André M. Hennickes gewohnt ambivalente Grausamkeit als Bösewicht.

Die Kamera verweist immer wieder auf den Naturalismus des Films. In einer langen Hubschraubereinstellung und vielen Schwenks werden die Abstände zwischen Verfolgten und Verfolger gezeigt. Randau setzt alle Mittel ein, um etwas glaubhaft zu machen, was dann aber nur wie ein technisch versiertes Spiel wirken kann. Was er nämlich völlig ausspart, ist die Distanz, die sich zwischen seiner Kamera heute und dem Schatten, der über einer tausende Jahre alten Geschichte liegt, auftun muss.

Erstaunlich (wie so oft), dass man dem Setting von der Sprache über die Ausstattung bis zur Maske so gerecht wie möglich werden will, aber im Casting dann doch nach unserem heutigen Empfinden auf Schönheit und Sexiness geachtet wird. Irgendwie wirkt dann doch alles zu sauber und die Handlungen trotz der zeitlichen Entfernung niemals fremd: Die Figuren haben Sex (nicht wenig), sie lieben, sie haben Angst, sie wollen dazugehören. Nicht, dass davon auszugehen ist, dass es diese Dinge damals nicht gab, aber sie wirken in ihrer Ausprägung so nah am Heute, dass man diesem blinden Authentizitätsdrang des Films niemals wirklich folgen kann. Es liegt tatsächlich mehr Kino im Foto des Ötzis als in diesem Film. Denn was der Film nicht zulässt, ist Imagination.


(Trailer zu Der Mann aus dem Eis)

Der Mann aus dem Eis ist ein Werk der immersionssüchtigen Generation 300 oder Game of Thrones. Vielleicht liegt ein Wert darin, dass diese Ästhetik und Freude am Spektakel auch in aller Stupidität im deutschsprachigen Kino angekommen ist, vielleicht aber zeigt die größere kulturelle Nähe etwas deutlicher, wie weit man letztlich von solchen Geschichten entfernt ist.

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