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Kontrolle, Begegnung, Geschwindigkeit: Machtverhältnisse im Auto

Ein Beitrag von Christian Neffe

Im alltäglichen Autoverkehr sind die Machtverhältnisse eindeutig: Der Fahrer hat die vollständige Kontrolle über Fahrzeug und Fahrgäste. Wird Fahren jedoch zur Dienstleistung, ändern sich diese Verhältnisse — zum Teil drastisch. Ein Blick auf Machtstrukturen innerhalb es filmischen Raumes Auto.

Meinungen
Jessica Tandy und Morgan Freeman in "Miss Daisy und ihr Chauffeur" von Bruce Beresford
Jessica Tandy und Morgan Freeman in "Miss Daisy und ihr Chauffeur" von Bruce Beresford

Was Spike Lee auf der diesjährigen Verleihung der Academy Awards erlebte, muss sich wie ein zynisches Déjà-vu angefühlt haben: Nachdem es sein politisch ambitionierter „BlacKkKlansman in die Auswahl für den besten Film geschafft und Lee überdies eine Statue für seine Mitarbeit am Drehbuch erhalten hatte, ging die finale Auszeichnung schlussendlich an Peter Farrellys deutlich schwächeren Film „Green Book – Eine besondere Freundschaft. Der Plot: Ein weißer Rassist (Viggo Mortensen) chauffiert einen Afroamerikaner (Mahershala Ali) durch Amerika und erfährt dadurch eine Art Läuterung. Das Kuriose an der Sache: Exakt 29 Jahre zuvor hatte Lee nahezu genau dasselbe erlebt.

Damals, 1990, ignorierte die Academy nämlich Lees hochgelobten Do the Right Thing und entschied sich stattdessen für Miss Daisy und ihr Chauffeur. Der wird dieser Tage genau 30 Jahre alt. Der Plot hier: Ein Afroamerikaner (Morgan Freeman) chauffiert eine weiße Rassistin (Jessica Tandy) durch Amerika, wodurch sie ebenfalls eine Art Läuterung erfährt. „Every time somebody’s driving somebody, I lose”, kommentierte Lee das nach der Oscarzeremonie 2019 schnippisch, und fügte an: „But they changed the seating arrangement this time.”

Genau diese Sitzverteilung, die Lee hier eher beiläufig erwähnte, ist jedoch ein wesentliches Gestaltungselement innerhalb des filmischen Raums Auto. Die Beziehung zwischen Fahrzeug, Fahrer*in und Passagier*in – also die Frage, wer welche Art von Kontrolle über wen oder was hat – bildet spezifische Machtstrukturen ab, die bisweilen weit über das Individuelle hinausgehen und metaphorisch für größere gesellschaftliche Strukturen stehen können. Speziell dann, wenn verschiedene sozioökonomische Klassen oder Ethnien innerhalb dieses isolierten Raumes aufeinandertreffen. Mit der reinen Abbildung dieser Machtstrukturen ist es gleichwohl nicht getan: Interessant wird es dann, wenn sich diese Strukturen verschieben. Das kann manchmal innerhalb weniger Augenblicke geschehen.

 

Geschwindigkeit

Ein aktuelles Beispiel ist der zentrale Wendepunkt von Le Mans 66 – Gegen jede Chance von Regisseur James Mangold. Dass dieser im Inneren eines Autos stattfindet, scheint für einen Film, dessen Handlung sich gänzlich um die Rennboliden dreht, zunächst wenig überraschend zu sein. Trotzdem ist diese Szene außergewöhnlich, stellt sie doch die einzige des Films dar, in der es zu einer völligen Umkehr bestehender Machtverhältnisse zwischen den beiden Insassen desselben Autos kommt. Carroll Shelby (Matt Damon), der für Ford ein Auto entwickeln soll, das Ferrari beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans schlagen kann, erhält während dieser Sequenz in seiner Werkstatt Besuch von Henry Ford II. (Tracy Letts). Vorgeblich zu Demonstrationszwecken will Shelby mit dem großen Boss eine Runde über die Teststrecke drehen – und steigt dabei voll in die Eisen. Tempo, Kurven, Drifts – all das ist zu viel für Ford. Der Unternehmer jammert, schreit und bricht in Tränen aus. Shelby hat Ford da, wo er ihn haben möchte. Und überzeugt ihn, Ken Miles (Christian Bale) als Fahrer bei Le Mans einzusetzen. Bisher hatte die PR-Abteilung des Autobauers das vehement abgelehnt.

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LeMans 66: Gegen jede Chance von James Mangold (c) 20th Century Fox

Nicht nur aufgrund des treffsicheren Humors ist die diese Szene beachtenswert. Sondern auch deshalb, weil die erwähnte Umkehr der Machtverhältnisse hier eine unmittelbare Folge der Sitzverteilung im Auto ist. Shelby, der Ford kurz zuvor nur um Haaresbreite davon überzeugen konnte, das Rennauto-Programm weiterzuführen, ist nun endlich in seinem Element. Die Kontrolle über das Fahrzeug gewährt ihm Kontrolle über seinen Beifahrer respektive Chef. Der Bürohengst Ford wird zum zahmen Pony, das Lenkrad zum Katalysator für einen Diskurs, in dem die Macht des Praxis- und Fachwissens über die Macht des Kapitals triumphiert.

 

Macht und Diskurs

Macht ist, so stellte Michel Foucault fest, „etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht“. Der Franzose definierte sie als die gesellschaftskonstituierende Kraft schlechthin und beschrieb sie als etwas, das nicht einfach nur von oben nach unten wirkt, sondern einem stetem Wechselspiel und Kreislauf unterworfen ist. Machtinteressen waren für Foucault seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte Ausgangsbasis und Zweck aller gesellschaftlichen Diskurse, wurden stets (mal friedlich, mal gewaltsam) neu verhandelt und brachten auf diese Weise neue Werte, Gesetze, Praktiken und Machtverhältnisse hervor.

Während in der beschriebenen Szene von Le Mans 66 zwei Menschen mit ähnlichem sozioökonomischen Status aufeinandertreffen (wohlhabende, weiße Amerikaner), fallen die Differenzen zwischen den Insassen von Miss Daisy und ihr Chauffeur und von Green Book drastischer aus. Was – zumindest in die Theorie – mehr Verhandlungsraum und Veränderungspotential für eben jene Diskurse bereitstellen sollte. Beide Filme erweisen sich in dieser Hinsicht jedoch als konservativ, wenn nicht gar reaktionär. Trotz etwaiger positiver Absichten.

 

Kontrolle

Basierend auf dem Bühnenstück von Alfred Uhry, das 1987 seine Uraufführung feierte, erzählt Miss Daisy und ihr Chauffeur die 25 Jahre andauernde, gemeinsame Geschichte von Daisy Werthan und Hoke Colburn. Letzterer wird 1948 von Daisys Sohn Boolie (Dan Aykroyd) als Fahrer für die Mutter angeheuert, nachdem diese ihren Wagen in den Vorgarten eines Nachbarn setzt. Daisy und Hoke trennen Welten: Sie ist eine wohlhabende, feine Dame mit jüdischen Wurzeln; er ein materiell wie charakterlich bescheidener Arbeiter, der selbst im Ruhestand noch nach Beschäftigung sucht.

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„Miss Daisy und ihr Chauffeur“. (c) Concorde Video

Ein Großteil des Films spielt sich fortan in Miss Daisys Auto ab. Hier werden die sozioökonomischen Machtverhältnisse allein aufgrund der Sitzverteilung repräsentiert: Daisy nimmt stets rechts auf der Rückbank Platz, in möglichst großem Abstand zu Hoke. Äquivalent zu klassischen (prä-foucaultschen) Machttheorien, in denen Gewalt von oben nach unten wirkt, wirkt sie hier von hinten nach vorn: Daisy kontrolliert Hoke, Hoke kontrolliert das Fahrzeug. Wo nun aber der Fahrer allein durch seine Fahrweise zumindest auf dem Papier ein gewisses Maß an Macht über die Passagierin haben müsste (liegt ihre Sicherheit doch in seinen Händen), unterwirft sich Hoke gänzlich den Anweisungen von Miss Daisy: Der Chauffeur bewegt sich in einer Szene bereits weit unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, wird von der Chauffierten aber ermahnt, noch langsamer zu fahren.

Die hier erkennbaren Machtstrukturen bilden die damals (und in Teilen noch bis heute) bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA ab, werden jedoch metaphorisch auf das Wechselspiel zweier Individuen reduziert, die ihre eigenen Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Auf der einen Seite – auf der Rückbank des Autos – die in Teilen rassistische, weiße Bevölkerung (auch Miss Daisy pflegt rassistische Vorurteile gegenüber Afroamerikanern, obwohl sie dies vehement von sich weist), die über ein Übermaß an Kapital und politischer Gestaltungsmacht verfügt. Auf der anderen Seite – am Steuer und damit eine Dienstleistung erfüllend – die afroamerikanische Minderheit, die gezwungen ist, einfache und schlecht bezahlte Jobs anzunehmen, wodurch bestehende Strukturen konserviert und bisweilen verstärkt werden.

 

Veränderungen ja – aber nur im Persönlichen

Miss Daisy und ihr Chauffeur versäumt es, diese Strukturen einem echten Diskurs, einer kritischen Auseinandersetzung und Neuordnung, zu unterwerfen. Obwohl sich während der 25 Jahre, die die Handlung umspannt, große, durch die Bürgerrechtsbewegung angestoßene Veränderungen in der US-amerikanischen Zivilgesellschaft abspielen, bleibt das sozioökonomische Verhältnis der Protagonisten bis zum Abspann unangetastet: Hoke ist noch immer ein Angestellter, der inzwischen zwar besser bezahlt wird, doch nach wie vor nicht einmal ansatzweise über den Wohlstand der Werthans verfügt. Aus einem zynischen Blickwinkel ließe sich gar behaupten, Hoke sei nun in einem noch stärkeren Abhängigkeitsverhältnis zur privilegierten Oberschicht, als noch vor seiner Anstellung.

Findet eine Annäherung schon nicht auf sozioökonomischer Ebene statt, so doch zumindest auf persönlicher. Denn die anfänglichen Ressentiments, die Vorurteile und Feindseligkeiten lösen sich durch die sukzessive Annäherung beider Hauptfiguren in einer Wolke der Freundschaft und des Wohlbefindens auf. So rührselig diese narrative und emotionale Konklusion auch ist, so problematisch ist sie zugleich, suggeriert sie doch, dass das Aufbrechen von strukturellem Rassismus und der Unterdrückung von Minderheiten auf interpersoneller Ebene bewältigt werden könne. Miss Daisy erfüllt damit ein wesentliches Merkmal so genannter White Savior Movies, von denen es in diesem Jahr aber ein noch drastischeres Exemplar gab: Green Book – Eine besondere Freundschaft.

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„Green Book — Eine besondere Freundschaft“ (c) eOne Germany

Im direkten Vergleich mit Miss Daisy etabliert Green Book auf den ersten Blick eine vollständige Umkehr der Machtverhältnisse: Der weiße Rassist Tony Lip (Mortensen) nimmt auf dem Fahrersitz Platz, der Afroamerikaner Don Shirley (Ali) auf der Rückbank. Shirleys „Macht“ speist sich sowohl aus seinem ökonomischen als auch intellektuellen und kulturellen Kapital. Der wohlhabende Musikvirtuose spielt in feiner Gesellschaft auf und hat Lip deshalb als Fahrer und Bodyguard für eine Tour durch den mittleren Westen der USA engagiert. Die vorgebliche „Anomalie“ (ein Weißer, der Anfang der 1960er in Diensten eines Schwarzen steht) erweist sich jedoch als Trugschluss. Folgte Hoke Colburn treu den Anweisungen seiner Chefin, ist es in Green Book Tony Lip, der mit der Ignoranz eines weißen Platzhirsches Themen, Ton und Taten innerhalb des Autos bestimmt: Er entscheidet über die gespielte Musik, verspeist genüsslich sein fried chicken und belehrt Don Shirley letztlich sogar darüber, dass dieser ja gar nicht „seine Leute“ (Afroamerikaner) und deren Kultur kenne.

 

Der Mythos vom „weißen Retter“

Was man Green Book immerhin zu Gute halten muss, ist die Tatsache, dass hier tatsächlich Machtinteressen und -verhältnisse im Foucaultschen Sinne (und im Gegensatz zu Miss Daisy) in einen echten Diskurs treten. Die Dialoge zwischen Tony Lip und Don Shirley drehen sich um kulturelle Identität, Stereotype, Rassismus. Gleichwohl ist der konkrete Inhalt dieser Gespräche oftmals mehr als fragwürdig (Lip: „Ich bin in gewisser Weiser schwärzer als du.“) und das Ergebnis schließlich eine White-Savior-Erzählung par excellence: Dem Schwarzen wird die Fähigkeit, sich selbst aus seiner misslichen Lage zu helfen, abgesprochen und dem Weißen überantwortet; Rassismus als individuelles, nicht als strukturelles Problem inszeniert; „extremer“ Rassismus im Wesentlichen von karikaturesken Figuren ausgeübt, um das (weiße) Publikum von etwaigen Schuldgefühlen zu entlasten. (Eine ausführliche Liste der Probleme von White Savior Movies bietet ein sehenswertes Essay von Leon Thomas.)

Zwar bedingt das Fahren als Dienstleistung, dass die ökonomischen Machtverhältnisse innerhalb des isolierten (filmischen) Raumes Auto nach hinten, das heißt, auf die Rückbank verlagert sind. Dennoch besitzt im Beispiel Green Book der Chauffeur Tony Lip als Weißer im Amerika der 1960er Jahre, aufgrund der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Verhältnisse, mehr soziale Macht als der chauffierte Afroamerikaner Don Shirley. Letzterer kommt im Verlauf der Handlung zwei Mal mit rassistischen Polizisten und mehrfach mit seinen Auftraggeber in Konflikt und wird dabei immer wieder vom white savior Tony Lip gerettet. Am Ende übernimmt Shirley für kurze Zeit das Lenkrad, bewältigt den finalen Abschnitt der Etappe, derweil Lip auf der Rückbank seine Müdigkeit ausschläft. Doch bleibt es in diesem Moment bei einem rein räumlichen Transfer. Die ökonomischen wie sozialen Machtverhältnisse beider Hauptfiguren sind dieselben wie noch zu Beginn des Films: Lip ist weiterhin arm und ungebildet, Shirley noch immer reich und Opfer rassistischer Praktiken. Wie auch in Miss Daisy beschränkt sich die Annäherung beider Figuren auf ihr individuell-persönliches Verhältnis.

 

Frauen hinterm Steuer

Nicht nur die Themen race und class sowie die daraus resultierenden Machtverhältnisse können innerhalb des filmischen Raumes Autos in Diskurs treten – auch in Bezug auf Gender gibt es Beispiele. So etabliert etwa Quentin Tarantino in Death Proof – Todsicher (2007) mit Stuntman Mike (Kurt Russel) die Figur eines sexual predator, der im Mittelteil des Films eine junge Frau in sein Fahrzeug (zugleich Phallussymbol und Waffe) einsperrt und sie durch eine Vollbremsung tötet – gefolgt durch einen folgenschweren Frontalcrash mit dem Auto von vier anderen Frauen, die sich zuvor seiner Avancen verwehrten. Das Spiel mit und die Umkehr von Machtverhältnissen und Klischees (das Auto als vermeintlich männlich dominierter Raum, als Macht- und Fetischobjekt) gelingt Tarantino in der zweiten Filmhälfte dadurch, dass sich Mikes nächste Ziele – darunter Stuntfrau Zoe Bell – als überaus wehrhaft erweisen, ihren Peiniger jagen und schlussendlich töten. Wenig subtil, aber dennoch ein filmischer Gender-Diskurs, in dessen Verlauf sich die Machtverhältnisse eklatant verschieben.

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Begegnung

Einen thematischen Rundumschlag lieferte diesbezüglich Jim Jarmusch 1991 mit Night on Earth ab. Die fünf Episoden schildern Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlichster Hintergründe im Inneren eines Taxis und eröffnen dadurch völlig differente Diskursräume. So trifft in Los Angeles eine Karrierefrau mittleren Alters (Gena Rowlands) auf eine rebellische Jugendliche aus einfachen Verhältnissen (Winona Ryder) und erlangt dadurch die Erkenntnis, dass Geld allein noch kein zufriedenes Leben garantiert. In New York nimmt ein aus der DDR stammender Taxifahrer (Armin Mueller-Stahl) einen Einheimischen (Giancarlo Esposito) als Fahrgast auf, woraus sich ein humorvoller, interkultureller Austausch entspinnt. In Paris verweist ein Fahrer (Isaach De Bankolé) zunächst zwei Gäste seines Wagens, nachdem sie sich über sein Aussehen lustig machen, nur um danach eine blinde Frau (Béatrice Dalle) zu chauffieren, die ihm vor allem verbal Paroli bietet. In Rom kapitulieren die Moralvorstellungen und das Herz eines Priesters (Paolo Bonacelli) vor den kuriosen Geständnissen der sexuellen Eskapaden eines exzentrischen Taxifahrers (Roberto Benigni).

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„Night on Earth“ (c) Arthaus / StudioCanal

Das Auto und speziell das Taxi, das im Gegensatz zu einer privaten Limousine wie der von Miss Daisy prinzipiell halb-öffentlich ist, wird in Night on Earth zu einem Ort der zufälligen Begegnungen. Seine Abgeschlossen- und Isoliertheit schafft Raum für persönliche bis intime Dialoge (ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Menschen als soziale Wesen schnell ins Reden kommen, wenn sie in einem so kleinen Habitat aufeinandertreffen). Dabei besteht stets ein mehr oder minder implizites Macht-Ungleichgewicht zwischen den Insassen: In Los Angeles ist es ein ökonomisches, in New York ein sprachliches und soziales, in Paris ein intellektuelles, in Rom ein moralisches. 

 

Macht als produktives Prinzip

Die Diskurse, die sich daraus entwickeln, haben nur bedingt Auswirkungen auf die Haltung der Figuren auf der Leinwand. Doch gibt es beim Film ja immer auch nicht-diegetische (wenngleich nur passive) Diskursteilnehmer*innen: das Publikum. Vielleicht, so ließe sich argumentieren, können sich die Diskursräume, die Night on Earth eröffnet, besser als in anderen Beispielen entfalten, da sie den Zuschauern keine vorgekaute (und im Falle von Miss Daisy und Green Book darüber hinaus selbstgefällige, scheinbar anti-rassistische) Botschaft aufdrücken.

„Macht ist ein produktives Prinzip in der Gesellschaft. Sie bringt Wissen hervor, erschafft durch ihre Kontrolle das Individuum und ganze Institutionen und Techniken“, konstatierte Michel Foucault. Dies lässt sich ebenso auf Machtverhältnisse innerhalb des filmischen Raumes Auto übertragen. Die erörterten Beispiele zeigen jedoch, dass „produktiv“ in doppelter Hinsicht verstanden werden muss, sich sowohl im konservativen als auch im progressiven Sinne äußern kann. Doch es gibt Hoffnung: „Insgesamt wird Macht eher ausgeübt als besessen“, schloss der Franzose. Es liegt in den Händen der Filmschaffenden und des Publikums, aus diesen Diskursräumen heraus Veränderungen anzustoßen.

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