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Kino und Terrorismus

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

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Nocturama

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gab es immer wieder Versuche, die Angriffe zum Kunstwerk zu verklären. Der Komponist Karlheinz Stockhausen sah in ihnen „das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos“, Möchtegern-Enfant-terrible Damien Hirst lobte pünktlich zum ersten Jahrestag ihre Bildgewalt und erklärte, gewissermaßen müsse man den Drahtziehern gratulieren; sie hätten „etwas erreicht, dass keiner je für möglich gehalten hätte“. Die Reaktionen waren – wenig überraschend – kritisch bis erbost. Diese Umdeutung war allzu leicht als Mischung aus plumper Provokation, Betteln nach Aufmerksamkeit und fehlgeleiteter Bewältigungsstrategie im Angesicht des Schreckens zu erkennen.

Vor allem aber verkennen solche Aussagen, was für erbärmliche Künstler Terroristen darstellen bzw. darstellen würden. Ihr ideologisches Projekt ist in der Regel geradezu lächerlich offensichtlich: Sie wollen Angst und Schrecken verbreiten, um sich stark zu fühlen und um eine drakonische Reaktion des Staats zu provozieren, die ihre Existenz rechtfertig, die den Staat in Frage stellt und die Gesellschaft spaltet. Ihre Bomben sind billigste Jump Scares, ihre Folter- und Mordvideos banalste Splatter, ihre Bekennerschreiben die dümmsten und wirrsten „Artist Statements“ unter der Sonne. Ihr Symbolismus ist plump und ihre Bildsprache repetitiv. Sie beweisen, dass Radikalität nicht vor Einfältigkeit schützt, sondern sie im Gegenteil sogar erzwingen kann. Ihre Neigung zum Ikonoklasmus, von der Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban bis hin zum Eingravieren der IRA-Initialen in Rubens Die Anbetung der Könige, könnte ebenso gut purer Eifersucht ob der Schaffenskraft anderer entspringen. Wie ernst könnte man einen Künstler nehmen, der die Wirkung seines Werks mit Gewalt erzwingen muss? Der ästhetische Gestaltungswille eines Attentäters wird stets vom prosaischen Wesen seiner Tat überschattet – sie sind bestenfalls eifrige Handwerker, die ihre eigene Arbeit maßlos überschätzen.

Doch natürlich erfassen die Ästhetisierer des Terrors eine allgemeine Tendenz des Zeitgeists: Im 21. Jahrhundert sind die Parallelen und Berührungspunkte von Kunst und Terrorismus deutlicher hervorgetreten als zuvor. Beide entziehen sich gleichermaßen einer letztgültigen Definition und sind sogar vom Streit um solche geprägt, zielen auf eine öffentliche Wahrnehmung und Wirkung ab und versuchen, das Denken zu verändern. Bereits 1991 sprach Autor Don DeLillo von der Figur des Terroristen als neuem Romancier, der das „menschliche Bewusstsein beeinflusst“.

Über die Rolle der Nachrichtenmedien bei diesem Prozess ist immer wieder diskutiert worden; über den Widerspruch zwischen Informations- und Bilderbedürfnis der Bevölkerung und dem Risiko, Nachrichten als Resonanzkörper instrumentalisieren zu lassen. Kulturtheoretiker Georg Seeßlen spricht in diesem Zusammenhang von einer „Bilderfalle“, in welche die Medien immer wieder tappen, und kommt zu dem ernüchternden Fazit: „Das Verwertungsinteresse ist größer als die Moral, so dass der Terror sicher sein kann, dass seine Botschaften ankommen.“

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(Filmstill aus Flug 93 von Paul Greengrass. Copyright: Universal Pictures Germany)

Unter leicht veränderten Vorzeichen sind das auch Themenkomplexe, die das zeitgenössische Kino beschäftigen: Wie positioniert es sich im „Krieg der Bilder“, wie stellt es den Terror dar? Wenn der Terrorismus auch Kunst sein will und Szenarien entwirft, die an Katastrophenfilme erinnern, steht das Kino dann nicht auf seiner Seite, wenn es dieselben Bilder repliziert? Wann ist es Teil der umfassenden Drohkulisse, Megaphon der Gewalt, wann hingegen ein Erfahrungsraum für Aufarbeitung oder Konfrontationstherapie?

Direkt nach den Anschlägen im Jahr 2001 nahm vor allem Hollywood erst einmal Abstand zu den realen Bildern, sicher aus Pietät, vielleicht aber auch aus Sorge ob der unerreichbaren Katastrophenbilder der Wirklichkeit. Man wendete entsetzt den Blick ab. Verschiedene Filme, wie der Thriller Collateral Damage mit Arnold Schwarzenegger, wurden verschoben. Andere, wie der erste Spider-Man-Film von Sam Raimi, wurden um Szenen gekürzt, die das nunmehr zerstörte Gebäude enthielten. Erst nach etwa einem halben Jahrzehnt entstanden erste, äußerst vorsichtige Projekte, die sich umsichtig an das nationale Trauma herantasteten. Paul Greengrass‘ Flug 93 etwa war nicht nur um pseudo-dokumentarische Wirklichkeitstreue bemüht, sondern holte auch die Erlaubnis von Angehörigen ein und spendete einen Teil der Einnahmen, um den Passagieren der gekaperten Maschine ein Denkmal zu errichten.

Die anfängliche Umsicht verschwand, mit zunehmendem Abstand zum ursprünglichen Ereignis diversifizierte sich der Blick auf das Thema. Hunderte Male reproduzierte die Traumfabrik das Bild der einstürzenden Wolkenkratzer, kein Action-, Katastrophen- und Superhelden-Film kam ohne die großflächige Stadtzerstörung aus. 2007 verkündete Uwe Boll stolz, mit Postal die erste 9/11-Parodie gedreht zu haben.

Heute begegnet das Kino dem Terrorismus vor allem in zwei Formen: Als ultradestruktives Explosionskino der Marke White House Down oder als staatstragendes, um Akkuratesse bemühtes Nationalkino wie Zero Dark Thirty.

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(Filmstill aus Boston von Peter Berg. Copyright: StudioCanal Deutschland)

In der ersten Jahreshälfte von 2017 waren (und sind) in den deutschen Kinos zwei aktuelle Filme zu sehen, die dem Terrorismus auf unterschiedliche Weise begegnen: Bereits im Februar lief Peter Bergs Boston an, in der Originalversion passender als Patriots Day betitelt. Der Thriller basiert auf wahren Begebenheiten und dramatisiert den Anschlag auf den Boston-Marathon vom 15. April 2013. In den genreüblichen Montagen bewegt der Film ein Figuren-Ensemble, darunter auch die Täter, der Katastrophe entgegen und begleitet sie im nachfolgenden Chaos. In Interviews beschwor Berg die politische Neutralität des Films, auf Nachfrage erklärte er, der Film handle vom Triumph der Liebe über die Gewalt. Doch natürlich hat Berg einen (lokal)patriotischen, konservativen Film gedreht, über die Bedeutung von entschlossenem Handeln durch starke Männer.

Trotzdem ist sein Blick auf das Brüderpaar Dschochar und Tamerlan Zarnajew, die den Sprengsatz beim Rennen platzierten, von einer Art vorsichtigem Mitleid geprägt. Er begreift sie als Täter und Opfer zugleich und zeigt sie beim uramerikanischen Cornflakes-Frühstück, während sie die Bombenbau-Videos derer schauen, welche die tatsächliche Schuld trifft. Selbst ein Filmemacher wie Berg, der in Lone Survivor noch Mitleid selbst gegenüber wehrlosen Feinden als Schwäche inszenierte, weiß, dass er Terroristen im Kino nicht (mehr?) in Monster verwandeln kann. Wer sie als coole Anti-Helden oder auch nur als in ihrer Gewalt und Brutalität mächtig darstellt, macht indirekt Werbung für sie. Genau wie jeder Anti-Kriegsfilm für François Truffaut durch die Ästhetisierung der Schlachten auch ein Kriegsfilm war, ist wohl auch jeder Anti-Terroristen-Film Teil der großen terroristischen Bedrohungskulisse. Das härteste Dagegenhalten wird die herzlichste Umarmung. Um diesem Paradoxon zu entkommen, sind Bergs Bilder jedoch letztendlich zu konventionell, zu sehr um das bemüht, was in Hollywood unter Realismus verstanden wird.

Der Drama- und Action/Horror-Hybrid Nocturama von Bertrand Bonello, ab Donnerstag in den deutschen Kinos zu sehen, geht im Umgang mit diesem Problem ungleich weiter und findet neue Antworten auf die alten Fragen. Der Film erzählt von einer Gruppe französischer Jugendlicher, die eine Anschlagsreihe organisieren. Wie Boston ist das französische Drama ein Ensemblefilm und gibt durch die Einblendung der Zeit ein Gefühl von Aktualität und Realitätstreue. Doch die Ereignisse sind fiktiv und auf eine Weise abstrahiert, wie es den Terroristen in ihrer „Kunst“ nie möglich wäre. Die anfängliche Chronologie beginnt sich in Schleifen aufzulösen, immer wieder springt die Uhr zurück. Als gelte es, sich dem nahenden Ende zu verweigern. Als der Anschlag kommt, sehen wir keine Toten und fast keine Menschen. Gebäude und Autos explodieren in simplen, bedeutungsarmen Bildern, die Bonello per Splitscreen in solche verwandelt, die von einer Überwachungskamera zu stammen scheinen; kein Hirst, kein Stockhausen, kein Anselm Kiefer (der verkündete, Osama Bin Laden habe „das perfekteste Bild geschaffen, das wir seit den Schritten des ersten Mannes auf dem Mond gesehen haben“) könnte diese Bilder glaubwürdig überhöhen. Und das, obwohl auch eine Statue von Märtyrerin Johanna von Orléans in Flammen gesetzt wird.

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(Filmstill aus Nocturama. Copyright: RealFiction)

Die Figuren versammeln sich schließlich in einem Kaufhaus, eine spiegelnde Warenwelt, in der die Zeit endgültig gefrieren zu scheint. Ein Spielzimmer, in dem sie selbst zu Puppen werden: Sie begegnen Mannequins, die genau wie sie aussehen. Sie kleiden sich um und maskieren sich wie Actionfiguren, tanzen zu Pop- und Rapsongs, veranstalten Playback-Choreographien. Fast scheinen sie die Sinnlosigkeit ihres Handelns zu begreifen. Sicher, die Nachrichtenbilder vervielfachen ihre Tat, doch es will sich kein Stolz einstellen, nur ein leeres, hohles Gefühl, das nach und nach in eine existenzielle Angst umschlägt. Bonello lässt die Gewalt der Täter, ihren Mut, ihren Ehrgeiz, ihre Träume und Ziele, sogar ihre Identität, in einem Nebel des Nichterzählens untergehen und unsichtbar werden.

Der französische Regisseur deutet damit eine Möglichkeit an: Im wirkmächtigsten Film über und gegen den Terrorismus wäre dieser langweilig, ein sinnloser, banaler Akt des Abwartens, nur ein weiterer Zustand der Machtlosigkeit. Den Tätern würde er mit einem mitleidigen Kopfschütteln begegnen. Ihre Hilflosigkeit würde nicht als Ausrede, sondern dem Verständnis dienen. Es wäre eine stilles, unheroisches Kino. Kein verklärendes, nur ein stoisches. Kein Betäubungsmittel, nur ein Gegengift.

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