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Kathy Bates – Von Hindernissen und Bewunderung

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Vor 70 Jahren wurde Kathy Bates geboren. Im Rahmen unserer Reihe „Spotlight“ blicken wir auf eine Frau, die sich in ihrer Karriere seit jeher furchtlos zeigt.

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Kathy Bates in "About Schmidt"
Kathy Bates in "About Schmidt"

Manche Stars bezeichnen ihre Paraderollen, mit denen sie immer wieder in Verbindung gebracht werden, als „Geschenk“, andere sehen diese höchst ambivalent als „Fluch und Segen zugleich“. Die Schauspielerin Kathy Bates nennt ihre beiden womöglich prägendsten Filmauftritte in einem Fernsehinterview von 2012Hindernisse“ – jedenfalls wenn es darum gehe, Männer kennenzulernen.

Natürlich sagt sie das mit einem Lachen und schickt die versöhnlichen Worte hinterher, eine wundervolle Karriere genossen zu haben. Sie betont in Bezug auf den Hindernis-Charakter dieser Auftritte aber auch: „Ernsthaft, das ist es wirklich!“ Und man glaubt ihr sofort – denn Bates war nie eine Frau, der es darum ging, auf der Leinwand zu gefallen und gemocht zu werden. Sei es nun in ihren besagten Glanzrollen, als obsessiver Fan in Misery (1990) beziehungsweise als Hippie-Mutter in About Schmidt (2002), die den Protagonisten im Whirlpool zu verführen versucht, oder in ihren diversen Parts in der skurrilen Anthologie-Serie American Horror Story (seit 2013).

 

Danke für die Träume!

Zugleich ist sie eine Künstlerin, die oft ihre tiefe Bewunderung für ihre Kolleg_innen zum Ausdruck bringt – selbst in Momenten, in denen sie ganz unzweifelhaft die Person im Rampenlicht ist. So etwa bei der Verleihung der Golden Globe Awards im Jahre 1991, aus welcher sie als Gewinnerin in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin – Drama“ für ihre Leistung in Misery hervorging. Bates bedankt sich in ihrer Rede bei allen, die an dem Werk beteiligt waren, insbesondere bei Regisseur Rob Reiner für dessen Mut, ihr eine Chance gegeben zu haben, und stellt fest: „Wo immer ich mich hindrehe, sind so viele vertraute Gesichter.“ Es seien die Gesichter von Menschen, die in ihr einst den Wunsch erweckt hätten, Schauspielerin zu werden. „Ich danke euch allen für die wundervollen Jahre voller Vision und Liebe und Fantasie und Träume und Schmerz.“

Zu diesem Zeitpunkt war Bates gerade in Hollywood angekommen. Am 28. Juni 1948 als Kathleen Doyle Bates in Memphis, Tennessee geboren, entdeckte sie in der Highschool ihr Faible fürs Spielen. In einem Interview mit TELE 5 verrät sie, sich in der Schule stets als Außenseiterin gefühlt zu haben: „Ich war immer anders als die anderen“. Nach einem Schauspielstudium an der Southern Methodist University in Dallas, Texas zog sie 1970 nach New York City, jobbte unter anderem als Kassiererin und Kellnerin – und erregte bald schon Aufmerksamkeit auf der Bühne: Im Studio Arena Theatre in Buffalo, New York trat sie neben Christopher Walken in der Weltpremiere von Lanford Wilsons Drama Lemon Sky auf. Dass es im Showbusiness jedoch selten wirklich gerecht zugeht, sollte ihr bereits dieses erste große Erfolgserlebnis zeigen. Denn als das Stück in eine New Yorker Off-Broadway-Spielstätte verlegt wurde, ersetzte man Bates kurzerhand – im Gegensatz zu ihrem Bühnenpartner Walken, der überdies einen Drama Desk Award erhielt.

 

5 Dollar für geflügelte Pferde

Unter ihrem Spitznamen „Bobo“ gab Bates im Jahr darauf ihr Filmdebüt – in einer Mini-Rolle in Miloš Formans musikalischer Tragikomödie Taking Off. Für eine bescheidene Gage von 5 Dollar spielt sie darin als namenlose Sängerin Gitarre und interpretiert ihren selbst geschriebenen Song And Even the Horses Had Wings. Abgesehen von 2 TV-Engagements sowie einem Nebenpart im Kriminaldrama Stunde der Bewährung (1978) war es zunächst allerdings weiterhin die Bühne, auf der sie ihrer Profession nachging. Als Robert Altman das Ensemble-Stück Komm‘ zurück, Jimmy Dean von Ed Graczyk Anfang der 1980er Jahre am Broadway inszenierte, wurde Bates neben Sandy Dennis, Cher und Karen Black besetzt – und übernahm ihre Rolle auch in Altmans Leinwandversion.

Kathy Bates mit Sandy Dennis in Komm’ zurück, Jimmy Dean; Copyright: Cinecom Pictures / Olive Films
Kathy Bates mit Sandy Dennis in Komm’ zurück, Jimmy Dean; Copyright: Cinecom Pictures / Olive Films

 

Dies blieb indes die Ausnahme. Obwohl Bates für ihre Darstellung der suizidalen Tochter in Marsha Normans 2-Personen-Stück Nacht, Mutter in Cambridge sowie in New York City gefeiert wurde, zog man für die Verfilmung im Jahre 1986 die zarte Sissy Spacek vor. Für den von ihr auf der Bühne interpretierten Part in Beth Henleys Schwesterndrama Verbrecherische Herzen wurde im selben Jahr für die Leinwand die Woody-Allen-Heldin Diane Keaton gecastet. Und trotz des Lobes der Theaterwelt für ihre Leistung in Terrence McNallys Liebestragikomödie Frankie and Johnny in the Clair de Lune ging die weibliche Titelrolle, die McNally Bates gar auf den Leib geschrieben hatte, in der Kino-Bearbeitung an die 10 Jahre jüngere Michelle Pfeiffer. „An meinen schlechten Tagen war ich es leid, Material für Sissy Spacek und andere Stars zu entwickeln“, gibt Bates in einem New-York-Times-Interview zu. Sie habe nie dem Rollenfach der ingénue entsprochen – der jungen, hübschen, unschuldig-naiven Frau.

 

Kein Monster, ein Mensch

Dass sie beim Vorsprechen für die Stephen-King-Adaption Misery den Satz „Du bist nicht Michelle Pfeiffer“ zu hören bekam, schien daher ein denkbar schlechtes Zeichen zu sein. Doch Rob Reiner hatte Bates auf der Bühne erlebt und dort ihre Passion gespürt. Als fanatische Ex-Krankenschwester Annie Wilkes, die ihren schwer verletzten Lieblingsautor (verkörpert von James Caan) erst rettet, um ihn dann in ihrem Haus furchtbar zu quälen, liefert sie eine wuchtige, Oscar- und Golden-Globe-prämierte Darbietung. „Annie ist kein Monster in einem Horrorfilm; sie ist ein menschliches Wesen, das psychopathisch ist“, meint Bates gegenüber der New York Times. Dass das Menschliche für uns bei aller Grausamkeit zu erkennen ist, liegt womöglich an Bates’ Herangehensweise: Sie denke sich im Vorfeld eine Biografie für ihre Figuren aus – mit Informationen, die dem Publikum zwar verborgen blieben, ihr aber dazu dienten, die gespielte Person zu verstehen.

Kathy Bates in Misery; Copyright: Columbia Pictures / MGM Home Entertainment
Kathy Bates in Misery; Copyright: Columbia Pictures / MGM Home Entertainment

 

„I’m … not a movie-star type“, sagt Annie an einer Stelle in Misery – und diese Aussage könnte auch von Bates stammen, die sich selbst als „character actress“ sieht. Als solche vermochte sie in den Folgejahren viele Facetten auf die Leinwand zu bringen, statt sich nach ihrem Hollywood-Durchbruch etwa auf die Psycho-Rolle festlegen zu lassen. Grüne Tomaten (1991), Titanic (1997), Mit aller Macht (1998) und Zeiten des Aufruhrs (2008) sind nur einige der bemerkenswerten Einträge in ihrer abwechslungsreichen Filmografie. Als ihre persönliche Lieblingsrolle, die sie mit besonderem Stolz erfülle, nennt Bates den Titelpart in Taylor Hackfords Thrillerdrama Dolores (1995) – abermals einer Stephen-King-Adaption:

„Ich konnte wirklich einen Charakter spielen. Jemanden, der völlig anders als ich war. Ich hatte tolle Leute, die mich älter oder jünger aussehen ließen, sowie einen Dialekt-Coach und einen Bewegungs-Coach.“ (Bates in der Talkshow Anderson)

 

Kathy Bates mit Jennifer Jason Leigh in Dolores; Copyright: Columbia Pictures / Warner Home Video
Kathy Bates mit Jennifer Jason Leigh in Dolores; Copyright: Columbia Pictures / Warner Home Video

 

Wenn Bates über ihre persönlichen Vorstellungen von Schauspiel spricht, gelangt sie auch schnell wieder zur Bewunderung, etwa für Meryl Streep, die sich in alle Arten von Charakteren verwandle, „mit Akzenten und Make-up und Frisuren und all dem, weshalb wir alle ursprünglich mal diesen Beruf machen wollten – um zu spielen!“ Bates räumt ein, ihren Job zuweilen vielleicht zu ernst zu nehmen; offen spricht sie über Phasen der Depression in ihrer Vergangenheit, welche sich dadurch verschlimmert hätten, dass ihre Identifikation mit den fiktiven Figuren zu weit gegangen sei.

Dies erklärt eventuell, warum Bates im Laufe ihrer Filmkarriere dann auch Rollen annahm, die ihr in erster Linie Spaß bereiteten. Den Part der Mutter des von Adam Sandler verkörperten Protagonisten in Waterboy (1998) habe sie, wie sie dem Rapper Snoop Dogg in einem Interview erzählt, übernommen, weil ihre Nichte so begeistert von Sandlers Comedy-Arbeit gewesen sei. So war letztlich auch hier die Bewunderung ein wichtiger Faktor, wenngleich es zunächst nicht ihre eigene war. Inzwischen zählt sie Sandler zu ihren engen Freunden. Im Gespräch mit spot on news über ihre Mitwirkung in der eher derb-krawalligen Komödie Tammy (2014) äußert sich Bates wiederum voller Wertschätzung über ihren Co-Star Melissa McCarthy:

„Sie hat keine Angst, sie macht fast alles vor der Kamera. Und sie bringt ein physisches Element auf die Leinwand, das ich auch gerne gehabt hätte in meiner Karriere.“ (Zitiert nach spot on news)

 

Kathy Bates in Waterboy; Copyright: Buena Vista Pictures / Touchstone Home Entertainment
Kathy Bates in Waterboy; Copyright: Buena Vista Pictures / Touchstone Home Entertainment

 

Gewiss möchte man Bates kein Kokettieren unterstellen; gleichwohl will man sie bei einer solchen Aussage unweigerlich an ihren Auftritt in Alexander Paynes About Schmidt (2002) erinnern, welcher all das beinhaltet, was sie an ihrer jüngeren Kollegin lobt. Sie verkörpert in der tragikomischen Romanverfilmung die Mutter des zukünftigen Schwiegersohns der von Jack Nicholson gespielten Titelfigur. Es ist eine Nebenrolle mit relativ geringer screen time – mit der Gefahr, zur Karikatur einer alternden Person mit wilder Woodstock-Vergangenheit und (sexuellem) Selbstverwirklichungsdrang zu verkommen. Und doch macht Bates daraus etwas so Prägnantes, so Exzeptionelles, dass sie von der Kritik gepriesen und mit Oscar- sowie Golden-Globe-Nominierungen bedacht wurde. Nach Ein Pfeil in den Himmel (1991) im Alter von 43 Jahren ließ sie sich hier – mehr als eine Dekade später – auf ihre zweite Nacktszene ein. Bates’ Whirlpool-Auftritt sei etwas, was kein Publikum jemals zu sehen erwartet hätte, urteilt Variety – und man wünscht sich, viel häufiger im Kino mit dieser Mischung aus Natürlichkeit und Humor konfrontiert zu werden.

Wie viele Schauspieler_innen hat Bates in den vergangenen Jahren in Serien oft interessantere Parts gefunden als in Filmen. So spielte sie etwa zwischen 2003 und 2005 in 10 Episoden von Six Feet Under mit (und war zudem für 5 Episoden als Regisseurin aktiv); obendrein gehört zu den wiederkehrenden Gesichtern des Pay-TV-Hits American Horror Story. Der Leinwand hat sie dennoch nicht gänzlich abgeschworen – und auch ihrer Bewunderung für filmische Mitstreiter_innen ist sie treu geblieben: Zu ihren „acting crushs“ zählt sie in einem Interview von 2015 den frankokanadischen Schauspieler und Filmemacher Xavier Dolan, in dessen erster US-Arbeit The Death and Life of John F. Donovan sie zu sehen sein wird. Ebenso ist sie im Ruth-Bader-Ginsburg-Biopic On the Basis of Sex mit an Bord.

Sie arbeite nur noch dann, wenn es sie wirklich reize, meint Bates gegenüber spot on news. Wir hoffen daher sehr, dass sie sich ihre Fähigkeit zur Begeisterung und Bewunderung, ihren Ernst und ihren Spaß am Spielen sowie ihren Mut, sich Hindernissen zu stellen, noch lange erhält.

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