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Home, Sweet Home!

Ein Beitrag von Lucia Wiedergrün

Der Naturdokumentarfilm bietet die Möglichkeit, nach Hause zu kommen, in eine Welt, von der man gar nicht wusste, dass sie die eigene ist. Doch wie alle Heimatfantasien ist sie immer ein bisschen zu schön und ein wenig zu aufgeräumt, um sich wirklich zu Hause zu fühlen.

Meinungen
Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale
Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale

Im aktuellen politischen Diskurs feiert besonders ein Wort seine Renaissance: Heimat. Damit geht das Wiedererstarken einer speziellen Form des Heimatfilms einher, nämlich des Naturdokumentarfilms. Dieser konstruiert aus der großen Diversität des Lebens auf unserem Planeten die Einheit einer Welt, die sich Heimat nennt. Gleich zwei der großen Naturfilmreihen folgen momentan aufeinander: nach Reise der Pinguine 2, der aktuell auf DVD und Blu-ray erscheint, startet demnächst Unsere Erde 2 im Kino.

Der Film erschafft Welten, darunter auch eine sehr spezifische: unsere. Immer wieder aufs Neue ersteht aus den Bildern von Wüsten, Gletschern und Wäldern unser Planet. Der, so erzählen uns die Filme, unsere Heimat ist. Spätestens seitdem der Wettlauf ins All als Teil der Maschinerie des Kalten Kriegs die ersten Bilder des Blauen Planeten zur Erde sandte, hat sich diese Idee tief in den Köpfen eingebrannt, auch wenn sich dies in vielen aktuellen politischen Entscheidungen kaum nachvollziehen lässt.

So hat seltsamerweise gerade das Streben in die Weiten des Alls die Idee einer Heimat der Menschheit geschaffen, das Bild einer Arche in der Schwärze. Wir, die wir nie in der Lage sein werden, diesen Planeten in all seiner Größe und Vielfalt zu sehen oder zu erfahren, sind angewiesen auf die Bilder. Was einst mittelalterliche Karten leisteten, mit Zeichnungen von Seeungeheuern, die am Rande der Erdscheibe schwammen, leisten heute Filme.

  • Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale
    Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale

    Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale

  • Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale
    Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale

    Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale

  • Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale
    Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale

    Unsere Erde 2 von Peter Webber und Richard Dale

Die Wirkmacht ihrer Bilder ist dabei kaum zu überschätzen, schon als Kinder lernen wir, dass der Eisbär oben wohnt, wo Schnee liegt und es kalt ist, und der Elefant durch die Weiten der Savanne streift. Dabei entsteht ein Kartensystem, das scheinbar abgelöst von politischen Grenzen oder kulturellen Gegebenheiten als Matrix unserem profanen menschlichen Alltag zu Grunde liegt: die Natur. Diese Natur bietet dabei kaum Platz für Zwischenräume, Anomalien, Uneindeutigkeiten oder schlicht Langeweile.

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(Trailer zu Unsere Erde 2)

So sucht man vergeblich nach den unscheinbaren, wenig fotogenen Geschöpfe, mit denen wir zum Teil in enger Nachbarschaft leben, sie bleiben ebenso wie die trostlosen weniger spektakulären oder schlicht unklaren Landschaften, wie Agrargebiete, Wohnorte oder andere optisch wenig ansprechende Regionen, als Teil der Alltagswelt ausgespart. Weder entsprechen sie dem Bild der Natur als Ausdruck erhabener Schönheit noch ihrem Antagonisten, dem allesverzehrenden industriellen Kapitalismus. Das hat viel mit der Liebe zur Ordnung zu tun, die diese Filme ausstrahlen. Da sitzt der weiße Bär im weißen Schnee und der grüne Frosch auf dem grünen Blatt.

Dass dies natürlich auch auf die immer wieder beschworenen Prozesse evolutionärer Anpassung zurückzuführen ist, soll damit keineswegs in Frage gestellt werden. Doch lässt sich feststellen, wie groß der Hang der Filme zu Mustern ist. Am stärksten sichtbar wird dieses Prinzip in Home, einem Film, der ausschließlich aus Luftaufnahmen besteht.

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(Trailer zu Home)

Diese klaren Bildstrukturen führen zu einer Simplifizierung der Welterfahrung. In 90 Minuten kann der Planet in seiner räumlichen und zeitlichen Tiefe durchschritten werden. Die dem Geschehen enthobene Kamera wird nicht nur zum ästhetischen Prinzip des Films, sondern strukturiert ebenso den ganzheitlichen Anspruch der Erzählung. Zu der darüber inszenierten Vergangenheit und Gegenwart gesellen sich zwei möglichen Zukunftsszenarien: die Errettung der Welt oder ihre völlige Zerstörung. Die Frage danach, welches Szenario eintreten wird, liegt in den Händen der Zuschauer*innen.

 

Heimat als Einheit

Die Geschichte der Menschheit erscheint hier in ähnlich klarer Form als stringente teleologische Entwicklungsgeschichte. Die Ursprünge dieser Geschichte illustrieren Bilder, die Farmer und Fischer zeigen und damit eine schmerzhaft einfache Vorstellung eines Entwicklungsgefälles auf unserem Planeten entwerfen, in dem die einen noch in unschuldiger Einheit mit der Natur leben, unbefleckt vom Wissen der Industrialisierung, welches die anderen längst korrumpiert hat.

Dass auch bekannte Regisseure vor dieser Darstellungsweise nicht zurückschrecken, zeigt Terrence Malicks Voyage of Time: Life‘s Journey, ein Film über die Zeit und den Raum an sich, dessen prätentiöse und zugleich unerträglich vereinfachte Entwicklung des menschlichen Lebens beim Schauen so schwer zu ertragen ist, dass man sich wünscht, es wäre nie zu dieser Entwicklung gekommen, nur um diesem Film entgehen zu können. Das Problem dieser Darstellung ist, dass sie rassistische Stereotype reproduziert, die längst überwunden gehören, und damit verbunden auch keinen Platz für individuelle Welterfahrungen lässt: Heimat lässt sich am besten im Kollektiv denken.

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(Trailer zu Voyage of Time: Life‘s Journey)

Demgegenüber stehen Filme, die eine Welt zeigen, die scheinbar nichts von der Existenz des Menschen weiß. So lässt beispielsweise keines der Bilder in Unser blauer Planet oder Die Reise der Pinguine auf unsere Existenz schließen. Nicht mal einen Fußabdruck im Schnee hinterlassen wir. Die Menschheit hat hier zwar keinen Platz im Bild, aber dafür umso stärker in den erzählten Geschichten. Aus der Heimat wird dabei das Heimelige. Kulturelle Vorstellungen und Normen lassen sich in den Geschichten der Tiere wiederfinden, am stärksten in der zur universellen Norm erklärten Kernfamilie.

Dem Erfolg tut dies keinen Abbruch: Die Reise der Pinguine, dieser seltsam zuckersüße Pinguinkitsch, in dem die Vögel selber, im Sprachduktus von Kinderbibelerzählungen unterlegt mit französischer Popmusik, ihre Geschichte voller Aufopferung und Entbehrung erzählen, zählt bis heute an den deutschen Kinokassen zu den erfolgreichsten Dokumentarfilmen. Der zweite Teil verzichtet jetzt auf sprechende Tiere und nähert sich damit stärker dem klassischen Naturdokumentarstil an, wie ihn Unser blauer Planet in diversen Serienformaten geprägt hat.

  • Die Reise der Pinguine 2 von Luc Jacquet
    Die Reise der Pinguine 2 von Luc Jacquet

    Die Reise der Pinguine 2 von Luc Jacquet

  • Die Reise der Pinguine 2 von Luc Jacquet
    Die Reise der Pinguine 2 von Luc Jacquet

    Die Reise der Pinguine 2 von Luc Jacquet

  • Die Reise der Pinguine 2 von Luc Jacquet
    Die Reise der Pinguine 2 von Luc Jacquet

    Die Reise der Pinguine 2 von Luc Jacquet

Auch hier dominieren das klassische Familienleben und der Aufopferungswille der Muttertiere. Alles wird strukturiert über die Kreisläufe von Jagd, Fortpflanzung und dem Zyklus der Jahreszeiten. Die Welt scheint ordentlich und klar verständlich. So wie es in der Hermetik des klassischen Heimatfilms keinen Platz für Abweichungen gibt, kennt auch der Naturdokumentarfilm nur eine Natur, die nach strengen Gesetzen ohne Divergenz operiert. Damit werden Weltbilder geschaffen, die durch ihren Rückbezug auf Schlagworte wie Tradition und Natur festgeschrieben und damit jeglichem Diskurs entzogen werden. Dabei geht gerade das Gefühl der immer wieder beschworenen Diversität verloren, darin treffen sich Heimat-und Naturdokumentarfilm: beide verlassen das Individuelle zu Gunsten einer Norm.

Komplexe Sinnerfahrung als Handlungsauslöser

Ein konservatorischer Anspruch kann den klassischen Naturdokumentarfilmen nicht abgesprochen werden. Es geht um den Schutz und den Erhalt unseres Planeten, und all dessen, was darauf kreucht und fleucht. Appelliert wird an das ästhetische Gefühl und die Nächstenliebe mit Bildern, deren Schönheit nicht zu bestreiten ist. Die Botschaft ist klar: Diese schönen, imposanten oder schlicht putzigen Geschöpfe verdienen unsere Aufmerksamkeit und unseren Schutz. Der Domestizierung der Welt durch klar verständliche Bilder und Geschichten liegt die Idee zugrunde, dass wir nur schützen, was wir lieben, und nur lieben, was wir verstehen können.

Dieser Simplifizierung der Welt in den Filmen steht eine Überkomplexität der eigenen Alltagserfahrung gegenüber. Als überfordertes, in der profanen Unordnung des Alltags gefangenes Individuum gibt der Film mir keine Möglichkeit mehr, mich als Teil dieser Welt zu verstehen, wodurch jede Form der Interaktion und damit des politischen Handelns im Keim erstickt wird. Im Gegensatz dazu sind es gerade jene Filme, die die Welt als überkomplexe Sinnerfahrung vermitteln, die zum eigenen Denken anregen und damit das größte Potential politischen Handelns in sich tragen.

Zu den Filmen, die in der Lage sind, ein neues Gefühl der Welterfahrung zu schaffen, gehören beispielsweise die Werke des Harvard Sensory Ethnography Lab, unter ihnen Sweetgrass, der einen der letzten Schaf-Tracks der USA begleitet, oder Leviathan, der fragmentarisch Eindrücke des Hochseefischfangs einfängt. Diese wecken durch ihre sehr wenig bis gar nicht erklärende Form und die extrem nahen Kameraeinstellungen ein konstantes Gefühl des Nichtverstehens. Als Zuschauer*in befindet man sich permanent in dem nie zu einem Ende findenden Versuch, Sinn zu stiften, oder sich schlicht der Unmöglichkeit der Sinnstiftung hinzugeben.

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(Trailer zu Leviathan)

Auf ganz andere Art und Weise, aber mit einem ähnlichen Impetus der Irritation arbeitet Nénette, ein Film des französischen Dokumentarfilmers Nicolas Philibert, der eine Orang-Utan-Dame im Pariser Zoo zeigt. Überlagert werden die Bilder von Sätzen der Besucher und eigens für den Film eingesprochener Sprachfragmente, die langsam das Hierarchiegefälle zwischen Betrachter und Betrachtetem erodieren lassen. Was in diesen Filmen passiert, ist die Auflösung der vermeintlich so scharfen Trennlinie zwischen Mensch und Tier, Natur und Kultur.

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(Trailer zu Nénette)

Die Welt des Heimatfilms ist eine Welt der Wünsche. Allen voran des Wunsches nach Ordnung. Was für den westdeutschen Heimatfilm der 1950er Jahre ein von Schuldgefühlen befreites, normgerechtes Zusammenleben und ein sauberer Dorfplatz waren, ist für den Naturdokumentarfilm eine Erde in der jeder Stein, jede Pflanze und jedes Lebewesen seinen Platz und seine Aufgaben hat.  Wie aber kann die so dringend notwendige Veränderung herbeigeführt werden, wenn alles seinen festen Platz hat? Die Filme zeigen uns eine Welt, die wie hinter Glas außerhalb unserer Reichweite zu liegen scheint, in der wir wie Fremdkörper erscheinen. Ja, unser Planet steht vor dem ökologischen Zusammenbruch. Gerade darum sind aber eben jene Filme so wichtig, in denen wir uns selbst als aktiven, lebendigen Teil dieser dynamischen, überkomplexen Welt erfahren lassen, einer Welt, in der die Handlungen jedes Einzelnen Folgen haben und nicht im bloß im großen Ganzen aufgehen.

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