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Heute Abend entscheiden wir eh nichts

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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Die öffentliche Podiumsdiskussion im Haus der Kulturen der Welt wurde als Erfolg der Forderungen nach Transparenz bei der Frage nach der Zukunft der Berlinale gewertet. Tatsächlich war der Abend ein bizarres Symptom all dessen, was auf dem Festival und in der deutschen Debattenkultur schiefläuft.


(Das Haus der Kulturen der Welt; Copyright: Farbkontrast / CC BY 3.0)

Dieter Kosslicks Vertrag als Intendant der Berlinale läuft 2019 aus und die Debatte um seine Nachfolge brodelt genau wie die Gerüchteküche. Das halböffentlich geplante Gespräch im Berliner Haus der Kulturen der Welt wurde erst im Zuge dieser Auseinandersetzung zur öffentlichen Podiumsdiskussion umgestaltet.

Dort diskutierten gestern Christiane Peitz vom Tagesspiegel, der Produzent Thomas Kufus, und der Regisseur Volker Schlöndorff, der im Laufe des Abends viel erratisch über die Vergangenheit redet. Die oftmals als potentielle Kosslick-Nachfolgerin beschworene Kirsten Niehuus ist „aus familiären Gründen“ nicht anwesend, sie wird von Bettina Reitz, Präsidentin der HFF München, ersetzt. Außerdem Christoph Hochhäusler, einer der Unterzeichner des Briefs der Regisseure, der mutig den Kopf hinhält, um das hasenfüßig formulierte Schreiben nach außen zu vertreten. Moderiert wird es von Philipp Weinges, seine Unart, trotz schlechter Vorbereitung vor allem den Frauen des Podiums wiederholt über den Mund zu fahren, lässt sich als verzweifelter Versuch seiner Deutschen Filmakademie werten, in der Debatte nicht ganz wortlos dazustehen.

Aber schon von Anfang wird deutlich, dass es an diesem Abend nicht um den Austausch über das Kino gehen wird. Als Hochhäusler zu Beginn mit dem Dokumentarfilmer Thomas Heise seine Forderungen referiert und gerade bei dem Gefälle zwischen auf der Berlinale präsenten Filmemachern aus Ost- und Westdeutschland ankommt, das sich auf diesem Podium fortsetzt – da erschallt aus dem Publikum der Ruf: „Langweiliger Vortrag!“ Die Studenten hinter mir regen sich derweil über das fehlende Gendern der Diskutierenden auf – jeder hier Anwesende hat seine eigenen Baustellen. Nur geht es nicht darum, die Argumente des Gegenübers zu hören oder gar zu streiten. Heute Abend wird eh nichts entschieden, dieses Urteil scheint bleiern über dem Podium zu hängen.

In dem Eröffnungsstatement der (derzeit nur geschäftsführenden) Staatsministerin Monika Grütters werden die Berlinale und die Errungenschaften Kosslicks gelobt. Nichts sei an den Gerüchten dran, wonach sie sich auf eine deutsche Frau für seine Nachfolge eingeschossen habe. Aber ihr von Filmzitaten gespicktes Eröffnungsstatement, das die versammelten „Filmfreunde“, die „Crème de la Crème der Filmszene“, zum Schmunzeln bringen soll, perlt einfach ab. Hochhäusler wird trotzdem zum geprügelten Hund des Abends. In erzieherischem Tonfall wird ihm immer wieder Verständnis für die Herausforderungen abgerungen, die die aktuelle Festivalführung bewältige. „Aber es gibt doch tolle Filme auf der Berlinale“, heißt es dann. Es wäre auch arg, fänden sich unter 400 Filmen pro Festivaljahrgang nicht auch ein paar Perlen. Hochhäusler prangert die deutsche Debattenkultur an, in der man Beißhemmungen nur allzu leicht mit Frieden verwechsele – darin zeigt sich auch das Dilemma seiner Rolle in der Runde. Wenn sich absurderweise sämtliche Diskutierende und sogar Unterzeichner des Briefs jegliche Kritik an Kosslick verbitten – wie soll er sie im Alleingang formulieren? Wie soll er als Regisseur öffentlich ganz konkrete Filme seiner Kollegen abwerten, die ihm als Beispiele für das politische Themenkino unter die Nase gerieben werden, das er angeblich fordere?

So verläuft die ganze Debatte erwartbar unbefriedigend, insbesondere, da mit Christiane Peitz die einzige Journalistin in der Runde überaus unkritisch argumentiert. Sie mache sich keine Sorgen um die Zukunft der Berlinale, Frau Grütters wisse schon, worauf sie achten müsse. Ein schwer nachvollziehbarer Kuschelkurs, muss Peitz doch im Gegensatz zu den Regisseuren nicht um künftige Fördergelder bangen. Auf der Veranstaltung herrscht überhaupt ein geringschätziger Ton gegenüber Journalisten: Kufus bemüht (wie vor ihm schon Ulrich Höcherl) den Begriff der „Journaille“, die vor allem die deutschen Filme im Wettbewerb prügeln würde. Später fragt der Moderator nach der potentiellen Qualifikation von Filmkritikern für den Job des Berlinale-Intendanten – hämisches Gelächter geht durch den Saal. Statt Grundsätzliches zu diskutieren, fordert man lieber weiter Hochhäusler heraus, will seine persönlichen Ideen zur Entschlackung der Berlinale hören. Er ist für weniger Filme, weniger Sektionen. Zeigt sich aber auch offen für den Einwurf von Schlöndorff, eine von Regisseuren kuratierte Reihe nach dem Vorbild der Quinzaine des Réalisateurs als Gegenprogramm zum offiziellen Wettbewerb zu etablieren. Dass die Woche der Kritik exakt dieses schon seit bald drei Jahren versucht, wird mit keinem Wort erwähnt. Schließlich kommt Christiane Peitz wieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu sprechen: man brauche eine Doppelspitze für die Berlinale, wenigstens darin seien sich ja wohl alle einig. Als sei diese Diskussion als erfolgreich zu verzeichnen, könnten sich nur alle Teilnehmer auf wenigstens einen Punkt einigen.

Im Kern stehen auf dem Podium neben wirtschaftlichen Faktoren sehr unterschiedliche Auffassungen von Kino gegeneinander. Es ist nur niemand bereit, das als Essenz des Konflikts anzuerkennen, geschweige denn die Diskussion um das Verhältnis von Form und Inhalt auch zu führen. Oder vielleicht ist dazu auch kaum jemand in der Lage. Filmkritiker zu sein befähigt einen tatsächlich nicht automatisch dazu, fundiert über das Kino zu reden – aber genauso wenig tut es das Amt der Staatsministerin, die Tatsache, im Vorstand irgendeiner Institution zu sitzen, oder schon mal einen Film gedreht zu haben. Man muss für das Kino brennen, sich damit möglichst auf praktischer wie theoretischer Ebene auskennen, ein Gespür für gegenwärtige und zukünftige Trends genauso sein Eigen nennen wie einen Standpunkt im Blick auf die Geschichte. Es bleibt nach wie vor fraglich, inwiefern entsprechende Personen bei der Zukunft der Berlinale mitreden dürfen. Heute tagen die Aufsichtsräte der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) – sie kommen aus Ministerien, der Senatsverwaltung, aus Medienräten. Grütters wird ihnen vorschlagen (noch nicht einmal das ist also ausgemacht) Experten aus der Filmbranche beratend hinzuzuziehen, um die künftigen Strukturen der Berlinale mitzugestalten. Auch hier: von Personalien kein Wort. Danke?

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