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Heinz Erhardt - „Mopsfidel im Wirtschaftswunderland“

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Vor 110 Jahren wurde Heinz Erhardt geboren, der Nachkriegsdeutschland das Lachen lehrte – und der genau deshalb allenfalls noch belächelt wird.

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Heinz Erhardt in "Drei Mann In Einem Boot"
Heinz Erhardt in "Drei Mann In Einem Boot"

„Ich könnte manchmal vor Glück eine ganze Allee von Purzelbäumen schlagen.“

Er gilt auch heute noch als Inbegriff des dicken Wirtschaftswunderdeutschen, als Pendant der Unterhaltungsindustrie zu seinem Zigarre rauchenden politischen Namensvetter Ludwig Erhard (ohne finales „t“ und allein schon deshalb deutlich sichtbar weder verwandt noch verschwägert), als gutmütiger Schelm, wie er sich selbst benannte und als Wortakrobat mit ausgeprägtem Hang zur harmlosen Verballhornung und hübschen Wortklauberei. Der am 20. Februar 1909 in Riga geborene Komiker Heinz Erhardt gilt heute rückblickend als Ikone und Sinnbild der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit – und zwar mit allen Implikationen, die das mit sich bringt. Denn auch wenn er in Der Haustyrann (1958/59) den notorischen Querulanten gab: Ein Nörgler oder gar Nestbeschmutzer war er nie, sondern eher ein Apologet des Status quo. Dabei wäre gerade seine Beliebtheit (nicht Beleibtheit) ein gutes Sprungbrett für manch subversiven Witz gewesen, wie dies etwa Wolfgang Neuss mit einiger Boshaftigkeit vorführte.

Erhardts Rollen liegt das Anarchische nicht. Er ist vielmehr insofern ein Kind seiner Zeit und der Schrecken des Zweiten Weltkrieges, dass nichts, aber auch gar nichts an ihm martialisch, preußisch oder in irgendeiner Form zackig wirkte, sondern vielmehr weich, nachgiebig, gutmütig und manchmal sogar von einer fast träumerischen Versponnenheit und gütigen Schrulligkeit. Selbst in jenen Rollen, in denen ihm qua Beruf eine gewisse Autorität anhaftete, stellte er sich so linkisch an, dass am Ende alle Herrschsucht gemildert und gebrochen war, indem er sich beispielsweise als gestrenger Verkehrspolizist in Natürlich die Autofahrer schlussendlich selbst zum braven Fahrschüler verwandelte. Oder wenn er sich als Finanzbeamter in Was ist denn bloß mit Willi los? am Ende doch als großzügig und herzensgut entpuppt. 

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Sehr wahrscheinlich liegt genau hierin das Geheimnis seines enormen Erfolges: Heinz Erhardt war von so ausgesuchter Harmlosigkeit (bzw. kultivierte genau dies), dass er all die Gräuel des Zweiten Weltkrieges vergessen machte. Der dicke, fröhliche Mann mit der ansteckenden Heiterkeit und den spinnerten Wortspielen wäre nicht im Traum imstande gewesen, auch nur einer Fliege etwas zuleide zu tun, so die feste Überzeugung seines Publikums. Und genau das half dabei, den Glauben an sich selbst wiederherzustellen. 

Tauchte Heinz Erhardt im Fernsehen auf, dann war das ein wenig, wie wenn der Lieblingsonkel damals zu Besuch kam, stets gut gelaunt und umweht von Zigarrenrauch, der einem mal eben ein Fünfmarkstück in die Hand drückte, dabei zwinkerte und dann wieder bei den Erwachsenen den Clown gab und herumkalauerte. 

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Auch wenn Heinz Erhardt ein Multitalent und buchstäblich auf vielen Bühnen zuhause war, ist er einem breiten Publikum doch vor allem durch seine Mitwirkung an rund 40 Filmen bekannt geworden. Klar, in den 1950er und 1960er Jahren, der Zeit seiner großen Erfolge, war das Kino noch eine gewaltige Bastion. Das Fernsehen bestand – wenn man Glück hatte – aus drei Programmen, Streaming und sonstiger neumodischer Firlefanz war unbekannt und der Besuch im Lichtspieltheater gehörte zu den unverzichtbaren gesellschaftlichen Pflichtübungen, wenn man kulturell mitreden wollte. Im Rekordjahr 1955/56 wurden 817 Millionen Kinotickets gelöst, ein Wert, von dem man heute nur noch träumen kann (zum Vergleich: 2018 waren es rund 105 Millionen Besucher im wiedervereinigten Deutschland). Beste Voraussetzungen also für einen Darsteller vom Schlage Heinz Erhardts, der die breite Masse ansprach, um zu einem der unbestrittenen Superstars der Wirtschaftswunderzeit zu werden. 

Wovon Heinz Erhardt sicherlich auch profitierte, war der vergleichsweise späte Start seiner Filmkarriere, die ihn jeglicher Zwielichtigkeit enthob, die manch anderem Darsteller anhaftete. Er selbst bezeichnete sich einmal als „frühentwickelte Spätausgabe“. Just mit der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 begann seine Laufbahn, zunächst nur als körperlose Stimme in dem Verkehrserziehungsfilm Wer macht was falsch?. Von da an sollte es aber noch eine Weile dauern, bis die Produzenten; Regisseure und auch das Publikum verstanden, dass der komische Dicke viel mehr war als ein reiner Stichwortgeber für andere, sondern durchaus auch in der Lage war, ganz allein einen Film zu tragen. Vielleicht liegt ja genau hierin die Tragik, die der Person Heinz Erhardt anhaftete: Seine festgelegte Rolle, seine zur Schau gestellte Gutmütigkeit, sein tiefer Humanismus waren zwar gesellschaftlich gewollt und notwendig, verhinderten aber zugleich, dass andere Talente und Charaktereigenschaften sich frei entfalten konnten.

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Dass Erhardts Karriere bedingt durch einen Schlaganfall im Jahre 1971 jäh endete, passt zu seiner vorherigen Laufbahn und letztlich auch zu der Funktion, die ihm die Nachkriegsgesellschaft zugedacht und die er angenommen hatte. Die gesellschaftlichen Verwerfungen durch die 1968er Generation, der Neue Deutsche Film nach dem Oberhausener Manifest – in all das passte einer wie er eh nicht mehr hinein, stand er doch in seiner gütigen Altväterlichkeit wie kaum ein Zweiter für „Papas Kino“. Wie wäre seine weitere Karriere wohl verlaufen? Vielleicht hätte er ein ähnliches filmisches Schicksal gehabt wie Theodor Lingen, der sich in den Pauker-Filmen gegen die Spät-68er-Rotzlöffel zur Wehr setzte und dabei vollends zur lächerlichen Gestalt wurde.

Eine Karriere im Fernsehen an der Seite von Showmastern wie Hans- Joachim Kulenkampff, Blacky Fuchsberger, Peter Frankenfeld und anderen wäre sicherlich eine Option gewesen (und durchaus auch passend, wie Regina Schillings herausragender Essayfilm Kulenkampffs Schuhe eindrucksvoll belegte), doch dazu sollte es krankheitsbedingt nicht mehr kommen. Dass die Krankheit ihm just des Sprechvermögens beraubte, das seine Persona so sehr geprägt hatte, wirkt rückblickend betrachtet doppelt bitter. Am 5. Juni 1979, vier Tage, nachdem er mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden war, starb Heinz Erhardt und wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf bei Hamburg beigesetzt. 

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Die Erinnerungen an ihn, seine Auftritte im Film, vor allem aber seine Gedichte und seine unnachahmliche Sprechweise werden bleiben. Als Zeugnis eines sanften Poeten, der sein Wirken so sehr in den Dienst des Lachens gestellt hat, dass man dabei eigentlich niemals ganz genau wusste und bis heute weiß, wer dieser Mann wirklich war. 

Heute, da ist man sich sicher, würde eine Karriere wie die von Heinz Erhardt völlig anders verlaufen: Sein musikalisches Talent, seine Fabulierkunst, sein lustvolles Spiel mit der eigenen Person lassen ihn wie einen frühen Vorgänger von Slam-Poeten erscheinen und weisen etliche der gegenwärtigen Comedians in ihre Schranken. Auch wenn in der Rückschau vieles an Heinz Erhardt als Produkt und Ausdruck seiner Zeit erscheint, kommt man dennoch nicht umhin festzustellen, dass einer wie er heute fehlt. Und dass eine eingehendere Beschäftigung mit ihm eigentlich immer noch aussteht.

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