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Halloween – der Siegeszug eines Horror-Events

Ein Beitrag von Martin Beck

Dass Halloween in Deutschland endgültig angekommen ist, merkt man spätestens an den Samstagen ab Ende September, wenn die Werbeprospekte der Discount-Supermärkte seitenweise Plastikhörner, Gummibärchen-Augäpfel und grünen Furzschleim anpreisen. Wie praktisch, so ein knallbunter Lückenfüller vor der Weihnachtsinvasion, das lässt in oberbayerischen Kapellen die Jesuskreuze rotieren und am 31. Oktober dann wahre Horden kleiner Skelette und Bettlaken-Gespenster vor beleuchteten Häusern Schlange stehen.

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"Jack o'Lantern"
"Jack o'Lantern"

Was vor einigen Jahren lediglich ein paar versprengte Kinder und ihre vier Schritte dahinter laufenden Eltern gewagt haben, ist inzwischen bei mehreren Reservebeuteln und ganz großen Schalen voller Süßigkeiten angekommen. „Süßes oder Saures“, gerne mehrstimmig, und schon rappelt’s wieder in den Beute-Behältnissen. Was früher an Kritik geäußert wurde, wie zum Beispiel die weitere Amerikanisierung unserer Kultur oder die Propagierung satanischer Gepflogenheiten, ist inzwischen einer vorzugsweise harmlosen Spaßveranstaltung gewichen, die viel mehr mit Karneval als strammen Jump Scares gemeinsam hat.

Allerheiligen, der olle Jack und das Martinssingen

Was aktuell bei uns als Halloween läuft, ist tatsächlich vor allem eine Kopie amerikanischer Festivitäten, doch der eigentliche Ursprung liegt in Irland, wo am 31. Oktober das Fest der Toten, Samhain, gefeiert wurde und wird. Der Name „Halloween“ ist dabei eine Verkürzung von „All Hallows‘ Eve“ und besagt nichts anderes als der „Abend vor Allerheiligen“. Bevor es wieder still und christlich wird, bricht noch einmal heidnischer Budenzauber seinen Bann. Der Todesfürst regiert, Geister suchen sich neue Wirtskörper und die süßen Gaben und Verkleidungen dienen vor allem dazu, die jenseitigen Gesellen sowohl zu besänftigen als auch in die Irre zu führen.

Je populärer Halloween bei uns wird, desto schwerer hat es das am 10. beziehungsweise 11. November stattfindende Martinssingen — eine eigentlich sehr ähnliche Veranstaltung, allerdings ohne Verkleidungen und Spaß. Sprich: ein deutscher Brauch. Mit frommen Gesängen. Was einfach einen Tick weniger spannend ist als ein schaurig illuminiertes Haus mit Plastikspinnen und Zuckerschock-Garantie. Und natürlich auch einem ausgeschnitzten Kürbis, dem sogenannten „Jack o‘ Lantern“, der sich als Wahrzeichen des Halloween-Fests etabliert hat und für einen seelenlosen Hufschmied zwischen Himmel und Hölle steht. Einzig eine mit einer glühenden Kohle aus dem Höllenfeuer erleuchtete Laterne weist ihm den Weg, den Rest seiner Pein hat er einem Pakt mit dem Teufel zuzuschreiben.

 

All Hallows‘ Horror Eve

Und Halloween und Filme? Ja, das ist auch ein Thema. Ein großes Thema, und zwar gleich von mehreren Seiten: Halloween als Inhalt von Filmen, Filmstarts an Halloween und filmbezogene „Dinge“ speziell an Halloween. Der kaum zu überhörende Startschuss für all diese Verbindungen erfolgte am 25. Oktober 1978, als Haddonfield zum ersten Mal von Michael Myers heimgesucht wurde. Halloween brachte vieles auf den Punkt, was man mit Halloween gemeinhin verbindet, und wurde unter anderem wegen der Kausalkette Horror — heißt Halloween — spielt an Halloween ein riesiger Hit. Dass der Film auch noch phänomenal gut ist, half sicherlich ebenfalls bei dem bis heute anhaltenden Klassikerstatus.

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Trailer zu Halloween von John Carpenter, 1978

 

Auch wenn John Carpenter nicht müde wird, seine Leistung als Regisseur dieses Films herunterzuspielen und auf „ein kleines bisschen Erschrecken“ zu pochen, einen Meilenstein des Horrorfilms und zugleich ein ikonisches Symbol für Halloween hat er trotzdem geschaffen. Michael Myers, das gesichtslose, ohne erkennbare Motivation tötende Böse, fällt in eine amerikanische Kleinstadt ein. Begleitet von dem hypnotischen Score und den sirenengleichen Schreien von Jamie Lee Curtis, baut der Film eine Atmosphäre absoluter Bedrohung auf. Die Sommersonne ist schon lange verschwunden, durch die leeren Straßen von Haddonfield weht frostiges Laub. Jeden kann es hier treffen, denn an Halloween bewirkt der allgegenwärtige Horror eine Ablenkung vom realen Horror. Hinter der konturenarmen Maske von Myers könnte genauso gut der großgewachsene Nachbar stecken. Und das Messer in seiner Hand fährt doch sicher bei der kleinsten Berührung in den Schaft zurück.

 

Ende Oktober: der Kehlenschnitt sitzt

Die Halloween-Sequels (im weiteren Sinn) blieben allesamt unter der Qualitätslatte von Carpenter, doch anscheinend reicht die positive Strahlkraft des Originals selbst für die grobgestrickten Blutwürste von Rob Zombie. Auf einmal war Halloween als Setting sehr gefragt und die wenigen Filme, die zuvor an diesem Zeitpunkt spielten, wie zum Beispiel der Looney Tunes Cartoon A-Haunting We Will Go oder Halloween with the new Addams Family, bekamen ganz, ganz viele Geschwister. Neben den bereits genannten Halloween-Sequels sind zum Beispiel die Scary-Movie-Filme zu nennen, die Ginger-Snaps- und Night-of-the-Demons-Reihen, Monster Busters, The Changeling oder Murder Party.

Aber beileibe nicht nur klassische Horrorfilme bedienen sich des Halloween-Rahmens, ebenso viele Komödien, Kinderfilme und TV-Produktionen sind hier anzutreffen. Casper zum Beispiel spielt an Halloween, ebenso wie Paranorman, Frankenweenie, Hocus Pocus, Die Boxtrolls oder Gänsehaut. Die mit Abstand bekannteste TV-Produktion ist die jährliche Treehouse-of-Terror-Anthologie der Simpsons, die pünktlich an Halloween den scheinbaren Gegensatz zwischen Animation — (auch) Kinderprogramm — Fernsehen mit teilweise drastischen Horrorgeschichten glattbügelt. Legendär war dabei die erste Ausstrahlung 1990, als Marge Simpson hinter einem Vorhang hervorkam und das Publikum direkt vor den folgenden Grausigkeiten warnte. „If you have sensitive children, maybe you should tuck them into bed early tonight, instead of writing us angry letters tomorrow.“

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Die Simpsons Treehouse of Horror 1990, Opening Scene

 

‚Tis the season to be scary

Die Simpsons haben so einige erinnerungswürdige Momente hervorgebracht, aber die Treehouse-of-Terror-Folgen stehen nochmal eine Treppchenstufe weiter oben. Die Art und Weise, wie hier liebgewonnene „Personen“ auf einmal splattrige Twilight-Zone-Alpträume erleben und dabei auch endlich mal morden oder sogar sterben dürfen, ist ein spektakulärer Bruch mit den Konventionen der Serie und des Fernsehens. Dass darüber hinaus Kinder frontal angegruselt werden, ruft nicht nur die von Marge angesprochenen bösen Briefe hervor, sondern sorgt auch für ein kantiges Image, das es zumindest in den ersten Jahren bis zum Wasserspender im Büro geschafft hat. Kinder sind schutzlos abgerissenen Armen ausgesetzt? NA SO ETWAS … geht ja gar nicht — außer an Halloween, wo Treehouse of Terror mittlerweile zu einer festen Institution geworden ist.

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The Treehouse of Horror XXI, Opening Scene

 

Aber auch außerhalb der Simpsons passen Kinder und Halloween einfach prächtig zusammen. Die Verkleidung, der „Süßes oder Saures“-Gang um die Häuser, die Party mit Freunden schafft ein Gefühl der Sicherheit, das dann auch die Spannung auf plötzlich hinter Ecken hervorploppende Geister verkraften kann. Ein Teil des Erwachsenwerdens ist das Aushalten von Grusel, und wenn das im Halloween-Umfeld dann bewältigt wird, sind der Spaß und der Stolz gleich nochmal so groß. Für die Kleinsten reicht dabei schon das herrliche Peanuts-Special It’s the great pumpkin, Charlie Brown und die Schulkinder trauen sich dann zum Beispiel an Scooby-Doo oder die animierte Gänsehaut-Serie. Halloween als fröhliches Kostümfest, bei dem Kinder nicht nur die Wörter „Magen auspumpen“ kennenlernen, sondern auch Grenzen auskitzeln dürfen.

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Clip aus It’s the great pumpkin, Charlie Brown

 

Halloween auf und vor der Leinwand

Halloween kann natürlich auch außerhalb von Halloween thematisiert werden, doch meistens werden die durch Halloween vorexerzierten Synergieeffekte gerne mitgenommen. Wer Ende Oktober sowieso schon in Gruselstimmung ist, lässt sich auch gerne auf einen Horrorabend im Kino ein — was dann zu mitunter spektakulären Einspielergebnissen führt. Die Saw-Reihe hat zum Beispiel einen guten Teil ihres anhaltenden Erfolgs den herbstlichen Startterminen zu verdanken, und auch die Paranormal-Activity-Filme, die Scary-Movie-Produktionen oder solche Titel wie Zombieland oder Sinister sind waschechte Halloween-Erfolge. Filme wie Tales of Halloween oder Trick r‘ Treat verbinden dabei gleich Inhalt und Starttermin und hoffen auf den gleichen Effekt, den auch Weihnachtsfilme für sich beanspruchen: eine erhöhte Aufmerksamkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt, die dann das erhöhte Desinteresse davor und danach ausgleichen kann und im besten Fall einen jährlich wiederholbaren Klassiker hervorbringt.

Dass Horror auch außerhalb von Halloween funktioniert, hat zum Beispiel der massive Erfolg von Conjuring bewiesen, doch umgeben von den kostenlosen Marketing-Faktoren Ghouls, Laub und früher Dunkelheit geht es auf jeden Fall einfacher. Die Aufmerksamkeit für Horror ist Ende Oktober einfach gewaltig, so dass Filme auch dazu dienen können, die ganze Merchandise-Industrie um Halloween mit neuen Produkten zu befeuern. Besonders einfach geht das natürlich mit Horror-Accessoires, wie zum Bespiel der Scream- oder der Jason-Voorhees-Maske, aber auch andere Genres, sofern sie denn einprägsame Charaktere hervorgebracht haben, können auf niedliche Kostüme und allerlei Plastik-Gedöns hoffen. Was würden wohl Immortan Joe oder Whitey Bulger sagen, wenn sie im Stile von Kessler ist auf einmal ihren Alter Egos gegenüberstünden?

Im besten Fall wohl so etwas wie „Guten Tag“, verbunden mit einem Grinsen über den zu erwartenden Merchandise-Scheck. Halloween und Film passt auf vielen Ebenen zusammen, unter anderem eben auch, was die Ausstattung der Festivitäten angeht. Die Verkleidung als eine Filmfigur schafft automatisch eine Abhebung aus dem Meer der ganzen Walmart-Piraten, und wenn dazu dann noch Tanz-der-Teufel-2-Augäpfel gereicht werden oder der Kuchenanschnitt von Edwards Scherenhänden erledigt wird, ist das Gruselfest genau da, wo es im besten Fall ankommen möchte: Bei einer knallbunten Sause, die wesentlich stärker als viele andere Feiern eine Film-Affinität besitzt und diese auch nach allen Regeln der Kunst kultiviert. Hach, nur einmal im Leben oder Jahr Johnny Depp sein — und dann auch noch mit der Freiheit, einen auf Blockbuster-Opportunist zu machen und selbstbewusst den Federkram des gerade nochmal reduzierten Lone-Rangers-Kostüms anlegen!

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