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Geliebte Nervensäge - Zum 40. Todestag von Louis de Funès

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Am 27. Januar 1983 starb einer der populärsten Komiker der europäischen Filmgeschichte: Louis de Funès. Ein Nachruf.

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Louis de Funes
Louis de Funes

In manchen Fällen ist es dann eben doch einleuchtend, das Konzept von Ying und Yang, von Kraft und Gegenkraft: Nur etwa einen Monat, nachdem 1914 in Sarajevo der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand bei einem Attentat ums Leben kommt, und damit eine Ära des unvergleichlichen Schreckens für Europa eingeläutet wird, tritt auch ein großer Quell der Freude für viele Menschen in die Welt. Louis Germain David de Funès de Galarza wird am 31. Juli 1914 in der französischen Gemeinde Courbevoie geboren. Damals ist noch niemandem klar, dass der Sohn spanischer Einwanderer einmal der populärste Filmkomiker Europas werden und als Louis de Funès später die Welt zum Lachen bringen sollte.

In seiner Jugend war de Funès ein Unruhestifter: Wegen Streichen mit Knallfröschen, bei denen er das Gebäude fast niederbrannte, wurde er der Schule verwiesen. Schon seine Ausbildung zum Kürschner war an dieser anarchischen Ader und seinen Tricks gescheitert. Schon früh entdeckte er seine Liebe zum Kino, doch zwischen Theorie und Praxis lagen zahlreiche Stationen: Bevor er endgültig zum Schauspieler avancierte, versuchte er sich zunächst als Fotograf, als Zeichner, als Dekorateur und Buchhalter. Dann im Alter von 27 Jahren nahm er das erste Mal Schauspielunterricht und war prompt Feuer und Flamme. Nebenher verdiente er Geld als Jazzpianist und hielt sich so über Wasser — in einer Zeit, in der diese Stilrichtung der faschistischen Vichy-Regierung als entartete Kunst galt. Ob er sich dabei aber als politischen Künstler verstand oder ob die Musik für ihn nur ein neuer Knallfrosch war, das ist bis heute nicht eindeutig klar.

 

Harte Arbeit

Für seine späteren Erfolge musste der Komiker lange und hart arbeiten: Fast 20 Jahre lang kämpfte er sich durch zahllose Neben- und Statistenrollen, ohne einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu werden. Die großen Rollen ließen auf sich warten. Erst in den 1960ern zahlten sich die Mühen schließlich aus: Zunächst war es die Theaterkomödie Oscar, die ein Hit auf den Bühnen Frankreichs werden sollte. Dann kam der schicksalsträchtige Sommer 1964, in dem de Funès innerhalb von wenigen Monaten gleich drei Kassenschlager drehte: In Der Gendarm von Saint Tropez von Jean Girault verkörperte er zum ersten mal den dauerhaft zornigen Gendarm Ludovic Cruchot — bis 1982 sollten fünf Fortsetzungen folgen. In der Krimikomödie Fantomas spielte er den Kommissar Juve, immer auf der Spur des maskierten Verbrechers (dargestellt von Jean Marais), gegen den er doch stets das Nachsehen hatte. Auch diese Reihe sollte in den Folgejahren noch zwei Fortsetzungen bekommen. Und auch das Roadmovie Scharfe Sachen für Monsieur kam beim Publikum gut an. Der Grundstein für eine erfolgreiche Karriere war gelegt.

In seinen Filmen verkörperte de Funès einen typischen Antihelden. Wirklich mögen konnte man den cholerischen Spießbürger auf den ersten Blick nicht. Manchmal schien es, als wäre Heinrich Manns Untertan unmittelbar nach Vollendung des Buchs (übrigens auch im Juli 1914) von den Seiten auf die Leinwand gesprungen. Als ziehe 40 Jahre später eine französische Version des Braven Soldaten Schwejk nicht mehr durch den Ersten Weltkrieg, sondern durch den nunmehr friedfertigen Alltag in Saint-Tropez.

Seine Figuren waren dabei meist äußerst konservativ und staatstragend, immer bemüht, nicht anzuecken. Doch einmal selber mit Macht ausgestattet, beginnt die Transformation zum donnernden Tyrann. Das Publikum muss gerade in dieser grotesken Übersteigerung viel von seinem eigenen Leben wiedererkannt haben. Denn solche eigentlich zutiefst lächerlichen Figuren hatten das vergangene Jahrhundert beherrscht: Aufgewachsen in einem Europa der zwei Weltkriege hatten de Funès‘ Fans Diktatoren kommen und gehen sehen. Und in ihrem Alltag wurden die Menschen seiner Generation mit wichtigtuerischen Polizisten, mit kleinkarierten Beamten und scheinheiligen Geistlichen verschiedener Religionen konfrontiert. Und natürlich mit cholerischen Lehrern, die über ihre Schüler mit eiserner Faust (oder zumindest dem gezückten Lineal) herrschten.

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In Balduin, der Heiratsmuffel von 1968 wird vieles davon deutlich: Balduin muss eine Prüfung ablegen, es geht um nicht weniger als die Neubesetzung der Gendarmerie-Leitung. Der Polizist hantiert mit tausenden Stiften, Linealen, Klebeband und sogar einem laut tickenden Wecker. Er zieht fein säuberlich Linien auf seinem Blatt nach. Markiert ein paar Sachen farbig. Doch als es schließlich an die Beantwortung der Frage geht, geschieht… nichts. Balduin schaut ins Leere, all sein vorheriges Getue war ohne wirklichen Sinn. Balduin versagt bei der Prüfung, nur durch ein Versehen der Prüfungskommission wird er dennoch zum Sieger erklärt. So kann der Mythos der erkämpften Macht also auch hinterfragt werden. In der Darstellung, wie hohl und leer das autoritäre Ritual ist, wenn man es isoliert betrachtet, steht de Funès‘ Großmeistern des Stummfilms wie Chaplin und Keaton in nichts nach.

 

Spiel mit der Janusköpfigkeit

Privat wird der Komiker wohl recht nahe an seinen Rollen gewesen sein, er galt als eher konservativ. Doch mit dieser Janusköpfigkeit hat er immer gespielt. Denn im Spott schwingt hier auch immer ein gewisser Respekt mit. Die Parodie ist die höchste Form der Schmeichelei, das wusste schon Oscar Wilde. In Rollen wie Balduin erkennt jeder auch etwas von sich selbst. Wir alle neigen zur Engstirnigkeit, wir machen uns die Welt oft einfacher, als sie ist. Die Nomen und Konventionen, die Regeln und Paragraphen, mit denen wir aufgewachsen ist, verlassen uns nie vollständig. De Funès hilft uns dabei, den kleinen oder großen Spießer in uns allen zu erkennen und mit ihm zu leben, unseren Frieden mit ihm zu machen, indem wir ihn (und damit letztlich uns selbst) auslachen.

Diese Diskrepanz zwischen Äußerem und Innerem ist auch Thema eines seiner wohl bekanntesten Sketche, der aus Scharfe Kurven für Madame (1966) stammt: De Funès spielt den zur Tobsucht neigenden Restaurantbetreiber Septime. In einer Szene erläutert dieser einem deutschen Gast namens Müller ein Rezept. Das Licht fällt ungünstig, eine Lampe wirft einen Schatten auf sein Gesicht — plötzlich steht Adolf Hitler vor uns, Schnurrbart und Seitenscheitel inklusive. Die sprichwörtliche Banalität des Bösen. Plötzlich klingen „Kartoffel“ und „Muskatnuss“, als ginge es um Panzer und Kriege. Doch dann beugt sich Septime ein klein wenig zu Seite, und da ist plötzlich wieder der lächelnde de Funès. Die zwei Weltkriege, die Europa durchlebt hat, liegen über uns wie ein Schatten. Und bereits eine einfache Geste reicht, und es herrscht wieder Freude und Glück — das Gute und das Böse, der unsägliche Schrecken und das unbezwingbar Heitere, sie sind nur durch eine dünne, oftmals unsichtbare Linie voneinander getrennt.

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De Funès‘ Filme stammen aus einer Zeit, in der stärker noch als heute jedes Land eine sehr eigene Version einer Geschichte erzählen musste. Während auf dem Heimatmarkt Frankreich stets eine andere Rolle auf den Darsteller wartete, war er in Deutschland zunächst als „Balduin“, später dann einfach als „Louis“ bekannt. Übersetzer und Synchronsprecher der 1970er und 1980er waren noch nicht im gleichen Maße wie heute bemüht, Filme so originalgetreu wie möglich umzusetzen. In einer damals noch viel weniger globalisierten und vernetzten Welt wurden sie an den jeweiligen Markt angepasst.

In dieser Hinsicht ähneln Louis-de-Funès-Filme den Spencer-Hill-Filmen aus Italien oder der Krimiserie Die Zwei (im Original: The Persuaders!) aus England: In Deutschland haben wir unsere eigene Version, mit eigenem Wortwitz und eigenen Kindheitserinnerungen verbunden, die jenen unserer Altersgenossen aus anderen Ländern nur zum Teil gleichen. Die Komik ist universell, aber in vielen verschiedenen Versionen. Der de Funès deutscher Kinder war ein bisschen anders als der für die französischen oder amerikanischen. Den Dialog „Erlauben Sie, dass ich mich setze?“ — „Ich bitte darum, mit gesetzten Herren spreche ich am liebsten“ gibt es so nur in der deutschen Version. Aber natürlich haben die meisten Zuschauer den zappeligen Franzosen nicht wegen seiner hintersinnigen Autoritätskritik lieben gelernt, sondern wegen seiner großen Klappe, seiner ausdrucksstarken Mimik und den abstrusen Dialoge, die ihm seine Drehbuchautoren in den Mund gelegt haben.

Louis de Funès starb am 27. Januar 1983 in Nantes. Seine mehr als150 Filme unterhalten immer noch Fans aus aller Welt. Sein Humor, sowohl die feinen Spitzen als auch die groben Schläge vor den Kopf, scheinen ihre Aktualität nie zu verlieren. Denn wir alle sind Balduin und Oscar, Septime und Ludovic Cruchot, Kommissar Juve und Charles Duchemin. Und eben auch Antoine Brisebard, oder? Nein? Doch! — Ohhh!

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