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Future Politics - Szenarien von gestern, heute und morgen

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Future Politics heißt das dritte Studioalbum der kanadischen Synthie-Pop-Band Austra. Ehe im Video zum Titeltrack der Gesang von Katie Stelmanis einsetzt, wird ein Text eingeblendet: Wie finden wir Hoffnung, wenn die Zeiten so düster erscheinen, wird darin gefragt.

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Star Trek: TNG
Die Crew aus "Star Trek: TNG"

Die Antwort lautet: „Hope lies in the future.“ Sie liege im Potenzial einer zukünftigen Welt, die noch nicht existiere. Eine Welt könne nur erschaffen werden, wenn wir sie uns vorstellen können. Aufgespürt habe Stelmanis dieses Potenzial, wie sie etwa in einem Interview mit dem Popkultur-Magazin Intro erzählt, unter anderem in Sachbüchern – und in der Science-Fiction-Serie Star Trek: The Next Generation. Die von Gene Roddenberry entwickelte TV-Serie, die im Jahre 1987 auf Star Trek (1966-1969) folgte und es auf insgesamt sieben Staffeln sowie vier eigene Kinoabenteuer brachte, kann derzeit auf Netflix (wieder-)entdeckt werden – und ist nicht zuletzt als Eighties-Pendant zur aktuellen Produktion Star Trek: Discovery überaus reizvoll.

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(Video zu Future Politics von Austra)

 

Stelmanis schätzt an Star Trek: TNG zum Beispiel die „hoffnungslos optimistisch(e)“ Art und Weise, in welcher die Serie eine Möglichkeit aufzeigt, uns durch Technologie vollständig von Arbeit und Kapital zu befreien: So gibt es etwa die sogenannten Replikatoren, die sämtliche Dinge des täglichen Bedarfs erzeugen können. Für das Team der Drehbuchautor_innen bedeuteten solche Utopien indes eine echte Herausforderung: „Destroys storytelling all the time“, meinte der frustrierte Skriptschreiber Ron Moore über die Idee des Replikators.

Und auch das Menschenbild, das Roddenberry in seinem Werk vermitteln wollte, ist gewissermaßen das Gegenteil von klassischem Erzählen: Roddenberry habe, wie diverse Mitglieder des TNG-Schreibteams in dem Behind-the-scenes-Dokumentarfilm Chaos on the Bridge (2014) schildern, die Überzeugung vertreten, dass die Menschheit im 24. Jahrhundert sämtliche Konflikte gelöst habe, die sie einst mit sich selbst hatte – was einer Geschichte leider alle nötige Dramatik raube. Keine finanziellen Sorgen, keine Eifersucht, keine Kämpfe, keine individuellen, sondern lediglich kollektive Ziele – also auch keine Spannung? Letztlich geht TNG aber nur einen narrativen Umweg: Die Konflikte kommen weitgehend von außen; während das Hauptpersonal (zu welchem auch ein Androide, eine Betazoide und ein Klingone zählen) in sich ruht und miteinander harmoniert, obliegt es den zahlreichen Nebenfiguren, denen die Crew auf ihrer Reise begegnet, mit all den Dingen zu hadern, die das damalige Fernsehpublikum aus der eigenen Lebenswelt sowie aus dem Weltgeschehen kannte (und die auch uns Binge Watchern von heute nicht unbekannt sind).

In der ersten Staffel geht es beispielsweise um einen Ehrenkodex, der die Bewohner_innen eines Planeten zu Entführungen und zu Todeskämpfen treibt, sowie um den desperaten Wunsch nach ewiger Jugend, um fatalen Wissensdurst, um Maschinen, die ihre Nutzer_innen kontrollieren und krank machen, oder um die unreflektierte Befolgung von Gesetzen. Ebenso führt das replikatorbedingte Ende von materieller Knappheit nicht gänzlich zum Ende der Gier; die Spezies der Ferengi jagt etwa einer unreplizierbaren Substanz – dem goldgepressten Latinum – nach. Die Oberste Direktive der Sternenflotte verbietet es der Raumschiffbesatzung stets, sich in die Entwicklung anderer Lebensformen einzumischen – weshalb statt eines gewaltsamen Vorgehens weise Worte und clevere Schachzüge vonnöten sind. Erstaunlich sind dabei, bei allem Pathos und aller Didaktik, nicht selten Randbemerkungen, die unmittelbar auf die Gegenwart der Zuschauer_innen verweisen: Die Todesstrafe werde auf der Erde schon seit langer Zeit nicht mehr als wirksame und gerechtfertigte Strafe betrachtet, erklärt Captain Picard etwa in einer frühen Episode – was in einer US-Serie aus dem Jahre 1987, in welchem der Republikaner Ronald Reagan Präsident des Landes war, ohne Zweifel eine eindrückliche Aussage ist.

TNG
Bild aus Star Trek: The Next Generation; Copyright: CBS

 

Zentraler Gedanke von TNG ist die Erforschung – „to explore strange new worlds“, wie es im Vorspann heißt. Diese Idee schwingt auch bereits im Titel der neuen Serie Star Trek: Discovery mit. Dennoch ist hier vieles anders. Zum einen gilt dies gewiss für die Inszenierung und die Ästhetik: Statische Kameraeinstellungen, wenige Schnitte und eine zumeist helle Ausleuchtung der Kulissen in TNG werden von ständiger Bewegung, einer raschen Montage sowie von einem Oszillieren zwischen kalten Farben und dunkelbunten Bildern in Discovery abgelöst; das Bedächtige weicht der Reizüberflutung und dem Martialischen. Zum anderen sind aber auch die Zeichnung der Figuren sowie die Konstruktion der Welt, die diese umgibt, völlig anders (was – mal mehr, mal weniger – allerdings auch schon auf die Nachfolgeserien von TNG aus den 1990er und 2000er Jahren zutrifft).

Nach wenigen Episoden wird das titelgebende Raumschiff vom Forschungs- zum Kriegsschiff umfunktioniert; die Besatzung muss sich fortan geschlossen als Soldat_innen begreifen. Ein Großteil der Crew-Mitglieder ist physisch und/oder psychisch versehrt; alle tragen ihre Wunden in jede Interaktion und in jede zu erfüllende Aufgabe mit hinein. Während TNG ein angenehmeres, pazifistisches Dasein in Aussicht stellt, das sich nach externen Einbrüchen immer wieder zu stabilisieren versteht, bewegt sich der aktuelle Ableger, dessen Plot zeitlich noch vor den Geschehnissen der Ursprungsserie Star Trek, jedoch nach dem Finale der Prequel-Serie Enterprise (2001-2005) angesiedelt ist, näher am Chaos unserer Zeit. Ein wesentlicher Unterschied zu TNG ist zudem, dass Discovery mit entschiedeneren Feindbildern operiert; die FAZ erkennt in ihrer Besprechung der ersten zwei Folgen im ideologischen Anführer der Klingonen etwa die Züge von Donald Trump. Eine Splittergruppe vulkanischer Abtrünniger lässt wiederum an extremistische Personen denken, die Selbstmordattentate verüben. Vom Roddenberry’schen Idealismus und Optimismus aus TNG bleibt da alsbald kaum etwas übrig; mit Worten der Vernunft lässt sich hier nur wenig ausrichten.

In einem Punkt teilen die beiden Serien hingegen den Glauben an eine bessere Welt – und zwar in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter. Die zentralen Frauen in TNG sind aktive Handlungsträgerinnen; in Discovery wird Weiblichkeit nun noch deutlich diverser gezeigt, indem die Protagonistinnen, Antagonistinnen sowie die weiblichen Nebenfiguren mit den unterschiedlichsten Eigenschaften abseits von Klischeevorstellungen ausgestattet werden. Genderpolitisch waren alle Star-Trek-Serien seit TNG recht progressiv; erfreulich unaufgeregt wird in Discovery jetzt auch von Queerness anhand eines schwulen Paares erzählt (was ganz am Rande schon im letztjährigen Kinofilm Star Trek Beyond gelang).

Discovery
Bild aus Star Trek: Discovery; Copyright: CBS

 

Dass Visionen von morgen im Endeffekt mehr über die Rückständigkeit von heute aussagen können, zeigte sich jüngst in Denis Villeneuves Blade Runner 2049, welcher mit Ridley Scotts Blade Runner ebenfalls einen Vorläufer aus den 1980er Jahren hat. In vieler Hinsicht handelt es sich um ein äußerst faszinierendes Science-Fiction-Werk: Etliche Szenen haben überraschenderweise etwas Kammerspielartiges; die Action gewinnt selten die Oberhand gegenüber der Tragik. Interessant ist auch, dass der Protagonist K zu Beginn ein völlig anderes Selbstverständnis hat als der Held Rick Deckard aus Blade Runner und sich somit eine gegenläufige Dramaturgie ergibt: K weiß, dass er ein Replikant ist – bis ihm Zweifel daran kommen. Der Frage, was einen Menschen ausmacht, wird durchaus spannend nachgegangen. Gleichwohl irritiert die Darstellung von Frauen(körpern).

Die Schauspielerin Mackenzie Davis, die in Blade Runner 2049 die Rolle der Sexarbeiterin Mariette verkörpert, spricht in einem Interview von einer self-awareness des Films hinsichtlich der Rolle der Frauen als „things to be consumed“. Statt sich dieses Themas kritisch zu widmen, verfällt Villeneuves Regie jedoch selbst (zu) oft in die Schaulust und wird so streckenweise zu einem Paradebeispiel für Laura Mulveys Aufsatz über visuelle Lust und narratives Kino: In dem 1973 verfassten Grundlagentext der feministischen Filmtheorie erläutert die Autorin, dass der Frau im Kino stets der Part des Schauobjekts zukomme. Dass ein Werk aus dem Jahre 2017, das von der Zukunft erzählt, sich Strategien bedient, die für das Hollywood-Kino der 1930er, 1940er und 1950er typisch waren, stimmt dann doch traurig – ebenso wie das Gefühl, dass sich Discovery in Teilen vielleicht etwas zu sehr im Erzeugen eines düster-kriegerischen Spektakels mit twist and turns gefällt, statt das Grimmig-Kombattante intensiver zu analysieren.

Blade Runner 2049
Bild aus Blade Runner 2049; Copyright: Sony Pictures Releasing

 

Den fruchtbaren Optimismus, den Katie Stelmanis in Star Trek: The Next Generation fand, wünscht man sich durchaus auch in anderen Science-Fiction-Erzählungen – oder aber den Mut der Macher_innen, sich dem Negativen in der Welt zu stellen und es zu ergründen, statt es lediglich in einem futuristischen Setting zu replizieren und damit dazu beizutragen, dass es als „normal“, als gegeben und unüberwindlich angesehen wird. It’s time for Future Politics!

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