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Frauen wählen: Vom Final Girl zur Survivor-Gruppe

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Final Girls wie Laurie Strode aus „Halloween“ überleben das Grauen eines Horrorfilms – doch zumeist setzt sich das Grauen in Folgefilmen fort. Steckt in der Figur der Überlebenden ein feministisches Potenzial?

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Halloween 2018 - Bild
"Halloween" (2018)

Mit seinem Slasher-Film „Halloween“ schuf John Carpenter im Jahre 1978 nicht nur einen modernen Genreklassiker, sondern auch eine ikonische Schreckensgestalt: Michael Myers tötet als Sechsjähriger in seinem Elternhaus in Haddonfield seine jugendliche Schwester Judith und bricht 15 Jahre später aus dem Sanatorium aus, um in seinem Heimatort weitere Morde zu begehen. Ein anvisiertes Opfer entkommt ihm dabei jedoch: Laurie Strode bekämpft den maskierten Mann, bis dieser von seinem herbeieilenden Psychiater Sam Loomis angeschossen wird, aus dem Fenster stürzt – und verschwindet. Damit endet Carpenters Werk, welches zwischen 1981 und 2009 in sieben Sequels und einem Remake samt Fortsetzung weitergesponnen wurde.

 

Nach dem Finale ist vor dem nächsten Finale

In Halloween II (1981) stellt sich heraus, dass Laurie Michaels zweite, jüngere Schwester ist; in Halloween IV (1988) wird Laurie für tot erklärt (weshalb Michael fortan deren kleine Tochter Jamie jagt); in Halloween H20 (1998) erfahren wir, dass Laurie ihren Tod vorgetäuscht hat und unter neuem Namen mit ihrem Teenager-Sohn John in Kalifornien als Schulleiterin lebt; in Halloween: Resurrection (2002) stirbt die in eine Nervenheilanstalt eingewiesene Laurie bei einem letzten Kampf mit ihrem Bruder, der daraufhin sein mörderisches Tun in Haddonfield fortführt. Das war – ebenso wie der banal-psychologisierende Neustart der Reihe mit zwei Filmen von Rob Zombie, in welchen die adoleszente Laurie die Opferrolle nie wirklich zu durchbrechen vermag – ein ziemlich enttäuschender Abschluss für die Figur Laurie Strode, die vielen in ihrer Funktion als Final Girl als triumphierende Heldin galt und gilt.

Jamie Lee Curtis als Laurie Strode in Halloween (1978); Copyright: Columbia Pictures
Jamie Lee Curtis als Laurie Strode in Halloween (1978); Copyright: Columbia Pictures

 

Ob sich diese positive und ermächtigende Lesart der Figur – selbst wenn man alle Geschehnisse zwischen Halloween II und Halloween: Resurrection sowie Zombies Neufassungen ausklammert – bei genauerem Blick aufrechterhalten lässt, kann man durchaus bestreiten. Letztlich hat Laurie ihr Überleben in Teil 1 doch einem bewaffneten Mann – Sam Loomis – zu verdanken. Überdies lassen sich Filme wie Halloween, Freitag, der 13. (1980) oder Nightmare – Mörderische Träume (1984) und deren Umgang mit der jeweiligen Protagonistin als reichlich reaktionär interpretieren, da die Überlebende im Gegensatz zu ihrem gleichaltrigen Umfeld stets als betont tugendhaft gestaltet wird. Sex, Drogen, Renitenz – das verkörpern immer nur die Teens um Laurie, Alice oder Nancy herum und bezahlen es sodann prompt mit einem blutigen Tod. Postmoderne Arbeiten wie Scream (1996) oder Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast (1997) setzen sich zwar dialogisch ganz bewusst mit diesen fragwürdigen Mustern auseinander, wiederholen sie aber im Endeffekt bei aller Ironie und aller Cleverness, indem alles Nicht-Puritanische nach wie vor brutal bestraft wird. Dass in der Weinstein-Produktion Scream die durch ihre Outfits und ihre Sprüche als wenig sittsam gekennzeichnete beste Freundin der weiblichen Hauptfigur, der natürlich ein besonders fieser Exitus beschieden ist, ausgerechnet von Rose McGowan gespielt wird, hat mit heutigem Wissen einen äußerst bitteren Beigeschmack.

 

Frauen im Zentrum

Die Argumente für die Heldinnenfunktion der Final Girls, wie sie etwa von der Akademikerin Carol J. Clover vorgebracht werden, lassen sich dennoch nicht gänzlich beiseiteschieben. Loomis mag den finalen Schuss in Lauries Kampf mit Michael abgeben; zuvor wehrt sich die High-School-Schülerin indes recht einfalls- und erfolgreich mit allem, was ihr in diesem Moment zur Verfügung steht. Von den Frauenfiguren aus Horrorfilmen früherer Dekaden, etwa den stets rettungsbedürftigen Damen in Dracula (1931) oder dem Schwesternpaar Marion und Lila in Psycho (1960), ist Laurie bereits Ende der 1970er Jahre weit entfernt. Wenn Laurie in der Konfrontation mit Michael selbst zu dessen Messer greift, benutze sie – so der Regisseur und (Co-)Autor Carpenter – diese Phallussymbole gegen ihren Angreifer. Und so schlecht der Ruf des Horrorfilm-Genres auch sein mag, zeigte sich in einer von Google und dem Geena Davis Institute durchgeführten Studie, dass der Horrorfilm das einzige Genre ist, in welchem Frauen mehr on-screen time und (was wohl noch entscheidender ist) mehr speaking time haben als Männer. Laurie-Darstellerin Jamie Lee Curtis hat in Interviews wiederholt geäußert, dieser Part sei der dankbarste in ihrer gesamten bisherigen Karriere gewesen. Allerdings nicht weil Laurie eine „Jungfrau“ sei und auch nicht weil Laurie eine „Kriegerin“ sei: „Für mich ist Stärke Intelligenz“, meint Curtis, „und ich glaube, deshalb hat Laurie überlebt: weil sie schlau ist.“

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Der Titel Scream Queen, den Curtis durch ihre Mitwirkung in Halloween und weiteren Genrebeiträgen wie Prom Night (1980) erhielt, verdeutlicht aber auch, dass das prägendste Merkmal der von ihr interpretierten Figur(en) die Angst ist. Zwar ist Laurie keine passive Person – sie ist jedoch stets das potenzielle Opfer, die Gejagte. „Was that the Boogeyman?“, fragt die verletzte und spürbar verstörte Laurie den hinzukommenden Loomis am Ende von Teil 1; und nicht nur dessen Antwort („As a matter of fact, it was!“) lässt uns erahnen, dass Laurie als traumatisierter Mensch zurückbleibt, in dessen Leben die Angst fortan eine wesentliche Rolle spielen wird. Halloween II, der in derselben Nacht wie Teil 1 angesiedelt ist, setzt sich kaum mit diesem psychologischen Thema auseinander; erst Halloween H20 widmet sich Lauries Innenleben und den seelischen Narben, die Michaels Taten hinterlassen haben.

 

Aus dem Versteck in die Offensive

In Halloween H20 musste Laurie ihre Identität hinter sich lassen; sie nennt sich nun Keri Tate, wird von Albträumen und Sinnestäuschungen geplagt und gibt als strenge alleinerziehende Mutter und Privatschuldirektorin die konservativen Botschaften des Slasher-Films an den Nachwuchs weiter. Als Michael erneut gewaltsam in ihr Leben tritt, reagiert sie zunächst wie ein typisches Final Girl. Auf die Frage, was jetzt zu tun sei, antwortet Laurie lakonisch „Try to live.“ Und so kämpft sie abermals – und übernimmt damit wieder die Rolle der Verfolgten. Erst als es ihr bereits gelungen ist, mit ihrem Sohn und dessen Freundin das Gelände zu verlassen und Michael (vorerst) zu entkommen, setzt der Sinneswandel ein: Sie kehrt zurück, sie ruft nach Michael und wird von der Gejagten zur Jägerin, die sich ganz bewusst in ein Duell mit ihrem Bruder begibt, an dessen Ende Michael seinen Kopf verliert.

Jamie Lee Curtis als Laurie Strode in Halloween H20; Copyright: Kinowelt Filmverleih
Jamie Lee Curtis als Laurie Strode in Halloween H20; Copyright: Kinowelt Filmverleih

 

Dem finanziellen Erfolg von Halloween H20 ist es indes zu „verdanken“, dass dieser Abschluss der Reihe dann doch fortgesetzt wurde und Laurie in der Eröffnungssequenz von Halloween: Resurrection ums Leben kommt. Daher ist es erfreulich, dass der Figur Laurie mit David Gordon Greens Halloween (2018) gewissermaßen eine Wiederauferstehung auf der Kinoleinwand vergönnt ist: Sämtliche Geschehnisse seit Teil 1 werden auf erzählerischer Ebene ignoriert – sodass Michael auch nicht mehr Lauries Bruder ist, sondern wieder eine völlig unbegreifliche Gefahr.

 

Komm’ zurück – ich warte auf dich!

Auch in Halloween (2018) ist Laurie eine Frau, deren psychische Verfassung durch die nächtlichen Ereignisse des Jahres 1978 zerstört wurde. Dennoch ist die Zeichnung der Figur anders als in Halloween H20. Jedes Jahr hoffe und bete sie, ihr Bruder möge sie nicht finden, erklärt Laurie ihrem Kollegen und Geliebten im Film von 1998. In Greens Werk sagt sie nun das genaue Gegenteil: Seit 40 Jahren habe sie jede Nacht gebetet, Michael würde aus der Anstalt entkommen – damit sie ihn töten könne. Statt sich zu verstecken, hat Laurie sich gründlich vorbereitet: Sie hat ihr abgelegenes Haus einbruchssicher gemacht, sie hat sich eine Art unterirdischen Schutzraum mit Lebensmittelvorräten gebaut, sie hat Schießübungen gemacht – und vor allem begeht sie nicht den Fehler, den etwa Michaels neuer Psychiater oder ein investigatives True-Crime-Podcast-Duo begehen: Sie will Michael nicht ergründen und verstehen, sie will nichts aus den schrecklichen Taten von Michael „lernen“, sondern ihr eigenes Leben, ihre eigene Geschichte zurückerobern; sie will Kontrolle, Selbstbestimmtheit – sie will all das, was Michael ihr genommen hat. „I have to finish this!“, sagt Laurie gegen Ende.

Jamie Lee Curtis als Laurie Strode in Halloween (2018); Copyright: Universal Pictures
Jamie Lee Curtis als Laurie Strode in Halloween (2018); Copyright: Universal Pictures

 

Laurie ist im aktuellen Halloween nicht unbedingt eine klassische Sympathieträgerin. Wenn sich ihre inzwischen erwachsene Tochter Karen an die eigene Kindheit mit hartem Überlebenstraining erinnert (ehe das Jugendamt Laurie und Karen voneinander trennte), kann man nachvollziehen, dass sich Karen von ihrer Mutter distanzierte. Und wenn Laurie vor dem Fenster der High School ihrer Enkelin Allyson lauert, wie Michael einst vor dem Fenster von Lauries High School lauerte, mutet Laurie durchaus unheimlich an. Aber letztlich soll es auch gar nicht darum gehen, sympathisch und perfekt zu erscheinen – sondern das zu tun, was man für richtig, für nötig hält, um nicht nur zu überleben, sondern irgendwann auch wieder so leben zu können, wie man es selbst möchte. Dafür muss Laurie tatsächlich vorübergehend Eigenschaften von Michael übernehmen: Sie muss ebenso zäh, ebenso unberechenbar werden wie er. Ein Sturz aus dem Fenster? Rechne nicht damit, dass sie kurze Zeit später noch am Boden liegt! Ein Schutzraum? Nun ja, rechne nicht damit, dass dieser lediglich dazu dient, sich zu verstecken …

 

Generationenübergreifender Zusammenschluss

Die vielleicht beste Idee, die Green in seinem Neustart der Reihe verarbeitet, ist jedoch die, dass aus dem Final Girl eine Final Group wird – bestehend aus Großmutter, Mutter und Tochter. In früheren Slasher-Filmen wären Karen und Allyson vermutlich zwei Frauenfiguren gewesen, die dem Killer zum Opfer gefallen wären: die leicht Naive und die Partygängerin, die ihren Spaß haben will. Doch diese Zeiten sind, wie der neue Halloween klar macht, vorbei. Nicht jede Form von Weiblichkeit, die nicht dem Typ des Final Girls entspricht, muss bestraft werden; und ein Kampf gegen aggressive Kräfte muss nicht zwangsläufig allein geführt werden. Stärke bedeutet auch, sich zu vereinen. Der ultimativ gelungene Film ist auch Halloween nicht geworden; und es steht zu befürchten, dass dieses Werk ebenfalls fortgeführt wird (womöglich mit Allyson im Zentrum) und dass die Message dadurch wieder abgeschwächt wird. Gleichwohl unternimmt der Film einige Schritte in die richtige Richtung. Eine finale Frage wie „Was that the Boogeyman?“ steht hier nicht mehr im Raum; es geht nicht länger um eine diffuse Angst, um eine morbide Faszination, sondern um das (Weiter-)Leben nach eigenen Regeln.

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