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Über schreibende Frauen in Hollywood

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Von June Mathis über Nora Ephron bis Issa Rae — zum Weltfrauentag greifen wir in unser Archiv und werfen einen Blick auf Drehbuchautorinnen in Hollywood.

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Juno - Bild
Juno - Bild

Diablo Cody erscheint furchtlos. In ihren Drehbüchern entwickelt sie schwierige, komplexe weibliche Charaktere, die es nicht im Geringsten darauf anlegen, gemocht zu werden. Berühmt geworden ist sie mit „Juno“, es folgten Arbeiten wie „Jennifer’s Body“, „United States of Tara“ und die unterschätzte Komödie „Ricki – Wie Familie so ist“. Die Unbillen, die das Leben als Frau mit sich bringt, sind die Themen von Diablo Cody: Eine Heranwachsende, die schwanger wird. Eine Mutter, die nach der Geburt unter Depressionen leidet. Eine alternde Rockmusikerin, die sich entschieden hat, ihrer Leidenschaft zu folgen und dafür ihre Kinder aufzugeben. Viele Männer treffen diese Wahl, aber eine Frau wird dafür dämonisiert. Nicht immer gelingen Codys Drehbücher gleich gut, aber fraglos steckt stets Mut hinter diesen Geschichten. Sie spielt mit verschiedenen Genres, sie wagt etwas – gerade in den Kleinigkeiten.

Das zeigt schon ein Vergleich zwischen ihrem Drehbuch zu Juno und dem realisierten Ende. Die Szenen an sich unterscheiden sich nicht, aber ihre Anordnung. Die zu diesem Zeitpunkt etablierte Frage ist, ob Juno (Elliot Page) das Kind zur Adoption freigeben wird. Die Wehen setzen ein, ihr Freund Bleeker (Michael Cera) erfährt, dass sie im Krankenhaus ist und läuft los. Dann fragt eine Schwester: 

Drehbuchauszug aus "Juno"
Drehbuchauszug aus „Juno“

Es kommt zu einer Begegnung zwischen der Adoptivmutter und Junos Stiefmutter Bren (Allison Janney). Anschließend:

Drehbuchauszug aus "Juno"
Drehbuchauszug aus „Juno“

Im Film ist nun Juno zunächst mit ihrem Vater (J.K. Simmons) zu sehen, dann kommt es zu der Versöhnung mit Bleeker und Vanessa sieht zum ersten Mal ihren Adoptivsohn. 

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Der Film beantwortet die Adoptionsfrage mit dem Gespräch zwischen Juno und ihrem Vater, nicht mit der Szene, in der Vanessa als Mutter angesprochen wird. Diese Dialoglösung ist weniger dramatisch, zumal die Traurigkeit mit Junos trockenen Kommentar zu Bleekers Beinen gelöst wird. Es ist nur eine kleine Änderung, aber sie zeigt, dass Diablo Codys Drehbuch den Spannungsbogen länger hält und dann erst ausspielt. 

 

Die Anfangsjahre in Hollywood

In Hollywood ist Diablo Cody aber nicht nur wegen ihres Mutes eine Ausnahmeerscheinung. Sie gehört zu den wenigen Drehbuchautorinnen, die namentlich bekannt sind und mit deren Drehbüchern ein bestimmter Tonfall, eine Haltung verbunden wird. Sie ist die letzte Oscargewinnerin in der Kategorie „Bestes Originaldrehbuch“, in der seit 1928 insgesamt 9 Frauen gewonnen haben – davon 4 in Zusammenarbeit mit mindestens einem Mann. In einer Industrie, in der an den 250 erfolgreichsten Filmen des Jahres 2017 11 Prozent Autorinnen beteiligt waren, arbeitet sie regelmäßig. 

DrehbuchautorInnen müssen stets um Anerkennung und Beteiligung kämpfen, Autorinnen stehen hier indes weiterhin im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Das zeigt sich bei Auszeichnungen und in der öffentlichen Wahrnehmung. Dabei waren Frauen von Anbeginn erfolgreich. Nimmt man – trotz aller Vorbehalte – die Oscars als Indiz, zeigt sich, dass Frauen erstens schon immer Drehbuchbücher (mit)geschrieben haben und zweitens dafür auch ausgezeichnet wurden. Erstmals nominiert waren Josephine Lovett für Our Dancing Daughters und Bess Meredyth für Wonder of Women und A Woman of Affairs im Jahr 1929, ein Jahr später gewann Francis Marion für The Big House. Sie ist auch verantwortlich für das Drehbuch zu Anna Christie, der Film, der 1930 das meiste Geld eingespielt hat. Aber sie hat sich mit dem Hollywoodsystem nie arrangiert und sich dann später dem Schreiben von Theaterstücken verschrieben. 

Vielleicht ist deshalb ihr Name ähnlich vergessen wie der von June Mathis, die 1920 Chefin der Drehbuchabteilung von Metro Pictures wurde. Sie hat Rudolph Valentino entdeckt, The Four Horsemen of the Apocalypse geschrieben und war eine der ersten AutorInnen, die Regieanweisungen in ihre Bücher schrieb und auf die Einheit von Plot und Story bestand. Bis zu ihrem Tod hat sie bei 114 Spielfilmen das Drehbuch (mit-)geschrieben, dennoch ist bis heute am bekanntesten der Satz, den sie sagte, als sie mit 41 Jahren einen Herzinfarkt im Theater bekam: „Mother, I’m dying“. 

 

Im Schatten der Männer

Dass sich Autorinnen nur selten aus dem Schatten von Männern bewegen, zeigt Joan Harrison, eine der vielen Frauen um Hitchcock, die noch weniger bekannt ist als Alma Hitchcock oder Peggy Robertson. Dabei hat sie u.a. fünf Drehbücher für ihn geschrieben, darunter Rebecca, Hitchcocks erster Hollywoodfilm. Mit ihrer ersten Version von Daphne Du Mauriers Rebecca war Selznick nicht einverstanden, es gab mehrere Überarbeitungen – auch unter Beteiligung anderer Autoren. Entstanden ist letztlich eines der ersten Drehbücher, in denen ein Voice over zum Einsatz kommt. 

Drehbuchauszug aus "Rebecca"
Drehbuchauszug aus „Rebecca“

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Vieles konnte aus dem Roman nicht übernommen werden, dass Mr. de Winter mit einem Mord davon kommt, widersprach beispielsweise dem Hayes Code. Aber der fertige Film kommt auch mit einigen Innovationen durch: Die Titelfigur ist niemals zu sehen. Es gibt Andeutungen von sexuellem Betrug und Homosexualität. 

Als sich Joan Harrison von Hitchcock löste, verkaufte sie zwar weiterhin Drehbücher, aber diese wurden nie realisiert. Aus Frustration wurde sie Produzentin und war damit eine der wenigen Frauen in den 1940er Jahren in diesem Bereich. Ihr erster produzierter Film war Phantom Lady, es folgten u.a. Uncle Harry, Nocturne und Circle of Danger. Als Hitchcock sich dann dem Fernsehen zuwandte, fragte er sie, ob sie produzieren würde. So entstand Alfred Hitchcock Presents

Ebenfalls weitaus bekannter für ihre Zusammenarbeit mit einem Mann ist Elaine May, die mit Mike Nichols einen Comedy Act in den 1950er und 1960er Jahren hatte. Dann beschlossen sie, getrennte Wege zu gehen – er als Regisseur, sie als Drehbuchautorin. Ihr wird ein großer Anteil an den Dialogzeilen in Tootsie zugeschrieben, obwohl sie für diese Arbeit nicht genannt wurde. Mit Mike Nicols hat sie dann wieder 1998 bei Primary Colors zusammengearbeitet. 

 

Zitate, Zitate, Zitate

Eine weitere wichtige Arbeitspartnerin von Mike Nicols ist indes Nora Ephron, wohl eine der bekanntesten Drehbuchautorinnen überhaupt. Nachdem sie mit ihrem damaligen Mann Carl Bernstein an dem Drehbuch zu All the President’s Men geschrieben hat, arbeitete sie für das Fernsehen und bekam das Angebot, für Mike Nichols Silkwood zu schreiben. Obwohl sie im weiteren Verlauf ihrer Karriere eher für romantische Komödien bekannt werden wird, erkennt man schon hier ihren Stil: die wahren Ereignisse, auf denen die Geschichte von der Whistleblowerin Karen Silkwood basieren, sind kunstvoll in den Film verwoben, dennoch liegt der Schwerpunkt nicht auf der Verschwörung der Atomindustrie, sondern auf die Folgen, die sie für die betroffenen Menschen hat. Vincent Canby schrieb dazu in der New York Times: „Perhaps for the first time in a popular movie has America’s petrochemical-nuclear landscape been dramatized, and with such anger and compassion.“

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Drei Jahre später arbeitete sie abermals mit Nichols und Meryl Streep zusammen und in Heartburn treten dann erstmals die Dialogzeilen auf, die man immer wieder zitieren kann – und ihre Drehbücher sind sogar gelesen lustig:

Drehbuchauszug aus "When Harry Met Sally"
Drehbuchauszug aus „When Harry Met Sally“

Aber auch Nora Ephron wandte sich im weiteren Verlauf ihrer Karriere dem Regie führen zu. Als Grund hierfür hat sie immer wieder angeführt, dass sie von ihren Eltern, die beide Drehbücher geschrieben haben, wusste, wie machtlos Autoren in Hollywood sind. Und nicht nur das: Zu dem üblichen Sexismus in der Branche sehen sich Autorinnen mit dem wiederkehrenden Vorurteil konfrontiert, dass sie „Frauen-Filme“ schreiben und diese kommerziell weniger erfolgreich sind. Dieses Muster ist bekannt aus dem Regiebereich, in dem ein finanzieller Flop ebenfalls oftmals dann der Regie zugeschrieben wird, wenn eine Frau sie geführt hat. Das Fernsehen ist hier schon weiter. Es ist sicherlich kein Zufall, dass beispielsweise Callie Khouri (Thelma & Louise) mittlerweile hauptsächlich fürs Fernsehen arbeitet. Im US-Fernsehen sind unter den Autorinnen auch deutlich mehr Women of Color zu finden als in der Filmindustrie, Shonda Rhimes (Grey’s Anatomy) ist hier der prominenteste Name. In anderen Ländern sieht es weniger gut aus: In Großbritannien haben in diesem Jahr 80 Drehbuchautorinnen einen Offenen Brief geschrieben, nachdem von den neuen Serien, die in Auftrag gegeben wurden, nur eine eine Chefautorin hatte. Und in Deutschland kämpfen DrehbuchautorInnen um mehr Mitspracherecht.

Weiterhin aber werden Frauen in Hollywood seltener mit großen Produktionen betraut – das gilt für Regie, aber auch für das Drehbuch. Bewegung entsteht hier sehr langsam. So hat Nicole Perlman als erste Drehbuchautorin für einen Marvel-Film Geschichte geschrieben. Sie steckt hinter dem Drehbuch zu Guardians of the Galaxy, ist eine der vielen AutorInnen für Captain Marvel und soll bei Black Widow mitschreiben. An Captain Marvel ist auch Geneva Robertson-Dworet beteiligt und sie steckt ebenfalls hinter Tomb Raider. Dabei lässt sich sehr deutlich erkennen, dass mehr Frauen hinter der Leinwand auch für mehr Frauen auf der Leinwand sorgen – und genauso verhält es sich mit People of Color. Blickt man auf die Arbeiten von Dee Rees, Issa Rae und natürlich Ava DuVernay, verfügen sie über deutlich mehr Diversität. 

Es ist eine Binsenweisheit, aber das macht sie nicht unbedingt weniger wahr: Im Kino muss sich etwas bewegen. Mit Drehbuchautorinnen ziehen neue, vielseitige Stile, Sichtweisen, Geschichten und Atmosphären in Filme ein. Und vielleicht auch mal wieder ein Dauerbrenner wie „I’ll have what she’s having“. 

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