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Features

Frances McDormand – Natürlichkeit in Person

Ein Beitrag von Christopher Diekhaus

Frances McDormand ist eine der am meisten prämierten Darstellerinnen der Geschichte, blieb aber immer einem eigenwilligen, unabhängigen Kino treu.

Meinungen
Frances McDormand_Blood Simple_Fargo_Nomadland
Blood Simple / Fargo / Nomadland

Ein saftiger Tritt in die Genitalien – damit startet Frances McDormand ihre Leinwandkarriere in der Thriller-Satire Blood Simple (1984). Dass die von ihr gespielte Figur ihren schmierig-gewalttätigen Ehemann (Dan Hedaya) in einem bedrohlichen Moment auf diese Weise niederstreckt, hat rückblickend Symbolkraft: Seht her, ich bin eine Frau, die sich nicht rumschubsen lässt, die sich zu wehren weiß! Diese Botschaft scheint schon besagte Szene zu transportieren, auch wenn die von ihr verkörperte Abby leicht naive Züge tragen mag. 

Als Verfechterin weiblicher Selbstbestimmung und von Gleichstellung und Diversity im Kinogeschäft gilt McDormand spätestens seit ihrer vielbeachteten Oscar-Dankesrede, die sie im März 2018 nach dem Gewinn des Preises für ihre Darbietung in der Provinzgroteske Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (2017) zum Besten gab. Mahnungen und schöne Worte sind bei dieser Gala oft zu hören. Dieses Mal stand aber jemand auf der Bühne, in schlichtem Kleid und ohne Glamourschein, dem man das eigene Interesse, die Betroffenheit sofort abnehmen konnte. Schon deshalb, weil die Filmografie der US-Schauspielerin eine deutliche Sprache spricht. 

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Wie alle guten Charakterdarsteller*innen spielte die 1957 als Cynthia Ann Smith geborene, früh adoptierte Frances McDormand in ihrer bisherigen Laufbahn viele unterschiedliche Rollen, lotete stets neue Stoffe aus. Auffällig ist jedoch: Regelmäßig tendiert sie zu Frauen, die versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen, die, wenn nötig, hartnäckig und bestimmt sein können. Selbstständigkeit in allen nur erdenklichen Schattierungen – dieser rote Faden zieht sich durch das nun fast schon vier Jahrzehnte umspannende Schaffen der seit 1984 mit Blood-Simple-Regisseur Joel Coen verheirateten Mimin.

Bereits bei ihrem Auftakt im Filmzirkus entwarf sie das reizvolle Porträt einer jungen Ehebrecherin, die einerseits wie die Unschuld vom Lande auftritt, andererseits aber auch zupackt, sofern es die Umstände erfordern. Mit dem eingangs erwähnten Tritt schlägt Abby ihren übergriffigen Gatten in die Flucht. Und auch als sie am Ende von einem mordenden Detektiv (M. Emmet Walsh) attackiert wird, hat sie Antworten parat. Nicht umsonst überlebt ihre Figur als Einzige den tödlichen Verwicklungsreigen, der aus dem bizarr-dilettantischen Verhalten der Männer erwächst.

 

Der erste Oscar

Eine andere Form der Selbstbehauptung beschreibt die Krimifarce Fargo: Blutiger Schnee von 1996, für die ebenfalls ihr Ehemann Joel und dessen Bruder Ethan Coen verantwortlich zeichneten. McDormands endgültiger Durchbruch, bedacht mit ihrem ersten Oscar als Hauptdarstellerin, besticht durch eine Mischung aus Mütterlichkeit, Verschrobenheit und Entschlossenheit. Als hochschwangere Polizeichefin eines verschneiten Kaffs, die einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Entführung auf die Schliche kommt, stapft die Schauspielerin mit einer Columbo-artigen Attitüde durch den Film, gibt sich verständlich und zeigt bei aller Höflichkeit, wann die Ermittlerin ihren Standpunkt mit Nachdruck untermauern muss. Zum Beispiel, als ein früherer Mitschüler (Steve Park) allzu aufdringlich wird. Herrlich ist überdies, wie es McDormand im Zusammenspiel mit John Carroll Lynch gelingt, eine ehrlich fürsorgliche Eheatmosphäre zu erzeugen. Selten wirkte Heimeligkeit auf der großen Leinwand sympathischer.

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Andere Seiten offenbart McDormand in ihrem zweiten Oscar-Triumph Three Billboards Outside Ebbing, Missouri. Zu sehen ist sie hier in der Rolle einer von Trauer und Wut zerfressenen Mutter, die nach der Vergewaltigung und Ermordung ihrer Tochter die schlechte Polizeiarbeit öffentlich anprangert. Eine zum Teil derbe Ausdrucksweise und drastische Handlungen – vor allem der Angriff auf einen Zahnarzt bleibt hängen – sind Zeichen einer tiefsitzenden Verbitterung und einer erstaunlichen Unbeugsamkeit. Gleichzeitig lässt McDormand ihre Figur aber nie zu einer platten Furie verkommen, sondern arbeitet auch ihre verletzlich-menschliche Seite in feinen Nuancen heraus. 

Persönlich und intim wie wohl nie zuvor gibt sich die US-Schauspielerin in ihrem dritten Oscar-Streich Nomadland (2020), einem fast dokumentarisch anmutenden Drama über eine Drifterin auf der Suche nach Arbeit, die ihre gesamte Existenz verloren hat. Dass McDormand die Protagonistin Fern mit einer ungeheuerlichen Überzeugungskraft verkörpert, liegt vielleicht auch ein wenig an ihren eigenen Erfahrungen. Immerhin machte sie als Adoptivkind im Schoß einer Pastorenfamilie in der Kindheit selbst mehrere Ortswechsel mit. Bemerkenswert ist jedenfalls, wie geschmeidig sie sich in ein zum Großteil aus Laien bestehendes Ensemble einfügt. Dass ihr die vom Leben gezeichnete Fern sehr nahesteht, ließ McDormand in einigen ihrer rar gesäten Interviews durchblicken: Wiederholt habe sie selbst mit dem Gedanken gespielt, der Filmindustrie den Rücken zu kehren, ihren Namen zu ändern und in einem Van durch die USA zu zuckeln. 

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Aussagen wie diese belegen, dass Frances McDormand ein Kinostar der anderen, ungewöhnlichen Sorte ist. Wo viele Kolleg*innen auch abseits ihrer Leinwandarbeiten das Rampenlicht suchen, ihr Privatleben in der Öffentlichkeit ausbreiten, setzt sie auf Zurückhaltung und Bescheidenheit. Ein Geheimnis ihres Erfolgs ist es, dass sie sich nach dem Fargo-Oscar bewusst rar gemacht, Presseveranstaltungen auf ein Minimum begrenzt und sich so eine im positiven Sinne rätselhafte Aura bewahrt hat. „Bodenständig“ ist ein abgenutzter Begriff. Hier trifft er den Nagel aber auf den Kopf. McDormand lebt mit ihrem Mann abseits des Hollywood-Trubels, hat keine Lust, am Social-Media-Theater teilzunehmen, und ist das beste Beispiel für aufregende Natürlichkeit – aufwendiges Make-up, pompöse Kleider oder Botox, all das, was in der Filmwelt gang und gäbe ist, sieht man bei ihr selten oder gar nicht. Selbstbewusst streckt sie ihr faltiges, von gelebter Zeit erzählendes Gesicht in die Kamera und verkauft uns gerade damit jede Rolle.

 

Den eigenen Weg gehen

Frances McDormand mag eine der am meisten prämierten Darstellerinnen der Geschichte sein. Und doch kennen keineswegs alle Kinogänger*innen ihren Namen. Warum? Wahrscheinlich, weil sie schwer zu fassen ist, vieles ausprobiert, sich nicht festlegen lässt. Seit ihrer Ausbildung am Bethany College und an der Yale School of Drama ist McDormand dem Theater, auch dessen experimentellen Ausprägungen, verbunden. Den begehrten Tony Award erhielt sie 2011 für ihr Mitwirken in David Lindsay-Abaires Broadway-Stück Good People.

Was ihr Kinoschaffen betrifft, steht sie schon immer unabhängigen, eigenwilligeren Produktionen nahe. Gern gesehener Gast ist McDormand in den von schrägen Figuren bevölkerten und mit absurden Eskalationen aufwartenden Werken ihres Ehemannes und ihres Schwagers. Auf Blood Simple folgten Arizona Junior (1987), Miller’s Crossing (1990) und Barton Fink (1991). Für Aufsehen in den Anfängen ihrer Karriere sorgte sie vor allem mit ihrem Auftritt als reumütige Ehefrau eines mit dem Ku-Klux-Klan verbandelten Polizisten in Alan Parkers Krimidrama Mississippi Burning – Die Wurzel des Hasses (1988), der ihr eine erste Oscar-Nominierung einbrachte. Ausflüge in konventionellere, spektakellastige Hollywood-Gefilde unternahm sie gelegentlich, etwa in Sam Raimis Superheldenfilm Darkman (1990), in Karyn Kusamas Science-Fiction-Thriller Æon Flux (2005), in Michael Bays Krawallactioner Transformers 3: Die dunkle Seite des Mondes (2011) und im Animationsabenteuer Madagascar 3: Flucht durch Europa (2012). 

Treu blieb Frances McDormand trotz dieser Stippvisiten aber all die Jahre einem Kino, das eigene Wege geht und nicht selten mit herrlich absurden Einfällen glänzt. Für Robert Altman stand sie im gesellschaftskritischen Episodenfilm Short Cuts (1993) vor der Kamera. Unter der Regie ihres Mannes spielte sie in der Noir-Hommage The Man Who Wasn’t There (2001) als eine Art femme fatale die fremdgehende Gattin des deprimierten, in einen Teufelskreis schlitternden Protagonisten und sorgte in der Geheimdienstkomödie Burn After Reading (2008) in der Rolle einer von Schönheitsoperationen besessenen Fitness-Center-Mitarbeiterin für amüsante Akzente. Auch das exzentrische Universum von Wes Anderson betrat sie mehrfach, etwa in Moonrise Kingdom (2012). 

Von ihrem Hang zu unangepassten weiblichen Figuren legt nicht zuletzt das Tatsachendrama Kaltes Land (2005) Zeugnis ab. In diesem Film über einen Musterprozess wegen sexueller Diskriminierung am Arbeitsplatz spielt sie in einer Nebenrolle eine der wenigen Frauen, die in einem Bergwerk in Minnesota arbeitet. 

 

TV-Präsenz

Neben Kino und Theater gehört auch das Fernsehen zu McDormands Experimentierfeldern. Schon nach dem Beginn ihrer Karriere trat sie in diversen TV-Arbeiten auf. Besonders großes Lob erhielt sie für ihre Performance in der Miniserie Olive Kitteridge (2014). Als scharfzüngige, verbitterte, aber auch gutherzige Lehrerin, die sich durch einen tragikomisch entworfenen Kleinstadtkosmos bewegt, sicherte sie sich völlig verdient einen Emmy in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“. Die mit Preisen überhäufte Fernsehserie gehörte außerdem zu den ersten Projekten, die McDormand mit ihrer eigenen Produktionsfirma aus der Taufe hob. 

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Federführend war ihr Unternehmen auch bei der Mitte Februar 2023 in Deutschland startenden Romanadaption Die Aussprache (2022). Einem Drama über mehrere Frauen, die sich nach massiven sexuellen Übergriffen in einer mennonitischen Siedlung darüber austauschen, ob sie die Kolonie und damit ihr altes Leben verlassen sollen. Bezeichnend für McDormands Vielseitigkeit und ihren Mut ist in diesem zuweilen schmerzhaft eindringlichen Film über Unterdrückung, Misogynie und männliche Gewaltmuster der von ihr bekleidete Kleinpart. In der Öffentlichkeit als Kämpferin für Frauenrechte auftretend, steht sie hier genau für das Gegenteil. Mit verhärteten Gesichtszügen gibt sie ein das brutale patriarchale System nicht in Frage stellendes Gemeindemitglied – und hinterlässt nachhaltigen Eindruck, obwohl ihre Figur nur wenig screen time und kaum Sprechanteil bekommt. Ein untrügliches Zeichen für außergewöhnliche darstellerische Qualitäten! Bleibt nur zu hoffen, dass Frances McDormand in absehbarer Zeit nicht doch ihren laut geäußerten Traum von einer Flucht aus der Filmbranche realisiert…

Meinungen

Pierre H Schimek · 13.02.2023

Ich bin sehhr daran inresiert