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Filme, mit denen es Essig ist - Von der versuchten Rettung der apokryphen Filmgeschichte

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

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Plakat Terza Visione - 3. Festival des italienischen Genrefilms
Plakat Terza Visione - 3. Festival des italienischen Genrefilms

Ein Kaleidoskop strahlender Farben und wirbelnder Texturen surrt auf das Publikum herab, das sich im Nürnberger KommKino eingefunden hat. Zum dritten Mal steigt dort Anfang April 2016 ein Fest namens Terza Visione — Festival des italienischen Genrefilms. Der Eröffnungsfilm – Dario Argentos Thriller Vier Fliegen auf grauem Samt – ist der für Genre-Laien bekannteste Name im Programm. 

An diesem Abend ist es aber eine deutsche Uraufführung, die die Begeisterungsfähigkeit des Publikums hervorkitzelt: Cristiana monaca indemoniata von Sergio Bergonzelli – oder schlicht Cristiana, die Besessene. Eine ungeheure Wucht von einem Film über eine junge Frau, die nach einem Beinahe-Flugzeugabsturz dem Amüsement abzuschwören gedenkt und in ein lustbefreites Kloster geht. Ein Film aus dem Nunsploitation-Dunstkreis, der von einem Extrem ins andere kippt, der Entzücken wie Bestürzung auszulösen vermag, der ausgelassen virtuos die stilistischen Möglichkeiten des Mediums Film feiert und von den meisten Festivalbesuchern als absoluter Höhepunkt gelobt wird.

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(Ausschnitt aus Cristiana monaca indemoniata)

Doch: Es ist unwahrscheinlich, dass so schnell wieder ein Publikum in den Genuss einer Vorführung kommen wird. Die Kopie von Cristiana monaca indemoniata ist in desaströsem Zustand. Nicht nur musste sie in selbstausbeuterisch langwieriger Handarbeit extra für das Terza Visione restauriert und untertitelt werden. Sie leidet auch unter dem Essigsyndrom, einem chemischen Verfallsprozess, der dem Material früher oder später den Garaus machen wird. Cristiana wurde zwar gefeiert – mit ihrer Rettung ist aber paradoxerweise nur unter wundersamen Umständen zu rechnen.

Als das Kino im Jahre 1995 seinen 100. Geburtstag beging, stellte der Deutsche Kinematheksverbund infolge einer Abstimmung eine Liste mit den „100 wichtigsten deutschen Filmen“ zusammen. Es finden sich darauf erhaltenswerte Meisterwerke, keine Frage. Die Anführungszeichen haben trotzdem ihre Berechtigung. Schließlich sprechen wir von einem Land, in dem in guten Phasen – die Nachkriegszeit ist so ein Beispiel – über zweihundert Filme pro Jahr produziert wurden. Das zahlenmäßige Missverhältnis zwischen wertgeschätztem Kanon und Filmbeständen, die dem Vergessen anheim zu fallen drohen, ist also eklatant.

„Vielleicht sollte man angesichts des enormen Umfangs der Filmgeschichte nicht schon von Vornherein systematisch entscheiden: das muss erhalten bleiben und das ist peripher. Sondern sagen: wo es gerade brennt, wird gehandelt. Dann mag das meinetwegen gerade eine fünfzehnminütige deutsche Slapstickkomödie von 1916 sein oder ein Sexfilm aus den Siebzigern.“

Der Mann, der diese Sätze formuliert, gehört zu einer raren Art. Ich treffe Christoph Draxtra zum Interview in Berlin, nachdem er sich vom Terza Visione erholt hat. Draxtra verdient als Filmvorführer in Nürnberg sein Geld, gemeinsam mit Andreas Beilharz veranstaltet er aber auch Festivals – nicht nur zum Thema Italien. Auch den Hofbauerkongress, für den vorrangig deutsche Produktionen aus Genre- und Exploitationabgründen ausgegraben werden. Man müsste Christoph Draxtra aber eigentlich auch einen Archivar nennen, wollte man ihm gerecht werden. Ehrenamtlich treibt er Filmkopien auf, repariert und klebt, schneidet und untertitelt, liebt und leidet.

„Filme zu sammeln ist etwas Exotisches. Die meisten Leute reden von Filmrollen so, als wären es Antiquitäten. Wenn ich dann erkläre, dass die meisten aktuellen Filme noch bis 2013 so zu uns in die Kinos gekommen sind, dann sind sie überrascht. Weil sie davon ausgehen, dass 35mm schon viel länger weg vom Fenster ist.“

Christoph Draxtra; Copyright: Katrin Doerksen
Christoph Draxtra; Copyright: Katrin Doerksen

Wenn das so ist, ist Christoph Draxtra im doppelten Sinne ein Exot. Auf die 100 Filme von der eingangs erwähnten Liste hin wird man sein Archiv nämlich vergeblich durchforsten. Stattdessen ist er ein Advokat des Abseitigen, des Kuriosen und Verlorenen, der sich wie die meisten in Europa verbliebenen Off-Kinomacher mit fehlenden Mitteln und hapernder Vernetzung herumschlagen muss. Und mit so wenig öffentlicher Wertschätzung, dass sie in kaum einem Verhältnis zur geleisteten Arbeit steht. Der Lohn ist eher ideeller Natur:

„Alles was ich mache, ist nur Mittel zum Zweck. Es geht in erster Linie darum, den Film sichtbar zu machen. Ich gehe das pragmatisch an: dieser Film muss auf die filmische Landkarte gesetzt werden, also muss ich jene Kopie reparieren. Das Kriterium ist: Je unbekannter der Film, je obskurer und je vergessener, desto größer ist der Anreiz, diese Arbeit zu investieren. Desto mehr stellt sich das Gefühl ein, wirklich etwas für ihn zu tun. Sobald ein Film nicht mehr sichtbar ist, ist er eigentlich tot. Es spricht niemand über ihn, er wird in den Blick auf Filmgeschichte nicht mit einbezogen. Deswegen muss man dafür sorgen, dass der Film schnellstmöglich wieder vorgeführt werden kann. Man müsste aber gleichzeitig auch DCPs herstellen, weil viele Kinos 35mm nicht mehr spielen können. Und man sollte ihn für das Heimkino auswerten. Ich bin kein Snob: Man muss einfach hinnehmen, dass sich Filmgeschichte heute nicht mehr nur durch Kinoaufführungen erschließen lässt.“

In der Theorie ist es kein Ding der Unmöglichkeit, Filme vor dem Verfall zu bewahren. Den recht haltbaren Polyesterkopien sagen Fachkundige eine Lebensdauer irgendwo zwischen 500 und 1000 Jahren voraus. Allein das Umkopieren und die Lagerung sind zu teuer, als dass kleine Archive die Kosten selbst tragen könnten. Immerhin stimmen einige Erfolge hoffnungsfroh. So schubste eine vor allem von enthusiastischen Hofbauer-Aficionados unterstützte Crowdfunding-Kampagne Anfang des Jahres die Digitalisierung und DVD-Auswertung von Der Perser und die Schwedin an, dessen Kopie bereits vor Essig triefte. Umso bekümmernder aber der Gedanke, dass eine unüberschaubare Anzahl vergessener Kopien womöglich in Garagen und auf Dachböden ihr Dasein fristet.

„Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, was mit einem Film passiert. Vielleicht hat der Kameramann eine Kopie mitgenommen oder die Schauspielerin wünschte sich eine. Oft tritt das erst zutage, wenn die Leute sterben. Der Idealfall ist, dass die Verwandten dann verantwortungsvoll sind und das Material einem staatlichen Archiv überlassen. Oder es wenigstens auf Ebay stellen. Aber sehr oft wissen die Leute einfach nichts damit anzufangen und schmeißen es weg. Ich bin mir sicher, dass wir auf diesem Wege auch schon Filme komplett verloren haben.“

Manche Kopien landen aber glücklicherweise doch in den richtigen Händen.

„Es kann dir passieren, dass du die Dose aufmachst und schon von außen siehst, dass der Film sehr oft geklebt wurde. Du siehst überall die kleinen weißen Streifen und Klebestellen in dem Akt und dann möchtest du schon in die Tischkante beißen. Es kann auch sein, dass du die Dose aufmachst und feststellst, dass die Kopie wie nagelneu ist und aus irgendeinem Grund noch nie gespielt wurde. Oft weißt du das vorher nicht. Trial and error ist unumgänglich in diesem Metier.“

Woran leiden denn die Kopien auf deinem Tisch typischerweise?

„Der Film hat links und rechts an beiden Seiten diesen gelöcherten Rand, die Perforation, auf der er im Projektor vom Zahnrad transportiert wird. Das regelt auch die Bildfrequenz. Oft ist die Perforation am Rand eingerissen, und je nachdem wie alt, wie trocken und steif das Material ist, kann es passieren, dass sich der Film spaltet oder reißt.“

Todfeind Essigsyndrom: stellt man fest, dass eine Kopie davon befallen ist — wie viel Zeit bleibt einem dann in der Regel noch?

„Dieser Prozess ist eigentlich allen Acetatfilmen eingeschrieben. Es kann fürchterlich stinken, selbst wenn man nur die Dose aufmacht. Die Kopie nimmt wie ein Schwamm die Feuchtigkeit aus der Luft auf. Je feuchter, desto mehr Säure wird freigesetzt. Einige Zeit sind die Filme noch vorführbar. Später fangen sie sich zu wölben an und lassen sich nicht mehr scharf projizieren. Im Endstadium schrumpelt der Film dann zusammen als würde er verwelken. Das ist eine Abwärtsspirale – und nur aufzuhalten, wenn man den Film einfriert, aber das ist teuer. Es ist schon kostspielig genug, Filme überhaupt klimatisiert zu lagern. Wir haben uns inzwischen so einen Raum gebaut, in dem wir den wertvollsten Teil unserer Kopien aufbewahren.“

Die zahlreichen bei der Archivierung und Sichtbarmachung von Filmen entstehenden Hindernisse sind kein Geheimnis. Selbst das Arsenal, eine Institution in der Berliner Kinolandschaft mit einer beeindruckenden Sammlung oftmals deutsch untertitelter Kopien, hat mit Platzproblemen, finanziellen Engpässen und dem drohenden Essig zu kämpfen. Die Eignung seiner kürzlich bezogenen neuen Archivräume im Weddinger silent green Kulturquartier wird sich erst im Laufe des Jahres final herausstellen. Bleibt zu hoffen, dass die frühere Funktion des Gebäudes sich nicht als böses Omen entpuppt – es wurde Anfang des vergangenen Jahrhunderts als Krematorium erbaut.

Neues Filmarchiv des Arsenal im silent green Kulturquartier; Copyright: Katrin Doerksen
Neues Filmarchiv des Arsenal im silent green Kulturquartier; Copyright: Katrin Doerksen

Es scheint fast so, als würde die Umstellung auf die unkomplizierteren digitalen DCPs den Kinos ungeheure Erleichterung verschaffen. Aber abgesehen von der begrenzten Lebensdauer heutiger Festplatten würden selbst gestresste Handarbeiter wie Christoph Draxtra das Filmmaterial immer wieder vorziehen:

„Ein analoges Filmbild hat eine Tiefe, Sättigung und Sinnlichkeit, die eine digitale Projektion nie erbringen könnte. Ein digitales Bild wird von einer Großzahl kleiner Spiegel erzeugt, die sich schnell drehen und die Farben unterschiedlich reflektieren. Ein Filmbild wird von Material erzeugt, auf dem sich eine Gelatineschicht befindet, durch die Licht geworfen wird. Die Unberechenbarkeit des fotochemischen Materials ergibt ein viel lebendigeres Bild.“

Tatsächlich würden viele große Namen dieser Ode an den Film beipflichten. Regisseure wie Quentin Tarantino oder Christopher Nolan bestehen nach wie vor auf ihrem Filmmaterial und machten 2015 ihren Einfluss in Hollywood geltend, um einen Deal mit Kodak zu erwirken: die Studios verpflichteten sich, pro Jahr eine bestimmte Menge Filmmaterial zu kaufen. Das drohende Ende ist dadurch aber nur aufgeschoben. Dass in Deutschland prominente Missionare im Dienste des Films fehlen und die letzten verbliebenen Kopierwerke auf Beschluss der Bundesregierung hin mittelfristig geschlossen werden sollen, macht die Lage auch nicht weniger beunruhigend.

Aber selbst, wer den Wert des Filmerbes mit all seinen Unzulänglichkeiten anerkennt, gewährleistet damit noch lange nicht den Erhalt der Bestände jenseits der Kassenschlager. Während der letzten Berlinale hatte der nigerianische Filmemacher und Kritiker Didi Cheeka in seinem Vortrag im Rahmen der Reihe Visionary Archives wenig Ermutigendes zu berichten: Er versuche nicht nur als Autorenfilmer Fuß zu fassen, sondern auch als Mitbegründer der Lagos Film Society einen erst kürzlich gehobenen und in äußerst schlechtem Zustand befindlichen Bestand postkolonialen Filmmaterials zu retten – von Cartoons über Lehr- bis hin zu Spielfilmen ist alles vorhanden. Trotzdem sei beides ein Ding der Unmöglichkeit, weil sich abseits des alles überstrahlenden Erfolgs von Nollywood niemand überhaupt für die Finanzierung und den Erhalt von Film verantwortlich fühle. Diese Verdrängung des eigenen medialen und kulturellen Erbes nennt Cheeka symptomatisch. Geschichtsunterricht an öffentlichen Schulen Nigerias ist praktisch nicht existent, kaum ein Kind kennt die Namen früherer Präsidenten oder die Daten des Biafra-Krieges. Lediglich einzelne Privatpersonen richten sich gegen das kollektive Vergessen, rufen Initiativen wie das Nigerian Nostalgia Project ins Leben und laden dafür Privatfotos aus den 1960er Jahren in Facebook-Gruppen hoch, um ein breiteres Interesse an der eigenen Geschichte zu wecken. Dabei eignete sich gerade der Film für solche Zwecke hervorragend, wenn ihm nur jemand die Gelegenheit böte:

„Gerade im Kino ist keine so große Trennschärfe zwischen dem Populären und dem Politischen vorhanden. Ich glaube, dass im Kino sehr viel unauffälliger und nahtloser verschiedene künstlerische und erzählerische Attitüden zueinanderfinden können, die es in diesem Zusammenwirken in anderen Kunstwerken nicht gibt. Wenn man sich die mediale Geschichte des 20. Jahrhunderts anschaut, dann ist Film mittendrin. Kino war immer ein massennahes, sichtbares Medium. Und es hatte so wenig Zeit, sich zu entwickeln. Es war gerade erst entstanden und wurde schon mit riesigen Erwartungen überzogen.“

Es sind vor allem große Festivals wie die Berlinale, die über die finanziellen Mittel und die nötige Aufmerksamkeit verfügen, um Filme sichtbar zu machen und Filmgeschichte abseits der ausgetrampelten Pfade zu erschließen. Dafür hapert es dort oftmals an den richtigen Prioritäten, findet Draxtra:

„Es macht mich maßlos wütend, wie viel Energie darauf verwandt wird, die immer gleichen Filme immer wieder zu restaurieren und zu zeigen. Dabei hat die Filmgeschichte unglaublich viel anzubieten; man versündigt sich eigentlich an ihr, wenn man ihre Vielfalt so ignoriert. Die Retrospektiven der Berlinale haben in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren so einen verengten und eingedampften Teil selbst nur des Kanons gezeigt, dass da unendlich viel Luft nach oben ist, auch ohne dass die in unseren Gewässern fischen.“

Und tatsächlich: die Retrospektive Deutschland 1966 wollte auf der vergangenen Berlinale ein breites Bild der Aufbruchsstimmung in BRD und DDR zeichnen. Und dann landete trotz der großen Auswahl doch hauptsächlich Altbekanntes von Alexander Kluge, Volker Schlöndorff und Ulrich Schamoni im Programm – während einen Monat zuvor noch die Besucher des 15. Hofbauerkongresses vor Vergnügen aufjauchzten, als sie die 1966er Schlagerkomödie Das Spukschloss im Salzkammergut von Hans Billian und Rolf Olsen zu sehen bekamen. Eine Klamotte, die sich ihrer inszenatorischen Defizite stets augenzwinkernd und aufs Unterhaltsamste bewusst ist. Bleibt die Frage, warum sie und unzählige andere Filme auf deutschen Leinwänden seit Langem schon nicht mehr zu sehen sind, auf DVDs erscheinen oder in Seminaren Erwähnung finden.

„Filme werden im wissenschaftlichen Kontext als kulturhistorische Dokumente begriffen. Dass man dabei gerade das populäre Kino, das Genre- und Exploitationkino tendenziell außen vor lässt, finde ich verantwortungslos. Der Autorenfilm kommt sehr viel mehr aus seinem einzelnen Macher heraus, das Publikum wird nicht mit einbezogen. Im populären Kino ist das anders, for better or for worse. Meiner Meinung nach müsste es gleichberechtigt neben dem Autorenfilm stehen, man kann nicht das Eine ohne das Andere haben.“

Das Spukschloss im Salzkammergut; Copyright: Ceres-Filmverleih
Das Spukschloss im Salzkammergut; Copyright: Ceres-Filmverleih

Ist es um die archivarische Leistung in Deutschland also schlechter bestellt als in anderen Ländern?

„Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass man alles erhalten kann. Aber das sollte auch kein Argument dafür sein, schlampig vorzugehen. Es werden zu schnell tendenziöse Entscheidungen darüber getroffen, was erhalten werden soll und was nicht. Viele Länder haben zum Beispiel die Archivpflicht für landeseigene Produktionen — Deutschland hat die nur bei Filmen, die staatliche Filmförderung erhalten haben. Was vielleicht nicht immer die erhaltenswertesten Filme sind. Die spannende deutsche Filmgeschichte spielt sich weitab der staatlichen Filmförderung ab.“

Ist es in Anbetracht solcher tendenziösen Entscheidungen überhaupt wünschenswert, dass sich der Bund in Fragen des Erhalts des Filmerbes mehr in der Verantwortung fühlt?

„Durchaus. In Frankreich werden momentan jährlich um die 100 Millionen Euro für den Erhalt des Filmerbes investiert, in Deutschland sind es zwei Millionen. Das ist eine Kluft, die zu denken geben sollte. Aber es müsste eben anders passieren als bisher. In der jetzigen Form ist das sehr dysfunktional. Man bräuchte einen Zusammenschluss von mehreren Leuten aus verschiedenen Interessengruppen – Filmindustrie, Filmkritik, Filmwissenschaft, Archivwesen –, die darüber entscheiden, welche Filme erhalten oder gefördert werden. Man muss damit anfangen, das Filmerbe genauso ernst zu nehmen wie die Denkmalpflege, Theater und Oper, all diese Dinge, bei denen es in Deutschland keine Diskussion gibt. Ich glaube nicht daran, dass man ohne solche staatliche Unterstützung autark ein neues Archivnetzwerk aufbauen könnte, das sich selbst trägt.“

Wie hoch die Hürde ist, die ein Film nehmen muss, um seinen Fortbestand gefördert zu bekommen, zeigt ein kurzer Blick in die entsprechenden Voraussetzungskriterien der Filmförderungsanstalt. Finanziell unterstützt wird fast nur, was auf einem A-Festival lief oder mit Academy Awards und anderen Preisen beworfen wurde. Es ist die so sinnbefreite wie müßige Unterscheidung zwischen E und U, die auf diesem Weg zementiert wird und es ehrenamtlichen Idealisten und Quereinsteigern vom Schlag eines Christoph Draxtra so schwer macht, berufliche Erfolge über das eigene gute Gewissen hinaus zu feiern. Er immerhin gibt sich ungebrochen:

„Wir brauchen einen Umgang mit Filmgeschichte ohne diesen Klüngel-Beigeschmack. Die Leute fragen immer: „Also ist ein Clip auf Youporn für dich auch Filmkunst?“ Prinzipiell immer erst mal ja. Den künstlerischen Wert für jeden persönlich zu ermessen, liegt ja beim Einzelnen. Aber prinzipiell ist Kunst kein wertender Begriff. Man kann auch nicht sagen: etwas ist Kunst und deswegen ist es automatisch gut und interessant. Es ist schlicht Kunst als Ergebnis eines kreativen, schöpferischen Akts. Alle anderen Überlegungen kommen danach.“

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