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Eine kurze Zeitreise durch die Geschichte des Heimatfilms

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Der Diskurs rund um den Begriff „Heimat“ erlebt auf und abseits der Leinwand ein Revival. In unserer zweiten Jahresserie widmen wir uns in den nächsten zwölf Monaten dem Thema “Heimat?!“. Joachim Kurz über den alten und neuen deutschen Heimatfilm.

Meinungen
Filmstill zu Die Kinder der Toten (2019)
Die Kinder der Toten (2019) von Kelly Copper, Pavol Liska

Kaum ein Genre ist wohl so viel Misstrauen und Skepsis unterworfen wie jenes des Heimatfilms. Mittlerweile ist der Begriff Heimat zu einem Politikum geworden, um das ein regelrechter Kulturkampf entbrannt ist, weil vor allem restaurative und reaktionäre Kräfte sowie politische Akteure dieses Wort für sich reklamieren und dieses entsprechend ihres Weltbildes umdeuten wollen. In unserer Jahresserie über den Heimatfilm wollen wir das Genre einer Revision unterziehen und uns multiperspektivisch einer Bestandsaufnahme und verschiedenen Aspekten des Heimatfilms annähern.

Heimatfilm — ein Begriff, der viele Filmfans spontan eher auf Abstand gehen lässt, steht er doch für die bestenfalls altbackene, schlimmstenfalls kitschige Art von Papas Kino der 1950er und 1960er Jahre, gegen das das Oberhausener Manifest 1962 revoltierte und den Neuen Deutschen Film begründete. Doch bereits diesen klaren Akt der Revolte wohnte jene Brüchigkeit inne, die dem Genre des Heimatfilms offensichtlich als DNA mit auf den Weg gegeben wurden. Denn einer der Unterzeichner des Oberhausener Manifests war Edgar Reitz, der mit dem Mammutprojekt Heimat eine Renaissance eben jenes Genres einläutete, gegen die die Oberhausener 20 Jahre zuvor noch energisch protestiert hatten. Doch der Reihe nach.

 

Vom Volks- zum Heimatfilm

Seine Ursprünge hat der Heimatfilm in einer bestimmten literarischen Gattung, der Heimatliteratur, die Susanne Scharnoski in ihrem Buch Heimat — Geschichte eines Missverständnisses als den „Gartenzwerg unter den literarischen Gattungen“ bezeichnete. Romane wie Ludwig Ganghofers Das Schweigen im Walde entwarfen Gegenidyllen zu den Zumutungen der Industrialisierung und der vor allem städtisch geprägten Moderne.

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Schon in den 1910er Jahren entstanden erste Verfilmungen der Ganghofer-Bücher und anderer Vorlagen aus dieser Gattung — Filme, die damals als „Volksfilme“ bezeichnet wurden, bevor 1933/34 zum ersten Mal der Begriff „Heimatfilm“ ins Spiel kam — und zwar im Zusammenhang mit den beiden Ganghofer-Verfilmungen Die blonde Christl (1933) und Schloß Hubertus (1934). Zudem gab es das Subgenre des Bergfilms, das vor allem von Regisseur Arnold Fanck geprägt wurde, das sich im Laufe der Zeit zunehmend mit den Heimatfilmen vermischte bzw. Einfluss auf sie nahm.

In der staatlich gelenkten nationalsozialistischen deutschen Filmwirtschaft während des Dritten Reiches blühte das Genre vor allem durch RegisseurInnen wie Leni Riefenstahl und Luis Trenker.

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Seine eigentliche Blütezeit erlebt der Heimatfilm aber erst ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des Dritten Reichs — und offenbarte dabei eine jener beinahe bruchlosen Kontinuitäten, wie sie für die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft in fast jeder Hinsicht typisch sind. Besonders deutlich wird dies daran, dass teilweise sogar Filme aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft eine Neuverfilmung erfuhren, ohne dass dabei viel verändert worden wäre. Der Eskapismus der Kriegszeit setzte sich bruchlos im Eskapismus des Wiederaufbaus fort und schrieb mit Werken wie Der Förster vom Silberwald (Echo der Berge [1954] lautete der österreichische Originaltitel, Regie führte Alfons Stummer) Besucherrekorde, so dass bis 1960 rund 300 Werke ähnlicher Machart erschienen, die mit den gleichen Idyllen und Kontrastierungen von heilem Landleben gegen das hektische und krankmachende Leben in der Stadt agitierten und dabei teilweise die Bildwelten und Denkmuster des gerade erst „überwundenen“ Nationalsozialismus mit beispielloser Naivität übernahmen.

 

Niedergang und Renaissance des Heimatfilms

Kein Wunder also, dass die Filmemacher der jungen Generation dagegen Stellung bezogen — sahen sie doch darin völlig berechtigter Weise eine unheilvolle Tradition, die niemals aufgearbeitet worden war, sondern vielmehr sich beinahe bruchlos fortgesetzt hatte. Ebenso wie andere Filmgenres erweist sich der Heimatfilm als Seismograph gesellschaftlicher Haltungen und Veränderungen — besonders in Deutschland und Österreich. Das Oberhausener Manifest und die Proteste gegen Papas Kino waren Vorboten der Studentenproteste und des Kampfes gegen den Muff unter den Talaren. Mit dem Aufkommen des Neuen Deutschen Autorenfilms schien der Heimatfilm seinen Zenit Mitte der 1960er Jahre endgültig überschritten zu haben. Zwar kam es in den 1970er Jahren zu einer ganzen Reihe von Neuverfilmungen der Vorlagen Ludwig Ganghofers, doch diese waren ungleich düsterer und härter als ihre idyllischen Vorgänger. Zudem markierten derbe Sexkomödien wie die Lederhosen-Filme ab 1973 zu Beginn der 1970er Jahre, dass das Ländlich-Provinzielle zumindest filmisch in eine Sackgasse geraten war.

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Und nicht zuletzt waren es Anti-Heimatfilme wie Jagdszenen aus Niederbayern (Peter Fleischmann, 1968), Ich liebe dich, ich töte dich (Uwe Brandner, 1970) und Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach (Volker Schlöndorff, 1971), die dem Heimatfilm der Nachkriegszeit endgültig den Todesstoß versetzten, bzw. diesen in abgewandelter Form als TV-Serien wie Die Scharzwaldklinik (ab 1984) oder Forsthaus Falkenau (ab 1989) transformierten.

Während Filmemacher wie Herbert Achternbusch schon seit langem in subversiver Weise mit dem Heimatfilm abrechneten und Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder, Reinhard Hauff, und Werner Herzog immer wieder Filme schufen, die sich mit dem Begriff Heimat auseinandersetzten, manifestierte sich spätestens mit Edgar Reitz’ Monumentalwerk Heimat — Eine deutsche Chronik (mit 924 Minuten Laufzeit lief der Film als Serie im Fernsehen, war aber ursprünglich als Kinofilm-Reihe konzipiert gewesen) ein neues Interesse an differenzierteren und realistischeren filmischen Auseinandersetzungen mit Heimat, Herkunft, Identität und Interesse an historischer Wahrheit.

 

Ein neuer Blick aufs Genre

Seitdem hat sich der Heimatfilm stark gewandelt und ist vielschichtiger und diverser geworden: Regisseure wie Leo Hiemer, Jo Baier, Josef Vilsmaier, Urs Odermatt und Xaver Schwarzenberger, aber auch jüngere Filmemacher wie Hans Steinbichler (Hierankl, 2003), Matthias Kiefersauer (Baching, 2008) und Marcus H. Rosenmüller (Wer früher stirbt, ist länger tot, 2006 und die Beste-Zeit-Trilogie, 2007 bis 2014) setzten neue Akzente und läuteten eine regelrechte Renaissance des Heimatfilms moderner Prägung ein, die sich mit gleich zwei Gewinnern des Hauptpreises beim Filmfestival Max Ophüls Preis (Landrauschen von Lisa Miller, 2018 und Neubau von Johannes Maria Schmitt, 2020) mit Macht zurück auf die Leinwand drängt.

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Ein ganz aktuelles Beispiel – und noch dazu ein sehr gelungenes – ist Lars Jessens neuer Film Mittagsstunde mit dem grandiosen Charly Hübner in der Hauptrolle. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Dörte Hansen und sehr treffsicher im Tonfall, in dem sich Melancholie und Witz mischen, erzählt der Film von einem, der heimkehrt in das Dorf seiner Kindheit und Jugend – und der es kaum wiedererkennt. Denn nicht nur er hat sich verändert, auch in Brinkebüll ist vieles verschwunden – und damit geht es nicht nur um den Verlust der Kindheit, sondern auch um die Brüchigkeiten der Gegenwart und die Ungewissheiten der Zukunft. 

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Mit Filmen wie Mittagsstunde, Landrauschen und Neubau wird das vielfach totgesagte Genre des Heimatfilms ganz gegenwärtig und folgt damit jenen Fragestellungen, die Markus Metz und Georg Seeßlen in einem Radio-Feature für Bayern 2 aufzeigten:

„Sind Heimatfilme schon jene, die sich in ihren Erzählungen auf eine konkrete Region, ihre Landschaft und ihre Geschichte, ihre Menschen und ihre Sprachen beziehen? Oder sind es solche Filme, die mit einem Gefühl, einer Sehnsucht, einem Problem, vielleicht sogar einem Schmerz zu tun haben? Filme, die vom Dableiben oder Weggehen, vom Zurückkommen und Wiederentdecken handeln? Sind Heimatfilme solche, die eine Identität konstruieren, aus Geschichte, aus Landschaft und Sprache?“

Hinzu kommen Fragen wie jene nach Migration, dem unfreiwilligen Verlust von Heimat und den Schwierigkeiten, in einer multikulturellen, multiethnischen Gesellschaft, die von Mobilität und Bindungsverlusten geprägt ist, seinen Platz im Leben zu finden. Es sind gerade diese Aspekte, die aufzeigen, dass die Zeit des Heimatfilms allen Unkenrufen zum Trotz noch lange nicht vorbei ist, sondern vielleicht gerade erst richtig begonnen hat.

Meinungen

Ludwig · 23.09.2022

Sehr schönes Feature, vielen Dank!