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Eiko Ishiokas grenzsprengendes Kostümdesign

Ein Beitrag von Dobrila Kontić

Von „Mishima“ über „Bram Stoker‘s Dracula“ zu „Spieglein, Spieglein“: Vor zehn Jahren starb mit Eiko Ishioka nicht nur eine japanische, international bekannte Design-Ikone, sondern auch eine Kostümbildnerin, deren Filmarbeit noch immer nachwirkt.

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Kostümdesign_Cell_Mishima

Bevor Eiko Ishioka am 21. Januar 2012 ihrem Krebsleiden 73-jährig erlag, konnte sie auf eine vielseitige internationale Design-Karriere zurückblicken, die nach wie vor ihresgleichen sucht: Sie war Art Director für den japanischen Kosmetikkonzern Shiseido, schuf Kostüme für Broadway-Musicals und Opern, drehte das Musikvideo für Björks Song „Cocoon“, stattete Teams unterschiedlicher Nationen für die Olympischen Winterspiele in Salt Lake City 2002 und Grace Jones für ihre „Hurricane“-Tour 2009 aus – und dies sind lediglich einige ihrer Errungenschaften abseits ihrer bedeutsamen und preisgekrönten Kostümarbeit für diverse Filme.

Eiko Ishioka wurde 1938 in Tokyo als Tochter einer Hausfrau und eines Grafikdesigners geboren. Mit dem bewussten Miterleben von Japans Kriegsniederlage gehörte sie einer Generation japanischer Designer*innen (darunter auch Modedesigner Issey Miyake) an, die die nationale Design-Ästhetik aufbrechen und erneuern sollte, wie es Maggie Kinser Saiki in ihrem Buch 12 Japanese Masters (2002) beschreibt: „In ihren Arbeiten stellt die neue Generation Ost und West kühn gegenüber und versucht bewusst, Japans raue und praktische Seite zu zeigen, nicht nur visuell, sondern auch physisch.“

Erste filmische Berührungspunkte

Nach ihrem Abschluss des Kunststudiums an der traditionsreichen Universität Tōkyō Geijutsu Daigaku arbeitete Ishioka in der Werbeabteilung des japanischen Kosmetikkonzerns Shiseido, was ihr 1965 – als erster Frau überhaupt – den prestigeträchtigen japanischen Nissembi Award einbrachte. Ab Anfang der 1970er machte sie sich selbstständig und betreute mehrere durchaus innovative und mitunter provaktive Kampagnen für die japanische Kaufhauskette „Parco“. So bestand ihr TV-Spot für „Parco“ von 1979 aus einer anderthalbminütigen Aufnahme der schwarz gekleideten und mit zartem Spitzenschleier versehenen Schauspielerin Faye Dunaway, die mit trotzig-verspieltem Blick in die Kamera ein gekochtes Ei schälte und verspeiste. Die Musikerin Róisín Murphy stellte diese Szene 2015 in ihrem Musikvideo zu Exploitation nach.

1978 gestalte Ishioka das japanische Filmposter für Luchino Viscontis letztes Werk Die Unschuld, welches den darin thematisierten, stets zwischen zwei Frauen(körpern) wandernden Blick des Protagonisten kühn ins Visuelle übersetzte. Im Jahr darauf entwarf Ishioka das japanische Filmposter zu Apocalypse Now, das sich von der glühend-roten Hölleninferno-Visualität des internationalen Artworks für den Film abwandte und auf ein in subtileren Tönen gehaltenes Bedrohungsszenario von dicht über einer brechenden Welle heranfliegenden Militärhubschraubern setzt.

Komplexe Bühnenkonstruktionen für „Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln“

Ab den 1980ern residierte Ishioka vor allem in New York und erweiterte ihren Design-Fokus immens, was ihr, wie sie im Gespräch mit Maggie Kinser Saiki einst verriet, durchaus schwerfiel. Im Japanischen, so heißt es in Kinser Saikis Buch, ermahne das Sprichwort „Wer zwei Hasen gleichzeitig jagt, fängt keinen“ zur Konzentration. Ihre eigene fehlende Spezialisierung bereitete der von vielfältigen Gestaltungsinteressen geleiten Ishioka ziemliche Sorgen. Nichtsdestotrotz nahm Ishioka 1985 das Angebot an, das Produktionsdesign für Paul Schraders biografisches Drama Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln zu verantworten.

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Der Film über den weltbekannten und kontroversen japanischen Schriftsteller Yukio Mishima (1925-1970) verfügte über eine recht komplexe Erzählstruktur: Die Rahmenhandlung zeichnet den letzten Tag in Mishimas Leben nach, in die sich Schwarz-Weiß-Rückblenden in prägende Stationen seines Lebens einfügen, die wiederum von farbenprächtigen Verfilmungen dreier Geschichten Mishimas („Der Tempelbrand“,1956, „Kyokos Haus“, 1959, „Unter dem Sturmgott“, 1969) unterbrochen werden. Für diese Erzählungen über zur Verzweiflung führende Schönheit, der Paarung von Sexualität und Todessehnsucht sowie Extremismus und Suizid schuf Ishioka beeindruckende, bühnenartige Kulissen, die in symbolträchtigen Farben zwischen von Gold über Fuchsia und schließlich in kühlen Kontrasten brillierten. Die Jury bei den Filmfestspielen von Cannes honorierte dieses außergewöhnliche ästhetische Erlebnis mit einem Sonderpreis für Gestaltung, den sich Ishioka gemeinsam mit dem Kameramann des Films, John Bailey, und dem Filmkomponisten Philip Glass teilte.

„Bram Stoker‘s Dracula“: Eine Vampir-Vision fernab von Klischees

Ausführender Produzent bei Mishima war kein anderer als Regisseur Francis Ford-Coppola, der sich nach seinem „Der Pate III“-Debakel von 1990 der sehr romangetreuen Verfilmung von Bram Stokers Dracula (1897) zuwandte. Mitten in der Konzeption des Films überwarf sich Coppola mit seinem bisherigen Produktionsteam, da ihm ein von historischen Filmanfängen geprägter Look vorschwebte und er auf spärlich ausgestattete Sets, praktische visuelle Effekte und Filmtricks alter Schule setzen wollte. Sein Dracula-Epos sollte fast ausnahmsweise auf Soundstages im Filmstudio gedreht werden und Coppola zweigte einen ordentlichen Teil vom fürs Setdesign vorgesehene Budget ab, um es in elaborierte Kostüme zu investieren. Diese sollten die u.a. von Gary Oldman, Winona Ryder, Keanu Reeves verkörperten Figuren in den Vordergrund hieven und als eigentlicher Schmuck des Sets dienen. Um diesen Effekt zu erzielen, dachte der Regisseur, wie er im Making-of verriet, an eine „Unabhängige, eine sonderbare Außenseiterin ohne Wurzeln im Film-Business“, kurzum: Eiko Ishioka.

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Wer das Ergebnis von 1992 gesehen hat, das damalige Filmkritiker*innen aufgrund seiner betonten Exuberanz in ein begeistertes und ein enerviertes Lager spaltete, weiß mit Sicherheit: Eiko Ishioka hat abgeliefert. In der Eröffnungsszene trägt Gary Oldman als Vlad „der Pfähler“ Drăculea eine scharlachrote Rüstung, deren Struktur an entblößte Muskulatur erinnert und somit seine baldige Verkörperung von grenzenloser Wut, Verletzlichkeit und Schrecken erahnen lässt. Ishioka, die nach eigener Aussage zuvor noch nie einen Film über Dracula gesehen hatte, verzichtete im weiteren Verlauf auch auf das klassische schwarze Cape für den betagten Graf Dracula und zeigte ihn stattdessen in einer roten, mit goldenen Emblemen verzierten Robe, in der er lautlos durch sein riesiges Anwesen umherschlich.

Im Verlauf von Bram Stoker‘s Dracula sind viele weitere Wandlungen dieser bis dato als filmisch verbraucht geltenden Gestalt zu sehen – und dabei stets aufs Überraschende und Undefinierbare angelegt. „Wir wollten unsere eigene Vision erschaffen, die weder an einen Mann noch eine Frau erinnert, weder jung noch alt. Weder Mensch noch Bestie. Man soll sich fragen: ‚Was ist das?‘“, erläuterte Ishioka ihr Konzept für die aufwendige Kostümierung. Für diese bediente sie sich Ideen aus der Natur, schuf für die von Sadie Frost gespielte Lucy Westenra etwa ein Hochzeitskleid mit ausladender Halskrause, die an Kragenechsen erinnern sollte, spielte dem Ursprungsmythos von Dracula entsprechend mit byzantinischen Farben und kreierte auf Wunsch von Coppola schließlich eine golden ornamentierte Robe für Dracula, die an Gustav Klimts Gemälde Der Kuss (1909) erinnern sollte. Was immer man von Bram Stoker‘s Dracula, diesem von Coppola als „erotischer Albtraum“ angelegten flamboyanten Machwerk halten mochte, niemand konnte und kann bis heute den Blick von den atemberaubenden, detailreichen Gewändern abwenden, die Eiko Ishioka 1992 den Oscar für Kostümdesign einbrachten.

Ausstattung von Tarsem Singhs Phantasie-, Gedanken- und Märchenwelten

Nach dem großen Erfolg von „Bram Stoker‘s Dracula“ wandte sich Ishioka, getreu ihrer Vielseitigkeit und Weigerung sich auf ein Medium zu beschränken, eingangs erwähnten Projekten im Bereich Oper, Musical und Musik zu. Der indische Regisseur Tarsem Singh konnte sie aber dennoch überzeugen, die Kostüme für seinen Sci-Fi-Psychothriller „The Cell“ (2000) zu entwerfen. Der Film versetzt seine von Jennifer Lopez gespielte Psychologin Dr. Catherine Deane in die Psyche des Serienmörders Carl (Vincent D’Onofrio), die sich als undurchdringliches Gewebe aus brutalen Machtfantasien, traumatischen Erinnerungen und unheimlichen Identitätskonstrukten offenbart.

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Ishioka hat hierfür Kostüme entwickelt, in denen noch Ansätze aus ihrer Arbeit für „Bram Stoker‘s Dracula“ erkennbar sind: So erinnert der rote, feingefaserte Anzug, den Dr. Deane für den Gebrauch des für das Herabgleiten in Carls Psyche geschaffene Virtual Reality-Prozesses tragen muss, an die Muskulatur-Rüstung von Dracula. Der in Carls Psyche zum mächtigen Dämonen stilisierte, mörderische Teil seiner selbst trägt Gewänder, die an Reptilien-Häute erinnern. Ishioka hat darüber hinaus den Designs noch BDSM- und religiöse Elemente hinzugefügt, welche die sich in Carls Psyche verirrende Dr. Deane mal als Heilige Jungfrau, dann wieder als gefangenes Sex-Objekt erscheinen lassen.

„The Cell“ und auch Tarsem Singhs weitere Filme The Fall (2006) und Krieg der Götter (2011) stießen meist auf ein sehr geteiltes Echo. Filmkritiker*innen warfen ihm eine Obsession mit dem visuell Überbordenden bei gleichzeitig geringem erzählerischen Gehalt vor, manche empfanden seine Werke gar als prätentiöse Belanglosigkeiten. Doch Eiko Ishioka, die über Singh auch ihren künftigen Ehemann, den Filmproduzenten Nicholas Soultanakis, kennenlernte, arbeitete bis zu ihrem Tod an all seinen Filmen mit. Mit ihren einzigartigen Entwürfen trug sie zur visuellen Kraft bei, die Singhs Werke für viele überhaupt erst sehenswert machten.

Dies galt auch für Singhs Schneewittchen-Adaption Spieglein, Spieglein (2012): In einem Kraftakt schuf Ishioka mehr als 400 Kostüme, für die sie sich bei historischen Designs vom 16. bis ins 19. Jahrhundert bediente. Diese überführte sie in opulente Ballkleider, welche die Charakterentwicklungen von Schneewittchen (gespielt von Lily Collins) und ihrer Stiefmutter (Julia Roberts) spiegelten und diese Figuren in teils ungewohntem Licht erscheinen ließen. Ishioka, die sich während der Arbeit für diesen Film einer Chemotherapie wegen Bauchspeicheldrüsenkrebs unterzog, wurde schließlich 2013 posthum für einen Oscar nominiert.

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„Zeitlos, revolutionär und originell“ – mit diesen Worten bezeichnete Eiko Ishioka einst ihre Zielsetzung bei der Entwicklung von Designs. Wie zutreffend sie auch noch zehn Jahre nach ihrem Tod sind, lässt sich an den Filmen, an denen sie mitwirkte, ablesen. Ihre Set-Designs und Kostüme rufen noch immer Staunen hervor und verleihen den erzählerischen Stoffen zusätzliche Ebenen, in denen sich immer wieder Ishiokas Hang zur Grenzüberschreitung zwischen und Hybridisierung von Ost und West, Körper und Psyche, Natur und Zivilisation spiegeln. Ihre in viele visuelle Sphären ragende, unheimlich produktive Karriere spricht für sich und bestätigt, was Maggie Kinser Saiki abschließend über diese Design-Ikone befand: „Ishioka hat ihre gesamte Karriere damit zugebracht, uns allen ein großes Geheimnis zu verraten: Nur wer nicht an Grenzen glaubt, kann sie beseitigen.“

 

Weiterführende Links:

  • Fan-Blog zu Eiko Ishiokas Kostümarbeit.
  • Podcast-Episode von SYFY-Wire in der Reihe „Forgotten Women of Genre“.

 

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