zurück zur Übersicht
Features

Die Zukunft des Kinos. Oder in Zukunft ohne das Kino? - Teil 2

Meinungen

Verfolgt man in den letzten Jahren die Feuilletons, die Zeitschriftenbeiträge und Wortmeldungen zahlreicher Regisseure, Filmwissenschaftler, Filmkritiker oder andere Intellektueller über die Zukunft des Kinos, dann glaubt man sich eher auf einer Beerdigung. In Teil 2 unserer kleinen Reihe über die Zukunft des Kinos (Teil 1 gibt es hier nachzulesen) geht es um die Veränderungen der Gegenwart, um wegbrechende jüngere Zuschauer und die Herausforderungen, die sich dem Kino durch neue Player wie Netflix und Amazon stellen.

Vor wenigen Tagen erst ist eine Studie erschienen, die die Folgen der Digitalisierung deutlich macht. Sie trägt den etwas sperrigen Titel Eine Evaluierung der Filmförderung im Rahmen des Filmfördergesetzes (FFG) und wurde von Prof Dr. Dieter Wiedemann im Auftrag des Verbandes Deutscher Kabelnetzbetreiber, des Bundesverbandes Informationswirtschaft BITKOM und des Verbandes der Internetwirtschaft eco verfasst. Insofern ist manche Aussage in dem Papier mit Vorsicht zu genießen, die Zahlenanalyse, die die Studie aber vorlegt, macht das Ausmaß aber recht deutlich: „Die Zahl der 10- bis 19-Jährigen Kinobesucher ist von 2009 auf 2014 um 36 % und die der 20- bis 29-Jährigen um 33 % zurückgegangen. Auch die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen (-22 %) und die der 40- bis 49-Jährigen (-6 %) haben Besucher einbüßen müssen.“

Und weiter heißt es: „Um diese dramatische Entwicklung noch deutlicher zu machen: 1991 stellten die bis 29-Jährigen noch 73 % aller Kinobesucherinnen und Kinobesucher, 2014 waren es noch 40 %. Diese Verluste können durch die Altersgruppe 50+ offenbar nicht kompensiert werden. Damit verringerte sich auch die Reichweite des Kinos in diesen Altersgruppen: Bei den 20- bis 29-Jährigen von 65 auf 55 % und bei den 30- bis 39-Jährigen von 55 auf 49 %, das heißt, die Gruppe der 20- bis 39-Jährigen wird nur noch etwa zur Hälfte vom Kino erreicht (bei den Männern in dieser Altersgruppe sind es etwas weniger als 50 %).“

„Vor allem die „digital natives“, also die Generation der nach 1980 geborenen, die von klein auf mit dem Computer aufgewachsen sind, sind es also, die dem Kino als Besucher weggebrochen sind.“

 

Das ortlose Kino

Das Kino ist nicht tot, es ist vielmehr in einem Zustand der Auflösung begriffen, es diffundiert und ist damit überall und nirgends mehr zu finden. Es wird ortlos, weil der Film selbst nicht mehr an die Materialität des Trägermaterials gebunden ist, sondern (ähnlich wie das Geld übrigens) frei verteilen werden kann, aufgespaltet in Bit und Bytes, unkontrolliert kopierbar zu kleinen Dateien, die wir überall hin mitnehmen können oder die wir in den Weiten des Internets finden, wenn wir nur lange genug suchen.

Philippe Dubois beschrieb diese Allgegenwart 2009 in dem Sammelband Oui, c’est du cinéma folgendermaßen: „More and more, cinema is in museums, art galleries, the theater, the opera, the concert hall. In bars, cafés, nightclubs. It is in offices, workplaces and places we pass through or wait in. It is in homes, in every room. It is in planes, trucks, taxis and on train station platforms. On the walls of the city and our mobile phones.“

Versuchen wir es mal mit einem Perspektivwechsel und begeben wir uns aus unserer Position als Kinomacher, Filmkritiker und Filmwissenschaftler heraus.  Denn die Digitalisierung hat nicht nur Nachteile — zumindest nicht für die Menschen, die sich Filme ansehen wollen: Die Besucher, die Zuschauer — oder müssten wir nicht vielleicht mittlerweile sagen: Die USER?

Lars Henrik Gass, Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, bringt es in seinem sehr lesenswerten Buch Film und Kunst nach dem Kino auf den Punkt, wenn er schreibt: „Niemals entstanden mehr Filme, niemals standen uns dank Internet, DVD usw. mehr Filme zur Verfügung und niemals haben wir mehr Filme gesehen als heute.“

Das sind eigentlich, wenn man es recht betrachtet, paradiesische Zustände für Cineasten und Cinephile: Letzten Endes bedeutet das, was Gass beschreibt, eine Entwicklung, die wir in der gesamten Wirtschaft beobachten können — das Überangebot verschiebt die Marktmacht. Ökonomen bezeichnen dies als „Wechsel vom Verkäufer- zum Käufermarkt“. In diesem Markt gibt es Gewinner und Verlierer — und scheinbar sind dabei die Rollen klar verteilt: Gewinnen wird in Zukunft vor allem der Filmliebhaber. Ihm steht in einem bisher ungekannten Ausmaß ein Filmangebot zur Verfügung, das er sich je nach Lust und Laune und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zuhause, unterwegs oder im Kino anschauen kann. Die Filme philippinischer Regisseure wie Lav Diaz — kein Problem. Italienische Gialli aus den 1970er Jahren, die man früher allenfalls als grottige VHS-Cassetten über obskure Kanäle erstehen konnte? Ein Mausklick und schon befinden sie sich im Warenkorb. Ein Paradies für Filmliebhaber.

Kai Mihm beschreibt dieses Paradies in seinem Artikel Das Kino stirbt, Stirbt es…? folgendermaßen: „Fakt ist nämlich auch, dass wir uns, wie Richard Brody in seiner Replik auf Denby sagt, in einem neuen Goldenen Zeitalter des Kinos befinden. Man denke nur an die zahlreichen hervorragenden Independent-Produktionen der letzten Jahre, an die viel beachteten Werke der neuen Regionalisten wie Jeff Nichols (Take Shelter), Debra Granik (Winter`s Bone) und Kelly Reichardt (Meek`s Cutoff). Außerdem an Filme wie Shutter Island, Borat, Gone Baby Gone, Schmetterling und Taucherglocke, There Will Be Blood, The Fighter, Beim ersten Mal, Tree of Life, The Hurt Locker, Adventureland und Somewhere - von großartigem „Trash“ wie Norbit, 96 Hours oder Chuck und Larry ganz zu schweigen. Regisseure wie Darren Aronofsky, David Fincher, Steven Soderbergh, Werner Herzog, die Apatow-Factory, die Coen-Brüder, Wes Anderson und sogar Terrence Malick drehen mit schöner Regelmäßigkeit sehenswerte Filme. Und das ist nur eine Liste der bekanntesten und naheliegendsten Namen.“

Übrigens — und das wird heute gerne übersehen — steht das klassische Fernsehen vor einer ähnlichen Krise, auch wenn der derzeitige Serienbooms vielleicht anderes vermuten lässt. Der Konsument von heute möchte — auch im Fernsehen — die Filme dann sehen, wann er Zeit dafür hat. Das lineare Programmschema des Fernsehens steht dem diametral entgegen. Selbst bei der heiligen Kuh des Sonntagabends haben die Verantwortlichen mittlerweile darauf reagiert und bieten auf Einsfestival mittlerweile eine verschobene Ausstrahlung des TATORT um 21:45 Uhr an. 

Ungewiss ist indes die Zukunft des Kinos als bevorzugter Abspielort für Filme — und daran sind laut Lars Henrik Gass nicht zuletzt die Filmverleiher schuld: „Die Verleiher retten den Film und ihr Geschäftsmodell gerade auf Kosten des Kinos. Diese kann man nicht einmal bedauern, wenn man an all die schlecht vorgeführten Filme und an die Zustände dort denkt. Das Kino wurde den Verleihern zu teuer. Es wird in naher Zukunft effizienter sein, den Film auf DVD zu verkaufen oder ihn on demand im digitalen Fernsehen oder im Internet anzubieten. DVDs wurden so schnell so preiswert, dass es immer attraktiver wird, Filme zuhause oder unterwegs anzuschauen. Dort darf ich rauchen oder trinken nach Belieben. Ich kann die Füße hochlegen, ohne jemanden zu stören. Ich kann den Film unterbrechen, wenn das Telefon klingelt oder Nachschub aus dem Kühlschrank geholt werden muss. Ich benötige keine Parkplätze, keinen Babysitter, ich muss nicht Schlange stehen, den Geruch von Nachos nicht ertragen. Die Altersfreigabe wird auch nicht kontrolliert. Ich kann mir Filme sogar nach Hause schicken lassen, sie mithilfe von mobilen Endgeräten auf Reisen nutzen; vor allem stehen mir die Filme jederzeit zur Verfügung. ich muss auf niemanden Rücksicht nehmen, kurzum: Nur Vorteile.“

„Sicherlich“, so schreibt Gass weiter, „wird man den Kinoraum künftig noch für Marketingzwecke nutzen, das Kino als sozialen und architektonischen Ort reinszenieren, nicht aber, um dort selbst die wesentliche Wertschöpfung mit den Filmen zu betreiben. Das Kino wird zum Atavismus werden, zum Gegenstand nostalgischer Reflexionen.“

Das Kino ist also nicht tot, es ist vielmehr in einem Zustand der Auflösung, der Umwertung begriffen, es diffundiert und ist damit überall und nirgends mehr zu finden. Es hat, zumindest tendenziell keinen Platz mehr — oder dieser Platz ist zunehmend bedroht, vielleicht auch überflüssig geworden.

Daniela Kloock hat es 2012 beim Filmtheaterkongress in Baden-Baden in einer Rede sehr treffend und spitz auf den Punkt gebracht: „Das Kino hat sich selbst aus den Augen verloren, (…) als Popcornstation mit Filmanhängsel, getrieben vom starren Blick auf reine Gewinnmaximierung verkennt es sein schlummerndes Potenzial.“ Aber stimmt das wirklich?

 

The Shape of Things to Come: Die neuen Spieler auf dem Markt des Kinos

Film und Kino waren die prägenden Medien des 20. Jahrhunderts, doch mit dem Siegeszug des Internet ist das Kino als primärer Abspielort für Filme unter Druck geraten. Erstens, so scheint es, durch das Fernsehen, das durch die Renaissance serieller Formate wie Phoenix aus der Asche reüssiert ist. In Wirklichkeit aber, ich habe das vorhin erwähnt, ist es keine Renaissance des Fernsehens, sondern vor allem eine Wiedergeburt des Serienformates, das aber meistens als Livestream bei iTunes oder Netflix oder als Hard Copy auf DVD angeschaut wird und das Fernsehapparat nur noch als Abspielgerät nutzt. Die zweite Konkurrenz für das Kino ist das Internet, das nicht nur Freizeitbeschäftigungen wie Online-Spiele, Chatforen und die Sozialen Medien (Facebook, Twitter, Instagram) bereithält, sondern das sich auch immer mehr der bewegten Bilder annimmt — und das nicht nur mittels lustiger Katzenvideos und obskurer Klein- und Kleinstschnipsel bei YouTube, Vimeo und anderen Videoplattformen. Das Internet wird darüber hinaus auch zunehmend zur Abspielplattform für die Art von Filmen, die wir früher mal im Kino geschaut haben. Und dabei rede ich jetzt nicht von den illegalen Tauschbörsen wie kino.to oder anderen Räuberhöhlen im sogenannten Darknet, sondern bleibe dabei allein an der hellen und überwiegend legalen Oberfläche des Netzes.

Wer sich einmal intensiver mit YouTube beschäftigt hat, wird feststellen, dass der Kanal längst zu einer wahren Fundgrube für Cineasten geworden ist. Hier finden sich seltene Werke der Filmgeschichte und Perlen der B- bis Z-Movies, manchmal auch, zumindest für eine kurze Zeit, aus dunklen Quellen stammende Filme, die in den Kinos selbst noch gar nicht laufen oder die niemals in diese gelangen werden. Tools wie Pegleg (www.pegleg.it) helfen dabei, diesen riesigen Markt nach Regisseuren, Genres, Epochen, Herkunftsländern oder Sprache zu durchsuchen. Allein wenn man sich mal anschaut, welche Filme auf der Startseite neu hinzugefügt wurden, findet man darunter Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu, Jacques Rivettes La belle noiseuse, Slatan Dudows Kuhle Wampe, Dogtooth von Yorgos Lanthimos, Benjamin Christensens Häxan, Jafar Panahis The White Balloon, Claude Lanzmans Shoah, Jacques Rivettes Out1 und Lars von Triers Antichrist. Eine riesige und beeindruckende Menge an Filmen aus allen Epochen, ein Querschnitt durch die Filmgeschichte, die eigentlich rein zeitlich betrachtet jeden Kinobesuch überflüssig macht. Zumal die Wohnzimmer-Technologie mit großem Flatscreen und guter Soundanlage einem Heimkino-Erlebnis ziemlich nahekommt.

Nun kann man natürlich mit einiger Berechtigung auf die häufig unsichere bis dubiose Rechtslage verweisen, auf die manchmal lausige Qualität der dort präsentierten Filme, darauf, dass hier eine Videoplattform auf dem ureigensten Gebiet des Kinos und der Filmgeschichte wildert. Aber wir befinden uns hier allenfalls auf der äußersten Spitze des Eisbergs. 

Neben kostenlosen Angeboten wie diesen drängen in den letzten Jahren weitere Player auf den Markt um die Gunst des filmhungrigen Konsumenten: Netflix, Amazon Prime, Watchever und kleine, aber feine Plattformen wie MUBI (ehemals The Auteurs). Greifen wir einfach mal MUBI heraus, die unter den genannten Modellen die vielleicht am einfachsten überschaubare Konkurrenz zum Kino, wie wir es kennen, darstellt. 

Was MUBI von seinen Mitbewerbern unterscheidet, ist die bewusste Beschränkung der Programmauswahl, das kuratorische Prinzip, wie wir es auch aus der täglichen Programmarbeit als Kinomacher kennen. Für einen monatlichen Abopreis von 4,99 Euro (bzw. 3,33 Euro pro Monat, wenn man die Option für ein Jahr wählt) bekommt man dort 30 handverlesene Filme zu sehen. Und das nahezu weltweit und zumindest mit dem iPad auch im Offline-Modus. 

In diesem Monat sind dies beispielsweise jüngere spanische Filme wie Dunkelblaufastschwarz von Daniel Sanchez Alvaro, Das Waisenhaus von Juan Antonio Rayona, ambitionierte Dokumentarfilme wie The End of Time von Peter Mettler, die Harry-Belafonte-Doku Sing Your Song von Susanna Rostock und der mehrfach ausgezeichnete Special Flight von Fernand Melgar, Arthouse-Klassiker wie Pelle, der Eroberer von Bille August, Genre-Perlen wie Die Nacht der lebenden Toten von George A. Romero, filmhistorisch Relevantes von Luana von King Vidor (im Rahmen einer Mini-Hommage an Ida Lupino), Kinderfilme wie Antboy von Ask Hasselbalch, Programmkino-Stoff der letzten Dekade wie Die Frau, die singt von Dennis Villeneuve, Stiller Sommer von Nana Neul, Intime Fremde von Patrice Leconte und Twentynine Palms von Bruno Dumont. 

Ein ziemlich ambitioniertes Programm, das jedem Kino gut zu Gesicht stehen würde und es auf der Liste der Kandidaten für einen Kinoprogrammpreis weit nach oben rutschen lassen würde. Und das wie gesagt zu einem Preis, für den man gerade mal mit viel Glück eine einzige Kinokarte erstehen kann. 

Außerdem beschreiten Anbieter wie MUBI zunehmend neue Wege und drängen auf den eigentlichen Kinomarkt, in dem sie selbst Rechteinhaber und -produzenten werden. Zwei Beispiele: Paul Thomas Andersons neuer Film Junun wird weltweit exklusiv über MUBI ausgewertet. Und Miguel Gomes überaus sehenswertes Sechs-Stunden-Epos Arabian Nights, das dieses Jahr auf verschiedenen Festivals für Furore sorgte, wird nahezu parallel in Kinos in England und Irland und auf MUBI selbst ausgewertet werden. Darüber hinaus unterhält MUBI eine Partnerschaft mit zwei englischen Kinoketten und veranstaltet regelmäßige Sonderscreenings.

Wie sehr diese Player (und ich habe hier nur den kleinsten, aber vom Programm her ambitioniertesten genannt) auf den Markt drängen, kann man auch bei einzelnen Festivals ablesen, die die Zeichen der Zeit erkannt habe. In diesem Jahr lief beispielsweise Cary Fukunagas für Netflix produzierter und vor allem online ausgewerteter Film Beasts Of No Nation im Wettbewerb des Filmfestivals von Venedig, außerdem wurde der Film in Toronto gezeigt.

Gerade eben wurde zudem der Deal bekannt, das gleich mehrere namhafte Regisseure wie Spike Lee (Chi-Raq), Nicolas Winding Refn (The Neon Demon), Jim Jarmusch und Terry Gilliam ihre kommenden Filme bei den neu gegründeten Amazon Studios oder bei Netflix realisieren werden. Und ganz aktuell wurde bekannt, dass Netflix in den neuen Film des Südkoreaners Bong Joon-Ho bis zu 50 Millionen US-Dollar investieren wird. Wenn man weiß, dass Snowpiercer 40 Millionen US-Dollar kostete und mehr als das Doppelte der Summe wieder einspielte, dann versteht man schon, dass Netflix hier ein gutes Geschäft wittert. Zumal hier nichts dem Zufall überlassen wird: Schon der Cast, der jetzt bekannt wurde, sorgte für einiges an Aufsehen — Jake Gyllenhaal, Tilda Swinton, Bill Nighy, Paul Dano und Kelly McDonald. Und noch ein weiterer klangvoller Name Hollywoods ist mit an Bord: Produziert wird das Ganze von Brad Pitts Produktionsfirma Plan B.

Ob die so entstandenen Werke dann hierzulande auch in den Kinos zu sehen sein werden wie dies zumindest in den USA in Form von limited releases der Fall ist, oder ob man sie ausschließlich online in Augenschein nehmen kann, ist bislang noch völlig offen. Fest steht für mich jedoch, dass wir uns in Zukunft besser dran gewöhnen sollten, dass in den Line-ups der großen Filmfestivals zunehmend Filme zu sehen sein werden, die nicht klassischerweise für den Auswertungskanal Kino produziert wurden.

Die Strategie der neuen Player auf dem Markt ist durchaus klug durchdacht: Mit Deals wie den oben genannten sichern sie sich etablierte Namen, die im Rahmen der Tentpole-Prinzipen der großen Hollywood-Studios immer mehr ins Abseits gedrängt werden, weil Comic- und Games-Verfilmungen, Prequels und Sequels und Superhelden-Epen die Zukunftsstrategien der Majors bestimmen. Auf diese Weise sichern sie sich einen Zugang, der früher einmal das Erfolgsmodell der Programmkinos beschrieb: Es sind Filme aus der mittleren Budgetkategorie (5-20 Millionen Dollar), mit Regisseuren, die auf Festivals und in Kennerkreisen einen guten Namen und eine treue Gefolgschaft haben. Wenn man so will der typische Film, der früher von Miramax produziert worden wäre — potent genug für eine große Marketingkampagne, aber in der Regel Form sperrig genug, um als „indie“ durchzugehen.

Was derzeit allerdings noch fraglich ist: Ob diese Strategie nicht nur primär dazu dient, sich auf dem Markt zu etablieren und sich einen guten Namen beim Kunden/User von morgen zu machen. Und ob sich die genannten Player nicht nach einer Phase des Übergangs dann doch dem gewinnträchtigeren Blockbuster-Kino verschreiben. Dass ausgerechnet Amazon, Netflix & Co. auf diese Weise zum Retter des künstlerisch anspruchsvolleren Film avancieren könnten, entbehrt für diese neuen Kinounternehmungen sicherlich nicht eines gewissen Reizes.

Und was man ebenfalls nicht vergessen darf: Trotz der enormen Summen, die hier im Spiel sind, sind dies vor allem Investitionen in die Zukunft, von denen wir noch nicht wissen, ob sie wirtschaftlich auch wirklich funktionieren werden. Wir befinden uns momentan in einer Phase des Übergangs, in einem Moment der Geschichte, an dem das eine, das „alte Modell“ nicht mehr richtig zu funktionieren scheint und das neue Modell sich noch nicht genügend etabliert hat, um gewinnträchtig zu arbeiten.

Jedenfalls sind die Zahlen eher ernüchternd. Gerade der Deal von Netflix mit Beasts of No Nation war als Gamechanger-Moment angekündigt worden, der Spiegel bezeichnete es als „Angriff auf das Kino“ und hinterließ zumindest teilweise eher Ernüchterung als Euphorie bei den Beteiligten: Zwar verzeichnete der Film online mehr als 3 Millionen Abrufe allein in Nordamerika, doch der parallele Kinostar fiel eher desaströs aus. Laut Netflix sei dies aber kein Problem, da der Fokus sowieso auf der Online-Auswertung gelegen habe. 

Amazon geht vorerst einen anderen Weg: Der neue Film von Spike Lee, den Amazon Studios produziert, wird, wie gerade bekannt wurde, ganz regulär in den Kinos starten. Die Art und Weise der Online-Auswertung steht indes noch nicht fest, wird aber nachgeordnet erfolgen.

Generell stelle ich aber eine Tendenz fest, dass Player wie diese sich auf Dauer nicht mehr damit begnügen werden, allein online präsent zu sein. Sie drängen zunehmend auch hinaus aus der virtuellen in die reale Welt — und genau darin liegt eine Chance für das Kino. Doch dazu bald mehr …

Meinungen