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Die vergebliche Gnade des Vergessens - Die kino-zeit.de-Kolumne

Ein Beitrag von Joachim Kurz

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Es ist ein Kassenerfolg mit Ansage: Seit dem Start in den Kinos am 25.12. steht Til Schweigers neuer Film Honig im Kopf an der Spitze der deutschen Kinocharts und strebt mittlerweile die Schallmauer von drei Mio. Zuschauern an. Um so erstaunlicher ist dies, da sich Schweiger in seinem neuen Werk einer auf den ersten Blick schwierigen Thematik annimmt — es geht um die Alzheimer-Erkrankung und darum, wie eine Familie mit diesem Schicksal umgeht. Andererseits aber ist es durchaus möglich, dass gerade diese Thematik eine Menge Zuschauer ins Kino lockt. Schließlich steigt die Zahl der an Alzheimer und Demenz Erkrankten rapide an.


(Filmbild aus Honig im Kopf, Copyright 2014 barefoot films GmbH, SevenPictures GmbH, Warner Bros. Entertainment GmbH)

Überhaupt entdeckt das Kino in letzter Zeit die Volkskrankheit Demenz und deren Verlaufsform Alzheimer — demnächst startet mit Still Alice ein weiterer Film zu diesem Thema, nachdem Sarah Polley im Jahre 2006 mit An ihrer Seite einen ersten Schritt in diese Richtung unternahm. Angesichts der Zunahme der Erkrankungen dürfte es nicht wundern, wenn in den kommenden Jahren noch etliche ähnliche Filme die Kinoleinwände erobern. Wobei — und damit kommen wir zum Thema — zu hoffen ist, dass diese die Thematik ein wenig ernster und genauer nehmen als Til Schweiger.

Das Verhältnis — sofern man das überhaupt so benennen kann — zwischen Til Schweiger und der Filmkritik ist seit vielen Jahren — nun ja, sagen wir mal angespannt bis nicht existent. Weil die versammelte Journaille die Erfolgsfilme mit schöner Regelmäßigkeit in der Luft zerriß, gibt es seit Keinohrhasen (2007) keine regulären Pressevorführungen mehr, sondern allenfalls noch Vorabvorführungen für eine handverlesene Schar ausgesuchter und natürlich wohlwollender Filmjournalisten und dem Hinweis, dass man die deutsche Filmkritik ja sowieso nicht ernst nehmen könne, da es ja in Deutschland nicht möglich sei, Filmkritik zu studieren. Folgt man dieser Argumentation, würden sich die haarsträubenden Regiefehler in Schweigers Filmen auch erklären — schließlich hat er selbst seine Profession ebenfalls nicht studiert. Umgekehrt hat sich die überwiegende Zahl der deutschen Kritiker dazu entschieden, die Filme Schweigers mit Missachtung zu strafen. Gerade mal vier Verweise auf Kritiken finden sich in der Internet Movie Data Base imdb.com — für einen Film mit solch einem Zuschauerzuspruch ist das verschwindend wenig. Viel eher setzt Schweiger auf die Mund-zu-Mund-Propaganda unter den Zuschauern und vertraut darauf, dass die vorherigen Erfolge es schon richten werden — und wie sich zeigt, fährt er mit dieser Strategie richtig.

Eigentlich hatte ich mich dazu entschlossen, den Film zu ignorieren, doch dann siegte die Neugier und die (zugebenermaßen recht naive) Hoffnung auf einen wie auch immer gearteten Erkenntnisgewinn. Und die hat einen sehr persönlichen Hintergrund — doch dazu später mehr. Doch es kam anders…

Viel wäre an dieser Stelle zu sagen über die technischen „Qualitäten“ des Films, die teilweise haarsträubenden Schnitte, die so manchen Dialog bis an die Grenze der Unverständlichkeit verhunzen, die Dürftigkeit des Skripts und der darstellerischen Leistungen (wobei Emma Schweiger hier vermutlich die beste Performance ihrer bisherigen Karriere abliefert), die Zumutungen des Drehbuchs, die einem jeder einigermaßen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindliche Fernsehredakteur um die Ohren hauen würde undsoweiterundsofort…

Viel ärgerlicher als all diese Schwächen und Unpässlichkeiten, die man schon vielfach aus den anderen Erfolgsfilmen Schweigers kennt, ist sein Umgang mit der Krankheit. Sie dient vor allem dazu, die Handlung zwischen platter Komödie und Familiendrama munter voranzutreiben und einen peinlichen Kalauer nach dem anderen rauszuhauen — zotige Witze über Gurken und deren mögliche Verwendungszwecke für Nonnen und unverhohlene Angebote einer dementen Dame, die über die Schmerz- und Geschmacksgrenze hinaus ausgewalzt werden inklusive.


(Filmbild aus Honig im Kopf, Copyright 2014 barefoot films GmbH, SevenPictures GmbH, Warner Bros. Entertainment GmbH)

Überhaupt zeigt sich Schweiger in seinem neuen Film wieder ganz von der misogynen Seite. Seine Leinwand-Ehefrau Sarah (Jeanette Hain muss einem in dieser Rolle fast schon leidtun) muss zur Strafe für eheliche Untreue am Ende ihren Beruf zeitweise aufgeben, um dem kranken Schwiegervater zur Seite zu stehen, während das für den Mann in dieser zutiefst klassischen Rollenverteilung natürlich nicht in Frage kommt. In den vollbesetzten Kinosälen sorgt diese Mixtur für gröhlendes Gelächter und schenkelklopfende Belustigung und für den dringenden Wunsch, den lautesten Schreihälsen den gefüllten Popcorneimer überzustülpen sowie die Getränkeflasche strategisch ins Gesicht zu platzieren.

Es mag sein, dass ich bei dieser Thematik ein wenig empfindlicher bin als sonst im Kino, doch das hat einen privaten Hintergrund. Vor zehn Monaten ist mein Vater an den Folgen von Alzheimer gestorben, nach einem langen Kampf , der nicht zu gewinnen war. Ich habe also die Krankheit selbst erlebt und über viele Jahre begleitet, kenne all die Schwierigkeiten und Nöte, die sich daran für die Menschen in der Umgebung des Erkrankten anschließen, dem Kampf mit den Krankenkassen um Pflegestufen und die erschreckende Erkenntnis über die eigene Hilflosigkeit. Ich kenne das schlechte Gewissen, wenn man darüber nachdenken muss, ob eine Unterbringung in einem Heim nicht vielleicht doch besser wäre, die Überlegungen, wie das überhaupt finanziell gestemmt werden kann. Von all dem ist in Honig im Kopf NICHTS zu sehen.

Die soziale Wirklichkeit in Deutschland findet in Schweigers Alzheimer-Schmonzette nicht statt, sie wird vielmehr systematisch ausgeblendet und negiert und einer neo-spießigen Hochglanzoptik geopfert, bei der man sich vorkommt, als würde man sich durch das Setting eines Einrichtungsheftes für den hippen urbanen oberen Mittelstand bewegen. Zertrümmert der verwirrte Opa da Luxusfahrzeuge im Gegenwert eines gehobenen Jahreseinkommens, sorgt das für Lachsalven im Saal und lapidares Schulterzucken auf der Leinwand. Oh du schöne neue Wirklichkeit…


(Filmbild aus Honig im Kopf, Copyright 2014 barefoot films GmbH, SevenPictures GmbH, Warner Bros. Entertainment GmbH)

Angesichts dieser Herangehensweise wundert es schon sehr, wie die Zitate einiger Vertreter der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. Selbsthilfe Demenz den Weg ins Presseheft finden und ob sie allen Ernstes meinen, was sie behaupten. Sie sollen die Authentiztät von berufener Stelle bescheinigen, doch von der dort behaupteten Sorgfalt Schweigers und einem wie auch immer gearteten realistischen Blick ist im Film selbst nahezu nichts zu spüren. Honig im Kopf schildert nebst allenfalls dezent eingestreuten Schwierigkeiten (in Wirklichkeit sind die ehelichen Probleme wesentlich gravierender als Opas „Schusseligkeit“) ein Ideal, das für viele Angehörige unerreichbar weit entfernt sein dürfte. Und genau das macht diesen Film nicht zu einem tröstlichen Erlebnis (und nur mit viel Phantasie und Wohlwollen zu einem Plädoyer für einen offeneren Umgang mit Alzheimer und Demenz), sondern zu einem echten Ärgernis. Dass dieser krude Feelgood-Quark mit Alzheimer-Garnitur auch noch das Wohlwollen von Experten bekommt, macht den Film um keinen Deut besser, sondern verstärkt nur das Gefühl, dass Papier halt doch geduldig ist. Wer selbst Angehörige mit diesem Krankheitsbildern hat, dem würde ich jedenfalls dringendst vom Besuch dieses Films abraten.

Als Kritiker kann man Honig im Kopf ohne großen Verlust ignorieren, als Betroffener möchte man ihn am liebsten schnell vergessen. Das wäre in diesem Fall eine Gnade — leider hoffe ich darauf wohl vorerst vergebens.

Ich hätte es besser wissen sollen…

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