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Die Unvollendeten: „L’enfer“ von Henri-Georges Clouzot

Ein Beitrag von Joachim Kurz

In der Reihe Die Unvollendeten widmen wir uns Filmen, die es nicht auf die Leinwand geschafft haben — sei es, weil das Leben dazwischen kam oder manchmal auch der Tod.

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Romy Schneider in "L'Enfer"
Romy Schneider in "L'Enfer"

Es hätte sein absolutes Meisterwerk werden sollen, doch das Schicksal wollte es anders: Henri-Georges Clouzots „L’enfer“ aus dem Jahre 1964 gehört zu jenen Filmen innerhalb der Historie des Mediums, die niemals vollendet wurden.

Der Film erzählt von Marcel (Serge Reggiani), einem Hotelbesitzer in der Auvergne, der erst seit kurzem mit Odette (Romy Schneider) verheiratet ist. Allerdings leidet die Ehe unter Marcels heftigen Eifersuchtsattacken, die ihn mehr und mehr in eine Welt des Wahns hineintreiben, bis er schließlich seine Frau ermordet.

Eigentlich stand der Film unter einem guten Stern: Henri-Georges Clouzot war zu diesem Zeitpunkt auf dem Zenit seiner gewaltigen Karriere, in deren Verlauf er Klassiker wie Lohn der Angst / Le salaire de la peur (1954) und Die Teuflischen / Les diaboliques (1955) gedreht hatte, beide waren so erfolgreich, dass es US-amerikanische Remakes gab, die den Originalen aber nicht das Wasser reichen konnten. Für L’enfer hatte Columbia Pictures allerdings andere Pläne — um vom zu erwartenden Erfolg des Filmes zu profitieren, war das Studio in die Produktion mit eingestiegen und hatte Clouzot ein nahezu unbegrenztes Budget zur Verfügung gestellt. Und dass die damals gerade aufstrebende Romy Schneider, die Clouzot als ihren Lieblingsregisseur bezeichnete, die Hauptrolle übernommen hatte, ließ einen Erfolg an den Kinokassen und vielleicht sogar noch etliche Filmpreise und Auszeichnungen erwarten. Doch dann kam alles anders.

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Mehr Wahn wagen

Zunächst überzog Clouzot den Drehplan mit seinen ausufernden Farb- und Lichtexperimenten. Während die eigentliche Erzählung in kühles Schwarzweiß getaucht war, durchbrachen — so die Idee des Regisseurs — Farbsequenzen immer wieder die Geschichte und gaben einen Einblick in Marcels zunehmend paranoide Seelenwelt. Bereits Monate vor den eigentlichen Dreharbeiten hatte Clouzot gemeinsam mit seinem technischen Stab wie besessen an der für ihn alles entscheidenden Frage getüftelt, wie denn der Wahn Marcels sich am besten in Bilder fassen ließe. Ausufernde Experimente und ganze Berge von detailversessen ausgeführten Storyboards legen Zeugnis davon ab, dass nicht nur Marcel, sondern auch dessen Schöpfer Henri-Georges Clouzot in einen Rausch geriet, eine Zwischenwelt aus rasantem Rausch und schnöder Realität — ein Spagat, der schließlich dem Film das Genick und dem Regisseur das Herz brechen sollte.

Überhaupt tragen der Film und seine Entstehungsgeschichte manche Warnzeichen, die sein bedauerliches Ende bereits im Voraus zumindest erahnen ließen: Henri-Georges Clouzot schien geradezu besessen gewesen zu sein von Romy Schneiders Gesicht, von der Ambiguität zwischen Heiliger und Hure, Unschuldiger und Dirne, mit der er (mit ihrem Segen und ihrem Einverständnis) ihr Image radikal gegen den Strich bürstete und damit den Weg für ihre Befreiung aus dem engen Korsett des frühen Erfolges bereitete. 

Romy Schneider in "L'Enfer"; Praesens-Film
Romy Schneider in „L’Enfer“; Praesens-Film

 

Ein Herzinfarkt und andere Katastrophen 

Der fixierte Drehplan und dessen maßlose Überschreitung wären vielleicht aufgrund des Budgets noch aufzufangen gewesen, gegen eine Tatsache aber war selbst das mächtige Budget machtlos: Der Drehort lag am Ufer eines Sees, der durch die Talsperre von Grandval angestaut worden war. Und dieser See sollte drei Wochen nach Beginn der Dreharbeiten abgelassen werden, so dass sich die Umgebung dergestalt veränderte, dass sie schlichtweg nicht mehr zu nutzen war. Merkwürdig und heute nicht mehr erklärbar ist dabei, dass dieser Umstand Clouzot und seinem Stab sehr wohl bekannt war, es aber weder alternative Drehorte gab, noch dass bei Beginn der Dreharbeiten darauf geachtet worden wäre, Szenen am Wasser die höchste Priorität zu geben. Womöglich lässt sich dieser Fehler bedingt aus der Tatsache erklären, dass Clouzot bei diesem Projekt keine Doppelt-, sondern gleich eine Dreifachbelastung zu schultern hatte: Von ihm stammte nicht nur das Drehbuch, sondern er war auch verantwortlich für die gesamte Produktion, was sich in der Folge als großer Fehler erwies. Dem engen Zweitplan wollte Clouzot allem Anschein nach dadurch begegnen, dass ihm gleich drei exzellent besetzte Kamerateams zur Verfügung standen, doch bei den Dreharbeiten erwies sich immer wieder er selbst als Nadelöhr und Bremsklotz, der ein effizienteres Arbeiten verhinderte.

Infolgedessen wurde die Stimmung am Set immer schlechter: Clouzot, sowieso für einen autoritären Führungsstil bekannt, wurde immer misslauniger und brachte schließlich mit seinen Ausfällen und Tiraden seinen Hauptdarsteller Serge Reggiani dazu, das Set und den Film zu verlassen. Auch das wäre vielleicht noch durch Nachdrehs auszugleichen gewesen — schließlich dreht sich der Film eher um Odette (Romy Schneider) als Objekt der Begierde als um den scheinbar gehörnten Ehemann, bei dessen Besetzung der Regisseur lange zwischen Yves Montand, Burt Lancaster und Serge Reggiani geschwankt hatte.

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Doch schließlich erlitt Henri-Georges Clouzot — wohl auch eine Folge der Strapazen des aus dem Ruder gelaufenen Drehs — einen Herzinfarkt, der das endgültige Aus für den Film bedeutete. Das bislang gedrehte Material (185 Dosen mit 14 Stunden noch nicht vertontem Film) verschwand in den Archiven jener Versicherungsgesellschaft, die die Kosten des Drehabbruchs zu bezahlen hatte und blieb damit den Augen der staunenden Öffentlichkeit für lange Zeit verborgen. 

 

Das zweite Leben von „L’enfer“

Trotz der misslichen Umstände war dem unvollendeten Film dennoch ein Nachleben vergönnt — und das gleich in zweifacher Hinsicht: Zum einen durch Claude Chabrol, der den Stoff im Jahre 1994 unter dem ursprünglich vorgesehenen Titel mit Emmanuelle Béart und François Cluzet in den Hauptrollen verfilmte. Das Ergebnis war mindestens zwiespältig und wies Nelly, die in der Version von Chabrol die Figur der Odette verkörpert, eine gehörige Mitschuld an der Eifersucht ihres Mannes und letztendlich ihrem Tod zu. Zudem vermisst man im Gegensatz zu den wenigen Szenen, die aus Clouzots Werk bekannt sind, den halluzinatorischen Wahn und die Raserei, die der Altmeister wie einen delirierenden Drogentrip in Bilder fasste. Chabrols kühle Studie einer Besessenheit gehört nicht zu den besten Filmen des Regisseurs — seine kühle Dekonstruktion einer Machtmechanik ist schlichtweg zu nüchtern geraten. 

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Von einer anderen Seite näherten sich Serge Bromberg und Ruxandra Medrea in Die Hölle von Henri-Georges Clouzot an den unvollendeten Film an: Ihr Dokumentarfilm rekonstruiert die Entstehungsgeschichte und die Dreharbeiten, er enthält neben bereits fertiggedrehten Szenen und Testaufnahmen sowie Farbtests Interviews mit Mitgliedern des Drehstabs (unter ihnen auch der Regisseur Costa-Gavras, der als Regieassistent mitwirkte und nachinszenierte Schlüsselszenen, in denen Bérénice Bejo und Jacques Gamblin die Rollen von Romy Schneider und Serge Reggiani bzw. von Odette und Marcel übernahmen. Der Film feierte seine Premiere 2009 beim Filmfestival in Cannes, wurde bei seiner Uraufführung frenetisch gefeiert und trat anschließend eine Reise zu verschiedenen großen Festivals an. 

Immerhin ist dieser Film der Nachwelt erhalten geblieben: Wer sich für die Geschichte von Henri-Georges Clouzot designiertem Meisterwerk, das niemals eines werden konnte, interessiert, der kann auf der DVD von Die Hölle von Henri-Georges Clouzot alle Einzelheiten über den Film erfahren. Und auch Claude Chabrols Bearbeitung des Themas ist der Nachwelt zur Gänze erhalten geblieben, der Film ist Bestandteil der DVD-Box Claude Chabrol Collection 2, die sich immer noch im Handel befindet. 

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