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Die Schönen, Wilden, Halbstarken

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Sie sind jung, sie sind schön – und sie sind rebellisch. Marlon Brando, James Dean, Horst Buchholz und Heath Ledger haben einen Typus verkörpert, der aus dem Kino kaum wegzudenken ist. Doch was zeichnet diese Figuren aus?

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Horst Buchholz als Freddy Borchert in Die Halbstarken
Horst Buchholz als Freddy Borchert in Die Halbstarken

Spätestens seit den 1950er Jahren gehören sie fest zum Rollenfundus des internationalen Kinos – die jungen, meist attraktiven, männlichen Rebellen. Die Todestage zweier Männer, die diesen Typus mit- oder neu geprägt haben, jähren sich im ersten Viertel dieses Jahres zum 15. beziehungsweise 10. Mal: von Horst Buchholz (04.12.1933 – 03.03.2003) und Heath Ledger (04.04.1979 – 22.01.2008). Aus diesem Anlass wollen wir einen Blick auf die Besonderheiten der wilden Halbstarken werfen, die nicht wissen, was sie tun, und an denen es 10 Dinge zu hassen gibt – die aber dennoch stets ein sehr großes Faszinosum waren und sind.

Als Kleinkrimineller Freddy Borchert erlebte der Deutsche Horst Buchholz in Georg Tresslers Jugend-Kriminaldrama Die Halbstarken (1956) seinen endgültigen schauspielerischen Durchbruch. Oberflächlich betrachtet könnte man die von ihm verkörperte Figur als westdeutsche Kopie der US-Vorbilder Marlon Brando (als Motorradgang-Anführer Johnny Strabler in Der Wilde) und James Dean (als Schüler Jim Stark in … denn sie wissen nicht, was sie tun) bezeichnen. Betrachtet man sich die drei ikonischen Rollen jedoch genauer, fallen vor allem die Unterschiede zwischen diesen auf.

  • Marlon Brando in Der Wilde
    Marlon Brando in Der Wilde

    Marlon Brando in Der Wilde

  • James Dean in … denn sie wissen nicht, was sie tun
    James Dean in … denn sie wissen nicht, was sie tun

    James Dean in … denn sie wissen nicht, was sie tun

  • Horst Buchholz in Die Halbstarken
    Horst Buchholz in Die Halbstarken

    Horst Buchholz in Die Halbstarken

Die Entwicklung der beiden US-Rebellenfiguren ist eng mit einer Technik der Schauspielkunst verbunden, die ganz auf Einfühlung setzt: dem von Konstantin Stanislawski geschaffenen method-acting-Ansatz, mit welchem Brando durch die Lehrerin Stella Adler und Dean durch den Lehrer Lee Strasberg vertraut gemacht wurden. Den beiden aufstrebenden Talenten gelang es, in ihr Spiel so viel Intensität und Wahrhaftigkeit zu legen, dass man als Zuschauer_in glauben muss(te), nicht nur ihren fiktiven Figuren, sondern ihnen selbst beim Lieben und Leiden, Wüten und Weinen, Wachsen oder Scheitern zuzusehen.

 

Ein Rebell ohne Ahnung

In ihrem Auftreten, Verhalten, Fühlen und Denken sind die angry young men, die Brando und Dean in ihren Filmen interpretieren, indes von Grund auf verschieden. So gibt Marlon Brando (03.04.1924 – 01.07.2004) in László Benedeks Der Wilde (The Wild One, 1953) mit schwarzer Motorrad-Lederjacke und aggressiver Attitüde die personifizierte Renitenz, die mit ihrer Bande eine komplette Kleinstadt unsicher macht. Zu den Schlüsselszenen des Werks zählt ohne Zweifel die, in der Johnny gefragt wird, wogegen er denn eigentlich rebelliere. „Whadda you got?“, lautet dessen provozierend lässige Gegenfrage. Johnny ist gewissermaßen ein Rebel without a clue – ein Rebell ohne wirkliche Ahnung, der sich in seiner Revoluzzer-Rolle jedoch allzu gut gefällt.

Bei James Dean und … denn sie wissen nicht, was sie tun (Rebel Without a Cause, 1955) von Nicholas Ray kommt der zentrale Rebell weit weniger angriffslustig daher – und die Motivation der Auflehnung ist weit weniger beliebig, vielmehr zutiefst existenziell. „You’re tearing me apart!“, brüllt der adoleszente Jim, als sich dessen Vater, Mutter und Großmutter wieder einmal nur gegenseitig ins Wort fallen und dabei mit jedem Satz, jedem Blick und jeder Geste nicht nur ihre absolute Ratlosigkeit, sondern vor allem ihren Konformismus und ihre kleingeistige Weltsicht erkennen lassen. Zwar ist Jim dem Originaltitel nach ein Rebell ohne Grund; aber gemeint ist damit eher ohne sozialen Grund – denn der Teenager stammt aus wohlsituiertem Hause („a kid from a ‚goodʻ family“, hieß es in der Werbung zum Film).

 

Gründung eines Liebestrios

Im Laufe der Handlung lässt sich Jim auf lebensgefährliche Mutproben ein – sein subversivster Akt besteht allerdings darin, kurzerhand eine Ersatzfamilie zu gründen, in welcher jene Form von Liebe, Respekt und Wärme zu spüren ist, die sämtlichen anderen im Film gezeigten Familien und Gruppen fehlt. Zu dieser Ersatzfamilie gehören der jüngere, queer anmutenden Outsider Plato (Sal Mineo) und die gleichaltrige Judy (Natalie Wood), die zwar in der Schule beliebt, aber ebenfalls einsam ist.

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In der von Horst Buchholz gespielten Figur des Freddy in Die Halbstarken ist nun nicht nur der Versuch sichtbar, an die beiden US-Ikonen anzuknüpfen; in ihr stecken auch all die in damaligen Zeitungsschlagzeilen verbreiteten Vorstellungen über Jugendliche sowie deren Gebaren in der Nachkriegszeit und, wie Peter Zander von der Berliner Morgenpost in einem Text über den Film schreibt, die „Schatten der jüngsten deutschen Vergangenheit“:

„Hier rebellieren Heranwachsende gegen ihre spießigen, saturierten Eltern nicht nur, weil die sich dem Establishment angepasst haben. Auch wenn es explizit nie ausgesprochen wird, schwingt doch immer mit, dass die Vätergeneration den Krieg verschuldet hat.“ (Peter Zander)

Aufstiegsorientiertes Revoltieren 

Auffällig ist hingegen, dass sich auch Freddys Träume erstaunlich bourgeois gestalten: „Wenn ich erst oben bin, dann kannst du von mir haben, was du willst: ʼNe Villa, Pelzmäntel, Brillanten“, lässt er seine Freundin Sissy (Karin Baal) wissen. Während Brandos Johnny um der Sache selbst willen rebelliert und es Deans Jim um gegenseitiges Verständnis sowie um Zuneigung geht (und er sich mit Judy und Plato im letzten Drittel des Films dezidiert über großbürgerliches Denken lustig macht, als er sich mit den beiden in eine verlassene Villa zurückzieht), will Freddy nur „ein paar teure Dinger drehen“ und dann auf luxuriöse Weise in Familie machen. Seine Diebstähle kann er deshalb vor sich selbst rechtfertigen („Organisieren nennt man das!“); alles dient letztlich dem gesellschaftlichen Aufstieg.

Der im Berliner Bezirk Neukölln geborene Buchholz verkörperte die Rolle des Rebellen fortan noch häufiger – so etwa zwei Jahre nach Die Halbstarken abermals unter der Regie von Georg Tressler in Endstation Liebe. In diesem Film ist er der Dean-Persona mit seiner Figur sogar deutlich näher als in seiner Freddy-Rolle, da er sich darin empfindsamer zeigen darf: Als Fabrikarbeiter geht er die Wette ein, für ein Wochenende eine Frau verführen zu können – und prompt verliebt sich der Verführer in sein „Opfer“ und muss den Kampf gegen die eigenen Gefühle irgendwann aufgeben. Neben der charakterlichen Läuterung des jungen Mannes ist auch die Zeichnung des Milieus von Bedeutung, in welchem dieser sich bewegt: Die Entdeckung und das Zulassen von Leidenschaft ist auch eine Rebellion gegen die stumpfsinnig erscheinende, alltägliche Fließbandarbeit.

Seit den 1950er Jahren gab es etliche Brando-/Dean-/Buchholz-Epigonen. Mit Berlin – Ecke Schönhauser (1957) von Gerhard Klein entstand ein Ost-Pendant zu Die Halbstarken; in den USA traten in den 1980er Jahren etwa Matt Dillon (Die Outsider, Rumble Fish) oder Judd Nelson (The Breakfast Club) die rebellische Nachfolge an. Zu den eindrücklichsten Nachfolgern des Rollentypus zählt – auch, aber bei Weitem nicht nur wegen seines frühen Todes – jedoch der Australier Heath Ledger.

Heath Ledger in 10 Dinge, die ich an dir hasse

Die Mainstream-Filme, mit denen andere potenzielle Nachfolger-Kandidaten seiner Generation – etwa Ryan Phillippe, Freddie Prinze Jr. oder Josh Hartnett – ihren Durchbruch feiern konnten (Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast, Halloween H20), waren zwar düsterer als Ledgers erster großer Hit 10 Dinge, die ich an Dir hasse (10 Things I Hate About You, 1999); dennoch strahlte Ledger bei aller Sonnyboy-haftigkeit wie kein Zweiter sowohl auf als auch abseits der Leinwand stets eine leichte Melancholie aus, die ihn hervorstechen ließ.

Was Ledger (in seinem Spiel sowie im öffentlichen Auftreten) überdies zeitlebens auszeichnete, war etwas, was sich auch über Dean sagen lässt: Einerseits war da eine gewisse Härte gegen die Welt und gegen sich selbst, als habe er früh verstanden, dass es selbst im Alltag vonnöten ist, seine ganze Kraft aufzubieten; und andererseits war da „the beautiful warmth that shines from within“ – eine Wärme und Zärtlichkeit, die seinen kämpferischen Zügen etwas Idealistisches gaben. Ein Rebell in seinem Beruf war Ledger aber nicht zuletzt durch seine Rollenwahl.

 

Rebellion in allen Genres – und Rebellion gegen das Genre

In der auf William Shakespeares Stück Der Widerspenstigen Zähmung basierenden Highschool-Komödie 10 Dinge, die ich an Dir hasse von Gil Junger gibt Ledger den Außenseiter Patrick, dem ein übler Ruf vorauseilt. Recht mühelos wurde dieser Typus des Schulrebellen (welcher sich als viel netter als behauptet entpuppt) später etwa noch ins Mittelalter (Ritter aus Leidenschaft), in ein religiös-okkultes Fantasy-Horror-Setting (Sin Eater – Die Seele des Bösen) oder in eine skurrile Märchenwelt (Brothers Grimm) übertragen; zudem wirkte Ledger in ambitionierten Projekten wie Monster’s Ball, Candy – Reise der Engel oder I’m Not There mit.

Seine Auftritte in Brokeback Mountain und The Dark Knight brachten den endgültigen Imagewandel mit sich. Zwar passen zunächst auch die Verkörperung eines Cowboys und eines Batman-Gegners einwandfrei ins Bild des bad-boy-Teenager-Idols – allerdings handelte es sich bei den Filmen nicht um übliche Genrearbeiten, sondern um eine schwule Liebesgeschichte beziehungsweise um eine betont in der urbanen Wirklichkeit verankerte Comicadaption mit extrem gebrochenen Figuren.

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Interessant ist, wie unterschiedlich sich die Figuren von Brando, Dean, Buchholz und Ledger gegenüber Frauen verhalten. Brandos Johnny geht mit ihnen eher rabiat um – und auch Buchholz’ Freddy legt ein abfälliges Benehmen an den Tag („Die versteht was von Lippenstiften, aber nicht von so was“, sagt er über Sissy, als es um den Erwerb einer Waffe geht). Sissy wird sich später als noch härter als Freddy erweisen – wird vom Film dafür jedoch auch als klare Negativ-Figur gezeichnet, während Freddy ambivalent bleibt. Deans Jim wird von seiner neuen Liebe Judy indessen gerade für seine Zärtlichkeit und für seine softe Seite geschätzt – während Ledgers Patrick und seine Freundin-in-spe Katarina (Julia Stiles) ein klassisch-antagonistisches screwball-Paar sind, das sich auf Augenhöhe Wortduelle liefert.

  • Marlon Brando und Mary Murphy in Der Wilde
    Marlon Brando und Mary Murphy in Der Wilde

    Marlon Brando und Mary Murphy in Der Wilde

  • James Dean und Natalie Wood in … denn sie wissen nicht, was sie tun
    James Dean und Natalie Wood in … denn sie wissen nicht, was sie tun

    James Dean und Natalie Wood in … denn sie wissen nicht, was sie tun

  • Horst Buchholz und Karin Baal in Die Halbstarken
    Horst Buchholz und Karin Baal in Die Halbstarken

    Horst Buchholz und Karin Baal in Die Halbstarken

  • Heath Ledger und Julia Stiles (und Allison Janney) in 10 Dinge, die ich an Dir hasse
    Heath Ledger und Julia Stiles (und Allison Janney) in 10 Dinge, die ich an Dir hasse

    Heath Ledger und Julia Stiles (und Allison Janney) in 10 Dinge, die ich an Dir hasse

Es bleibt die Frage, wer diesen Typus wohl heute noch verkörpert. Aktuellen Jugendschwärmen ist offenbar mehr an der Dekonstruktion gelegen: Daniel Radcliffe spielte eine furzende Wasserleiche (in Swiss Army Man), Robert Pattinson mimt seit gefühlt zehn Filmen den Idioten (zuletzt in der Westernsatire Damsel). Vielleicht trug der aussichtsreichste Kandidat in seinem bis dato besten Film den Namen Baby und ist demnächst in der Kinoadaption von Der Distelfink zu sehen. Aber das ist nur eine zaghafte Prognose.

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