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Die schlechtesten Verleihtitel 2017

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Fast könnte man sich also darüber freuen, dass viele deutsche Film-Verleihtitel auch im Jahr 2017 wieder albern, un- und widersinnig, konfus, kurios und (in den besseren Fällen) in ihrer Absurdität erheiternd waren.

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In einer im stetigen Wandel begriffenen Welt können manchmal auch Ärgernisse ein Gefühl von Geborgenheit geben, solange sie nur beständig sind. Fast könnte man sich also darüber freuen, dass viele deutsche Film-Verleihtitel auch im Jahr 2017 wieder albern, un- und widersinnig, konfus, kurios und (in den besseren Fällen) in ihrer Absurdität erheiternd waren.

Aber nur fast! Denn immer noch fragt man sich regelmäßig, ob es um die Mündigkeit, das Abstraktionsvermögen und die Wissbegierde des Publikums wirklich so schlecht bestellt ist, wie Verleiher anzunehmen scheinen. Ob die ursprünglichen Intentionen der Filmemacher wirklich so achtlos der Doppelfunktion von Werbung und Unmissverständlichkeit geopfert werden sollten. Was nicht passt, wird vielleicht nicht passend gemacht, aber zumindest Deutsch. Oder Englisch. Oder zu einer merkwürdigen Chimäre aus beidem, ein Mischwesen aus vielen Sprachen gar. Oder, oder, oder …

Natürlich ist nicht jede Lokalisierung gleich übel. Es gibt, genauso wenig wie auch in den vergangenen Jahren (2015, 2016), nichts gegen simple Übertragungen einzuwenden. An der Tatsache, dass der neue Star-Wars-Teil hierzulande als Die letzten Jedi und nicht als The Last Jedi erscheint, oder The Dark Tower jetzt Der dunkle Turm heißt, wird niemand Anstoß nehmen. Bei Mord im Orient Express mag sich mancher kurz über den fehlenden Bindestrich wundern, will aber natürlich auch nicht in Bastian-Sick-artige Spitzfindigkeiten abrutschen.

Schwierig wird es, wo der ursprüngliche Name – die Initialzündung eines jeden Films, sein Erwartungs-Katalysator – bis zur Unkenntlichkeit verformt oder nutzlos überfrachtet wird. Oft wachsen Titel, wuchern und sprießen zu Ungetümen heran. Aus Before I Fall wird dann (wie bei der Romanvorlage) ganz unhandlich: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie. Das Liebesdrama Their Finest expandiert zu Ihre beste Stunde — Drehbuch einer Heldin. Aus dem simplen Gifted wird der deutlich weniger platzsparende Begabt — Die Gleichung eines Lebens. Um, passend zum Film, mathematisch zu bleiben: Das ist ein Anstieg der Buchstabenzahl um über 400 Prozent. Beim Lobbyisten-Drama Miss Sloane entschied man sich gegen die (dem Inhalt entsprechende) Betonung der Protagonistin, sondern entschied sich für das schwerfällig-pathetische und bei näherer Betrachtung sinnfreie Die Erfindung der Wahrheit.

Service pur: Nur zur Sicherheit erklärt man möglicherweise verwirrten X-Men-Enthusiasten, dass es in Logan tatsächlich um The Wolverine geht. Und den Aufwand, das schwierige Wort Ragnarok zu googlen, wollte man dem Publikum von Thor nicht zumuten. Stattdessen rief man den Tag der Entscheidung aus. Immerhin: Schon vor dem Kinobesuch werden Superhelden-Fans in etwa so ernst genommen wie währenddessen.

Immer wieder bekommen englischsprachige Filme einen neuen, simpleren Titel – ebenfalls in englischer Sprache. Wer den eher müden Actionstreifen The Hitman’s Bodyguard mit Ryan Reynolds und Samuel L. Jackson sehen wollte, musste sich mit Killer’s Bodyguard begnügen. Selbst der Artikel wurde wegrationalisiert. Der Horrorfilm Crawlspace heißt hierzulande ohne vernünftigen Grund Within. Was für eine nutzlose – in Ermangelung eines besseren Wortes – Übersetzung. Warum wird Snatched zum Mädelstrip, wo es doch vor allem um eine Entführung geht? Warum erlebt die Gruppe von Feierwütigen keine Rough Night mehr, sondern stattdessen eine harmlose Girls Night Out? Noch merkwürdiger: Wieso trägt der griechische Film Enas Allos Kosmos den Titel Worlds Apart?

Bei der etwas esoterischen Grundidee von Collateral Beauty hat man sich gar nicht erst die Mühe gemacht, eine wirklich passende deutsche Entsprechung zu finden, sondern einfach auf Verborgene Schönheit gesetzt. An der Neubenennung von James Greys The Lost City of Z als Die versunkene Stadt Z trägt wohl der Verlag der Romanvorlage eine Mitschuld. Das ändert jedoch wenig an der Absurdität. Dachten die Verantwortlichen vielleicht an Atlantis? Ob Z existiert, bleibt im Film unklar. Versunken ist die Stadt aber eindeutig nicht. Dazu bietet der unberührte Dschungel wenig Gelegenheit … Nützlich ist, dass die Filmbiographie Rodin in Auguste Rodin umbenannt wurde — wohlmöglich hätte das Publikum angenommen, der Film würde sich mit einem der anderen berühmten Rodins beschäftigen. Es gibt ja so viele.

 

Tatsächlich interessant ist, dass sich aus einigen Titeländerung Rückschlüsse auf die politische Großwetterlage ziehen lassen. Die Captain America-Filme der vergangenen Jahre erschienen allesamt als The First Avenger. Ähnlich sah es in diesem Jahr mit Peter Bergs Patriots Day aus, dessen glühende Heimatliebe mit dem schlichteren Boston ausgetrieben wurde.

Was Jan Böhmerman unlängst über die deutsche Popmusik zum Vorschein zu bringen glaubte, ist im Blick auf deutsche Verleihtitel schon längst bekannt: Wer aus Veröffentlichungslisten und bestimmten gefühligen Schlagwörtern ein Trinkspiel kreiert, vollführt Leber-Harakiri. Zu Menschen, Leben, Tanzen und Welt gesellt sich natürlich noch die Liebe, in Form einer Kinokarte nun endlich käuflich gemacht.

Der Zusatztitel des russischen Kostümdramas Mathilda (im deutschen: Mathilde) gibt die Richtung vor: Liebe ändert alles. Oder eher: Alles wird zu Liebe geändert. Das australische Drama Tanna wird – ganz vorabendgerecht – Eine verbotene Liebe. Der (erstaunlich schnell vergessene) Thriller Unforgettable beschreibt nunmehr eine Tödliche Liebe. Ôtez-moi d’un doute präsentiert sich als Eine bretonische Liebe. Auch der Hampstead Park soll Zuschauer anlocken, bietet er doch Aussicht auf Liebe. Der Schritt von Mal de pierres (ungefähr: Die Steinkrankheit) zu Die Frau im Mond — Erinnerung an die Liebe scheint ähnlich motiviert. Lediglich Table 19 erklärt patzig: Liebe ist fehl am Platz. Gleich zwei der Bullshit-Bingo-Felder deckt La Chana, der in Arthousekinos als Mein Leben – Ein Tanz zu sehen war.

Die französischen (Culture-Clash-)Komödien, von denen die deutschen Arthouse-Kinos seit Ziemlich beste Freunde durchgängig überrannt werden, haben ihre ganz eigene Namensästhetik entwickelt. Die ist in der Regel nicht weniger einfältig als die meisten der Machwerke. Bei Bienvenue à Marly-Gomont – die Geschichte eines Arztes aus Kinshasa, der in einem französischen Dorf eine Praxis eröffnet – dichtete man, hochgradig originell: Ein Dorf sieht schwarz. „Wegen der Hautfarbe, verstehen Sie!“, brüllt der Titel, der da schwarz auf weiß steht, humortechnisch voll ins Schwarze trifft, über den sich hoffentlich niemand schwarzärgert, für den seine Verfasser wohl auch nicht angeschwärzt werden sollten. Auf die schwarze Liste damit. Le Grand Partage – diesmal wird die gutbürgerliche Idylle von Obdachlosen gestört — mutiert zu Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste. Eine Überraschung verspricht auch die Schwangerschaftskomödie Le petit locataire, die als Das unerwartete Glück der Familie Payan neu geboren wurde. Un profil pour deux bewegt sich weg von der unnötigen Romantik hin zur eigentlichen Sensation: Monsieur Pierre geht online. Doch es geht noch schlimmer. Si j’étais un homme — zu Deutsch etwa: Wenn ich ein Mann wäre – kam hierzulande als Mein neues bestes Stück in die Kinos. Weniger subtil wäre wohl nur noch „Der ulkige Penisfilm“ gewesen. Nach Stilblüten wie Eyjafjallajökull — Der unaussprechliche Vulkanfilm nicht einmal undenkbar. Man bekommt unweigerlich den Eindruck, die Verleiher wollten potentielle Zuschauer vor ihren Filmen warnen: Hier gibt es denselben fromage wie immer.

Den Terror des Kindergerechten erkennt, wer sich die Änderungen bei den Familienfilmen näher ansieht. Verborgen hinter dem Deckmantel des ulkig Verspielten lauert die Wortspielhölle. Aus Richard the Stork – kurz, harmlos – wird ausgerechnet Überflieger – Kleine Vögel, großes Geklapper. Und die Kinderbuchadaption The Story of Ferdinand wählt als Zusatztitel, so bitter es klingt, Geht STIERrisch ab! FürchSTIERlich irriSTIERrend.

Das Ausrufezeichen ist schwierig, so wie es Titel mit Interpunktion eigentlich immer sind. Diese fügen sich meist so elegant ins Gesamtbild wie Neuankömmlinge aller Art in den oben genannten französischen Komödien. Wo Problemos – Alle tot. Wir nicht. Punkte wenigstens noch für eine ulkige Verkürzung einsetzt, wirkt das Rufzeichen am Ende von Daddy’s Home 2 — Mehr Väter, mehr Probleme! fast wie eine Drohung. Dasselbe gilt für Heirate mich, Alter!

Auch an völlig beliebigen Zusatztitel, die wirken, als wäre die Tagline einfach in den Titel gequetscht worden, mangelte es wieder einmal nicht. Die gänzlich unnötige Fortsetzung Rings kam mit der gleichermaßen überflüssigen Ergänzung Das Böse ist zurück. Mel Gibsons martialisches Massaker Hacksaw Ridge kündigte Die Entscheidung an, Sleepless hingegen Eine tödliche Nacht. Etwas verzweifelt wirkt der Versuch, die Geschichte von Borg/McEnroe zum Duell zweier Gladiatoren zu stilisieren. (Wobei die Vorstellung, Wimbledon mithilfe von Löwen aufregender zu gestalten, reizvoll erscheint.)

Und während wir uns langsam den Unwägbarkeiten des Jahres 2018 nähren, so werden wir uns auch im nächsten Jahr darauf verlassen können, dass zumindest deutsche Verleihtitel schräg und, auf ihre ganz eigene Art und Weise, unergründlich bleiben werden. Wir mögen uns der Illusion hingeben, dass sie einer Werbelogik folgen, aber wenn man sie genauer betrachtet, scheint das unmöglich. In welcher Welt sollen ausgerechnet diese wirren Wortwirbel die Menschen in die Säle treiben? Douglas Adams schrieb einmal von einer „Theorie, die besagt, [dass] wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. — Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.“ Deutsche Verleihtitel sind der beste Beweis dafür.

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