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Die Quadratur der Blase – Kino gegen politische Korrektheit

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Meinungen
The Square

Die Berichterstattung war sich einig: The Square, der fünfte Spielfilm des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund, ausgezeichnet mit der Goldenen Palme 2017, stellt einen Angriff auf die so genannte Political Correctness dar. Man konstatierte: „Political Correctness ist in diesem Film die Hölle“ (Die Zeit), sah im Film eine „Satire über Kunstbetrieb und politische Korrektheit“ (FR), die Darstellung einer „übercodierten und hochverfeinerten politischen Korrektheitswelt“ (SZ), einen Angriff auf „politische Korrektheit und die Moralisierung“ (SWR) und eine Erforschung der „Grenzen der Political Correctness“ (Hollywood Reporter). Auch Jury-Präsident Pedro Almodovar lobte Östlunds Farce für die Auseinandersetzung mit der „Diktatur der Political Correctness“.

Gerade durch die ostentative Ablehnung dieses Zeitgeistphänomens wird der Film selbst eines, denn nichts ist aktueller als die Auseinandersetzung mit (der eigenen) Political Correctness.  Auf die Bekämpfung dieses lästigen Übels kann man sich heute so überparteilich und unabhängig von der jeweiligen politischen Gesinnung einigen, als würde es sich um Hunger oder Krieg handeln. Sie ist zum Allgemeinplatz geworden — offene Verfechter des (im allgemeinen Sprachgebrauch ohnehin nur vage definierten) PC-Konzepts gibt es wenige. Politische Korrektheit, das sind die anderen. Die Andersdenkenden.

Spätestens seit in bestimmten Kreisen schockiert aufgenommenen Ereignissen wie dem Brexit oder Donald Trumps Wahl zum amerikanischen Präsidenten ist ein neues literarisches und journalistisches (und oft auch politisches) Genre entstanden: die linksliberale Selbstprüfung. Gepackt von der Vorstellung, in der eigenen sozialen Blase gefangen zu sein und den Sinn für die Realität und den Kontakt zu „dem Mann auf der Straße“ verloren zu haben, begannen die Gegner dieser Entwicklungen, den Grad ihrer Mitschuld zu erforschen. War die Frustration mit politischer Korrektheit Ursache von z.B. Trumps Wahlerfolg? Dafür horchten sie in die Welt (zumindest in jene Teile, die für Trump oder den Brexit gestimmt hatten), aber auch in sich selbst hinein. Ein sicher nobles Anliegen, im Fall der Journalisten bis zu einem gewissen Grad natürlich auch eine Grundvoraussetzung für den Beruf.

Parallel zu dieser Entwicklung existiert auch ein Kino, das eine ähnliche Bewegung nach Innen vollführt. Zum Teil bestand es schon lange vorher und findet nun lediglich einen neuen Bedeutungsrahmen, zum Teil entsteht es gerade neu, als Reaktion. Ein linksliberales Kino, das linksliberale Vorstellungen hinterfragen oder attackieren soll, also auch jene Überzeugungen, die im allgemeinen Sprachgebrauch mittlerweile der politischen Korrektheit zugeschrieben werden.

The Square etwa. Doch Moment: Mit dem akademischen Diskurs aus den späten 1980er und frühen 1990er Jahren, auf denen das Konzept der „politischen Korrektheit“ zurückgeht, hat die Geschichte um den Museumskurator Christian (Claes Bang) wenig zu tun. Nicht ein einziges Mal geht es um eine Erweiterung des Kanons der westlichen Literatur, auch die Versuche, Sprache gerechter und inklusiver zu gestalten, werden allerhöchstens tangiert. Stattdessen geht es um Fragen der Teilhabe, um Empathie, Diskursethik, das Vertrauen gegenüber (dem) Fremden und die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Das entspricht in etwa dem Bedeutungswandel – oder auch: Bedeutungsverlust –, den der Begriff der Political Correctness seit seiner Entstehungszeit durchlaufen hat. Er ist quasi universell geworden, beschreibt heute immer eine kaum umrissene Sammlung von irgendwie „linken“ Positionen, von jeder noch so sachten Anregung zur Repräsentation oder Teilhabe gesellschaftlich traditionell Benachteiligter bis hin zu einem Katalog von (angeblich) verbotenen Wörtern und Ideen. Was schon in der engen Welt des Films nicht alles als politisch korrekt gilt: Ein Ghostbusters-Film mit Frauen, neue Mitglieder in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, Auszeichnungen für Berry Jenkins Moonlight, die Liste ist endlos. Was bleibt ist ein in der Regel nutzloser Kampfbegriff, der auch im Kino verhandelt wird (oder spürbar ist), meist ohne produktives Ergebnis.


(Filmstill aus Play. Copyright: Fugu Films)

Östlunds Filme wie Play oder The Square stehen in einer klaren Tradition. In einem Interview mit dem FILMDIENST erklärt er: „Was mich bei meinem Filmemachen besonders inspiriert hat, sind die Filme Michael Hanekes, die ich schon Mitte der 1990er Jahre an der Filmschule gesehen habe.“ Auch Michael Hanekes neuer Film Happy End, eine „Vivisektion einer gutbürgerlichen Familie“, ist gegenwärtig in den deutschen Kinos zu sehen. Und tatsächlich fallen sofort Parallelen auf: Die Filme eint die Beschreibung eines selbstgefälligen, insularen Bürgertums. Ein gebildetes und oftmals besserverdienendes Milieu, welches sich progressiv und weltoffen gibt, aber doch letztendlich nur fort will von allem Fremden, von dem bedrohlichen und möglicherweise gewalttätigen Anderen. Bei Östlund sind das zum Beispiel Obdachlose, die seine Kamera immer wieder ins Auge nimmt und als Pointen und Kontrastpunkte einsetzt. Bei Haneke sind es die Flüchtlinge, die ganz am Rande auftauchen, als uneingeladene Gäste zur großen Party des Westens. (Ein weiterer Film aus dem diesjährigen Cannes-Wettbewerb, Yorgos Lanthimos‘ The Killing of a Sacred Deer, schlägt in eine ähnliche Kerbe.)

Die überall behauptete Kritik an der Idee der Political Correctness meint hier also vor allem eine Kritik an einer bestimmten Form von (Spieß-)Bürgerlichkeit. Ironischerweise eine, die unter leicht veränderten Vorzeichen auch von den PC-Kritikern gelebt wird. Denn vieles, was mit der Korrektheit assoziiert wird – eine Monopolisierung der Wahrheit, Denkverbote, Bevormundung, Thilo Sarrazins „Tugendterror“ – drückt sich auch im Kampf gegen sie aus.

Man sieht es in den Filmen, die fragwürdige, seltsam weltfremde Laborbedingungen kreieren. Die Drehbücher sind Versuchsprotokolle, entweder große Selbsttests oder eine ganze Reihe kleiner Moralprüfungen. The Square enthält so viele Sequenzen wie Herausforderungen an den Zuschauer. Mal stört ein Tourette-Kranker ein Interview, mal wird ein Performance-Künstler zunehmend übergriffiger gegenüber seinem Publikum. Immer bleibt am Ende die Frage: Wie hätte man richtig gehandelt? Die Antwort ist dabei in der Regel bemerkenswert offensichtlich, wenn die Figuren falsch agieren, werden sie vom Regisseur als lächerlich gezeigt oder anderweitig bestraft. Ein Kunstwerk, das es nur richtig oder falsch zu lösen gilt, ist keines. Gemeint ist bei Östlund mit diesen Szenen, was Philosoph Karl Popper das Paradoxon der Toleranz nannte: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“ Doch der tatsächliche Erkenntnisgewinn von einem Film wie The Square ist äußerst gering: Zu vorhersehbar, zu konstruiert, klinisch und mechanisch wirken die Selbsttests, die Östlund präsentiert. Sie sind aufgebaut wie Witze, deren Pointen man lange vorausahnt.

Manchmal erinnert dieses Kino an den Bußritus der christlichen Selbstflagellation oder die marxistisch-leninistische Praxis von Kritik und Selbstkritik. An Selbstflagellation erinnern die Filme, weil sie eine Art Existenzpädagogik darstellen: Die dargestellte Gewalt, der (emotionale) Schmerz soll den Zuschauer züchtigen. Ihn disziplinieren, also von seinen Leidenschaften (überzogene Empathie, naive Toleranz etc.) befreien. Die Filmemacher sprechen in der Regel über ihre eigene Lebenswirklichkeit, Menschen von ihrem Schlag, und doch ist da eine Distanz zu den Figuren. Eine Distanz, die dazu dient, sich selbst nicht zu nah zu kommen. Sympathisch sind die Figuren nicht, darüber könnte man hinwegsehen, doch in ihrer vollkommenen Drehbuchhörigkeit sind sie nicht einmal interessante Fallbeispiele. Die marxistische Vorstellung der Selbstkritik war für Mao passenderweise die „Überwindung des alten, egoistischen, kleinbürgerlichen Ichs“ durch die Auseinandersetzungen mit den eigenen Fehlern. Nur, dass diese Praxis in der Regel selten zu wirklich besseren, sondern höchstens zu gehorsameren Menschen führte.


(Filmstill aus The Square. Copyright: Alamode Film)

Aus dem Kino gegen die Autorität, die allgemein als Political Correctness bezeichnet wird, spricht ein merkwürdig paternalistischer Geist. Sie sind didaktisch, beherrscht von einem Willen zur Erziehung. Das muss nicht automatisch schlecht sein, ist in diesem Zusammenhang jedoch pure Doppelmoral. Gerade jene Regisseure, deren Filme im besonderen Maße auf eine Disziplinierung des Zuschauers abzielen, machen sich nun also auf, um gegen das Belehrende und Disziplinierende in der Kultur anzugehen. In seinem Vorwort zu Frantz Fanons Die Verdammten dieser Erde warnt Jean-Paul Sartre vor dem Animalisieren, Zoologisieren oder Physiologisieren seiner Gegner. Doch das Andere tritt bei Östlund in exakt dieser Form auf: als Kranker und als Affenmensch. Bei Haneke als Schlusspointe, als dekoratives Handlungsornament.

Die Folge der Selbstkritik-Filme ist nicht etwa eine Hinwendung zu einem konsequenten und damit möglicherweise auch radikalen Handeln, sondern eine zum Kompromiss: Wir leiden ein wenig unter unserer eigenen Doppelmoral und gehen mit dem Gefühl, etwas gelernt zu haben. Vor allem, damit wir auch in Zukunft nichts an uns ändern müssen.

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