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Die Liebe zur Barbarei – Über freie Filmsynchronisationen der 70er und 80er

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

In seinen Notizen zum Kinematographen schimpft Robert Bresson auf die „naive Barbarei der Synchronisation“. Er verflucht „Stimmen ohne Wirklichkeit, nicht konform mit der Bewegung der Lippen“. Doch Generationen von Kinogängern haben das vermeintlich Barbarische lieben gelernt.

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Zwei außer Rand und Band - Bild
Zwei Außer Rand und Band - Bild

Vielleicht sind es gerade die Stimmen, „die sich im Mund geirrt haben“, die manche wehmütig auf eine Zeit zurückblicken lässt, in denen bei Synchronfassungen nicht auf Werktreue geachtet wurde. Stattdessen interpretierte man die Filme neu, deutete sie um und ließ die Bilder über sich selbst spotten.

Wenn man die Barbarei liebt, dann für ihre Barbaren. Die Figuren, die Carlo Pedersoli, besser bekannt als Bud Spencer, gespielt hat, könnte man als solche begreifen. Sie waren roh, nicht sonderlich gebildet und vor allem von ihren Trieben wie Hunger und Durst beherrscht. Meinungsverschiedenheiten wurden meistens per Fausthieb geklärt; ohnehin waren „Backpfeifen“, „Kellen“ oder „ein richtiges Ei gegen die Schiene nageln“ stets probate Mittel, Probleme aller Art zu lösen. Für das Denken war eher sein Sidekick Terrence Hill (bürgerlich: Mario Girotti) zuständig.

Die im Original weitestgehend unspektakulären Italo-Western und Abenteuerfilme erfreuen sich in Deutschland bis heute einer besonderen Beliebtheit. In einem Interview mutmaßt Spencer: „Grundsätzlich hängt es wohl mit jener Form von Komik zusammen, die durch Mimik, Gesten, eben das Körperliche entsteht.“ Zumindest im zweiten Teil seiner Biografie In achtzig Jahren um die Welt hebt er jedoch auch die Leistung seiner Synchronsprecher besonders hervor: „Ich weiß nur, dass sie alle für meinen Erfolg auf der ganzen Welt von riesiger Bedeutung waren.“

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Man kann natürlich nur spekulieren, aber ob sich allein um die Körperkomik der Spencer-und-Hill-Streifen ein so großer Kult gebildet hätte, darf bezweifelt werden. Ihre Popularität hierzulande hängt auch mit ihrem spezifischen Jargon zusammen, mit den Sprüchen und Wortwitzen. Mit Einzeilern wie: „Hat dir eigentlich schon mal einer mit einem Vorschlaghammer einen Scheitel gezogen?“ (Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle). Oder auch: „Dir spitz ich den Spargel an, bis man dich fürn Pfirsich hält! (Plattfuss am Nil). Sie entspringen einer besonderen Synchron-Kultur der 1970er und 1980er Jahre, mit der vor allem ein Name in Verbindung gebracht wird: Rainer Brandt. 

Der deutsche Schauspieler, Synchronsprecher, Synchronregisseur und Dialogbuchautor wurde 1936 in Berlin geboren und begann parallel zu einem Schauspiel-Studium mit der Vertonung von Filmen. Er lieh seine Stimme Darstellern wie Elvis Presley, Tony Curtis und Jean-Paul Belmondo. Im Jahr 1973 gründete er eine eigene Synchronfirma, die bis heute unter dem Namen Brandtfilm GmbH besteht und sich unter anderem für die deutsche Version der Sitcom Big Bang Theory verantwortlich zeichnet.

Der Cast der Sitcom "Big Bang Theory"

„Die Dinger müssen komisch sein, die müssen richtig Spaß machen – das waren ja keine tiefgründigen Filme“, verkündet er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Seine Herangehensweise erklärt er folgendermaßen: „Was wollte der Autor, was wollte der Regisseur mit diesen Italo-Western machen? Was hatte der vor mit seinem Volk? Das habe ich versucht, auf mein Volk zu übertragen. Denn Komik kann man nicht eins zu eins übersetzen: Das deutsche Publikum lacht nicht über dieselben Dinge wie das italienische oder auch das spanische. Das sind humoristisch andere Galaxien.“

Nachdem der Film in seinen ersten drei Jahrzehnten eine Art Weltsprache der Bilder darstellte, wurde er durch den Tonfilm re-nationalisiert. Konnte man selbst Zwischentitel noch ohne allzu großen Aufwand ersetzen, war eine Vertonung oft aufwändig und kostspielig. Erst in den 1930er Jahren erlaubte die Technik eine Qualität, die Zuschauer überzeugte; der Beruf des Synchronsprechers entstand. Der deutsche Sprachraum war groß genug um, anders als etwa in den USA oder Skandinavien, eine aufwändig Kultur des „Synchronschauspiels“ entstehen zu lassen. Meist war man um Werktreue bemüht, doch selbst große Filme wie Blade Runner enthielten regelmäßig offensichtliche Fehler: „Mach mir davon eine harte Kopie“, wird im Film gefordert, wo eigentlich ein Ausdruck (hard copy) auf Papier gemeint ist. Andere Anpassungen waren politischer Natur: Die deutschen Terroristen aus Stirb langsam wurden zu einer nicht näher definierten europäischen Gruppe mit englischen Namen, Alan Rickmans Hans wird zu Jack Gruber. 

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Absichtlich und umfassend vom Original abweichende Synchronfassungen waren jedoch eher die Ausnahme als die Regel. Zwar wurden vereinzelt Verweise angepasst, deren Einordnung man dem deutschen Publikum nicht zumuten wollte: In den 1940er Jahren formte man ausländisches Kino zu Propaganda, in den 1950ern wurden immer wieder Verweise auf NS-Zeit und Faschismus entfernt. Doch grundsätzlich etablierte sich das Prinzip: Sprachtatsachen werden übersetzt, Kulturtatsachen nicht. Seit vielen Jahren wird die Diskussion um die Synchronisation von Filmen geführt. In der Breite entscheidet immer noch die Logik des Markts: Auch wenn sie ungleich teurer sind als Untertitel, ist für deutsche Verleiher die Investition in eine Synchronfassung meist unerlässlich.  

Der von Brandt angeführte deutsche Humor bestand aus einer Mischung aus Kneipenjargon, kalauernder Jugendsprache und Schüttelreimen. Postkarten-, heute wohl Facebook-Sprüche wie „Sleep well in your Bettgestell“ oder „Ein blindes Huhn trinkt auch mal’n Korn“ fügten sich lückenlos in eine Humortradition mit Dieter Hallervorden, Otto Waalkes oder den Supernasen-Filmen ein. Die Übersetzungen ins von Brandt so getaufte „Schnodderdeutsch“ entstanden in der Regel bei Brandtfilm oder der Deutschen Synchron Filmgesellschaft in Berlin und stellen ursprünglich den Versuch dar, eine Entsprechung von kalifornischem Slang zu entwickeln.

Von den 1960er Jahren bis in die frühen 1990er wurden Filme und Serien nach diesem Prinzip synchronisiert, zuletzt Ein Käfig voller Helden im Jahre 1992, fast 30 Jahre nach der amerikanischen Erstausstrahlung. Neben den Abenteuern von Bud Spencer und Terrence Hill wurden auch unter anderem die Komödien von Louis de Funès und Fernsehserien wie Die Zwei neuinterpretiert. Zu letzterer erklärt Brandt: „Das waren die Persuaders, und das war ein Flop, das war totlangweilig, und da haben wir gesagt: Das müssen wir umdrehen, müssen wir neue Geschichten draus machen.“

Die Rechtfertigung für den massiven Eingriff gegen die ursprüngliche künstlerische Absicht lässt sich Brandts Aussagen entnehmen: Geringe Qualität, „nachgewiesen“ durch ausbleibenden finanziellen Erfolg, und ein landesspezifischer Humor. Beide Argumente sollte man zumindest hinterfragen. Welche Veröffentlichungen sind wertig genug, um präzise eingedeutscht zu werden, welche dürfen zu Parodien ihrer selbst werden? Wieso sollte ein Synchronregisseur das gute Qualitätskino vom lachhaften Trash trennen dürfen, und zwar nicht nur für sich persönlich, sondern für ein ganzes Land? Filme mit Jean-Paul Belmondo, Adriano Celentano, Giuliano Gemma und sogar Western, die heute als Klassiker gelten wie Für eine Handvoll Dollar oder Für ein paar Dollar mehr, erschienen auf Schnodderdeutsch. In einigen Fällen gab es noch eine werktreuere Version, in anderen waren die in Schieflage geratenen Versionen die einzige Möglichkeit, den Film zu sehen. 

Bild aus "Für eine Handvoll Dollar"

Mit einem kritischen Blick könnte man argumentieren: Die brandtsche Art erinnert an die Spottkultur, die von Formaten wie Mystery Science Theater 3000 oder der Sendereihe SchleFaZ — Die schlechtesten Filme aller Zeiten vertreten wird. Der Zuschauer lacht (in seiner eigenen Sprache) über Kino aus dem Ausland oder aus einer anderen Zeit, über das Andersartige und dadurch vermeintlich Minderwertige. Einem Parasit gleich dringt der Kalauer-Humor in seinen Wirt ein.

Wie Bresson andeutet, haben Synchronfassungen etwas Fremdartiges an sich. Film- und Fernsehwissenschaftler Joseph Garncarz beschreibt in einem Beitrag von Deutschlandfunk Kultur über deutsche Synchronfassungen einen „kulturellen Lernprozess, bei dem die Zuschauer in gewissem Sinne vergessen können müssen, dass derjenige, der spricht, eben nicht identisch ist mit demjenigen, den sie auf der Leinwand sehen.“ Die Situation erinnert an das biblische „in Zungen sprechen“, aber auch an Besessenheit, die noch heute in Horrorfilmen oft dargestellt wird, indem eine Figur mit einer körperlich unpassenden Stimme versehen wird; ein gutes Beispiel wäre Der Exorzist

Woody Allens erster Spielfilm What’s Up, Tiger Lily? ist eine anders zusammengesetzte und albern synchronisierte Fassung des japanischen Kriminal-Thrillers Kokusai himitsu keisatsu: Kagi No Kagi. Die Ursprungsversion wurde von amerikanischen Zuschauern als unfreiwillig komisch gewertet. Nun ist dies noch heute oft die Reaktion auf alte Filme oder solche aus anderen Kulturkreisen. Die brandtsche Schule schuf Filme, die dem Zuschauer unterschwellig die Erlaubnis ausstellt, nicht nur mit, sondern auch über das Kino zu lachen. Trotz dem sicher beachtlichen Handwerk bleibt immer eine Diskrepanz zwischen Bildern und Gesprochenem, eine manchmal kaum merklich Ton-Bild-Schere. Zusätzlich zum tollen deutschen Schenkelklopfer-Humor konnte man auch das primitive Filmhandwerk aus dem Ausland verlachen. Die wahre Barbarei liegt also – wie so oft – auch hier darin, andere zu Barbaren zu erklären, um sich selbst Zivilisation zu nennen.

Zudem: Wer heute über lästige „Star“-Sprecher wie die YouTube-Prominenten Apecrime (Warcraft: The Beginning) oder Gronkh (The LEGO Batman Movie) klagt, sollte in ihnen ein Nachhallen dieser Zeit erkennen. Auch hier ist das Ziel schließlich, passende lokale Stimmen anzubieten, die nicht nur die Fremdheitserfahrung vermindern, sondern auch die spezifische regionale Zielgruppe ansprechen.

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Andererseits bietet dieses frei und wild assoziierende Synchron-Kino auch etwas wundervoll Anarchisches. So wie die Marx Bros. immerzu die Objekte und Orte um sie herum umdeuten und damit auch umfunktionieren, wird auch dort nach den Lücken in der Bedeutung gesucht. Wo kann der Absolutheitsanspruch der Bilder in Frage gestellt werden, wo lässt sich noch ein Scherz zwischen die reine Handlungsbeschreibung quetschen? Eine übermäßige Kopfbewegung wird zum lauten Niesen, beim Truthahnessen empfiehlt man plötzlich: „Iss lieber noch was von dem großen Igel, der schmeckt!“ Der Konflikt zwischen den Bedeutungsebenen von Ton und Bild wird auf unterhaltsame Weise deutlich gemacht. Und dem skeptischen Bresson könnte man die Ideen von Autor und Komponist Michel Chion entgegenhalten, der Körper und Stimme ohnehin für schwer in Einklang zu bringen hielt. 

Heute ist diese Art von Synchronisation aus der Mode gekommen. Es fehle „die Muße und das Geld, denn die Qualität ist den Auftraggebern egal“, vermutet Brandt. „Darum sind die Leute heute auch mehr daran interessiert, das Original zu hören als die schlechte Synchronisation.“ Wahrscheinlicher ist, dass die Globalisierung, das Internet und seine Kultur der internationalen Gleichzeitigkeit, bessere Fremdsprachenkenntnisse und eine neue Generation gemeinsam dafür gesorgt haben, dass ein stärkeres Bedürfnis nach einer möglichst „unverfälschten“ Erfahrung entsteht.

Gerade im Arthouse-Kino sucht man, fast wie der moderne Tourist, eine authentische Erfahrung. Unter Serienfans gilt es fast schon als ehrenrührig, das Objekt der eigenen Obsession nicht im Original zu konsumieren. Ob in diesem beschränkten Erfahrungskatalog allerdings mehr Fremdheit zu erfahren ist, als in den vorhergehenden? Unwahrscheinlich. Wir finden stets eine neue Barbarei, in die wir uns verlieben können. 

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