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Die Liebe zum Jazz

Ein Beitrag von Sonja Hartl

Die lange Geschichte des Jazz im Film wird dominiert von den Erzählungen weißer Regisseure. Die Filme Ma Rainey’s Black Bottom, Sylvie’s Love und Soul verändern nun gängige Narrative – und könnten eine neue Zeit im Jazz-Film einläuten.

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Chadwick Boseman in "Ma Rainey's Black Bottom"
Chadwick Boseman in "Ma Rainey's Black Bottom"

Jazz und Film haben eine lange gemeinsame Geschichte. „The Jazz-Singer“ aus dem Jahr 1927 ist der erste Tonlangfilm, in dem Musik verwendet, gesungen und gesprochen wurde. Er erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der Musiker werden möchte und deshalb sein strenges Elternhaus verlässt. In diesem Film ist es die Musik, die die weiße Hauptfigur als Anderen markiert, die in klarem Konflikt zu Privat- und Familienleben steht.

Diese Elemente ziehen sich durch die Geschichte der Jazz-Filme. In New Orleans spielen zwar Louis Armstrong und Billie Holiday mit, im Mittelpunkt steht indes die Liebesgeschichte eines weißen Paares. Paris Blue erzählt von den Kämpfen eines weißen Musikers – gespielt von Paul Newman. Martin Scorseses New York, New York erzählt eine Liebesgeschichte zwischen dem Saxophonisten Jimmy Doyle (Robert de Niro) und der Sängerin Francine (Liza Minelli), in Francis Ford Coppolas The Cotton Club wird die Hauptrolle von Richard Gere gespielt, der sich als Kornettist Dixie Dwyer im Harlem der späten 1920er und frühen 1930er Jahre durchschlägt. In Bertrand Taverniers Round Midnight und Clint Eastwoods Bird steht der leidende Künstler im Vordergrund. Insbesondere Bird hat viel dazu beigetragen, unter einem Jazz-Musiker einen einzelnen Künstler zu verstehen, ein Genie, das isoliert von anderen agiert – in einer Musik, die von Kollaborationen, gemeinsamen Improvisationen und Weiterentwicklungen lebt. Diese Darstellung unterläuft Don Cheadles Miles Ahead am Ende eindrucksvoll, wenn sein Miles Davis aus der fiktionalen Geschichte ausbricht, um in der Gegenwart mit einer Band zu spielen, zu der u.a. Wayne Shorter, Herbie Hancock, Esperanza Spalding gehören. 

Dennoch erweist sich das Narrativ des genialen Jazz-Künstlers, der sich stets am Rande des Wahnsinns bewegt, als ebenso langlebig wie die Verbindung von Coolness und Jazz sowie die Konzentration auf eine weiße Hauptfigur. Doch nun sind in den vergangenen Wochen drei Filme auf drei Streaming-Plattformen erschienen, die Schwarze Musiker*innen in den Mittelpunkt stellen. In Ma Rainey’s Black Bottom, Soul und Sylvie’s Love ist Jazz nicht nur Kampf, sondern vor allem Liebe und Ausdruck des Selbst.

 

Brillante Vorbilder

Zu Beginn von Sylvie’s Love fährt der Saxophonist Robert Halloway (Nnamdi Asomugha) im Jahr 1957 zu einem Plattenladen nach Harlem, um sich Thelonius Monks neues Album Brilliant Corners zu kaufen. Hier begegnet er Sylvie Parker (Tessa Thomspon), deren Vater der Plattenladen gehört und die seine große Liebe wird. Eine ihrer ersten längeren Unterhaltungen wird abermals von Monk ausgehen. Als Saxophonist, der dieses Album gekauft habe, werde ihm, so erklärt Sylvie, sicherlich auch Sonny Rollins‘ Way out West gefallen. Monk und Sonny Rollins sind hier ein Hinweis, dass Sylvie sich auskennt – zugleich aber auch Vorbilder für Robert, sie sind Teil einer bestimmten Richtung des Jazz. 

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Auch in Damien Chazelles La La Land gibt es Verweise auf Monk. Wenn man Hauptfigur Sebastian (Ryan Gosling) das erste Mal sieht, sitzt er in seinem Auto in einem Stau und hämmert verbissen auf sein Kassettendeck ein. Immer wieder spult er einen bestimmten Teil des Japanese Folk Song zurück, versucht verbissen zu begreifen, was dort wie gespielt wird. Wenig später dann sitzt er zu Hause an seinem Klavier, dazu läuft auf einem Plattenspieler Straight No Chaser von Thelonius Monk, auf dem sich der Japanese Folk Song und damit jener Part befindet, den er zu verstehen versucht. Erstaunlicherweise aber haben die Eigenkompositionen, die Sebastian spielt, nichts von Monk. Der gesamte für diesen Film geschriebene Score ist sehr, sehr weit von Monk entfernt. Monk zu hören ist hier ein Zeichen für Coolness. Wie Monk zu klingen, wäre aber wohl zu viel. 

In Sylvie’s Love nun geht Sylvie zu einem von Roberts Auftritten. Hier steht eine Band auf der Bühne, Robert ist Teil des Dickie-Brewster Quartetts, das einen festen Gig im legendären Blue Morocco Club in der Bronx hat. Als er dann zu einem Solo-Part ansetzt, versinkt Robert regelrecht in der Musik. Es gibt nichts Verbissenes, kein Abarbeiten an Vorbildern, keine ostentative Coolness. Vielmehr wirkt er, als sei er an einem anderen Ort und zutiefst bei sich selbst. 

 

In the zone

Es ist dieses In-sich-Versinken, das eine Weiterentwicklung vieler bisheriger Jazzfilm-Narrative bedeutet. In the zone sein, nennt man das – und wie in Pixars Soul erklärt wird, ist es eine Sphäre zwischen Körper und Seele. Der Pianist Joe sieht diese Sphäre sogar auf seinem Weg zwischen Davorseits und Erde. Die zone ist der Bereich, in den man gerät, wenn man sich etwas völlig hingibt. Joe kennt diesen Bereich, er war in the zone bei dem Vorspiel für einen Gig am Abend. Jazz ist sein Leben, wenn er am Klavier sitzt und spielt, ist er völlig bei sich. „The tune is just an excuse to bring out the you“, erklärt er seinen Schüler*innen, die er an der Middle School unterrichtet. Und wenigstens eine von ihnen versteht, was er meint. 

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Das Versinken, die Hingabe an die Musik war natürlich schon vorher in Filmen zu sehen. Jedoch kommt noch etwas hinzu. In Ma Raineys Black Bottom erklärt die legendäre Blues-Sängerin Ma Rainey (Viola Davis), dass weiße Menschen zwar den Blues hören, aber sie werden niemals verstehen, wie er entstanden ist, woher er kommt. Sie verstehen nicht, „that that’s life way of talking. You don’t sing to feel better, you sing because that’s your way of understanding life.” Für Ma Rainey ist es der Blues, mit dem sie sich ausdrücken kann, mit dem sie ihr Leben versteht. Dagegen träumt der Trompetenspieler Levee (Chadwick Boseman) aus ihrer Band von einer anderen Musik, er will seine Musik mit einer eigenen Band spielen, ist aber noch angewiesen auf das Geld, das er als Begleitung von Ma Rainey verdient. In den Pausen zwischen den Aufnahmen ist zu hören, wie die Musiker miteinander sprechen, wie sie miteinander agieren – und es wird klar, dass für jeden einzelnen von ihnen die Musik der Weg ist, sich selbst auszudrücken und zu behaupten in einem Leben, das 1927 kaum Möglichkeiten für sie bietet. 

 

Jazz als Teil des Lebens

Jazz als Weg, das Leben zu verstehen, einem Leben Sinn zu geben – sieht man Robert und Joe, sieht man alle Musiker in Ma Raineys Band und sie selbst, sieht man Musiker, für die Musik – so klischeehaft das klingt – das Leben ist. Deshalb ist Joe in Soul so überzeugt, dass er weiß, was der Funke seines Lebens ist. Am Nachmittag vor dem Gig, von dem er sein Leben lang geträumt hat, hat er einen Unfall und liegt im Koma im Krankenhaus. Seine Seele macht sich auf den Weg ins Jenseits, aber Joe – nun in Seelenform – will nicht aufgeben und flüchtet sich in den Bereich, in dem die neuen Seelen vor der Geburt sind, das Davorseits. Dort wird er der neuen Seele 22 zugeteilt. Er soll ihr als Mentor helfen, ihren „Funken“ zu finden. Den braucht sie, um ihren Erdenpass zu bekommen, mit dem auch Joe möglicherweise in sein Leben zurückkehren könnte. Joe weiß, was sein Funke ist: der Jazz. Und er wird im Verlauf dieses Films lernen, dass ein Funke nicht eine Berufung ist, nicht der Sinn des Lebens. Ein erfolgreicher Auftritt macht ihn nicht zu einem anderen Menschen oder sein Leben besser. Jazz ist schlichtweg ein Teil seines Lebens. 

Das war auch schon in Spike Lees Mo Better Blues und semi-autobiografischen Crooklyn zu sehen. Spike Lee – Sohn eines Jazzmusikers – soll sich daran gestört haben, wie schwermütig die Filme Round Midnight und Bird geworden sind und wollte deshalb eine andere Geschichte erzählen: die des Trompeters Bleek Gilliam (Denzel Washington), der sich bereits etabliert und Alben gemacht hat, der auf Tournees gegangen ist und nun in einem Club in Manhattan auftritt. Er verdient Geld mit seiner Musik, er hat Freundinnen, er hat Familie – er führt ein Leben, in dem die Musik zwar einen sehr großen Teil einnimmt. Aber mit seinem Vater Baseball spielen kann er dennoch. Die Jazzmusiker in diesem Film reden über Musik, sie lieben Musik, aber sie sind weit weniger verbissen. Bleek Gilliam ist gut, er übt viel. Aber Mo Better Blues ist nicht die bekannte Erzählung des Genies, der daran verzweifelt, wenn er keine Musik machen kann. 

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Dieser Umgang unterscheidet sich deutlich von den beiden populärsten Jazz-Filmen der vergangenen Jahre: Damien Chazelles Whiplash und La La Land erzählen von weißen Musikern, die sich bis zum Zusammenbruch dieser Musik verpflichten, die sich durch diese Musik als etwas Besonderes fühlen wollen. In diesen Filmen ist Jazz eine Herausforderung, ein Kampf, eine Aufgabe. In Whiplash lernt der Schlagzeuger Andrew (Miles Teller) Jazz in einem Konservatorium durch Noten, durch Training, bis die Finger bluten, angetrieben von einem weißen Lehrer (J.K. Simmons). Romantik hat in diesem Leben keinen Platz, es gibt nur die Musik. Auch in La La Land kann Sebastian nicht mit seiner großen Liebe Mia (Emma Stone) bleiben, weil er der „white savior“ des Jazz einen eigenen Jazz-Club eröffnen muss, um den „pure Jazz“ zu retten.  

Es gibt in Damien Chazelles Filmen keine Liebe – weder zum Jazz noch zu einer anderen Person oder dem Leben im Allgemeinen. Andrew und Sebastian glauben, neben dem Jazz gibt es keinen Platz für etwas im Leben, Musik ist ihre Obsession. Aber es ist eine Obsession, die sie vor allem alleine ausleben – sehr deutlich in jedem Bild von La La Land zu sehen, dass alle anderen Musiker um Sebastian ausblendet. 

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Ökonomische Zwänge

Bei aller Kunst, bei aller Liebe zum Jazz verleugnen Sylvie’s Love und insbesondere Ma Rainey’s Black Bottom nicht, dass es beim Jazz immer auch um Geld geht. Ma Rainey weiß, dass ihr weißer Manager nur ihre Stimme auf die Platte bekommen will, dass der weiße Plattenproduzent nur an ihrer Stimme interessiert ist. Sie weiß, was Levee noch lernen muss: Weiße Männer verdienen an dieser Musik. Deshalb kauft ihm der weiße Plattenproduzent seine Songs für einen Spottpreis ab und lässt sie in verwässerter Version von einer weißen Band einspielen. Diese kommerzielle Ausbeutung ist ein Aspekt, der auch in Sylvie‘ Love nur kurz abgehandelt wird. Auch hier ist es eine Weiße, die dem Quartett Ende der 1950er Jahre Kontakte und Verträge verschafft, die zu ihrer Managerin wird. (Die ökonomische Bedeutung von Jazz noch heute für etwa New Orleans hat die grandiose Serie Treme sehr deutlich gemacht). 

Von der Musik zu leben, ist nicht immer einfach. Sylvies Vater hat mit Auftritten aufgehört, als er eine Familie gründete. Geblieben ist ihm sein Plattenladen, seine Liebe zur Musik. Auch Robert muss erfahren, dass er mit seiner Musik nicht ausreichend Geld verdienen wird, obwohl er als das musikalische Genie des Quartetts gilt. Doch die Zeiten und der musikalische Geschmack ändern sind. Am Ende aber finden Sylvie und er einen gemeinsamen Weg. Denn es ist möglich, Musiker und glücklich zu sein.

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