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Die Illusion von Kontrolle: Was Filme und Videospiele unterscheidet

Ein Beitrag von Lucas Barwenczik

Wahrscheinlich wäre es etwas übertrieben, Chris Columbus‘ Pixels einen prophetischen Film zu nennen. Ziemlich sicher sogar. Und doch: Das Bild von einer Invasionsarmee aus Videospielfiguren auf der Kinoleinwand hat – trotz des nostalgischen Blicks der Actionkomödie – etwas sehr Zeitgemäßes.

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Filmstill aus "Pixels"
Filmstill aus "Pixels"

Im Film fordert eine feindselige Alienrasse die Menschheit zu einem Wettstreit heraus und die Erde wird zur gewaltigen Spielfläche. Es ist ein Akt von globaler Gamification. Auch ohne angreifende Außerirdische sind Games längst ubiquitär geworden. Computer-, Konsolen- und Handyspiele haben sich vom Nischenprodukt zum populärsten Unterhaltungsmedium der Gegenwart entwickelt. Selbst wenn ganze Generationen das Medium immer noch kritisch beäugen, in Sachen Marktmacht ist es Filmen, Musik, Büchern und Theater längst weit voraus.

Den Eventcharakter eines neuen Teils von Grand Theft Auto oder Call of Duty mögen die klassischen Medien nicht vollends abbilden, doch das mindert ihn keineswegs: Über 800 Millionen US-Dollar nahm der fünfte Teil der populären Gangster-Serie GTA allein innerhalb der ersten 24 Stunden ein. Im direkten Vergleich dazu wirkt der Einnahme-Rekord von Jurassic World (etwas mehr als 200 Millionen US-Dollar am Startwochenende) geradezu unbedeutend. Dass ausgerechnet Urzeit-Echsen große Box-Office-Erfolge feiern, bestätigt indirekt wohl auch jene, für die das Kino heute nur noch ein Dinosaurier ist. Games sind das jüngere, hippere und schneller wachsende Medium. Sie passen besser in eine Zeit, in der nichts so bedeutsam erscheint wie Individualität und Selbstverwirklichung. Sie geben eine Illusion von Kontrolle, die das Kino meist nicht bietet. 

Ihre Allgegenwart macht vor den Filmen nicht Halt, dem Kino steht eine neue Phase ihres Eroberungsfeldzugs bevor. Die Blockbuster-Gegenwart ist geprägt von Superheldenfilmen und Neuauflagen bekannter Reihen mit nostalgischem Mehrwert. Auch wenn es sich bislang nur vereinzelt an den Kinokassen abzeichnet: Jeder Zyklus des Mainstream-Kinos geht einmal zu Ende, so auch dieser. Produzenten und CEOs planen voraus für den Ernstfall. Jede Blase kann platzen, Trends kommen und gehen oft über Nacht. Auf der Suche nach vertrauten Namen und Marken ist Hollywood längst auf den (zumindest im direkten Vergleich) noch weitestgehend unerschlossenen Markt der Videospiel-Adaptionen gestoßen. Es gibt sie seit über zwei Jahrzehnten, doch trotz mancher durchaus profitabler Großproduktion (etwa der Tomb Raider-Filme, Prince of Persia: Der Sand der Zeit, Mortal Kombat oder der Pokémon-Reihe) wurden sie nie wirklich ein Standbein des Studiosystems. Gewaltige finanzielle und qualitative Flops (schon die erste Spiele-Adaption Super Mario Bros. war 1993 ein Desaster)  schufen einen Damm in den Köpfen von Produzenten, dessen Schleusentore bis heute nicht gänzlich geöffnet wurden.

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Trailer zu Prince of Persia: Der Sand der Zeit

 

Er wird nicht ewig standhalten. Die Liste der kommenden Marvel- und DC-Streifen mag lang sein, doch die der Videospiel-Adaptionen ist es auch. Es braucht nur einen Durchbruch – und Flutwellen von Nachahmern werden entsprechende Produktionen in die Lichtspielhäuser schwemmen. In Pixels sind es noch Figuren der 1980er Jahre, welche die Erde heimsuchen: Pacman, Donkey Kong, Q*Bert. In der (Hollywood-)Realität werden es wohl eher solche der jüngeren Vergangenheit sein; umgesetzt werden primär erfolgreiche Reihen wie Uncharted, Warcraft, Assassin’s Creed oder Angry Birds. Jeder dieser Titel muss einen Beweis antreten: Dass die Kopfgeburten der Game-Designer heute auch im fremden Terrain lebensfähig sind.

Bislang war die Geschichte von Film und Videospiel nicht nur eine voller Missverständnisse, sondern auch geprägt von Hassliebe, Missgunst und Neid. Wie jedes Medium kam auch das Videospiel mit einem gewaltigen Minderwertigkeitskomplex auf die Welt. Der Film begann als Jahrmarktattraktion, die nur wenigen bedeutsam und noch wenigeren künstlerisch wertvoll erschien. Filmemacher orientierten sich nach dem Ende des  Attraktionskinos lange an Theater und Literatur. Nicht nur, weil noch eine klare eigene Ausdrucksform fehlte, sondern vor allem, um einen Teil des Prestiges der etablierten Formen auch der septième art zukommen zu lassen. In gleichem Maße orientierten sich Videospiele (möglicherweise die „achte/neunte Kunst“?) schon in ihrer Frühphase an den Inszenierungsmethoden des Kinos. Das Medium strebte von seiner Geburtsstunde an zu einer zunehmend detailreicheren Bebilderung, Umwege wie das Textadventure wurde schnell Nische und Randerscheinung. 

Dass sich sowohl die Branchen als auch die Medien selbst gegenseitig erheblich beeinflusst haben, wird niemanden überraschen. Man kämpft um ein ähnliches Publikum, jede Stunde am Gamepad wird nicht im Kino verbracht und umgekehrt. Im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt wird seit dem 1. Juli 2015 eine Ausstellung mit dem Titel Film und Games: Ein Wechselspiel gezeigt, die sich genau diesem Zwiegespräch widmet.

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Trailer zur Ausstellung Film und Games: Ein Wechselspiel

 

Die überzeugend kuratierte und (trotz begrenzter Schaufläche) breit aufgestellte Ausstellung verdeutlicht vor allem eines: Die rein inhaltlichen Übertragungen, der sich vor allem Spiele-Journalisten immer wieder gewidmet haben, stellen die bei weitem uninteressanteste Schnittstelle dar. Dass Lizenzspiele zu Filmen und Serien lange Zeit vor allem an Merchandise erinnernde Schnellschüsse waren, ist bekannt. Und auch abseits von Uwe Bolls Œuvre genießen Spielverfilmungen ihren miserablen Ruf vollkommen zu Recht. Selbst von Fans gelobte Produktionen wie Silent Hill sind ärgerliche Machwerke. In der Frage, was in der Übersetzung verloren geht, lassen sich die zentralen Unterschiede zwischen Film und Spiel erkennen.

Die naheliegendste Antwort wäre: Filme haben Zuschauer, Spiele haben Spieler. Die einen beherrschen das Geschehen, die anderen lassen es über sich ergehen. Doch das Bild vom aktiven Spielen und dem passiven Filmschauen ist zu einfach, vielleicht sogar gänzlich falsch. Zum einen, weil jeder Kinobesuch mehr Interaktion bereithält, als man vermuten würde. Ein Film zeigt uns 24 Bilder pro Sekunde, von denen jedes eine Vielzahl von Informationen enthalten kann. Sie korrespondieren miteinander, wirken zusammen oder gegeneinander. „Keine zwei Menschen lesen je dasselbe Buch“, wird Edmund Wilson zitiert. Natürlich gilt das auch für Filme. Der Einzelne muss sich, ob bewusst oder unbewusst, zum Gezeigten positionieren. Das gilt für Experimente wie Jean-Luc Godards 3D-Studie Adieu au langage, welche die Technologie nutzt, um verschiedene Bilder gegeneinander auszuspielen, aber auch für jeden Sommer-Blockbuster, der uns mit hektischer Schnittfrequenz zur sekundenschnellen Auswahl von Bildinformationen zwingt. Spätestens seit Roland Barthes Aufsatz Tod des Autors und der damit einhergehenden „Geburt des Lesers“ sollte klar sein, dass es einen rein passiven Konsumenten von Kunstwerken gar nicht geben kann. Wirkung und Bedeutung entfaltet sich immer erst im Kopf, nicht auf dem Bildschirm oder der Leinwand. Kino ist ein Dialog, keine Einbahnstraße. Nur weil die gezeigten Bilder im Vorfeld bewusst ausgewählt wurden, ist ein Austausch zwischen den eigenen Gedanken und denen des Filmemachers möglich. Die Forderung, für Filme „einfach mal den Kopf auszuschalten“ ist nicht nur fragwürdig, sondern geradezu unmöglich.

Gleichzeitig sind Spiele längst nicht so interaktiv, wie sie vorgeben (siehe auch Robert Pfallers Theorie der Interpassivität) Die Übergänge zwischen den interaktiven Filmen der Laserdic-Ära (Reaktionsspiele wie Dragon’s Lair), sowie ihren modernen Äquivalenten (etwa David Cages Heavy Rain) und Filmen, die je nach Publikumsentscheidung anders verlaufen (etwa William Castles Horrorfilm Mr. Sardonicus oder Radúz Cinceras für die Weltausstellung von 1967 entwickelter Kinoautomat), ist marginal. Genau wie etwa die Walking Dead- oder Game of Thrones-Spiele von Publisher Telltale Games geben sie vor allem das Gefühl, der Spieler könne entscheiden. Die Handlung verläuft jedoch auf den engen Schienen, die von den Entwicklern ausgelegt wurden.

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Trailer zu Mr. Sardonicus

 

Auch so genannte „Open World“- oder „Sandbox“-Games bieten zwar offene, manipulierbare Welten, ihre eigentliche Geschichte verläuft jedoch meist trotzdem über vorprogrammierte Ereignisse (Sequenzen, die durch ein Skript ausgelöst werden) oder nicht steuerbare Zwischensequenzen und Dialoge. Man könnte argumentieren: Gerade dadurch, dass Mise en Scène und Cadrage in der Regel vom Spieler gewählt werden, entsteht eine Beliebigkeit der Bilder. An die Stelle des Dialogs zwischen Autor und Leser treten zwei unabhängige Monologe. 

Viele Spiele flüchten sich vor der Frage nach wahrer Interaktivität in einen Meta-Diskurs: Produktionen wie Bioshock, das Indiespiel The Stanley Parable  oder der selbsterklärte Antikriegs-Shooter Spec Ops: The Line setzen sich mit dem Widerspruch zwischen Spielerkontrolle und Zwang im Spiel auseinander, ohne diesen jedoch je ganz auflösen zu können. Im Endeffekt ist die Entscheidungsfreiheit an der Konsole mit der im Kapitalismus vergleichbar: Diversifizierte Produktpalletten geben ein Gefühl von Individualität und Wahlfreiheit, die Auswahlmöglichkeiten geben jedoch einen engen Rahmen vor. Egal wie viele Optionen im Spiel gegeben sind, jede Abweichung aus dem vorprogrammierten Raster ist ein Fehler im System.

Zunehmend komplexere Eingabegeräte lassen die Illusion von Kontrolle immer stärker werden: Von den ungelenken Joysticks der Achtziger bis hin zur Sprach- und Bewegungskontrolle der VR-Gegenwart war es ein weiter Weg. Dabei wird die Frage, ob das Streben nach Realismus und Immersion dem Spielenden und Sehenden mehr oder weniger Macht gibt, gar nicht gestellt. Die meisten VR-Konzepte bieten vor allem Pseudo-Interaktivität. (Einen aufschlussreichen Artikel zum Thema Virtual Reality im Kino hat Alexander Matzkeit für die epd-Film verfasst.) Der Unterschied zu dem, was Legendary Pictures mit dem 360 Grad-Teaser Warcraft: Skies of Azeroth als Vorgeschmack für den kommenden Film von Duncan Jones veröffentlicht hat, besteht meist vor allem in der Peripherie.

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Warcraft: Skies of Azeroth

 

Sinnvoller als die klar trennende Dichotomie „aktiver Spieler / passiver Zuschauer“, wäre der Blick auf das kleinste konstituierende Element von Film und Spiel, das Genom des jeweiligen Mediums: Filme schaffen eine Welt der Bilder, Games eine Welt der Regeln. Beide Medien leiden darunter, dass sie oft primär als Vehikel für Narration verstanden werden. Doch sie sind nicht unbedingt auf erzählende Elemente angewiesen, beide begannen bei ihrem jeweiligen Kern: Frühe Spiele wie Spacewar! oder Pong wurden definiert durch ihrer Mechanik, von den Konditionen für Sieg und Niederlage; erste Filme zeigten bewegte Bilder, Momentaufnahmen, mehr nicht. 

Misslungene Adaptionen wurden bislang damit erklärt, dass bei der Übertragung die Interaktivität verloren geht. Das trifft nur zum Teil zu. Das Problem ist schlicht und ergreifend, dass a) Videospiele anders erzählen als Film, nämlich im Idealfall ludonarrativ (die Geschichte entwickelt sich aus dem Regelsystem der virtuellen Welt) und b) Videospiele oft sehr schlecht erzählen, weil eine eigenständige, spezifische und ausgereifte Autorenkultur bislang weitestgehend fehlt.

Bei Literaturverfilmungen geht meist die Sprache verloren, bei Games hingegen die Regeln. Filme folgen eigenen Konventionen und Gesetzen, ihre Bildsprache ist eine gänzlich andere. So kennt das Spiel in der Regel kaum Schnitte (Gus van Sants Gerry und Elephant stellen den filmischen Versuch dar, den ungebrochenen Kamerablick der Games zu reproduzieren), im Kino gibt es keine Steuer-Interfaces und Lebensenergie-Anzeigen. Schräge Ausnahmen wie Takashi Miikes Phoenix Wright — Ace Attorney bestätigen die Regel. Videospiele haben meist Siegeskonditionen, einen Film hingegen kann man nicht gewinnen oder lösen. (Gerade Letzteres ist für eine Generation von Spielern oft schwer zu akzeptieren.) Man kann sie auch nicht verlieren.

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Trailer zu Edge of Tomorrow

 

Natürlich gibt es auch positive Beispiele für die gegenseitige Befruchtung der Medien. Wenn die Protagonisten von Und täglich grüßt das Murmeltier oder Edge of Tomorrow fast wie bei Super Mario über einen großen Vorrat an Extraleben verfügen und demselben Problem auf immer neue Weise begegnen, dann entsteht in der wiederholten Konfrontation durchaus eine eigenständige, filmische Erfahrung . Das Werk von Christopher Nolan ist voll mit Spiel-Filmen: Der Traum-Thriller Inception etwa folgt mit einem an ein Tutorial erinnernden ersten Akt und seinen zahllosen, stets präsenten Regeln der Logik der Games.

In Pixels wird die Gamification schlussendlich von Adam Sandler gestoppt, was für die Realität kein sonderlich wahrscheinliches Szenario ist. Film und Spiel werden in der nahen Zukunft immer öfter konvergieren, es werden neue Misch- und Zwischenformen entstehen. Damit der entstehende Hybrid dem Menschen nützlich sein kann und mehr bietet als lediglich die Illusion von Kontrolle, muss die tief verankerte Inkompatibilität der alten und der neu entstehenden Kunstform überwunden werden. Und bis das passiert, kann man sich immer noch den Kampf zwischen Vögeln und Schweinen in Angry Birds ansehen.

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