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Deutscher Film, Teil 2: Woher rührt der schlechte Ruf?

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Der junge Törless

Das eigentliche und grundlegende Problem des deutschen Films ist, dass keiner ihn sehen will. Nicht deshalb, weil deutsche Filme grundsätzlich schlecht wären. Sondern deshalb, weil es deutsche Filme sind. Der deutsche Film hat einen schlechten Ruf. Der deutsche Film hat lange an diesem schlechten Ruf gearbeitet, und er hat stets Sorge dafür getragen, dass erstens dieser schlechte Ruf sich auf möglichst viele Ebenen bezieht und zweitens möglichst alle von diesem schlechten Ruf erfahren.

Die gute alte Zeit

Ach, wie war es doch vordem mit dem deutschen Kino so schön! Damals, in den 1920ern und Anfang der 1930er Jahre … Es ist mittlerweile zum Gemeinplatz geworden, wehmütig die große Zeit des deutschen Films heraufzubeschwören, der damals mit seinen künstlerischen Meisterwerken an Weltgeltung beinahe Hollywood den Rang abgelaufen hätte. Dann kamen die Nazis und stellten die Kunst unter ihr politisches Kuratel. In den 1950ern kam dann die Kirche und stellte sie unter ihr moralisches Kuratel; während die Film“künstler“ sich nicht an Ästhetik, Technik und Kreativität von 20 Jahren vorher orientierten, sondern die filmischen UFA-Mittel der verdammten zwölf Jahre einfach weiterführten, als wäre nichts gewesen.

Dann kamen mit dem Neuen Deutschen Film tatsächlich nationaler Aufschwung und internationale Anerkennung – aber auch innerkinematographische Konflikte vielfältigster Art. Der Leiter der deutschen Kulturdelegation verließ 1966 erbost die Cannes-Premiere von Schlöndorffs Der junge Törless, einer der ersten Filme nach langer Durststrecke, der auf einem internationalen A-Festival vorgeführt wurde: „Die Gefahr lag nahe, durch diesen Film unser aus der Vergangenheit so schwer belastetes und in der Zwischenzeit so mühsam wieder angehobenes Ansehen in der Welt erneut zu kompromittieren. […] Ich hielt es für meine Pflicht, gewissermaßen im Namen des heutigen Deutschlands durch meine Intervention unsere tiefste Abscheu vor der im Film dargestellten Realität und damit implicite vor den Schandtaten der Nazi-Verbrecher öffentlich zu demonstrieren.“ Der Film erhielt in Cannes den Kritikerpreis; doch es war auch klargestellt, dass eine offizielle und vor allem öffentliche Rückendeckung für gewisse Filme nicht erwartet werden konnte.

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(Trailer zu Der junge Törless)

Zugleich mit der Ausgrenzung des deutschen Filmes durch die deutsche Kulturpolitik wurde der Welt offenbar, dass hier und jetzt etwas Großes vor sich ging. Kluges Abschied von gestern bekam in Venedig den Silbernen Löwen, Peter Schamonis Schonzeit für Füchse den Silbernen Bären, Ulrich Schamonis Es einige Deutsche Filmpreise – nachdem noch fünf Jahre vorher der Deutsche Filmpreis mangels preiswürdiger Filme nicht verliehen wurde.

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(Ausschnitt aus Abschied von gestern von Alexander Kluge)

Wer ist hier eigentlich jung?

Man hätte durchstarten können – doch auch innerhalb der Aufbruchbewegung wurde gehickhackt, dass es eine Lust war. Und es ging dabei nicht nur um eine fruchtbare filmkulturelle Diskussion, sondern auch immer und immer wieder gern um persönliche Animositäten. Vor allem als Ende der 1960er Jahre ein neuer Schwung Filmemacher die Bühne betrat; Rudolf Thome, Klaus Lemke, Eckhardt Schmidt oder Roland Klick, die den Neuen Deutschen Film à la Kluge, Schlöndorff, Schamoni schon wieder für gestrig hielten und dies auch laut verkündeten. So etwa der damals 27-jährige Klaus Lemke 1967, zitiert nach Joe Hembus: „Was unseren Film von den bekannten Jungfilmer-Produktionen unterscheidet? Wir sind einfach 50 Jahre jünger.“

Seither ist die Filmlandschaft zersplittert. Wo diskutiert werden könnte, wird gerne gedisst. Was vom einen erreicht wurde, wird vom anderen aufgeweicht. Vom Standpunkt des einen setzt sich der andere ab. Das ist bis heute so: Wenn einer – zu Recht oder zu Unrecht, sachlich oder fies – Til Schweiger kritisiert, dann schlägt der zurück mit einem Rundumschlag, was wiederum zu Gegenreaktionen der Kritiker führt; Kollateralschaden am deutschen Film insgesamt wird billigend in Kauf genommen. Und das Publikum weiß nur: Wenn die Künstler, Kulturpolitiker, Kritiker sich gegenseitig nicht schätzen – dann kann man den gesamten deutschen Film nicht schätzen.

Fernsehen. Dafür werden Filme gemacht.

Zumal seit den 1980ern das deutsche Fernsehen eine erstaunliche Gravitationskraft entwickelt hat und Genres, die einst das Kino für sich hatte, okkupiert. Was Heimatfilm war, wurde Schwarzwaldklinik. Der Kriminalfilm ist ohnehin in der Hand des sonntäglichen 20:15 Uhr-Termins. Etwas zu erschaffen, das nicht schon vom Fernsehen besetzt ist, ist schier unmöglich – denn das Fernsehen schafft auch das Kino, die Redaktionen sind zu Produktionsbüros geworden. Die Öffentlich-Rechtlichen, immer wieder auch die Privaten, geben gerne Geld, um Kino zu ermöglichen – und sie glauben doch nicht an das Kino. Was vom Fernsehen ko-finanziert wurde, wird spätnachts versendet (und man tut dann noch ganz stolz, wenn in besonderen Sommerkinoreihen die Eigenproduktionen mal vor 23 Uhr starten). Und wenn tatsächlich mal ein Kinofilm zur Primetime läuft, kann man recht sicher sein, dass er von vornherein fernsehgerecht aufbereitet wurde, wenn es sich nicht ohnehin um eine amphibische Produktion handelt, in der im Kinostoff der TV-Zweiteiler schon mitgedacht wurde.

Was unter dem Begriff Formatfernsehen firmiert, hat längst sein Format verloren. Stoffe müssen gezielt für einzelne Sendeplätze geschaffen werden, damit sie überhaupt eine Chance erhalten, über die Mattscheibe flimmern zu dürfen. Doch diese Sendeplätze und Formate existieren aus einer reichlich gestrigen Haltung heraus: Die Sender wollen dem Publikum das geben, was es zu einer bestimmten Uhrzeit gewohnt ist. Das ist bequem. Auf keinen Fall aber ist es mutig. Warum sollten Drehbuchautoren auch mutige Stoffe kreieren, für die sie anschließend kein Geld erhalten (Honorare gibt es meist erst bei der Verfilmung), weil das Buch untauglich für das breite Publikum sei? Oder dieses überfordere?

Teufelskreis der Mutlosigkeit

Es ist eine verheerende Spirale: Drehbuchautoren klagen darüber, dass Redakteure ihre mutigeren Bücher nicht wollen. Redakteure klagen darüber, dass sie keine mutigen Bücher mehr erhalten. Wer etwas Mutiges verfilmt, könnte nach einer schlechten Quote vom Vorgesetzten eins auf den Deckel kriegen, so die Angst selbst bei den Öffentlich-Rechtlichen. Und diese Mutlosigkeit spiegelt sich dann auch im Kino wider, wenn das Fernsehen einen derartigen Einfluss auf die Kinoproduktionen hat. Dozenten klagen an deutschen Filmhochschulen über die immer häufiger gehörte Frage von Studenten (die doch eigentlich Rebellen sein könnten):“Wie mache ich mein Drehbuch fernsehtauglich, damit ich einen Sender gewinne?“

Es geht um den vorauseilenden Gehorsam, der kritisiert werden muss. Daraus hat sich ein Teufelskreis entwickelt, der die Qualität der deutschen (TV-)Drehbücher sogartig immer schlechter werden ließ. Massenkompatibilität ist das Stichwort: Was einmal funktioniert hat, wird dann als Variation wiederholt. Das gilt auch für erfolgreiche Autoren. So erklärt sich auch die Genrearmut, die hauptsächlich Krimis und Komödien zulässt. Der Aufschrei der Drehbuchautoren, dass Redakteure nicht mehr offen für neue Ideen seien, verhallt dabei ebenso ungehört. Diese seien unpassend für das jeweilige Format, passen nicht zu den Sehgewohnheiten der Zielgruppe oder – noch schlimmer – man könne sie seinen Zuschauern nicht zumuten.

Öde und dröge?

Liegt die Schuld am schlechten Image des deutschen Kinos also beim Fernsehen oder gar beim deutschen Publikum? Ganz so leicht ist es nicht: Natürlich liegt die fehlende Wertschätzung des deutschen Kinos auch an den Filmen selbst. Das Publikum hat irgendwann verstanden, dass deutsches Kino entweder dröge oder platt ist; so wie es verstanden hat, dass Deutsche keinen Humor haben, dafür aber stets pünktlich sind. Allerdings begann um das Jahr 2000 mit vielen jungen, frischen Talenten ein zumindest künstlerischer Aufschwung – doch der erfolgte schon weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, von einigen Ausnahmen abgesehen: Tom Tykwer reüssierte mit Lola rennt international, sein Film wurde zum positiven Sinnbild des deutschen Kinos; Daniel Brühl oder Fatih Akin bekamen Publikum, Petzold oder Dresen Zuspruch der Kritiker, Link und von Donnersmarck den Oscar. Mit der sogenannten Berliner Schule kam nicht nur eine neue Bewegung ins Kino, die einen eigenen ästhetischen Anspruch, eine eigene Sicht der Welt, eine eigene kinematographische Philosophie entwickelte, sondern die auch ein neuer Zankapfel wurde, den die einen für paradiesische Frucht, die anderen für verfaulten Kompost hielten. Frankreich war begeistert; das deutsche Publikum hielt sich fern.

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(US-Trailer zu Lola rennt)

Inzwischen ist für alle klar, dass der deutsche Film an sich öde ist, und dass die Ausnahmen die Regel bestätigen. Wobei die Zuschauer, würden sie mehr deutsche Filme sehen, auch immer mehr Ausnahmen sehen würden, die alsbald zur neuen Regel werden könnten: Dass das deutsche Kino eben doch aufregend sein kann, wunderschön, witzig, spannend, absurd. Dass ein Krimi im Kino besser aussieht als auf dem Bildschirm; dass ein Star auf der Leinwand größer ist als der im Wohnzimmer.

Die Ausnahme und die Regel

Es ist eine self fulfilling prophecy: Man hält den deutschen Film für schlecht; sieht man viele gute, sind sie die Ausnahme, sieht man einen schlechten, fühlt man sich bestätigt. Es ist einfacher, das deutsche Filmschaffen in seiner Gesamtheit zu verteufeln als sich mit einzelnen Filmen zu beschäftigen, manche auszuhalten, um andere feiern zu können. Beim Münchner Filmfest 2015, das sich in den letzten Jahren als erste Adresse für deutsche Filmpremieren entwickelt hat, war von 18 Filmen der Reihe „Neues Deutsches Kino“ ungefähr die Hälfte sehr gut, absolut sehenswert, sie gehörte zum Besten des gesamten Filmjahres. Was aber eben leider nicht bedeutet, dass diese Filme durchstarteten.

Denn man muss natürlich erstmal von den deutschen Filmen erfahren. Da hilft es wenig, wenn sie in Tageszeitungskritiken die kleine Spalte neben dem Hollywoodblockbuster bekommen, zumal wenn sie darin vom Kritiker – der manchmal ja auch nur ein Mensch ist – runtergemacht werden. Da hilft es wenig, wenn ein Film eine umjubelte Festivalpremiere bekommt, die ihm sowohl ein gewisses Medienecho als auch Mundpropaganda einbringt, und er dann erst ein Jahr später ins Kino kommt. Da hilft es wenig, wenn sich manche Festivals in ihrer Eventhaftigkeit aufblasen, denn der Bohei fehlt dem Film in dem Moment, in dem er einsam über die Leinwand eines kleinen Kinos flackert. Und es hilft wenig, wenn die Filmverleihe zu wenig Geld haben, um einen Film nicht nur in die Kinos zu bringen, sondern ihn auch marketingtechnisch zu begleiten. Wir sprechen hier von den guten, von den absolut sehenswerten Filmen – denen es auch wenig hilft, wenn andere Filme, die vielleicht mit größerem Budget produziert und mit größerem Budget propagiert werden, eigentlich Fernsehen sind, auf eine weiße Fläche gebeamt.


(Bild aus Der Nachtmahr von AKIZ; Copyright: Koch Media/FilmAgentinnen)

Vergangene Woche startete beispielsweise der faszinierende Genrefilm Der Nachtmahr, der außerhalb des Systems entstanden ist, sich selbst als „Neues Deutsches Fantastisches Kino“ bezeichnet und lediglich durch einen mutigen Filmverleih mit 30.000 Euro bezuschusst wurde (um dann an einen anderen Verleih weitergegeben zu werden, der ihn im Kino, nicht nur auf DVD herausbringen wollte). Nach 14 Jahren Arbeit und mit einer so kunstvollen Figur, die als deutscher E.T. in die Filmgeschichte eingehen könnte (bedient von acht Puppenspielern, selbst gebaut vom bildhauenden Regisseur AKIZ), gelang ein Film, der beim Filmfest Locarno eine Zusatzvorstellung erhielt und für ein ausverkauftes Chinese Theatre in Los Angeles sorgte – jedoch im eigenen Lande kaum wahrgenommen wird. Im Interview mit Spiegel Online äußerte sich AKIZ über die Ablehnung durch deutsche Produktionen und Förderer: „Ich habe vor allem Produktionsfirmen abgeklappert, Förderungen lehnen einfach ohne Begründung ab. Von Produzenten hieß es: ‚Das ist nicht am Puls der Zeit.‘ Ständig ging es um das Genre und um ‚den Zuschauer‘. ‚Wenn ich schon Schwierigkeiten hab, dann wird der Zuschauer erst recht nicht mitkommen.‘ Ich finde es unglaublich schwierig, über den Zuschauer zu sprechen. Er wird als Instanz betrachtet, dabei wissen die Produzenten gar nicht, wen sie damit meinen.“


(Trailer zu Der Nachtmahr)

Man darf gespannt sein, welche Lehren das deutsche System aus dem diesjährigen Erfolg in Cannes ziehen wird. Maren Ades Toni Erdmann gewann exakt 50 Jahre nach Schlöndorffs Der junge Törless den Kritikerpreis, ebenfalls als erster Film nach einer langen Durststrecke. Der Blick richtet sich nun auf das Filmfest München und dessen Sektion „Neues Deutsches Kino“, das seit einigen Jahren den dortigen Festivalhöhepunkt darstellt. Was man dort sieht, zeigt: Der deutsche Film ist weit besser als sein Ruf.

(Harald Mühlbeyer und Urs Spörri)

Harald Mühlbeyer arbeitet seit seinem Studium der Filmwissenschaft in Mainz als freier Filmjournalist. Seit 2014 Verleger im Mühlbeyer Filmbuchverlag. Veröffentlichungen unter anderem für epd Film, ray, kino-zeit.de, cinefacts.de, Indiekino Berlin; Redakteur bei screenshot-online.com. Buchveröffentlichungen im Schüren-Verlag: „Perception is a Strange Thing“. Die Filme von Terry Gilliam (2010) und — zusammen mit Bernd Zywietz — Ansichtssache. Zum aktuellen deutschen Film (2013). Schreibt an einem Buch über Helge Schneider.

Urs Spörri kuratiert und moderiert deutschsprachige Kinoreihen im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt/M., vor allem in Kooperation mit der Fachzeitschrift epd film die Filmreihe „Was tut sich — im deutschen Film?“ samt ausführlichen Werkstattgesprächen mit den Filmemachern. Seine regelmäßigen Festivalstationen sind der Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, die Berlinale, das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen sowie die Hofer Filmtage. Außerdem hat er selbst jahrelang das FILMZ Festival in Mainz in führender Position mitverantwortet. www.kultur-event.com / www.was-tut-sich-im-deutschen-film.de

Der erste Teil unserer Serie über den deutschen Film kann hier nachgelesen werden; der dritte Teil „Kann der deutsche Film dem Prekariat entgehen?“ findet sich hier.

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