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Der Hai und das Kino. Eine Liebesgeschichte

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Als Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ im Juni 1975 in die US-Lichtspielhäuser kam, war dies nicht nur die Geburt des Sommer-Blockbuster-Systems, durch das sich eine völlig neue Verleih- und Werbepraxis in der Kinobranche entwickeln sollte; es war auch der Beginn einer großen Liebe: zwischen dem Film und dem Knorpelfisch.

Meinungen
The Shallows

Wie das so ist, lässt die Liebe einen nicht immer gut aussehen – weshalb im Laufe der Jahre zahllose qualitativ fragwürdige Werke entstanden, in denen die Haie nicht unbedingt eine vorteilhafte Figur abgaben. Dass die Symbiose dennoch nicht in einem Trash-Tornado ihren traurigen Tief- und Endpunkt finden muss, zeigt Jaume Collet-Serras Survival-Thriller The Shallows.

The Shallows rief in der Filmkritik sehr divergente Meinungen hervor: Der Film sei besser als Alfred Hitchcocks Die Vögel (1963), jubelte der Guardian; er sei „plain awful“, meinte hingegen der Hollywood Reporter. Ein Meisterstück, das neue Maßstäbe zu setzen vermag, hat Collet-Serra gewiss nicht geschaffen; dennoch ist es ihm und seinem Drehbuchautor Anthony Jaswinski gelungen, ein Subgenre, dem jedwede Ernsthaftigkeit und damit auch jedwede Spannung abhandengekommen ist, mit einer schnörkellos und weitgehend schlüssig geschilderten Geschichte wiederzubeleben. Im Zentrum steht die Medizinstudentin Nancy (Blake Lively), die sich nach Mexiko an einen einsamen Strand begibt, um sich dort mit ihrem Surfbrett in die Wellen zu stürzen. Mutet das Ganze zunächst eher wie eine verfilmte Hochglanzbroschüre an, wandelt sich The Shallows bald zu einem Spiel mit menschlichen Urängsten, als Nancy von einem Hai angegriffen wird und keine Möglichkeit hat, an den Strand zurückzukommen. Es dürfte inzwischen allgemein bekannt sein, dass Haie nicht die Monster sind, zu denen sie im Zuge des Erfolges von Der weiße Hai stilisiert wurden. Daher ist es erfreulich, dass Collet-Serra und Jaswinski nicht den Fehler begehen, die allzu reißerische „Bigger. Smarter. Faster. Meaner.„-Strategie etlicher Nachahmer des Spielberg-Hits anzuwenden, sondern den Antagonisten der wehrhaften Heldin als reale statt als mythisch überhöhte Bedrohung inszenieren. SPON sieht genau darin – dass der Hai „keinen schillernden Charakter“ entwickelt und keiner „ganz eigenen, kranken Dynamik zu folgen“ scheint – die Schwäche von The Shallows; dieser Ansatz erlaubt es aber, das Geschehen immerhin streckenweise ernst zu nehmen, ehe es sich im Finale dann doch den Action-Konventionen beugt.

Den Hai mit ‚schillerndem Charakter‘ als Projektionsfläche aller Ängste des Publikums findet man in dem auf dem gleichnamigen Roman von Peter Benchley basierenden Vorbild aller Hai-Filme seit Mitte der 1970er Jahre: Spielbergs überaus vieldeutigem Werk Der weiße Hai. In der ersten Hälfte der Inszenierung benötigt der Hai dafür dank des genial-minimalistischen musikalischen Themas von John Williams (Da-dum … da-dum … da-dum!-da-dum!-da-dum!) nicht einmal eine Physis. Im beschaulichen Urlaubsparadies Amity an der Ostküste löst der gewaltige Fisch Panik an den Stränden aus und erfüllt so die Vorgaben des Tierhorror- und Katastrophenfilms; zudem bewirkt er, dass der Protagonist Chief Brody (Roy Scheider) seine Gattin Ellen (Lorraine Gary) und seine beiden Söhne zurücklässt, um mit dem jungen Meeresbiologen Hooper (Richard Dreyfuss) und dem Hai-Jäger Quint (Robert Shaw) in See zu stechen. Der dritte Akt wird zum Abenteuer unter Männern, die sich von der Präsenz eines gefährlichen Hais nicht davon abhalten lassen, sich im Zerquetschen von Trinkgefäßen zu duellieren, einander mit (Kriegs-)Geschichten zu beeindrucken und gemeinsam zu singen, ehe es Brody schließlich schafft, das Tier zur Strecke zu bringen.

Der weiße Hai
Bild aus Der weiße Hai von Steven Spielberg; Copyright: Universal Pictures

 

Drei Jahre später sucht allerdings ein weiterer, noch gefräßigerer Hai den US-Badeort heim: „Just when you thought it was safe to go back in the water …“, warnt die Werbezeile zu Der weiße Hai 2 (1978) von Jeannot Szwarc. Weder Taucher noch Wasserskifahrerinnen, segelnde Teenager oder Hubschrauberpiloten sind vor dem titelgebenden Fisch sicher. Chief Brody muss sich diesmal als einsamer Held bewähren; es kommt zum Showdown zwischen Mann und Hai, aus dem Ersterer erneut als Sieger hervorgeht. In Joe Alves‘ Der weiße Hai 3 (1983), der als 3D-Film in die Kinos kam, sorgt ein überdimensionales Muttertier in einem Vergnügungspark in Florida für blutiges Missvergnügen. Das überdrehte Spektakel, in welchem durch die beiden inzwischen erwachsenen Brody-Söhne (verkörpert von Dennis Quaid und John Putch) ein inhaltlicher Bezug zu den Vorgängern hergestellt wird, nimmt teilweise die Action-Klamauk-Eskapaden vorweg, die das Subgenre des Hai-Thrillers in späteren Jahren (bis heute) dominieren.

Bereits im zweiten Teil erklärt die Expertin Lureen Elkins (Collin Wilcox) mit aller gebotenen Rationalität: „Sharks don’t take things personally“. Dennoch entschied man sich bei Universal Pictures, genau aus dieser kruden Idee eine weitere Fortsetzung zu stricken: „This time … it’s personal“, lautet die tagline zu Joseph Sargents Der weiße Hai IV – Die Abrechnung (1987). Die Handlung um einen stinkwütenden, rachedürstenden Hai – der entweder ein recht betagter Verwandter oder ein Wiedergänger des ursprünglichen Hais sein muss – ergibt tatsächlich überhaupt keinen Sinn. Nach einem ersten beziehungsweise abermaligen tödlichen Angriff an der Küste von Massachusetts auf den jüngeren Brody-Sohn Sean (Mitchell Anderson) folgt der fiese Fisch der fliehenden, inzwischen verwitweten Ellen und dem älteren Sohn Michael (Lance Guest) auf die Bahamas, da er offenbar einen Blick auf deren Flugtickets erhaschen konnte oder über telepathische Kräfte verfügt. Im Karibischen Meer taucht er nach rekordverdächtig kurzer Zeit auf, um sich am restlichen Brody-Clan gütlich zu tun. Dies soll ihm allerdings nicht gelingen: Letzten Endes wird er mithilfe eines von Ellen navigierten Fischerboots aufgespießt und explodiert ohne ersichtlichen Grund in tausend Stücke.

Der weiße Hai 4
Bild aus Der weiße Hai IV – Die Abrechnung von Joseph Sargent; Copyright: CIC



Es ist einleuchtend, dass Der weiße Hai IV als eine der größten Katastrophen der Filmgeschichte gilt. Man sollte das Werk aber womöglich eher als Verfilmung eines Albtraums der schwer traumatisierten Protagonistin begreifen: Vielleicht ist Der weiße Hai IV in seiner wirren Traumlogik gar ‚david-lynch-iger‘ als sämtliche David-Lynch-Filme; auf jeden Fall gleicht er in seiner Darstellung des Grauens mehr der Nightmare-on-Elm-Street-Reihe als den üblichen Hai-Schockern. Er zeigt die Verwüstungen, die die Geschehnisse eines Horrorfilms im Innenleben einer beteiligten Figur hinterlassen können. So ist es denkbar, dass auch die überlebende Heldin aus The Shallows eines Tages unter Albträumen zu leiden haben wird, die der Wirrnis von Der weiße Hai IV nicht unähnlich sein könnten. Interessant ist, dass die beiden Produktionen ihre Stalker-Story zwischen einer Frau und einem Raubtier ganz unterschiedlich erzählen. Während sich der Hai in Sargents sequel wie ein schwimmender Dämon ausnimmt, ist er bei Collet-Serra und dessen Drehbuchautor Jaswinski zwar ebenfalls eine veritable Gefahr, in seinem Verhalten allerdings – wie schon erwähnt – durchaus plausibel angelegt: Dass er sich genau vor diesem Strand aufhält, ist auf einen im Wasser treibenden Wal-Kadaver zurückzuführen; die Surferin Nancy befindet sich somit zu ihrem Unglück inmitten des Futterplatzes des Hais – was diesen zu ihrem Gegner, nicht aber zu einem Freddy Krueger mit Dreiecksflosse macht.

Shallows
Bild aus The Shallows von Jaume Collet-Serra; Copyright: Sony Pictures Releasing

 

Zwischen Der weiße Hai und The Shallows wurde eine erstaunliche Anzahl von Filmen mit Hai-Sujet gedreht. Zu den kuriosesten zählt The Last Jaws – Der weiße Killer (1981) des Italieners Enzo G. Castellari: Da das Werk in Teilen eine derart dreiste Kopie von Der weiße Hai und dessen erster Fortsetzung ist, ging das Universal-Filmstudio sogar gerichtlich gegen die Macher vor und konnte ein US-Aufführungs- sowie Auswertungsverbot erzielen. In Deep Blue Sea (1999) werden genmanipulierte Haie für einen routiniert gefertigten Actionstreifen nutzbar gemacht; in Open Water (2003) dienen die Meeresbewohner als Lebensbedrohung für ein touristisches Paar in einem found-footage-Szenario. B-movies wie Shark Night 3D (2011), Dark Tide (2012) oder Bait 3D – Haie im Supermarkt (2012) verknüpfen ihre schlichten Plots indes recht halbherzig mit tragischen Hintergrundgeschichten ihrer Hauptfiguren. Die notorische Billigfilm-Schmiede The Asylum konnte mit ihrer Sharknado-Reihe (seit 2013) eine beachtliche Anhängerschaft gewinnen und einen gewissen Hype samt virtuellem Gezwitscher entfachen. Der erste Teil bedient mit seinem Protagonisten Fin (Ian Ziering) das Klischee des everyday man, der im Laufe der Handlung über sich selbst hinauswächst – mit markigen Sprüchen, Kettensäge und sowohl männlichen als auch weiblichen sidekicks im Kampf gegen den beißwütigen Hai-Schwarm. Eine Weiterentwicklung der Figur war in den folgenden drei Teilen allerdings kaum noch möglich. Fins (Ex-)Gattin April (Tara Reid) wandelt sich hingegen vom funktionslosen Beiwerk mit verkniffener Miene (Teil 1) zur alles überstrahlenden Heroine (Teil 4). Die Tatsache, dass die Frau (aufgrund hanebüchener Wendungen) erst zu einer Art Terminatrix werden muss, um sich ebenfalls effizient wehren zu können, macht die bisherige Tetralogie wahrlich nicht zu einer Sternstunde des filmischen Feminismus; doch immerhin wurde nun wohl auch in den Niederungen des Hai-Films das Potenzial weiblicher Hauptfiguren erkannt.

Sharknado 4
Bild aus Sharknado 4 – The 4th Awakens von Anthony C. Ferrante; Copyright: Syfy

 

Um die anhaltende Liebe zwischen Film und Hai auf den Punkt zu bringen, sei abschließend ein themenfremdes Zitat aus der Sitcom Will & Grace herangezogen: „My love for you is like this scar … ugly, but permanent.“ Es bleibt abzuwarten, was diese Liebe in Zukunft noch hervorbringen wird.

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