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Der ewige Reisende

Ein Beitrag von Katrin Doerksen

Zahlreiche Filmemacher, darunter auch die Argentinierin Lucrecia Martel, wollten schon Héctor Germán Oesterhelds bahnbrechenden Science-Fiction-Comic „El Eternauta“ verfilmen. Wieso ist eigentlich nie etwas daraus geworden?

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El Eternauta
El Eternauta

„Ich bin auf der Erde, nehme ich an …“. Das sind die ersten Worte des Eternauta, gerichtet an den Comiczeichner, in dessen Stuhl er sich Augenblicke zuvor aus dem scheinbaren Nichts materialisiert hat. „Nie zuvor habe ich einen solchen Blick gesehen“, beschreibt eben jener Comiczeichner nach dem ersten Schock den Eindruck seines Gegenübers. „Den Blick eines Mannes, der so viel gesehen haben musste, dass er eine Art allumfassendes Verständnis erlangt hatte.“

Der Comiczeichner und der ewige Reisende sind Figuren aus El Eternauta, dem wichtigsten argentinischen Comic Strip, erschienen 1957 bis 1959 im wöchentlichen Magazin Hora Cero Semanal, geschrieben von Héctor Germán Oesterheld und gezeichnet von Francisco Solano López. Zahlreiche Filmemacher wollten El Eternauta in der Vergangenheit auf die große Leinwand bringen: Der argentinische Altmeister Adolfo Aristarain, der seine politischen Dramen während der Diktatur durch die Zensur schmuggelte, indem er, so erzählt er es selbst, die Zensoren mit erotischen Szenen ablenkte. Pino Solanas, der mit seinem den Neokolonialismus in Südamerika anprangernden Film La Hora de los Hornos – Die Stunde der Feuer 1968 zu einem Pionier des sogenannten Dritten Kinos wurde. Gustavo Mosquera, der 1996 mit dem Science-Fiction-Film Moebius einen der Klassiker des jüngeren argentinischen Kinos schuf. Sie alle scheiterten an El Eternauta, zumeist an finanziellen Hürden.

 

Stiller Tod

„Comicautor …“, wundert sich der Eternauta, „Na, das ist ja ein Zufall … Bei so vielen Möglichkeiten ausgerechnet hier zu landen …“ Dann beginnt er seine Geschichte zu erzählen. Die unglaubliche Geschichte eines zum Zeitreisen Verdammten, die damit beginnt, dass über Buenos Aires ein toxischer Schnee hernieder geht, der jedes Leben, das er berührt, sofort tötet. Der Protagonist Juan Salvo und einige seiner Freunde überleben lediglich, weil sie es schaffen, das Haus, indem sie kurz zuvor noch Karten spielten, hermetisch abzuriegeln. Erst in umfunktionierten Taucheranzügen trauen sie sich Stunden später heraus und finden sich als letzte Überlebende in einem Kampf gegen außerirdische Invasoren wieder.

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„Ich hörte zu, den ganzen Rest jener Nacht tat ich nichts anderes als zuzuhören. Es war, wie er sagte: Als er zum Ende kam, war alles klar. So klar, dass es mir Angst einjagte. So klar, dass ich unendliches Mitgefühl für ihn empfand. Aber ich will nichts vorwegnehmen: Ich werde die Geschichte des Eternauta berichten, ganz so, wie er sie mir erzählt hat!“

Dass El Eternauta über ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung vor allem in Südamerika eine ausgesprochen lebendige Legende umrankt, liegt zu einem großen Teil an der Geschichte seines Autors. Der 1919 geborene Schriftsteller und Journalist Héctor Germán Oesterheld, Sohn einer Baskin und eines Deutschen, schrieb seinen Comic über die Invasion einer feindlichen Übermacht knapp zwanzig Jahre vor der Argentinischen Militärdiktatur unter Jorge Rafael Videla. Sein Werk wird heute in erster Linie als Antizipation, als Vorahnung gelesen. Auf gespenstische Weise fängt El Eternauta ein, wie die Grundwerte einer Gesellschaft absterben, wenn sich niemand mehr auf die Straße traut, wenn an jeder Ecke der Tod lauert.

„Wohin man auch sah, über alles legte sich der Schnee. Unwirklicher Schnee, Zeichentrickschnee. Todbringender, furchtbar tödlicher Schnee …“

 

Aus dem Untergrund

Héctor Germán Oesterheld; Public Domain
Héctor Germán Oesterheld; Public Domain

Noch im Jahr 1969 – Argentinien steckte zu dieser Zeit schon in einer ausgewachsenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise – schrieb Oesterheld eine neue Version seines berühmtesten Comics. Diesmal mit den wesentlich düsteren, geradezu expressionistischen Zeichnungen von Alberto Breccia und bestimmt von deutlich klarer artikulierter Kritik am Regime seines Landes und dem Imperialismus der Vereinigten Staaten. Angesteckt vom politischen Aktivismus seiner vier Töchter Estela, Diana, Beatriz und Marina ging er kurz darauf in den Untergrund und schloss sich einer linken Guerilla-Bewegung, den Montoneros an.

Es gibt kein Grab von Héctor Germán Oesterheld. Nicht einmal ein Todesdatum. Er gehört zu den desaparecidos, den Verschwundenen, den von staatlichen Kräften heimlich Entführten, Gefolterten, Getöteten. Augenzeugenberichte sprechen davon, Oesterheld zuletzt zwischen November 1977 und Januar 1978 in einem Folterlager gesehen zu haben, das den sarkastischen Spitznamen „Sheraton“ trug. Danach verliert sich seine Spur. Auch die vier Töchter und ihre Ehemänner wurden ermordet. Nur Oesterhelds Witwe Elsa kämpfte gemeinsam mit zwei überlebenden Enkeln bis zu ihrem Tod im Jahre 2015 gegen das Vergessen. 

„Der menschliche Geist ist absurd. Ich erinnere mich, dass ich im gleichen Augenblick an die Fußballspieler der ersten Liga dachte. Konnte es sein, dass sie alle ihr Ende gefunden hatten? Dass eine ganze Mannschaft auf einen Schlag nicht mehr existierte? Ich schüttelte den Kopf, ich glaube, das Gehirn klammert sich an solche Gedanken, um nicht den Verstand zu verlieren.“

Im Jahr 2008 präsentierte die argentinische Regisseurin Lucrecia Martel ihren viel gelobten Film Die Frau ohne Kopf bei den Filmfestspielen von Cannes, ein Drama über eine Frau aus der Oberschicht von Buenos Aires, deren Leben nach einem Autounfall aus den Fugen gerät. Kurz darauf die ersten Meldungen in den einschlägigen Online-Portalen: Lucrecia Martel verfilmt El Eternauta, als Produzenten sind neben argentinischen und italienischen Firmen auch Pedro und Agustín Almodóvars spanische Firma El Deseo beteiligt. „Viele Fans des Comicstrips sind entsetzt, dass ausgerechnet ich daran arbeiten werde,“ kommentierte sie in einem Interview mit Film Comment.

 

Das Grauen in den Straßen

Gute zehn Jahre, eine längere, krankheitsbedingte Pause und einen Film von Martel später existiert die Adaption von El Eternauta noch immer nicht. Das Drehbuch war fertig, die Besetzung stand (unter anderem castete die Filmemacherin den Mexikaner Daniel Giménez Cacho, der später die Titelfigur in ihrem nächsten Film Zama spielen sollte) und im November 2009 tauchte sogar ein kurzer test reel auf, der einen vorläufigen Eindruck vom zu erwartenden Stil des Films gab. Deutlich sind darin die Skyline und das Fußballstadion von Buenos Aires zu erkennen. Schon im Comic gehörte die Verankerung der Geschichte in einer real existierende Topografie zu den ganz großen Besonderheiten: Oesterheld hantierte mit Soft-Science-Fiction, mit Außerirdischen, insektenhaften Monstern und gar Zeitmaschinen – aber er holte das Grauen in die Straßen, die seine Leser jeden Tag bevölkern.

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„Jene totale Stille, die auf einen Schlag jeden Laut hatte verstummen lassen, war überwältigend; all die zig Geräusche, die in der Stadt sonst zu hören sind, selbst mitten in der Nacht, waren vollständig versiegt. Das Radio blieb stumm.“

Lucrecia Martel wollte diese klare Verortung unter allen Umständen beibehalten, sie jedoch unter andere Vorzeichen setzen: „Eine Sache, an der ich gearbeitet habe und die mir gefiel, ist, wie sich die Überlebenden verändern, wie sich die Räume der Stadt transformieren. Das hat mir gefallen, weil es mich so an 2001 erinnerte, als die Leute auf die Straße gegangen sind [Höhepunkt der argentinischen Wirtschaftskrise und Rücktritt des Präsidenten Fernando de la Rúa; Anm.d.Red.]. Die Stadt verändert sich sehr, wenn es zu einer Übernahme der Straße kommt, dann gibt es keine klare Unterscheidung mehr zwischen drinnen und draußen. Normalerweise weist dir die Stadt Plätze für deine wirtschaftliche und soziale Situation zu – du kannst zum Beispiel in eine Bar gehen, aber nicht in ein Fünf-Sterne-Hotel. Aber wenn die Stadt nicht mehr funktioniert, ist sie für den überlebenden Bürger gänzlich verfügbar. Zum Beispiel für einen Jungen aus dem Dorf: Er kann sich im ganzen Raum bewegen. Das ist vielleicht nur von kurzer Dauer […] aber es ist eine Zeit großen Reichtums.“ 

El Eternauta; Fair Use
El Eternauta; Fair Use

Außerdem wollte sich Martel von der gängigen Lesart El Eternautas befreien: „Ich sehe es nicht so sehr als eine Antizipation der Diktatur. Ich denke, das ist eine Lesart aus der Retrospektive … Was ich interessant fand, war, dass diese Arbeit viele von uns in der Pubertät geprägt hat, insbesondere die Jungen, weil nur wenige Frauen das so früh lasen. […] Es schien mir, dass […] man nicht nur El Eternauta filmisch würdigen sollte, sondern es zum Ausgangspunkt nehmen sollte, um erneut über die Zivilisation nachzudenken. Mir gefiel auch die Idee das Konzept des Feindes noch einmal zu überdenken.“

„Uns ging es wie Robinson, anstatt auf einer Insel waren wir gefangen in unserem eigenen Haus. Nicht das Meer umgab uns, wohl aber der Tod.“

 

Lucrecia wartet

Lucrecia Martels freie Adaption, ihre Pläne El Eternauta zur Parabel auf Macht und soziale Klassen in Buenos Aires zu machen, stieß auf Gegenwehr. Es habe Streitigkeiten um Geld gegeben, hieß es, mangelndes Vertrauen zwischen den Produzenten und der Regisseurin. Und so endet die Geschichte der Verfilmung von El Eternauta ähnlich wie der Comic selbst: Gefangen in einer Zeitschleife, die einen immer wieder mit der Frage nach den eigenen Möglichkeiten konfrontiert: Was wird sein und was hätte sein können? Martel hatte einen Ausweg aus diesem Kreislauf gesehen: Ihr Drehbuch endete damit, dass die Überlebenden den Fluss Paraná bis hinauf in die paraguayische Hauptstadt Asunción segeln. Nach den zwei Jahren vergeblicher Arbeit am Film tat die Regisseurin dasselbe: „Um vor El Eternauta zu flüchten, nahm ich ein Boot flussaufwärts – ein altes hölzernes Boot, absolut inadäquat für diese Reise. Ich wollte ebenfalls Asunción erreichen, aber ich habe es nicht geschafft. Auf diesem Boot habe ich Zama gelesen.“

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Antonio di Benedettos Zama wartet – ein Klassiker lateinamerikanischer Literatur – nahm sich Lucrecia Martel als nächstes Filmprojekt vor. Auf den ersten Blick könnte das langsam erzählte Historiendrama über einen in die Provinz versetzten Kolonialbeamten, der auf seine Rückbeorderung nach Buenos Aires wartet, kaum weiter entfernt sein vom Science-Fiction-Horror des Eternauten. Wer danach sucht, wird in Zama aber Rückstände finden, die von einer eingehenden Beschäftigung mit El Eternauta zeugen. Nicht nur, weil der Protagonist ebenfalls allein auf verlorenem Posten steht. Nicht nur, weil Martel dafür erstmals mit Musik arbeitete, die klingt, als käme sie aus einer anderen Welt:

„Als ich darüber nachdachte diesen Comic zu adaptieren, der in der Zukunft spielt, bin ich immer wieder zur Frage zurückgekehrt, wie wir die Zukunft darstellen. Selbst eine etwas seltsame Version der Zukunft, denn der Comic stammt ja aus den 1950er Jahren – die damalige Version der Zukunft. All diese Fragen ließen mich auch darüber nachdenken, wie wir die Vergangenheit darstellen. Normalerweise nähern wir uns der Vergangenheit mit weniger Freiheit als der Zukunft. Science-Fiction verbindet man daher mit unendlichen Möglichkeiten, bei einem Historienfilm will man sich hingegen immer möglichst nah an die Fakten halten. Als ich mich dafür entschieden habe Zama zu verfilmen, habe ich beschlossen es mit der gleichen Freiheit zu adaptieren wie zuvor schon El Eternauta. Auch aus politischen Gründen.“ 

„… denn dieser Kampf hat allen geholfen, die sich gegen SIE auflehnen, er hat ihnen gezeigt, dass es noch intelligente Spezies gibt, die entschlossen sind, bis zum letzten zu kämpfen …“

 

Fortsetzung folgt

Weder private Rückschläge noch die schwierige Produktionsphase von El Eternauta oder Zama hinderten Lucrecia Martel daran, ihren eigenen Ansprüchen treu zu bleiben. Zuletzt wurde das deutlich, als sie im Dezember 2018 darüber sprach, den Regieposten bei der Marvel-Verfilmung Black Widow abgelehnt zu haben, nachdem man ihr nahegelegt hatte, sich nicht um die Actionszenen zu sorgen, man werde sich schon selbst darum kümmern. Es bleiben uns also fürs Erste nur die wenigen kursierenden Informationen und unsere Fantasie, um uns vorzustellen, wie ein Science-Fiction-Film von einer Regisseurin mit derart klaren Prinzipien und Vorstellungen ausgesehen hätte. Dass ausgerechnet aus der Verfilmung der Geschichte eines nie ankommenden Reisenden nichts wurde, macht sie zu einem umso nachhaltigeren Symbol für die Kraft ihres Mediums: Ein Comic, der sich aus so vielen verschiedenen Perspektiven betrachten lässt, dass man sich an ihm auch Jahrzehnte nach seiner Entstehung noch die Zähne ausbeißen kann.

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Zuletzt vermeldete im November 2018 der spanische Horrorfilmemacher Alex de la Iglesia sein Interesse, El Eternauta auf die große Leinwand zu bringen. Die Zukunft wird zeigen, ob etwas daraus wird. Bis dahin endet die Geschichte genau wie eine Episode eines Comic Strips, deren letzte Worte „Fortsetzung folgt“ stets alle Möglichkeiten offenlassen.

„Jetzt kennen Sie meine Geschichte, Señor. Jetzt wissen Sie, warum ich mich als Eternauta vorstellte, als Reisender durch die Ewigkeit.“

 

Kursiv gedruckte Zitate übernommen aus:

Héctor G. Oesterheld/Francisco Solano López: Eternauta. avant-verlag, Berlin 2016.

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