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Davis und Crawford - Pionierinnen aus dem Hollywood-System

Ein Beitrag von Andreas Köhnemann

Nach ihrer Jury-Tätigkeit auf dem Festival de Cannes 2017 kritisierte die Schauspielerin Jessica Chastain (Zero Dark Thirty, Die Erfindung der Wahrheit) in einer Pressekonferenz die Darstellung von Frauen auf der Kinoleinwand, die sie als „quite disturbing“ empfand.

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Was geschah wirklich mit Baby Jane
Szene aus "Was geschah wirklich mit Baby Jane"

Auch viele ihrer Kolleginnen – etwa Meryl Streep, Patricia Arquette oder Emma Watson – haben in den vergangenen Jahren ihr Befremden über den Mangel an Geschlechtergerechtigkeit in der Filmindustrie geäußert; Geena Davis, die in den 1980er und 1990er Jahren mit Werken wie Beetlejuice oder Thelma & Louise zu den großen Stars in Hollywood zählte, gründete 2004 das Geena Davis Institute on Gender in Media, um sich der weiblichen Repräsentation in der Unterhaltungsbranche zu widmen.

Der aktive Kampf gegen klischeehafte Frauenrollen sowie gegen systemimmanenten Sexismus ist jedoch kein neues Phänomen, sondern wurde bereits im rigiden, patriarchalischen Studiosystem der Traumfabrik (in den 1930er bis 1960er Jahren) ausgetragen – so zum Beispiel von Bette Davis und Joan Crawford, die heutzutage gewiss eher als exzentrische, verfeindete Diven einer vergangenen Ära denn als feministische Vorreiterinnen wahrgenommen werden.

Die Karrierewege von Davis und Crawford sind höchst unterschiedlich. Erstere genoss eine Theaterausbildung, ehe sie nach Hollywood kam – und dort nach zähem Start zum oscarprämierten Star wurde, obwohl sie nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprach. Für ihre Leistungen in Filmen wie Jezebel – Die boshafte Lady (1938) oder Die kleinen Füchse (1941) erhielt Davis Anerkennung als Charaktermimin; sie eckte aber auch immer wieder an.

Im Jahre 1936 begann sie einen Rechtsstreit mit Warner Bros., in welchem sie mehr Mitspracherecht bei der Wahl sowie der Umsetzung ihrer Rollen forderte und zudem die schlechten Arbeitsbedingungen bei den Drehs des Studios beanstandete. Die Klage wurde jedoch abgewiesen. Als sie 1941 als erste Frau die Präsidentschaft der Academy of Motion Picture Arts and Sciences übernahm, stieß sie mit ihren radikalen Ideen rasch auf Widerstand und trat schon nach wenigen Monaten von ihrem Amt zurück, als sie feststellen musste, dass sie in dem Komitee „merely as a figurehead“ fungieren sollte. Etliche ihrer Vorschläge wurden allerdings später (unter einem Mann im Vorsitz) tatsächlich verwirklicht.

Die als Lucille Fay LeSueur geborene Crawford gelangte hingegen über den Revue-Tanz zum Film. Während sie zunächst (noch in Stummfilmtagen) als flapper Aufsehen erregte, wandelte sich ihr Image später: Crawford verkörperte junge Frauen, die durch Fleiß ein selbstbestimmtes Leben anstreben. Als sie keine Möglichkeiten zur künstlerischen Entfaltung mehr für sich sah, wechselte sie von MGM zu Warner Bros. und erhielt 1946 für ihre Darstellung der Mildred Pierce in Solange ein Herz schlägt einen Oscar.

Darüber hinaus war sie im Vorstand von Pepsi Cola, nachdem ihr Gatte – der Ex-Vorstandsvorsitzende Alfred Steele – verstarb. Crawford trat an Davis heran, um sie als Co-Star für Was geschah wirklich mit Baby Jane? zu gewinnen; beide Schauspielerinnen befanden sich in puncto Film Anfang der 1960er Jahre in einem Karrieretief. Die von Robert Aldrich inszenierte Schwarz-Weiß-Adaption des gleichnamigen Romans von Henry Farrell über das fatale Abhängigkeitsverhältnis zwischen zwei Schwestern wurde letztlich mit niedrigem Budget in nur drei Wochen abgedreht, da kaum jemand in einen Film mit „two old broads“ investieren wollte, wie Davis 1969 bei einer Q&A-Runde auf dem San Francisco International Film Festival erläuterte. Der groteske, brutale und zutiefst erschütternde Mix aus Psychothriller und Melodram erwies sich jedoch als großer Erfolg.

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Trailer zu Was geschah wirklich mit Baby Jane?

 

Was Davis und Crawford neben den gemeinsamen Dreharbeiten zu Was geschah wirklich mit Baby Jane? verbindet, sind die Courage und Beharrlichkeit, die beide in ihrer Laufbahn demonstrierten: „Die Davis drehte über hundert Filme, die Crawford brachte es auf über achtzig. Die Zahlen sprechen für sich“, schreibt Jens Wawrczeck in seinem Text Bette & Joan – So nah und doch so fern. In ihrer Produktivität ging es gleichwohl nicht um Masse, sondern um Klasse; beide waren in ihrer Rollenwahl äußert anspruchsvoll. „I’d play Wallace Beery’s grandmother, if it’s a good part“, soll Crawford erwidert haben, als sie gefragt wurde, weshalb sie den vergleichsweise kleinen, aber interessanten Part in George Cukors Die Frauen (1939) angenommen habe.

Davis und Crawford gelang es, noch zu Lebzeiten zu Legenden zu werden. Aber bei beiden verlief der filmische Werdegang nach Was geschah wirklich mit Baby Jane? eher enttäuschend; überdies wurde das Ansehen beider Schauspielerinnen (in Crawfords Falle posthum) durch umstrittene Autobiografien ihrer Töchter massiv beschädigt, da diese darin beschrieben, wie sehr sie unter ihren Müttern zu leiden hatten. Die von Frank Perry in Szene gesetzte Adaption Meine liebe Rabenmutter (1981), die das schwierige, von physischer und psychischer Gewalt geprägte Aufwachsen von Crawfords Adoptivtochter Christina schildert, zeigt die von Faye Dunaway verkörperte Titelfigur als monströses Wesen, das etwa mit einer großen Gartenschere in einem Rosenbeet wütet oder der Tochter in einem absurden Wut-Taumel die Haare abschneidet und (mit unvorteilhafter Crememaske im Gesicht) einen horrorfilmwürdigen Tobsuchtsanfall bekommt, weil Christina ein teures Kleid auf einen billigen Drahtbügel gehängt hat.

Die Momente der mütterlichen Strafe und Grausamkeit sowie die Sequenzen, die Crawford als Star und Geschäftsfrau einfangen, sind durch die völlige Übertreibung in der Gestaltung und in der Darbietung Dunaways irritierend campy; die eigentliche Ernsthaftigkeit und Tragik des Sujets geht gänzlich verloren. Das extrem subjektiv erzählte Werk interessiert sich offenkundig gar nicht für Crawfords Hintergrundgeschichte, für die Herkunft und für die Erlebnisse der Schauspielerin – vielmehr bedient es das Klischee, dass eine ehrgeizige und erfolgreiche Frau zwangsläufig gefühlskalt und böse sein muss.

Meine liebe Rabenmutter
Bild aus Meine liebe Rabenmutter; Copyright: Paramount Pictures

 

Etwas differenzierter geht die Fernsehserie Feud vor, in welcher die Rivalität zwischen Davis und Crawford (gespielt von Susan Sarandon und Jessica Lange) thematisiert wird. Sarandon und Lange legen ihre Rollen durchaus komplex an; dennoch hat die Pay-TV-Produktion etwas Kolportageartiges, indem sie die Scharmützel der beiden Kinostars genüsslich ins Zentrum rückt. „Fehde ist ein Hollywood-Wort“, hatte Davis in ihren 1987 publizierten Memoiren This ‚N That in Bezug auf ihr heiß diskutiertes Verhältnis zu Crawford geschrieben. Dass zwei arrivierte Frauen sich gegenseitig hassen und sich einen „Zickenkrieg“ liefern müssen, ist ein unerschütterliches Narrativ, auf das die (Klatsch-)Presse bis heute – etwa im Falle der letztjährigen Oscar-Kandidatinnen Jennifer Lawrence und Brie Larson – allzu gerne zurückgreift.

Feud
Bild aus Feud; Copyright: FX Networks

 

Davis und Crawford sind weit mehr als zwei schrille Damen aus erloschenen Kinozeiten. Sie sind Frauen, die durch Begabung und Disziplin in einem männerdominierten System etwas (nein: verdammt viel!) erreicht haben. Sie sind Frauen, die die befremdliche Ungleichheit in diesem System früh erkannten – und die sich zeit ihres Lebens dagegen zur Wehr zu setzen wussten.

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