zurück zur Übersicht
Features

Das Horrorkino und die Langeweile der Attraktion

Ein Beitrag von Lars Dolkemeyer

Ist das Horrorkino noch lebendig? Kann es immer noch überraschen und ängstigen? Oder kann es nur noch per jump scare erschrecken?

Meinungen
The Conjuring

Mit The Conjuring 2 (James Wan, 2016) wurde eine das Horrorkino der vorigen Jahre prägende Reihe fortgesetzt. Gemeinsam mit The Conjuring (James Wan, 2013) und dem Spin-Off Annabelle (John R. Leonetti, 2014) sind die Filme Ausdruck einer bestimmten Ästhetik, die spätestens seit Paranormal Activity (Oren Peli, 2009) fest zum Mainstream des Genres gehört.

Diese Ästhetik ließe sich mit den Worten des britischen Filmkritikers Mark Kermode etwa als „quiet-quiet-BANG!“ bezeichnen – als eine Ästhetik des sogenannten jump scares, des Zuschauer-Schocks durch eine visuelle und akustische Überraschung. Jedoch wird nicht nur bei Mark Kermode Kritik an diesem Phänomen lauter: Hat sich der jump scare womöglich abgenutzt und das Horrorkino in eine Sackgasse manövriert? Wie steht es um das Genre und seine Möglichkeiten?

In den vorigen Jahren hatte dieser bestimmte Typ Horrorfilm besondere Konjunktur. Reihen wie Paranormal Activity (2009-2015) und The Conjuring (seit 2013) könnten hier etwa durch Filme wie Insidious (James Wan, 2011) und Sinister (Scott Derrickson, 2012) ergänzt werden – Filme, die wiederum eigene Reihen herausgebildet haben. Neben ihrem außergewöhnlichen finanziellen Erfolg und einigen personellen Überschneidungen lassen sich in diesem Horror-Mainstream vor allem zwei Gemeinsamkeiten ausmachen: Zunächst entsteht in den Filmen der Horror narrativ durch einen Ort, der von dämonischen Kräften besessen ist. In der Regel handelt es sich dabei um das fest in der Horror-Tradition verankerte haunted house, gelegentlich jedoch auch um Gegenstände, die von Dämonen oder anderen unangenehmen Wesen heimgesucht werden. Im Fall von Annabelle zum Beispiel die rothaarige Puppe oder im australischen Überraschungserfolg The Babadook (Jennifer Kent, 2014) das Aufklapp-Bilderbuch mit Eigenleben.

Über das narrative Gerüst dieser Filme hinaus ist zudem die bereits erwähnte Inszenierungsweise des Horros auffällig: Der jump scare als gemeinsames ästhetisches Prinzip und Attraktion für ein breites Kinopublikum. Doch obwohl er gerade in jüngster Vergangenheit allgegenwärtig scheint, ist er keineswegs eine neue Erfindung – der Genre-Fan mag sich mit wohligem Schauer etwa an das berühmte Ende von Friday the 13th (Sean S. Cunningham, 1980) erinnern. Neu sind nur die Dichte, in der diese Art des Schocks auftritt, und die hohe Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Filmen. Ein gruseliges Haus, eine naive Familie mit unschuldigen Kindern und ein dämonischer Mitbewohner werden präsentiert in einem Wechselspiel aus stillen Sequenzen und plötzlichen Überraschungen. Wo aber liegt der Reiz daran, offenbar immer wieder von Film zu Film auf die gleiche Art und Weise im gleichen Setting erschreckt zu werden?

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen


(Ein Jump-Scare-Klassiker in Friday the 13th; Spoiler-Gefahr!)

Julian Hanich beschreibt die ästhetischen Strategien, die zur Reaktion des jump scares führen, in seiner ausführlichen Untersuchung Cinematic Emotion in Horror Films and Thrillers. Der filmische Schock entsteht aus dem bereits beschriebenen Wechsel einer entspannten, ausgedehnten und stillen Sequenz in einen plötzlichen Moment der visuellen und akustischen Überraschung. Der Zuschauer ist gebannt vom Geschehen, unerwartet trifft ihn eine plötzliche Bewegung, ein schneller Schnitt, begleitet von einem lauten Geräusch und einem entsprechenden musikalischen Akzent. Damit einher geht die körperliche Reaktion der plötzlichen Anspannung und ihrer Entladung – der namensgebende (nicht immer nur metaphorische) Sprung aus dem Kinosessel, das anschließende erleichterte Lachen im Saal. Es ist naheliegend, dass diese Strategien vor allem in Filmen anzutreffend sind, deren Horror in und um Häuser entsteht. Das Haus bietet schlicht eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit visuellen Überraschungen hinter Wänden, in dunklen Ecken, durch Spiegel, auf Dachböden und in Kellern zu arbeiten, die zugleich etwa mit dem Knarren, Klappern, Schlagen und Bersten der Fenster und Türen eine entsprechende akustische Klangwelt bieten.

Häufig wird, so auch bei Hanich, der Reiz des Horrorfilms mit einem Verlust der unmittelbaren Erfahrung von Wirklichkeit begründet – spätestens seit dem Anbruch des digitalen Zeitalters bieten diese Filme eine scheinbar verlorengegangene Erfahrung des eigenen Körpers in all seiner Lebendigkeit. Der jump scare hebt für einen kurzen Augenblick im Angesicht des grauenerregenden Todes das eigene Leben als körperliche Reaktion in den Vordergrund: Wenn ich zucke und schreie, bin ich lebendig. Die Bedingung für das Gelingen des Schocks ist dabei immer die Überraschung des Zuschauers, der das plötzliche Auftauchen eines erschreckenden Elements natürlich nicht kommen sehen darf. Bei allzu generischen Horrorfilmen ist dies immer schon ein häufig bemängeltes Problem gewesen: Wenn ich weiß, wann der Film mich nachdrücklich zur Angst regen möchte, passiert genau dies nicht. Nur wenn der Film es schafft, mich unerwartet zu treffen, entsteht die besondere Freude daran, sich der Attraktion des Schocks hinzugeben. Es ist die Freude, die nicht zufällig auch oft mit Achterbahnen oder Jahrmarktsattraktionen verglichen wird und darin Anschluss an Tom Gunnings berühmten Begriff vom „Kino der Attraktionen“ findet: Die Narration tritt in den Hintergrund und es entsteht ein Raum für das aufregende Spektakel, für die Konfrontation des Zuschauers mit dem Visuellen und seiner Freude daran. Doch wenn sich nun nicht nur die Existenz des jump scares, sondern sogar sein besonderer Reiz begründen lässt – warum wird er immer häufiger angefeindet, warum sinken die Zuschauerzahlen der großen Reihen, wenn auch nicht bedenklich, so doch spürbar?

Conjuring
Bild aus The Conjuring von James Wan; Copyright: New Line Cinema

Die Ablehnung lässt sich einerseits auf der einfachen Ebene eines gewissen Anspruchs erklären: Der jump scare ist bei aller Begeisterung eben doch nur eine Attraktion, eine – vorsichtig formuliert – nicht allzu intellektuelle Art und Weise, dem Zuschauer Angst einzujagen. Und natürlich gibt es Menschen, die dem Genre als solchem nicht viel abgewinnen können und den jump scare als einen besonders offensichtlichen Effekt umso stärker ablehnen. Damit ist aber andererseits noch nicht erklärt, warum selbst Genre-Fans genug davon haben, sich immer wieder vom „quiet-quiet-BANG!“ dem Herzinfarkt näherbringen zu lassen.

Doch auch der hartgesottene Horror-Liebhaber kann sich ab einem gewissen Punkt einer Übersättigung nicht entziehen – und genau dieser Punkt scheint erreicht. Der enge konventionelle Rahmen, den der jump scare benötigt, bietet dessen hohe Effektivität – genau das macht dieses Prinzip so simpel und so erfolgreich, aber auch so angreifbar. Das Problem, das nun durch die Überreizung dieses Effekts entsteht, liegt in der Sache selbst: Der Zuschauer darf den Schock nicht erwarten. Doch genau diese Erwartung stellt sich ein, wenn man mit den ästhetischen Strategien des gegenwärtigen Horrorkinos vertraut ist. Es rächt sich schließlich die simple Art und Weise der Angsterzeugung an dem Punkt, an dem ein halbwegs erfahrener Zuschauer die Sekunden zwischen „quiet-quiet“ und „BANG!“ herunterzählen kann – und viel zu häufig darin bestätigt wird.

Es soll nun keineswegs der jump scare als solcher kritisiert werden – der Effekt bringt, balanciert eingesetzt, genau die oben beschriebene Freude. Das Problem ist nicht der simple Schock – warum schaue ich schließlich Horror-Filme, wenn nicht aus der Freude an meiner Angst? Wenn aber genau die Emotionen ausbleiben, wegen derer ich mich immer wieder auch noch in die schlimmsten C-Produktionen setze, und ich stattdessen beinahe gelangweilt vorhersagen kann, wann welches „BANG!“ aus welcher Ecke der Leinwand ins Bild springen wird – dann verfehlt das Genre im gegenwärtigen Zustand sein Ziel.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen


(Langsam, aber nicht langweilig: Horror in It Follows)

Doch die Hoffnung scheint noch nicht verloren. Die Liebe zum Horror und die Lust am Grusel sind viel zu groß, um nun beleidigt den Saal zu wechseln. Das Genre überzeugt zunehmend mit kleineren Filmen, die zeigen, dass gegenwärtiges Horrorkino nicht auf einen einzigen Effekt beschränkt ist: The Babadook ist dabei noch am nächsten an der Ästhetik von Filmen wie The Conjuring (der übrigens für sich genommen ein großartiger Film ist), setzt aber den jump scare dezent ein und kombiniert ihn mit dem psychologischen Horror einer gestörten familiären Beziehung. Wagt man sich ästhetisch schrittweise ein wenig weiter vom Mainstream ab, gelangt man zu Filmen wie It Follows (David Robert Mitchell, 2015) – der gerade nicht über schnelle, plötzliche Bilder, sondern mit der bedrohlichen Langsamkeit eines formwandelnden Wesens funktioniert, dessen unbemerkte, schleichende Annäherung umso angsteinflößender wird. Und allein in diesem Jahr konnten schließlich zwei Filme zeigen, dass zwar auch die dominanten Franchises der vorigen Jahre mit The Conjuring 2 ihren Fortbestand haben – zugleich aber die Um- und Abwege im Genre mutiger werden: The Witch (Robert Eggers, 2016), wenn auch nicht einstimmig positiv aufgenommen, erschafft eine Art des Horrors, die den Schrecken innerhalb einer bestimmten historischen Geisteshaltung inszeniert und dabei fast völlig ohne jump scares auskommt. Auch das deutsche Genrekino meldet sich plötzlich zurück: Der bereits vielfach zurecht gefeierte Nachtmahr (Akiz, 2016) weigert sich beinahe aktiv, den Jump-Scare-Erwartungen gerecht zu werden und gestaltet sich vielmehr als atmosphärischer Versuch über das Alptraumhafte an sich, über den Schrecken aus dem eigenen Innern.

Der Nachtmahr
Bild aus Der Nachtmahr von Akiz; Copyright: Koch Media / Filmagentinnen

So ist der jump scare sicherlich nach wie vor ein prominenter Teil des Horrorkinos. Und er ist ein Teil dieses Genres, den ich nicht missen und schon gar nicht verurteilen möchte. Der jump scare funktioniert, er bereitet genau die Emotionen, die das Genre-Publikum erwartet. Das Problem ist nicht die Attraktion selbst, sondern die Langeweile ihrer Übersättigung. Es braucht nicht einfach mehr Filme wie Der Nachtmahr – es braucht vor allem größeren Mut, sich von einer bewährten Strategie zu lösen. Viele Filme, die in der letzten Zeit am Rande des Mainstreams auftauchen, beweisen diesen Mut, präsentieren eine breitere Vielfalt und zeigen: Das Horrorkino ist lebendig, es ist wandelbar, es kann immer noch überraschen und vor allem: gehörig Angst machen.

Meinungen