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Das Ende (des Kinos) - mal wieder. Eine Art Lagebericht

Ein Beitrag von Joachim Kurz

Die gegenwärtige Lage bietet nicht die Möglichkeit bestehende Verhältnisse zu überdenken, sondern die schiere Notwendigkeit. Unser Herausgeber Joachim Kurz über das Kino in Zeiten von Corona.

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Paramount Theatre in Austin, Texas.
Paramount Theatre in Austin, Texas.

Eigentlich sollte man es langsam schon gewohnt sein — das ständige Gerede vom Ende des Kinos, das den Siegeszug des Mediums in sadistischer Regelmäßigkeit begleitet und das offenbar zu den Selbstgeißelungsmechanismen einer ganzen Branche gehört — und das betrifft nicht nur Deutschland, sondern die Filmindustrie und Kinobranche weltweit. Denn in Wahrheit gehören das Jammern und das Klagen sowie die Schwanengesänge über den Tod des Kinos zu dessen ureigenster Geschichte.

Schon der Vater der Brüder Lumière, gemeinhin als Miterfinder des Kinos bekannt, prophezeite der Schöpfung seiner Söhne keinerlei Zukunft: „Junger Mann, diese Erfindung ist nicht zu verkaufen, und für Sie wäre sie der Ruin. Man kann sie einige Zeit als wissenschaftliche Kuriosität ausbeuten, aber davon abgesehen besitzt sie keine kommerzielle Zukunft“, entgegnete er Georges Méliès, als dieser an die Familie herantrat, um einen der neuen Wunderapparate zu erwerben. Wie wir heute wissen, lag Lumière senior mit dieser Einschätzung zumindest damals erheblich daneben. Und zum Glück ließ sich Georges Méliès von dieser Aussage nicht entmutigen. Wer weiß, wie die Filmgeschichte sonst verlaufen wäre.

Seitdem war das Kino immer wieder tot oder wurde totgesagt, wie André Gaudreault und Philippe Marion in ihrem überaus lesenswerten Buch The End of Cinema — A Medium in Crisis in the Digital Age herausgearbeitet haben: Das Aufkommen des Tonfilms, des Fernsehens, der Videorecorder und des Internet — dies alles sind Zäsuren, die Ängste und Untergangsszenarien beschworen, die bis heute andauern.

Und nun schickt sich eine Pandemie an, dem Kino endgültig den Garaus zu machen. Wieviele Kinos nach ihrer Schließung werden wiedereröffnen können, ist ungewiss. Ähnliche gilt für Verleiher und Produzenten, Studios und jeden anderen Teil des kinematografischen Komplexes.

 

Zunehmende Larmoyanz-Intoleranz

Wie es ausgeht, weiß keiner — auch ich nicht. Wie auch? Zu viele Unwägbarkeiten prägen derzeit die allgemeine Lage. Aus einem Land von Bundestrainern (während jeder WM und EM) und Börsenexperten (zu Zeiten des Neuen Marktes um die Jahrtausendwende und während der Finanzkrise von 2008/2009) ist eine Nation von Virologen geworden, die mit schönster Selbstverständlichkeit „Flatten-the-Curve“-Strategien, Antikörper-Tests und andere Feinheiten der Epidemologie mit mehr (eher selten) oder weniger (eher häufig) großem Sachverstand diskutiert. 

Dass die Kinos nach Ostern wieder öffnen, erscheint derzeit eher unwahrscheinlich. Horcht man in die Branche hinein, so könnte es im Juni oder Juli wieder losgehen. Dass dann das Publikum in großer Zahl die Kinos stürmen wird, ist eher fraglich. Viele Starts wurden jetzt schon in den Herbst verschoben — mit der Folge, dass sich dort noch mehr Filme als sonst ballen werden — ganz zu schweigen von den zahlreichen Festivals, die — wenn sie nicht gleich ganz abgesagt wurden — ihre 2020er Ausgaben ins Spätjahr verschoben haben. Genau in jenen Zeitraum also, an dem sowieso schon die Festivaldichte am höchsten ist. 

Wenn im Herbst — so hoffe ich — alles wieder seinen normalen, geregelten Gang geht, steht das Publikum vor einer dermaßen großen Flut an Filmen und Festivals, dass nur wenige sich durchsetzen können. Was wiederum die gerade erst überstandene Krise vor allem kleiner Player weiter anheizen könnte.

Andererseits aber bemerke ich bei mir selbst eine zunehmende Abneigung gegen all die Schwarzmalerei — so verständlich sie auch sein mag. Sicher, es ist eine brutale Zeit voller Ängste und Ungewissheiten. Und die geht an niemandem spurlos vorbei. Dennoch gibt es Möglichkeiten des Gegensteuerns, des kreativen Umgangs mit all den Schwierigkeiten und Einschränkungen, die wir gerade erfahren. Und womöglich steckt da der Kern einer Veränderung, die — wenn ich ehrlich bin — schon lange evident ist. 

 

Wie es weitergeht und wie nicht

Ich selbst bin mit gleich drei Jobs, die allesamt im Bereich Film und Kino angesiedelt sind, dementsprechend gleich dreifach betroffen — und dennoch besteht kein Grund zur Verzweiflung.

Kino-Zeit, dass seit jeher besonders im Bereich des Kinofilms gut aufgestellt ist, hat sich schnell umgestellt — allein schon deshalb, weil wir immer schon der Meinung waren, dass gute Filme unabhängig von ihrer Darreichungsform (ob im Kino, auf Festivals, auf DVDs oder im Streaming-Bereich) eine Lobby verdient haben. Denn es gibt viel mehr gute Filme, als dass alle Kinos der Welt diese auch nur annähernd gemeinsam abbilden könnten. Und es ist ja auch nicht so, dass alle Filme, die im Kino laufen, deshalb per se mit höchster künstlerischer Qualität gesegnet wären.  Sicher ist das gemeinschaftliche Filmerlebnis gemeinsam mit anderen in einem dunklen Saal ohne jede Ablenkung oder Möglichkeit, sich zwischendrin anderen Dingen zu widmen (über Knutschereien und heimliche Blicke aufs Handy breiten wir an dieser Stelle mal lieber den Mantel des Schweigens) immer noch die Art und Weise, die uns am liebsten ist. Aber es ist halt (schon seit längerem übrigens) nicht mehr die einzige und schon gar nicht (Kino-Nostalgiker müssen jetzt stark sein) die einzig legitime. 

Die Welt des Films ist in einem stetigen Wandel — und dieser Wandel hat sich in den letzten Jahren noch erheblich beschleunigt. Jedes Verharren und Festhalten an den vermeintlichen goldenen Zeiten ist auf geradezu naive Weise romantisch und verklärt auch historische Wirklichkeiten. 

Dank der herausragenden Arbeit meiner Redaktion haben wir nun in Windeseile die Schwerpunkte unserer Arbeit verändert und konzentrieren uns derzeit vor allem darauf, die besten via Streaming verfügbaren Filme zu kuratieren und damit unseren User*innen ans Herz zu legen. Das ist kein Verrat am Kino, sondern hilft diesen vielmehr, weil Aktionen wie die des Nürnberger Verleihs Grandfilm, die alle ihrer Repertoire-Titel via Vimeo on demand zugänglich machen und die Einnahmen mit ausgewählten Kinos teilen oder verschiedenen anderen Verleihen, die mittels des bislang schmählich übersehenen Angebots Kino on Demand ähnliches tun, die einzigen Möglichkeiten sind (abgesehen von Charity-Aktionen wie dem Erwerb von Kinogutscheinen), überhaupt noch Umsätze zu generieren. Zugleich aber hat sich unter zurueckinskino.de eine Ideenplattform gebildet, auf der weitere kreative Ideen gesammelt werden, die nach dem Ende der Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren die Menschen wieder in die Filmtheater bringen sollen. Auch das ist eine von vielen Initiativen, die mir eigentlich Hoffnung macht, dass unterm Strich doch nicht alles so schlimm kommt, wie es manchmal prophezeit wird.

In meinem zweiten Job als Programmkoordinator an der Kinemathek in Karlsruhe ruht derzeit aufgrund der Schließung alles. Wann genau wir wieder ein Programm machen können, ist derzeit wie fast alles ungewiss. Aber dennoch nutzen wir auch dort die Zeit und bereiten die Umbaumaßnahmen vor, die im Sommer sowieso anlaufen sollten und widmen uns konkret der Neugestaltung des Foyers. Zugleich entstehen neue Formen des Programmierens von Filmen, die sich vorher bereits abgezeichnet haben, ein Experimentieren mit Formaten und Angeboten, bei denen es immer wieder darum geht, das Kino auch als Diskursplattform und nicht nur als Abspielstätte neu zu erfinden. 

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La Flor from Grandfilm on Vimeo.

Die eigentliche Stärke des Kinos liegt womöglich gar nicht (oder nicht allein) in der qualitativen Spitze, die es abbildet, sondern vielmehr darin, ein Raum zu sein, in dem (kinematografische) Erfahrungen geteilt werden und man sich darüber austauschen kann. Und zwar unmittelbar und nicht über mediale Kanäle. Auch wenn diese eigentliche Stärke des Kinos gerade im Moment wegen der Ausgangsbeschränkungen nicht mehr zur Verfügung steht, so tun wir doch gut daran, dies im Sinn zu behalten für jenen Moment, wenn das Credo des „Social Distancing“ (das ja eigentlich ein „Physical Distancing“ ist) abgelöst wird durch den Wunsch nach Gemeinschaft und Teilhabe.

Im dritten Job, der Kuratierung eines neugegründeten Festivals, dessen „Vorspiel“ eigentlich im April 2020 hätte über die Bühne gehen sollen, wird ebenfalls im Hintergrund im Rahmen der Möglichkeiten weitergearbeitet. Die Auftaktveranstaltung „Neuer Heimatfilm unterwegs“ wird nun (*Fingers crossed*) Ende September stattfinden. Das Programm steht bereits fest, nun muss „nur noch“ umterminiert werden. Und natürlich wird derzeit bereits eifrig am Programm für die erste reguläre Festivalausgabe der Biennale Bavaria — Festival des neuen Heimatfilms gearbeitet, Filme gesichtet und recherchiert. Und natürlich geht es auch hier darum, für die Zeiten nach dem Lockdown Begegnungsräume zu schaffen, in denen durch den Film und das Kino Diskussionen angeschoben werden.

 

Die Krise als Chance?

Nein, diese Krise ist sicher keine Chance, wie man derzeit immer wieder lesen kann. Diese Haltung entsteht nämlich aus einer ziemlich privilegierten  Position heraus und trifft halt auf einen Großteil der Bevölkerung nicht zu, die sich neben Sorgen um die Gesundheit und um die Liebsten auch noch mit wirtschaftlichen Existenznöten auseinandersetzen muss. Das triff auch und besonders Künstler und Kreativschaffende, aber auch all jene Menschen, die schon zuvor in prekären und unterbezahlten Beschäftigungs- oder Abhängigkeitsverhältnissen lebten.

Chancen hätte es vorher gegeben — zuhauf. Immer wieder wurden Unzufriedenheiten klar und deutlich formuliert und Lösungsvorschläge (wie etwa die Frankfurter Positionen) entworfen, die aber nicht die nötige Durchschlagskraft hatten, um nicht zerredet zu werden. So dass eben doch mal wieder alles beim Alten blieb.

Das wird aber in Zukunft nicht mehr so bleiben (können). Was ich mir wünsche — und dass nicht erst seit dem Beginn der CoVid19-Pandemie, sondern eigentlich schon recht lange — ist ein Überdenken und Überwinden alter Denkmuster, die die Welt des Films und des Kinos immer noch in eine realen und einen virtuellen Erfahrungsraum trennen. Diese beiden, so geht das Narrativ, mit dem ich mich seit 15 Jahren herumschlage, stehen einander unversöhnlich gegenüber. Gerade in diesem Moment aber erleben wir, dass es auch anders geht: Da verlagern Festivals, die sonst überhaupt nicht stattfinden könnten, ihr Programm ins Netz, da starten Filme statt im Kino auf digitalen Plattformen und generieren damit Erlöse auch für die physikalischen Abspielstätten, da zeigt die netzaffine Filmwelt während des Lockdown, wie viel geballte kuratorische Intelligenz sich im vielfach geschmähten Netz verbirgt. Erkenntnisse, die zugegebenermaßen nicht ganz neu sind, die nun aber auf einen Schlag dringend benötigt werden. Dies ist zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung und kommt im Gegensatz zum Stillstand und dem Beharren der letzten Jahre schon einer kleinen Revolution gleich.

Diese Krise zeigt keine Möglichkeit zur Veränderung bestehender Verhältnisse auf, sondern die schiere Notwendigkeit, gerade jetzt Bestehendes zu hinterfragen und daran zu rütteln. Angesichts des historischen Einschnitts, den wir gerade erleben, wird eine Rückkehr zur „alten Normalität“ keine Option sein. Und seien wir mal ehrlich — sonderlich erstrebenswert erscheint sie gerade auch nicht mit all den Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten, die uns gerade auf die Füße fallen. Und zugleich gilt es aufzupassen: Auf die Gesundheit und diejenigen, die wir lieben und die uns nahe sind. Aber auch darauf, dass dieser Ausnahmezustand nicht dazu benutzt wird, Grundrechte unter dem Vorwand der staatlichen Fürsorge außer Kraft zu setzen.

Es ist eine schwierige Zeit. Aber: Es ist UNSERE Zeit. Machen wir das Beste daraus.

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